„An unserem Fluss“ von Lior Navok an der Oper Frankfurt
Ein Konflikt, der überall stattfindet, nicht nur in Palästina und Israel
Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher
Michael Porter (Sipho) und Kateryna Kasper (Lucia); Foto © Monika Rittershaus
Lior Navok, 1971 in Tel Aviv geboren, ist ein junger israelischer Komponist und Dirigent. Er studierte in Jerusalem und in Boston. Die Oper Frankfurt, die bereits seine Kompositionen „Die kleine Meerjungfrau“ und „Pinocchios Abenteuer“ uraufgeführt hatte, gab ihm den Auftrag zu einem neuen Werk, das zum ersten Mal am 31. Mai 2015 im Bockenheimer Depot aufgeführt wurde. Die Kammeroper „An unserem Fluss“ hat den Untertitel „A Study in Conflict“.
Das Thema ist politisch hoch aktuell, gegenwartsbezogen. Es geht um das Menschenrecht auf Wasser, nicht nur zwischen Israel und Palästina. Der Politologe und Journalist Chadi Bahouth, er ist im Vorstand des Vereins Neue Deutsche Medienmacher, der sich um die Vielfalt der Berichterstattung im Einwanderungsland Deutschland stark macht, hat 2009/2010 an der Freien Universität Berlin über den Wasserkonflikt zwischen Israel und Palästina promoviert. In seinem Beitrag „Zündstoff Wasser?“ im Programmheft zur Oper macht er deutlich: „Die ungleiche Verteilung der Ressource fördert einen Mangel an wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und politischer Entwicklung auf seiten der Palästinenser. Die Ungleichheit der Verteilung ist also keine ressourcenabhänge, sondern eine politisch gewollte.“ Es geht um Machtausübung des Stärkeren. Das ist Thema der Kammeroper.
Michael Porter (Sipho) und Carlos Krause (Herr Kavi); Foto © Monika Rittershaus
Der Fluss ist eine Metapher. Wasser als Kriegsauslöser oder als Friedensstifter, in diesem Spannungsfeld bewegt sich die Handlung des Textes, den Lior Navok selbst verfasste. Das Mädchen Lucia und der 17jährige Junge Sipho, von der anderen Seite, begegnen sich auf der Suche nach Wasser. Auf die Bezeichnung Israeli oder Palästinenser wird verzichtet. Sie finden Wasser und entdecken Gefühle für einander. Sie wollen fliehen, denn in ihrem Umfeld beginnt der Streit um Wasser. „Gott hat mir das Wasser versprochen.“ – „Nein mir.“ – „Nein mir.“ Es fällt nicht leicht, anfangs die verschiedenen Personen einzuordnen. Sehr geballt, in kurzen Sätzen wird angedeutet, was dem Einzelnen passiert ist beziehungsweise was ihn beschäftigt. Gewalt, Macht, eigener Vorteil bestimmen das Leben auf beiden Seiten, und Big Uncle spielt die Menschen gegeneinander aus. Angst und Ohnmacht beherrschen die Menschen ständig. „Wir gegen die andern“, „Unser Gott ist besser als euer Gott“, „Unser Glaube ist der richtige“. Das sind die Hauptgedanken, die Lior Navok infrage stellt. Lucia nimmt sich vor, für eine bessere, friedvolle Zukunft zu kämpfen, heisst es im Programmheft. Wie wird sie es tun?
Das Ensemble; Foto © Monika Rittershaus
Das Geschehen auf der ansonsten grossen Bühne des Bockenheimer Depots wirkt beengt und kleinteilig durch die Wandelemente. Das trockene Flussbett, aus dem etwas Wasser quillt, trennt die Parteien (Bühne Stephanie Rauch). Es gibt Szenen, in denen es der Regisseurin Corinna Tetzel gelungen ist, die Angst spürbar zu machen, aber so manche Szene ist unverbindlich, die Personen sind zu statisch. Liegt es am Text? Hervorzuheben ist die Video-Szene, in der die Friedenstauben abgeschossen werden.
Intendant Bernd Loebe und Lior Navok; Foto: Renate Feyerbacher
In der Musik des 44jährigen Komponisten ist diese Angst, diese Anspannung, aber auch Ohnmacht wahrzunehmen. Dennoch sie ist manchmal „zu schön“ für das Thema. Celesta, Harfe und Klavier geben eine ganz eigene Klangfärbung. Minimal Music kommt bei Big Uncle ins Spiel. Am Schluss im Dialog über die „wahre“ Religion beziehen sich die Stimmen nicht mehr aufeinander. Keiner will den andern hören. Hingeworfene Wortfetzen bleiben unbeantwortet. Sebastian Zierer leitet das kleine, fein musizierende Ensemble des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters.
Kateryna Kasper; Foto: Renate Feyerbacher
Das Publikum war sehr angetan von dieser Uraufführung, die von einem starken Sängerensemble getragen wurde. Die ukrainische Sopranistin Kateryna Kasper, die aus dem Opernstudio ins Ensemble der Oper Frankfurt wechselte, singt Lucia – klar, markant, zuweilen lyrisch. Michael Porter, der junge amerikanische Tenor, noch Mitglied des Opernstudios, meistert die Rolle des Sipho überzeugend. Kasper und Porter sind ein harmonisches Paar.
Michael Porter (oben); unten: Daniel Schmutzhard; Fotos: Renate Feyerbacher
Elizabeth Reiter und Stine Marie Fischer bei den Frauen und Daniel Schmutzhard, Davide Damiani, Hans Jürgen Schöpflin bei den Männern ragen heraus. Carlos Krause, heute 79 Jahre, das Urgestein an der Frankfurter Oper, an der er um die einhundert Rollen sang, gab den alten Kavi, den Nachdenklichen, den Vermittler. Noch immer eindrucksvoll ist seine Stimme.
Stine Marie Fischer (Sinya), Carlos Krause (Herr Kavi; im Türrahmen sitzend), Alexander Mayr (Chicken-Heart) und Gurgen Baveyan (Bauer) sowie das Ensemble; Foto © Monika Rittershaus
Ein nachdenklicher Opernabend.
Die nächsten Aufführungen finden am 6., 8., 10., 12. und 13. Juni 2015, jeweils um 19.30 Uhr im Bockenheimer Depot statt.