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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss an der Oper Frankfurt

Die Marschallin Fürstin Werdenberg im Betreuten Wohnen

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher

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Amanda Majeski (Feldmarschallin; rechts stehend) und eine Statistin der Oper Frankfurt, Foto © Monika Rittershaus

Den „Rosenkavalier“ – ach, den kennt man doch als Opernfreund! Nein, man kennt ihn nicht genug. Regisseur Claus Guth, der für die Frankfurter Inszenierung von „Pelléas et Mélisande“ den FAUST Theaterpreis 2013 erhielt, zeigt am Premierenabend, dem 24. Mai 2015, eine neue Sicht auf die „Komödie für Musik“ von Hugo von Hofmannsthal (1874-1929).

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Regisseur Claus Guth, Foto: Renate Feyerbacher

Noch während des Vorspiels, das musikalisch eindringlich ist, geht der Vorhang auf: Vor einem imposanten Portalbogen mit Aufzug liegt eine Frau – offensichtlich tot – , betrauert von Freunden, die sich in den Aufzug zurückziehen. Dann steht die vermeintlich Tote auf. Es ist die Marschallin. Die Geschichte wird rückwärtsgewandt erzählt. Die Fürstin begibt sich nach links – da stehen hintereinander gereiht Betten. Eine Gestalt schleppt sich hinten auf eines der Betten. Die Marschallin setzt sich auf das vordere. Auf diesem liebkost sie nun den jungen, 17 Jahre alten Grafen Octavian, ihren Liebhaber. Eine Liebesnacht im Altersheim. „Warum ist Tag? Ich will nicht den Tag! Für was ist der Tag! Da haben dich alle!“ (Octavian).

Schon „vorgewarnt“‘ durch Dramaturg Professor Norbert Abels in „Oper extra“ war zu ahnen, wie die Neuinszenierung des Regisseurs Claus Guth ausfallen würde. Radikal und konsequent wird der Gedanke des Altersheims, des Sterbeheims durchgezogen. Das ist heftig, dennoch genial. Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ kommt in den Sinn. Übrigens schrieb Thomas Mann in einem Brief an Hugo von Hofmannsthal, dass er nach der Premiere recht verstimmt war: „Strauss hat nicht wie ein Künstler an Ihrem Werk gehandelt.“

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Amanda Majeski (Feldmarschallin) und Paula Murrihy (Octavian), Foto © Monika Rittershaus

Das Tête-à-Tête wird schlagartig unterbrochen. Zunächst denkt die Marschallin, der Herr Gemahl Feldmarschall kehre spontan vom Schlachtfeld zurück, aber es ist der Vetter Baron Ochs auf Lerchenau, der hereinpoltert. Blitzschnell verwandelt sich Octavian in die junge Kammerzofe Mariandel, auf die der flegelhafte, weibstolle, sexsüchtige Ochs fliegt und sie hinfort nicht mehr aus den Augen lässt zwecks sexuellem Vergnügen. „Seh ich was Lieb’s: ich muß mir’s nehmen“ (Ochs). Der Herr Baron will Sophie, die Tochter des reichen Neuadeligen, Herrn von Faninal, heiraten und braucht das Einverständnis der Fürstin. Diese bestimmt schliesslich Octavian als Überbringer der Silbernen Rose, die traditionell im Hause Lerchenau der Braut übergeben wird. Als die Fürstin den ungehobelten Vetter hinaus manövriert hat, sinniert sie: „Da geht er hin, der aufgeblas’ne, schlechte Kerl und kriegt das hübsche Ding [gemeint ist Sophie] und einen Pinkl Geld dazu, … kann mich auch an ein Mädel erinnern [gemeint ist sie selbst], die frisch aus dem Kloster ist in den heiligen Ehstand kommandiert word’n“ (Marschallin).

Octavian, der nun Kleider Mariandels entledigt, findet sie traurig und niedergeschlagen vor. Sie beginnt über die Vergänglichkeit zu sinnieren und konfrontiert ihn mit der Vermutung, dass er, Quinquin – so nennt sie ihn -,  sie über kurz oder lang sitzen lassen werde. „Die Zeit, die ist ein sonderbar‘ Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie … In den Gesichtern rieselt sie, im Spiegel, da rieselt sie und zwischen mir und dir … Lautlos wie eine Sanduhr … Manchmal steh‘ ich auf mitten in der Nacht und lass‘ die Uhren alle, alle stehen.“ An anderer Stelle sagt sie zu ihm: „Mit leichtem Herzen und leichten Händen, halten und nehmen, halten und lassen …“ Octavian antwortet: „Sie spricht ja heute wie ein Pater. Soll das heißen, daß ich Sie nie, nie mehr werde küssen dürfen, bis Ihr der Atem ausgeht?“ Es ist die Ankündigung vom Tod. Wie es der Text suggeriert, lässt Guth die Marschallin die Zeit existentiell wahrnehmen.

Der erste Aufzug hat auch turbulente Szenen. So treten alle möglichen Hofschranzen auf, denn Hugo von Hofmannsthal lässt die Geschichte in Wien, in den ersten Jahren der Regierungszeit von Kaiserin Maria Theresia, spielen. Dennoch – diese Wehmut der Vergänglichkeit, die den ersten Aufzug charakterisiert, betrifft auch die Zeit am Anfang des 20. Jahrhunderts: der erste Weltkrieg, die Abdankung der Herrscher, die sich ankündigende Naziherrschaft.

Dieser erste Aufzug gehört der Marschallin, die im zweiten Aufzug nur als Schemen auftaucht. Er widmet sich dem Eheschacher zwischen Baron Ochs auf Lerchenau und Faninal und dem Moment des Sich-Verliebens von Sophie und Octavian, der die Silberne Rose überbringt. Diesen Rüpel, Baron Ochs auf Lerchenau, lehnt Sophie ab.

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Paula Murrihy (Octavian) und Christiane Karg (Sophie), Foto © Monika Rittershaus

Im dritten Aufzug geht es hoch her. Eine wahnwitzige Farce soll den Baron in Sachen Eheschliessung mit Sophie zur Strecke bringen. Dabei spielt das Mariandel alias Octavian eine entscheidende Rolle. Für die Marschallin heisst es am Schluss: Loslassen, für Sophie und Octavian: Zusammenkommen.

Die nachdenklichen, philosophischen Worte der Marschallin im ersten Aufzug sind der Schlüssel für Claus Guths Inszenierung. Alte Menschen schlurfen über die Bühne, einige brechen zusammen, tote Heimbewohner werden abtransportiert. Die Marschallin, noch eine junge Frau von 32 Jahren, bewegt sich bedächtig. Ihr langes weisses Negligé mit Morgenmantel legt sie nur einmal ab. Der Eindruck vom Dahinsiechen ist konstant. Am Ende schleppt sie sich zum Sterbebett. Das kindliche Alter ego erscheint. Der Kreis schliesst sich.

Die junge amerikanische Sopranistin Amanda Majeski („Rusalka“, „Romeo und Julia auf dem Dorfe“) verleiht dieser eigentlich noch jungen Feldmarschallin überzeugend-morbide Züge. Erschreckend, wie sie im zweiten Aufzug durch die Szene geistert. Dennoch eine selbstbewusste Marschallin, die keinen k.u.k-Standesdünkel an den Tag legt. Eine Frau wie du und ich.

Das Bühnenbild und die Kostüme von Christian Schmidt, der 2003 von „Theater heute“ als Bühnenbildner des Jahres und danach zweimal zum Kostümbildner des Jahres gekürt wurde, machen eine Kombination von höfischem Glanz und Seniorenheim möglich. Das Herzstück der Bühne, der Kubus, dreht sich: mal ist der Aufzug, mal eine fürstliche Treppe, mal eine Sitzecke zu sehen. Die Betten rechts und links davon sind fast immer allgegenwärtig. Die Inspiration zu den Rosenkavalier-Stockwerken und den symmetrischen Raumfluchten erhielt er im Café Sperl in Wien. Christian Schmidt und Claus Guth arbeiten seit über zwei Jahrzehnten zusammen: in Salzburg, Wien, München, Dresden, Hamburg, Berlin, Barcelona und in Frankfurt, zum Beispiel bei „Pelléas et Melisande“.

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Bühnen- und Kostümbildner Christian Schmidt im Anschluss an „Oper extra“ am 17. Mai 2015, Foto: Renate Feyerbacher

Zum Team von Claus Guth gehört auch der Choreograf Ramses Sigl, mit dem Guth in Salzburg, Wien und Berlin zusammengearbeitet hat. Es werden keine Beine geschmissen, aber mehrere tänzerische Momente beleben die Inszenierung. „Die Bewegung kommt aus der Situation“, sagt Sigl. Selbst die Totentransporte haben eine gewisse Leichtigkeit. Die zusammengebrochene Zofe (Tänzerin) wird vom Kammerdiener (Tänzer) im Tanzschritt weggetragen, mit geschwungenen Kopfkissen wird der Ernst der Situation aufgebrochen oder aus der Aufzugtür schauen Beine der Bediensteten.

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Bjarni Thor Kristinsson (Baron Ochs; Bildmitte) sowie Tänzer und Choristen der Oper Frankfurt, Foto © Monika Rittershaus

Dezent kommt der Walzer daher, den es zu Zeiten Maria Theresias noch nicht gab. Das hat sehr viel Humor und verleiht dem Geschehen immer wieder Dynamikwechsel. Sigl – Sohn jordanisch-deutscher Eltern, bayerisch geprägt – macht zwar, wie er bei „Oper extra“ dem Publikum humorvoll anvertraut, einen exakten Choreografie-Plan, den er aber bei der Probenarbeit auch spontan verändert. Diese Freude an der Spontanität ist zu spüren.

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Choreograf Ramses Sigl im Anschluss an „Oper extra“ am 17. Mai 2015, Foto: Renate Feyerbacher

Für Richard Strauss (1864-1949), der seinen Textdichter Hugo von Hofmannsthal 20 Jahre überlebte, war der Walzerkönig Johann Strauss (Sohn) „der liebenswürdigste Freudenspender“. Schon beginnend beim Frühstück der Marschallin mit Octavian durchziehen Walzermelodien die musikalische Komödie. Ein wunderbarer Bewegungsfluss ist der Komposition eigen. Strauss-Experte Sebastian Weigle dirgiert, und es ist so, als würde „Der Rosenkavalier“ neu gehört. Einfühlsam werden Marschallin, Octavian und Sophie begleitet, musikalische Turbulenzen fein abgewogen. Üppige Streicherklänge, kraftvoll-differenzierte Bläser. Dirigent und Orchester wurden sogar zu Beginn eines jeden Aufzugs frenetisch gefeiert – und vor allem beim Schlussbeifall.

Guth und Weigle haben ein hervorragendes schauspielerich-sängerisches Team zur Verfügung: Stolz und souverän die Feldmarschallin von Amanda Majeski, ein melodiöser, wunderbarer Sopran, keck, aber auch besinnlich der Octavian von Paula Murrihy, die den 17jährigen Grafen erstaunlich „jugendlich-männlich“ darbietet. Sehr wandlungsfähig ihr ausdrucksstarker Mezzosopran.

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(v.l.) Amanda Majeski (Feldmarschallin) und Paula Murrihy (Oktavian) im Anschluss an „Oper extra“ am 17. Mai 2015, Foto: Renate Feyerbacher

Christiane Karg ist eine schüchtern-unbeholfene Sophie, deren feines Timbre sich wunderbar in dem manchmal turbulent-musikalischen Geschehen entfaltet. Das Terzett zum Ende der Komödie ist ein Genuss. Die Marschallin, die Octavians Liebe verlor: „Hab‘ mir’s gelobt, ihn lieb zu haben in der richtigen Weis‘ … In Gottes Namen.“ Octavian: „Es ist was kommen und ist was g’schehn“; zu Sophie: „Spür‘ nur dich, spür‘ nur dich allein.“ Sophie: „Mir ist, wie in der Kirch’n, heilig ist mir und bang … Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein.“ Und später zu Octavian: „Spür‘ nur dich, spür‘ nur dich allein.“ Eine gebrechliche Person humpelt währenddessen über die Bühne und die Marschallin schleppt sich zum Sterbebett.

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Christiane Karg (Sophie), Paula Murrihy (Octavian) und Amanda Majeski (Feldmarschallin), Foto © Monika Rittershaus

Der Isländer Bjarni Thor Kristinsson hat die dankbare Rolle des Buhmanns, des Barons Ochs auf Lerchenau. Gekonnt gibt er den flegelhaft-grosskotzigen Landadeligen. Kräftig, aber nicht sehr markant ist sein Bass. Auch Dietrich Volle („Die Gespenstersonate“) als unterwürfiger Herr von Faninal, zuweilen sehr aufgedreht, und Barbara Zechmeister als Marianne Leitmetzerin, sowie der Chor und Kinderchor der Oper Frankfurt gehören zum insgesamt vorzüglichen Ensemble.

Viel Widersprüchliches haben Komponist Richard Strauss und Textdicher Hugo von Hofmannsthal in den „Rosenkavalier“ gepackt, der in dieser Neuinszenierung Aktualität gewinnt. Die Genusswelt hört ständig das Ticken der Uhr, so Claus Guths Gedankengang.

Weitere Aufführungen am 4., 7. (15.30 Uhr), 14., 20. und 24. Juni sowie am 2., 5. und 11. Juli 2015 im Opernhaus Frankfurt (jeweils um 18 Uhr)

 

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