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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Alicja Kwade: „Die bewegte Leere des Moments“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Von Erhard Metz

Wir machen keinen Hehl daraus: Das Phänomen dessen, was wir „Zeit“ nennen, und die Art, wie Kunstschaffende mit ihr umgehen, interessieren uns in besonderer Weise, Letzteres vor allem, wenn es nicht verkopft und verquert daherkommt, sondern emotional und sinnlich wahrnehm- und erfahrbar ist. Alicja Kwade ist dies mit ihrer Installation „Die bewegte Leere des Moments“ in der Rotunde der Schirn Kunsthalle Frankfurt in besonderer Weise gelungen, und nicht nur dies: Die Arbeit befasst sich mit der Zeit im Raum, denn Zeit und Raum sind, wie auch Nichtphysiker wissen, im vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum vereinigt.

Was nun aber ist Zeit? Eine unumkehrbare Abfolge von Geschehen? Ist heute das morgen von gestern, ist heute das gestern von morgen? Was war vor der Zeit, was folgt auf sie? Ist Zeit immerwährend? Künstlerinnen und Künstler sollen nicht Fragen beantworten, sondern die Betrachter ihrer Kunst veranlassen, Fragen zu stellen.

Was nun sehen wir in der Schirn-Rotunde, die – endlich! – wieder einmal mit einem Kunstwerk „bespielt“ wird?

Eine traditionelle Uhr, wie sie früher etwa in Bahnhöfen anzutreffen war, mit beidseitigem Zifferblatt, etwa einen halber Meter im Durchmesser, und ein Stein, dessen Durchmesser etwa 30 cm beträgt, kreisen im mittigen Abstand voneinander unentwegt unter der Kuppel der offenen, Tag und Nacht frei zugänglichen Rotunde, über die Köpfe der Betrachter hinweg. Ein zwiespältiges Gefühl stellt sich alsbald ein: Was ist, wenn das Seil, wenn die Kette reisst … Beklemmend auch der durch Lautsprecher vermittelte lautstarke „Klack“ der Sekunden. Unaufhaltsam. Jede gehörte und auf dem grossformatigen Zifferblatt beobachtete Sekunde ist mit der darauffolgenden unweigerlich vergangen, kehrt niemals wieder, nach allem, was wir heute wissen, vermuten beziehungsweise glauben.

Die Fenster der Rotunde sind mit Spiegelfolie verkleidet, Uhr und Stein erscheinen, sich ständig im Kreise drehend, dem Betrachter irrlichternd-vielfach.

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„Die bewegte Leere des Moments“: Unablässig rotieren in der Rotunde, angetrieben von einem Räderwerk in der Kuppelspitze, an Seil und Kette Uhr und Stein, rücken die Sekunden-, Minuten- und Stundenzeiger vor, tönt im Sekundentakt das bedrängend laute „Klack“ ans Ohr. Uhr und Stein spiegeln sich vielfach in den mit Folie verkleideten Fenstern; Installationsansichten, Fotos: Erhard Metz

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Alicja Kwade untersucht Fragen von Realität und Wahrnehmung, befasst sich mit naturwissenschaftlichen und philosophischen Phänomenen, mit Zeit, Bewegung, Raum und Gravitation. In der Rotunde der Schirn scheinen sich Uhr und Stein zu jagen – vergeblich, denn sie treffen nie aufeinander. Doch beide Gegenstände hängen gleichsam voneinander ab, stellen im Karussell der kreisförmigen Bewegung im Raum als Gewicht und Gegengewicht eine Art Stabilität her. Dennoch erscheint diese Konstruktion dem Betrachter fraglich, ja fragil zu sein, ein längerer Aufenthalt in der Halle erzeugt durchaus ein Gefühl von Bedrängt- und Bedrohtsein, ja ein fast schön körperlich wahrnehmbares Unbehagen.

Doch beruhigen wir uns: Uhr und Stein – beide von Kunst gestaltender Menschenhand im Kreislauf bewegt, Symbole vielleicht ein jedes: die Uhr mag für das in seiner Anfänglich- wie Unendlichkeit unmessbare Raum-Zeit-Kontinuum stehen, der in jenem in Jahrmillionen „gewachsene“ und „gewordene“ Stein versinnbildlicht uns das Irdische unseres Planeten und steht für dessen unzähl- und unmessbar Vielfaches im Universum.

„Alicja Kwade. Die bewegte Leere des Moments“
auf youtube, hochgeladen von stadtkind74

„Die häufig an naturwissenschaftliche Phänomene erinnernden Objekte Alicja Kwades verunsichern unsere Wahrnehmung von den Dingen und verlangen eine permanente Neubewertung. Nachdem die Schirn die Künstlerin 2014 in der Gruppenausstellung ‚Unendlicher Spass‘ mit einzelnen Werken vorgestellt hat, freuen wir uns, ihr nun die zentrale Rotunde für eine singuläre Präsentation bieten zu können“, so Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Und der Kurator der Ausstellung, Matthias Ulrich, ergänzt: „Die Künstlerin weckt Zweifel. Ihre Arbeiten dehnen einen Wirklichkeitsaspekt so lange, bis dieser zu kippen droht oder tatsächlich kippt und so Unmögliches, bisher nicht Vorhandenes entsteht. Objekte, die wertvoll erscheinen, jedoch in Wahrheit nur den Schein von etwas Wertvollem wiedergeben, werden für unsere Wahrnehmung zur optischen Falle und stellen so Fragen nach sozialen Übereinkünften und Konstruktionen.“

Alicja Kwade, 1979 in Kattowitz geboren, studierte an der Hochschule der Künste in Berlin bei Professor Dieter Hacker und Professorin Christiane Möbus. Erst im Sommer letzten Jahres begegneten wir Arbeiten Kwades in der Schirn Kunsthalle im Rahmen der bereits erwähnten Ausstellung „Unendlicher Spass“. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin.

„Alicja Kwade. Die bewegte Leere des Moments“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, bis 14. Juni 2015

 

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