Bernhard Jäger zum 80. Geburtstag
Zum 17. Juni 2015: Eine Hommage
Von Friedhelm Häring
Hallo Bernhard,
heute ist Dein Geburtstag und ich wurde gebeten, Dir als Glückwunsch und Geschenk etwas zu schreiben, was ich natürlich sowieso gemacht hätte, eingedenk innerer Sicherheit, dass Du Dich an diesem Tag verdrückst und dadurch vermeidest, dass man Deine Ohren mit Gesang beleidigt. Also was zum Nachlesen – aber keine Nachlese, denn Du strotzt voller Kreativität und Kraft, voller Staunen und Fragen und ringst mit Sichtweisen und Sinnfragen um Antworten wie damals, als wir versuchten, nach unseren Möglichkeiten, die Welt etwas lebenswerter zu machen. Jedes Deiner frühen Bilder, Zeichnungen, Druckgrafiken, Objekte war eine zornvolle Gabe Deiner bekümmerten Liebe an die Gemeinschaft, an die Gesellschaft, die sich unbekümmert im Aufbau- und Produktionswahn den Wanst mit Benz, Busen und anderem Süsskram stopfte, ohne in Verdauungskollaps zu fallen. Wir bekamen die Koliken und sie liessen sich die Kollektionen der Konsumgüter vorlegen, wir hatten den Koller und sie die Kolliers.
Bernhard Jäger, Foto: Ute Wittich
Seit 1960, nach Deinem Studium, mit 25 Jahren, gehst Du den dornigen Weg der Kunst. Thomas Bayrle war Studienfreund und früher Weggefährte, mit dem Du den Verlag, die „Gulliver- Presse“, gründetest. Ihr lerntet den schon damals legendären Querdenker, Nonkonformisten und Büchermacher V.O. Stomps kennen und schuft selbst bibliophile Bücher, unter anderen von H.C. Artmann, Bazon Brock, Ernst Jandl, Franz Mon und Adam Seide. Die Buchmacher machten andere Geschäfte, aber Deine Bilder und Bücher konnten sich sehen lassen und wurden gezeigt in Gruppen- und Einzelausstellungen von Amsterdam (Stedelijk-Museum, 1963) über die documenta in Kassel 1964 bis zur Albertina in Wien, 1993, oder zur Mathildenhöhe in Darmstadt.
Deine Galerien, Kunsthallen und Museen gehören zur ersten Garde der Ausstellungseinrichtungen, wie die aktuelle Ausstellung in Frankfurt im Kunstkabinett in der Braubachstrasse belegt. Über 50 Jahre Deines breiten Arbeitsspektrums sind hier eindrucksvoll aktuell und übersichtlich ausgebreitet.
Alles beginnt in den sechziger Jahren mit Köpfen und Figuren, in denen Du die Aussenwelt aufschneidest, in das neurotisch-neurologische Fieber hineinschauen willst, das dieses Lebewesen Mensch mit all seinen Süchten, Begierden, Sehnsüchten und Bedürfnissen ausmacht, diese Gargantua oder Pantagruel, von denen François Rabelais zwischen 1532 und 1552 lustvoll und angeekelt schreibt, ein liebevoller Spötter er, wie Kästner, der Großstädter mit dem Kinderherzen und der Sehnsucht nach Idylle, ihr die Analysten der Sünden und Schmerzen, der Kümmernisse und Hoffnungen, die Bloßsteller, die Chirurgen und Heiler. Nein, das ist keine schöne Kunst – aber wahrlich wahre Kunst. Das Vulgäre ist der Vorbeizug der Werbe-, Konsum-, Alltags- und Kinoillusion, die Welt von Gier, Macht und Genuss. Das Schöne ist das Lachen, Erkennen, Verdeutlichen, die Hoffnung, die Kümmernisse zu überwinden. Alles andere ist Posing. Ach, Bernhard, guter Freund, wie sinnvoll sich aus Deinen Schnitten durch das ganze Leben die biologischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge verdeutlichten und daraus, dicht, spontan und präzise Deine Linien entfalteten! Über die Linie entwickeltest Du die Figuren neu. Sie gewannen Profil, zeigten Evolution und Kunststücke in den 70er Jahren und fanden sich zu Paaren mit maskenhaften Gesichtern in den 80ern: „Schmiegsam, biegsam großes Paar, Kopf nach links ganz wunderbar, Rumpfgesicht und Menschenmauer, transparenter Nachrechtsschauer“. Das sind nicht etwa Friedberger Zaubersprüche, sondern einige der Themen, die Du in großen Serien bearbeitet hast, zäh ringend in Aquarell und Feder, Acryl auf Leinwand, Pastell und Bleistft auf Papier. Die Köpfe, Gesichter und Menschenfiguren seit 1985, die Gesichter und Masken werden malerische Ereignisse.
Die großformatigen Arbeiten tragen im Ausdruck des Gesichts, gesteigert durch die Farbstimmung, Charakter, Temprament, Eigenart, Wille, Dämonie, Zauber, Glück. Es kristallisiert sich, dass Du Deine Information stärker in die Farbe und die Form legst. Ob das etwas mit Deinem hohen Amt zu tun hat, denn nach einer Gastdozentur übernimmst Du 1984 für sechzehn Jahre die Unterrichtsleitung der an der Städelschen Kunstakademie angeschlossenen Abendschule. Das Vermitteln bedarf in besonderer Weise der Form. Kurz gesagt, ist Form Information. Vermitteln war und ist Dein Anliegen und ich glaube nachvollziehen zu können, dass Dir die Aufgabe am Städel große Freude gemacht hat und für Dich auch von Gewinn war, denn das Vermitteln schafft innere Klärungsprosesse. In dieser Zeit beginnst Du Deine bedeutende Sammlung afrikanischer Kunst. Deine kalten und feurigen Gesichter schließen an. In den 90ern zeigst Du kräftig bunte Maskenmauern. Blatt für Blatt, Bild für Bild entwickelst Du daneben Deine Prototypen. Diese Zeichen des Existenziellen haben den Ruf des Zeitaktuellen, des Alltags, der Verstrickungen hinter sich gelassen. Frau, Mann, Königin, König, Haus, Mensch, Glück, Engel, Wasserwesen stehen als zuverlässige Zeichen für uns bereit: ein großer gesellschaftlicher Entwurf. Die Prototypen agieren auf den Bildern in Deinen Stadtlandschaften. Sie tanzen, drehen sich, gehen zusammen und alleine. Sie stehen als Embleme einzeln, als Wahrzeichen und/oder Symbole. In ihrer elementaren Struktur lassen sie sich als Stadtzeichen, Amulett, Halsketten, Lebenszeichen u.a. einsetzen. Es lebt in ihnen Erfüllung, Unsterblichkeit aus der „reinen“ Form, Ewigkeitsgesang.
Lieber Freund, da hast Du uns etwas Großes geschenkt. Dein gesamtes Werk ist staunenswert. Es entwickelt sich aus der gesellschaftlichen Analyse gradlinig bis zu dem Paukenschlag heute. Als der Japaner Hokusai 1849 im Alter von 88 Jahren starb, hatte er längst jene 36 Farbholzschnitte mit Ansichten des Fuji vollendet, die bis heute unübertroffen sind. Auf seinem Totenbett soll er gesagt haben: „Hätte der Himmel mir weitere fünf Jahre geschenkt, ich wäre ein großer Maler geworden.“ So seid ihr Künstler!
Ich kenne Dich und Deinesgleichen, Ihr ewig Unzufriedenen, immer nach mehr strebend, immer noch einen Schritt weiter! Aber, lieber Bernhard, so muß es sein. Geh auch Du immer weiter in die Vollendung für viele, viele glückliche, gesunde Jahre. Nehmt uns mit oder lasst uns dabei zuschauen, ich bin eh ein Voyeur.
Dein
Friedhelm
Rote Grossstadtfigur (2008), Bernhard Jäger, Friedhelm Häring, Fotos: Renate Feyerbacher
Friedhelm Häring studierte Kunstgeschichte, Klassische Archäologie sowie Vor- und Frühgeschichte und promovierte mit der Arbeit „Der Schottener Altar 1385“; der Kurator, Autor und Publizist war Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender des Kunstvereins Friedberg, Leiter des Kulturamts der Stadt Gießen und Direktor des Oberhessischen Museums Gießen
→ Bernhard Jäger – Späte Hommage zum 75. Geburtstag
→ Darmstädter Sezession zu Gast im Museum Giersch (1)
→ Die Frankfurter Garten- und Landschaftsarchitektin Ute Wittich