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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Karlsruhe feiert 300. Stadtgeburtstag

Von Elke Backert

Karlsruhe? Ist das nicht der Ort, wo sich Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht befinden? Na, klar, und darüber hinaus ist die zweitgrößte Stadt Baden-Württembergs einer der bedeutendsten europäischen Standorte von Informations- und Kommunikationstechnik. Was aber in diesem Jahr viel wichtiger für sie ist, ist das Jahr ihrer Entstehung. Und das wird nun mit über 500 Veranstaltungen drei Monate lang gefeiert.

Am 17. Juni ging’s los. Das ist der Tag vor 300 Jahren, also 1715, als Markgraf Karl Wilhelm die Regierung des kleinen Landes Baden übernahm und, ganz absolutistischer Herrscher, mit dem Bau eines Schlosses im Hardtwald der Oberrhein-Ebene begann. Die Residenz der Markgrafen, die Karlsburg im heutigen Stadtteil Durlach, war 1689 durch Ludwig XIV. zerstört worden. Parallel zum Bau der Schlossanlagen hatte der Markgraf in einem Privilegienbrief Siedler von überallher gerufen, sich „bey und neben dem neu-erbauenden Lust-Hauß Carols Ruhe“ niederzulassen. Der Privilegienbrief war für die damalige Zeit beispiellos, ermöglichte er doch den Bürgern der Stadt weitreichende Freiheiten und Vergünstigungen wie Religionsfreiheit, keine Leibeigenschaft – weder für sie noch ihre Nachkommen – , ein unentgeltliches Grundstück für jeden, 20 Jahre Steuerfreiheit und vieles mehr. Damit begann die Geschichte von Karlsruhe, einer Immigrantenstadt.

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Das Karlsruher Schloss

Charakteristisch für den ursprünglichen Stadtplan sind die 32 ringsum vom Schloss fächerförmig in die Parkanlagen und den Hardtwald ausstrahlenden Straßen, weshalb man von einer Fächerstadt spricht.

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„Fächerstadt“ Karlsruhe

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Das „Lust-Hauß Carols Ruhe“ deutet bereits auf einen lüsternen Karl Wilhelm hin. Er war nicht nur der Stadtgründer, er war auch ein Tulpenliebhaber und Casanova.

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Ein sprechender Bilderrahmen: Der junge Karl Wilhelm live; Markgraf Karl Wilhelm von Baden empfängt persönlich die Besucher in seinem „barocken Theater“, Badisches Landesmuseum Karlsruhe

Obwohl er mit Magdalene Wilhelmine verheiratet war und mit ihr drei Kinder hatte, soll er mit all seinen 86 Hofsängerinnen, Tulpenmädchen genannt, Techtelmechtel gehabt haben. Über die Liaison mit der 19jährigen Geliebten Eberhardine von und zu Massenbach (1690-1764) weiß man Näheres. Der „Serenissimo“, wie er sich ansprechen ließ, bittet Besucher persönlich in seine einem barocken Theater nachempfundenen Räume des Schlosses, um ihnen Einblick in sein Leben, sein Lieben und seine „Gefühlsnöte“ zu geben.

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Aus der Ehe von Magdalena Wilhelmine von Württemberg (li.) mit Karl Wilhelm gingen drei Kinder hervor; über die Liaison Karl Wilhelms mit der 19jährigen Geliebten Eberhardine Luise von und zu Massenbach (re., 1690-1764) erfährt man in der Ausstellung Näheres

Wie das Schloss im Zentrum der Stadtgründung steht, so steht es auch im Zentrum des Stadtgeburtstags mit Eröffnungskonzert und großem Finale am 26. September 2015.

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„Karl Wilhelm 1679-1738“ heißt die Ausstellung zum Stadtgeburtstag im Badischen Landesmuseum Karlsruhe, also im Schloss

Wer viel Zeit mitbringt, sollte sich zudem die ständige Ausstellung im Badischen Landesmuseum Karlsruhe, also im Schloss, ansehen, man kann nur staunen über die unglaubliche Vielfalt an Preziosen.

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Das Gemälde der Markgräfin Karoline Luise von Baden (1723-1783), gebürtige Prinzessin von Hessen-Darmstadt, für den Prospekt stammt aus dem Jahre 1745 vom Genfer Maler Jean-Étienne Liotard (1702-1789), einem – mindestens was sein Aussehen angeht – Exzentriker

„Ich dulde nichts in meinem Cabinet, das nicht perfekt ist.“ Diesen Ausspruch schreibt man der Markgräfin Karoline Luise von Baden (1723-1783) zu, der „Meister-Sammlerin“, die auch selbst – schon als Zehnjährige – malte und zeichnete. 1751 kam sie nach Karlsruhe. Ihre über 200 Sammelstücke, niederländische Malerei des 17. und französische Gemälde des 18. Jahrhunderts, aber auch ungewöhnliches Meißner Porzellan, etwa mit Insektendekor, sind in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe ausgestellt. Auch der kostbare Sekretär des berühmten Möbelschreiners Abraham Roentgen, an dem sie ihre Korrespondenz erledigte, etwa mit dem französischen Philosophen und Schriftsteller Voltaire.

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In diesem temporären Pavillon im Schlossgarten aus miteinander verbundenen Holzelementen erwartet die Besucher vom 17. Juni bis zum 27. September 2015 ein Programm von Konzerten, Kabarett, Frühsport zum Wachwerden bis hin zu Großevents wie dem Landes-Jazzfestival Baden-Württemberg und der Tanz-Akrobatik-Show „Young Urban Moves“

Damit nicht genug der Ausstellungen. Die Städtische Galerie widmet sich dem Stadtarchitekten Friedrich Weinbrenner (1766-1826). Wie kein anderer hat dieser Baumeister des Klassizismus das Stadtbild von Karlsruhe bis heute geprägt. Schade nur, dass derzeit Baustellen über Baustellen viel Schönes verstecken, ja unzugänglich machen. Sie sind jedoch ein Muss, denn die außergewöhnlich zahlreichen Straßenbahnen müssen dringend unter die Erde verlegt werden, will man denn lebend die Straße überqueren.

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Großräumig: das Zentrum für Kunst und Medientechnologie ZKM

Ein ganz neues Kunstereignis im digitalen Zeitalter präsentiert das ZKM, das Zentrum für Kunst und Medientechnologie, mit der GLOBALE (Eröffnung am 19. Juni 2015). Wird sie das i-Tüpfelchen oder bleibt sie geheimnisvoll? Nur soviel, ich zitiere die Macher: „Die Globalisierung und die digitale Revolution verändern die Welt. Die polyphone, multipolare Manifestation GLOBALE, Labor und Akademie zugleich, zeigt mit Ausstellungen, Konzerten, Performances und Symposien die entscheidenden künstlerischen, sozialen und wissenschaftlichen Tendenzen des 21. Jahrhunderts.“

Vielleicht sollte man zum Abschluss noch an die großen Karlsruher Erfinder erinnern: Carl Benz, Erfinder des Automobils, und Freiherr Drais von Sauerbronn, Erfinder des Fahrrad-Vorläufers, der Draisine. Die Stadt würdigt ihre bekannten Söhne mit einem Oldtimer-Korso und einem Draisinen-Rennen.

Motorwagen_Serienversion

↑ Mein erster Serienwagen von 1888. 1,5 PS, 2 Geschwindigkeiten bis zirka 16km/Std., aus: Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 155-156; Bildnachweis wikimedia commons/zeno.org

↓ Wilhelm Siegrist (1797-1843?), Original draisine 1817; Bildnachweis wikimedia commons

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Fotos (soweit nicht anders bezeichnet): Elke Backert

 

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