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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Thomas Feuerstein: „Psychoprosa“ im Frankfurter Kunstverein

„Psychoprosa“: Von „Psilamin“ aus Dopamin und Psilocin und von Schleim als bildhauerischem Material

Von Erhard Metz

Ob der 1829 gegründete Frankfurter Kunstverein – er zählt nicht nur zu den ältesten, sondern inzwischen auch zu den grössten und international renommiertesten Kunstvereinen Deutschlands – jemals ein solches Spektakel in seinen Räumlichkeiten beherbergt hat, wie es sich derzeit im historischen, 1464 begründeten Steinernen Haus samt seinem heute unter Denkmalschutz stehenden Anbau aus den 1960er Jahren ereignet, wissen wir nicht, halten es aber kaum für möglich. Über die drei Ausstellungsebenen hinweg hat der österreichische Künster Thomas Feuerstein eine skulpturale Installation in Gestalt eines riesigen Laboratoriums errichtet, in welchem er aus Algen und Pilzen Dopamin und Psilocin gewinnt, mit denen er das von ihm synthetisierte und als „molekulare Skulptur“ deklarierte „Psilamin“ erzeugt. Und es kommt noch toller: Aus all den biochemischen Prozessen entsteht als Neben-, – wenn nicht gar als Hauptprodukt – Schleim!

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Thomas Feuerstein im Pressegespräch

Nun, Thomas Feuerstein, 1968 in Innsbruck geboren, ist wie gesagt Künstler, studierte in seiner Geburtssstadt Kunstgeschichte und Philosophie, promovierte, übernahm Lehraufträge und Gastprofessuren an verschiedenen Einrichtungen in Österreich und der Schweiz und an der Universität für angewandte Kunst in Wien, wo er heute lebt und arbeitet. Wenn er jetzt also „Psilamin“ erzeugt, so geschieht dies – wie er schmunzelnd einräumt – in „enger Zusammenarbeit“ mit zwei Biochemikern: Thomas Seppi von der Medizinischen Universität Innsbruck und dem Chemiker Ingo Wartusch.

Von einem Spektakel sprachen wir – und erinnern uns heute noch lebhaft an die riesige „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ von Joseph Beuys zur documenta 6 im Jahr 1977 im Fridericianum Kassel (unserer Heimatstadt, in der wir zur Liebe zur Kunst sozialisiert wurden), oder etwa auch an Paola Pivis „Cocktail Party“ im Frankfurter Portikus, bei der gewaltig dröhnende Maschinerien unter anderem Rotwein, Olivenöl und Milch in einen überdimensionalen wie nachdenklich stimmenden Kreislauf brachten.

Doch zurück zur Produktion von „Psilamin“: Was Amine betrifft, erinnern wir uns noch schemenhaft an damaligen Chemieunterricht: Derivate des Ammoniaks, es stank (zur klammheimlichen Gymnasiastenfreude) bestialisch im Chemiesaal. Und Psi? Kommt uns auch bekannt vor: das griechische ψ, das Wort ψυχή, Psyche, einleitend.

Das alles, von dem wir hier handeln, ist nicht ganz ungefährlich: Amine stinken (was ja noch angehen mag), bei Dopamin als Bestandteil von Drogen und Psychopharmaka und Psilocin als halluzinogenes Rauschmittel hört der Spass auf. Und was ist mit dem künstlerisch synthetisierten Produkt „Psilamin“? Würde man es einnehmen, so räumen Künstler und Kunstverein ein, könnten sich psychotrope, also die menschliche Psyche beeinflussende Wirkungen einstellen, Gegenstände schienen dem Halluzinierenden zu verschwimmen und wegzufliessen.

Schleim – das bildhauerische Material

Womit wir beim Eigentlichen, dem bislang noch nicht näher erörterten „Schleim“ wären. Er ist als biochemischer Stoff notwendiger Weise mit dem Produktionsprozess für „Psilamin“ verbunden und stellt zugleich das bildhauerische Material des Künstlers dar.

Ein Schild in der dritten Ausstellungsebene – dort befindet sich die „Fabrik“ – warnt vorsichtshalber und nicht ganz ohne Augenzwinkern – es gehört zum Kunstwerk:

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Nun, Schlein erscheint allgemein als wenig schätzenswürdige Substanz, schon gar nicht, wenn er als abzuhustender Bronchialschleim oder als Nasenschleim (vulgo: Rotz) in Erscheinung tritt. Auch Schleim produzierende Schnecken sind erst im bekannten sechskuhligen Halbdutzend-Pfännchen als „Schnecken Elsässer Art“ gelitten, gar begehrt. Feuersteins skulpturale Installation „Psychoprosa“ nun produziert indes beharrlich, schier unaufhörlich und mit gewaltigem künstlerisch-technischem Aufwand eben diese Ekelsubstanz – Schleim! Er bezieht sich dabei unter anderem auf die Fantasie- und Horrorliteratur von Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) sowie seine, Feuersteins, eigene Science-Fiction-Erzählung „Sternenrotz. Daimon Cult“ als gewissermassen literarisches Gerüst der Installation. In einem „Kino“ der Ausstellung ist der vertonte Text in einem 90minütigen Hörspiel zu vernehmen.

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Thomas Feuerstein neben der „Schleuse“ (im Erdgeschoss)

Hier beginnt für den Ausstellungsbesucher der Parcours als Betrachtungsprozess: in der „Schleuse“ im Erdgeschoss. Überraschend, ja fast schon sensationell mutet die Technik-Skulptur vor allem in der Treppenhaus-Architektur des Gebäudes an.

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In der „Schleuse“, der Schnittstelle zwischen Gewächshaus und Laborküche, werden die in ersterem kultivierten Algen ausgefiltert, um die Aminosäure Tyrosin zu extrahieren, die für die Produktion von Dopamin benötigt wird. Ausserdem wird dort Wasser gereinigt und entsalzt, das für die spätere Schleimproduktion verwendet wird. In diversen Schläuchen werden die Materialen von einer zur anderen Station umgepumpt.

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Steigen wir eine Etage höher, treffen wir als erstes auf die „Mannamaschine III“ im Treppenhausbereich, Teil des „Gewächshauses“. In entsprechenden Bioreaktoren – der Künstler nennt sie „prozessurale Skulpturen“ – wachsen Algen und Pilze, eine Grünalge zirkuliert, zur Fotosynthese dem Licht ausgesetzt, in Glasröhren und Schläuchen.

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Gewächshaus mit (oben) „Mannamaschine III“

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Weiter geht es in die „Laborküche“, in der das aus Algen gewonnene Dopamin und das aus den Pilzen entnommene Psilocin zu „Psilamin“ synthetisiert wird. Aus einer alten Typenhebelschreibmaschine entwachsen „Psilamin“-Kristalle; „Schopenhauer’s sämmtliche Werke“ I bis V sind verklebt und erstarrt, an den Wänden hängen Kohlezeichnungen und zahlreiche Lithografien des Künstlers, die den erzählerischen Hintergrund der Installation bilden.

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„Laborküche“

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In der dritten Ebene erwartet die Besucher zunächst der „Kühlraum“: „Psilamin“ und der als Abfallprodukt aus der restlichen Biomasse von Algen und Pilzen entstehende Schleim sind getrennt. In Dosen abgefüllter Schleim mit der Bezeichnung „Ps)i+“ füllt die Kühlschränke, deren Türen wie von Geisterhand bewegt immer wieder auf- und zugehen – wer denkt nicht dabei am Piero Manzonis berühmte Dosen eines gewissen Inhalts, im Sommer 2013 in ihrer „Leibhaftigkeit“ ausgestellt im Städel Museum.

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Und dann die „Fabrik“ mit der Wandgraphik „Psilove“ – es zeigt die Struktur des neuen Moleküls „Psilamin“ und erinnert an den Namen Howard Phillips Lovecraft – sowie die Installation „Accademia dei secreti“: zwei gewaltige, raumhohe zylindrische gläserne Maschinerien, aus denen der transparente, zähflüssige Schleim aus allerlei Undichtigkeiten austritt (und aus der labortechnischen Sterilität in die reale Lebenswelt eintritt), an den Glaskolben herunter in eine Wanne rinnt und von dort wieder in das Schlauchsystem zurückgeführt wird.

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Die „Fabrik“ mit „Psilove“ und „Accademia dei secreti“

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Was für eine faszinierende, gewaltige Arbeit, was ein riesiger Aufwand für eine künstlerische Installation! Obgleich einige ihrer Elemente aus früheren Jahren stammen, datiert deren grosse Mehrzahl jedoch aus 2015. Etwa zwei Jahre hat die Entwicklung der Installation in Anspruch genommen, in die der Künstler auch selbst handwerklich involviert war. Sie auf den drei Ausstellungsetagen körperlich zu durchmessen und optisch wie akustisch auf- und wahrzunehmen erfordert vom Besucher ein nicht gering bemessenes Quantum Zeit, das er Künstler und Werk unbedingt widmen sollte.

Thomas Feuersteins „molekulare Strukturen“, die Metapher des halluzinogenen „Psilamin“ und des „Schleims“: Sinnbilder für soziale und psychische Bewusstseinszustände im Spannungsfeld von Science-Fiction, Dämonie und Realität; jederzeit bezug nehmend auf den aktuellen gesellschaftspolitischen Diskurs um beispielsweise Biopolitik oder globale Ernährung. Der Dualismus, vielleicht auch die Gratwanderung zwischen Kunst und Naturwissenschaften, verkörpert in biochemischen Vorgängen und hochkomplexen technischen Konstruktionen und Apparaturen und deren besondere Ästhetik, mag an das Universalgenie Leonardo da Vinci erinnern, den grossen Maler und Bildhauer, Architekten, Mechaniker und Ingenieur, Anatom und Philosophen.

Ein fulminantes Debut zugleich der neuen Direktorin des Frankfurter Kunstvereins, Franziska Nori. Sie realisierte es im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Galerie im Taxispalais, Innsbruck, und dem Kunstverein Heilbronn.

„Thomas Feuerstein: Psychoprosa“, Frankfurter Kunstverein, bis 30. August 2015; am Donnerstag, 9. Juli 2015, 19 Uhr, führt Thomas Feuerstein höchstpersönlich durch die Ausstellung

Ausstellungsansichten und Details der einzelnen Arbeiten © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotografien: Erhard Metz

 

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