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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Das 8. Lichter Filmfest Frankfurt International – Eine Nachlese

Grossartiges Programm – grossartiger Ablauf

Von Renate Feyerbacher

Vom 17. bis 22. März 2015 stand Frankfurt am Main im Zeichen des Lichter Filmfests.

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Der Cantate-Saal, der jahrzehntelang dem „Volkstheater Frankfurt Liesel Christ“ und anschliessend seit einiger Zeit der „Fliegenden Volksbühne“ als Theaterstätte diente, nun aber aus bautechnischen Gründen demnächst vorübergehend unbespielbar ist, hatte Hausherr Michael Quast als Hauptquartier und als Kinosaal zur Verfügung gestellt. Die etwa 40 meist ehrenamtlichen Mitarbeiter, Filmemacher, Medienexperten und Filmliebhaber haben exellente Festspiele veranstaltet. Insgesamt wurden 7 Filmstätten bespielt. Fast 12.000 Besucher kamen.

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Pressekonferenz, (v.l.) Johanna Süß, stellvertretende Festivaldirektorin, Festivaldirektor Gregor Maria Schubert, Julia Cloot, stellvertretende Geschäftsführerin Kulturfonds Frankfurt RheinMain, und Michael Quast, Direktor der Fliegenden Volksbühne im Cantate-Saal

Begonnen hat alles im Atelierhaus Frankfurt im Jahr 2008. Gregor Maria Schubert gründete mit drei Freunden das Festival. Er ist immer noch als Festivalleiter dabei und wird unterstützt von Johanna Süß, Michael Hack, stellvertretender Festivaldirektor und Berater, und einem Team von Ehrenamtlichen.

Damals, 2008, wurden acht Langfilme, davon fünf Dokumentarfilme und zwei Kurzfilmprogramme gezeigt.

Und heute? 50 Filme aus 15 Ländern standen auf dem Programm. Allein im Wettbewerb „Bester Regionaler Langfilm“ nahmen dreizehn Dokumentar- und Spielfilme mit Bezug zu Rhein-Main und Hessen teil. Es gab einen Wettbewerb mit Kurzfilmen, eine „Lange Nacht“ mit mittellangen Produktionen, sechzehn Langfilme ausserhalb des Wettbewerbs, eine internationale Experimentalfilmrolle, nicht zu vergessen Kinderfilme und last not least fünfzehn internationale Dokumentar- und Spielfilme zum Thema „Geld“ in der Reihe Internationaler Langfilm. Die Filme im Wettbewerb konkurrierten um den begehrten „Weißen Bembel“. Das Lichter Filmfest Frankfurt International ist nicht nur zentrale Plattform des Filmschaffens in der Rhein-Main-Region und Hessen, sondern auch ihr Motor. „Wir wollen das Filmschaffen in unserer Region mitgestalten und weiterentwickeln“, sagt die stellvertretende Festivaldirektorin Johanna Süß. Die Gewinner der „Weißen Bembel“ erhalten daher hochwertige Technik- und Equipment-Gutscheine im Wert von 4.500 Euro zur Realisierung neuer Projekte. Allein für den LICHTER Art Award reichten 120 Videokünstlerinnen und -künstler ihre Arbeiten ein, aus denen fünf Finalisten gekürt wurden. Damit nicht genug: auch ein aussergewöhnliches Rahmenprogramm zum Thema „Geld“ mit Gesprächen, Vorträgen und Performances lockte viele an.

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Mit dem Drama „Hedi Schneider steckt fest“, das den Hessischen Filmpreis 2014 gewann und im Forum der BERLINALE lief, wurde das Festival eröffnet. Er ist in den Kinos zu sehen. Eine Panikattacke, danach immer wiederkehrende, unerklärliche Angstzustände treten bei Hedi auf. Der steckengebliebene Aufzug ist eine Metapher für Hedis Leben. Hedi steckt im Leben fest, in der Angst. Der Stopp im Aufzug kann nicht schuld sein, denn sie schäkert mit dem Reparaturdienst über die Sprechanlage. Welche Rolle spielt der Suizid eines Kollegen? Die Panikattacke kommt während des Sex‘. Weder Medikamente noch Gesprächstherapie helfen. Die Entfremdung von der Familie, Mann und Kind, die bis dahin glücklich schienen, nimmt zu. War die Beziehung wirklich ehrlich oder gespielt wie Szenen, die Rollenspiele mit dem Sohn, vermuten lassen? Regisseurin Sonja Heiss, die Panikattacken selbst erlebte, lässt die Hauptdarstellerin Laura Tonke dramatische Momente immer wieder komödiantisch abfangen. Manchmal ist das geradezu absurd und wirklichkeitsfremd, aber das war die Absicht der Regisseurin, das schwierige Thema humorvoll zu betrachten. Wenn mit den Figuren gelacht werden kann, so kann auch mit ihnen geweint werden, so ihr Gedankengang. Laura Tonke und Hans Löw als Ehemann gefallen in den Rollen. Schöne Kameraeinstellungen begleiten Hedis Fahrradfahrten durch die Frankfurter Innenstadt.

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Hans Löw und Laura Tonke am 17. März 2015 im Cantate-Saal

Den Weißen Bembel gewonnen hat der nur 70 Minuten dauernde Spielfilm „Sin & Illy still alive“. Die in den USA geborene Regisseurin und Drehbuchautorin Maria Hengge erzählt eine Geschichte aus dem Frankfurter Rotlichtviertel. Die achtzehnjährige Sin und ihre Freundin Illy wollen aus dem Drogenmilieu aussteigen und auf eine griechische Insel fliehen. Dort hoffen sie, „clean“ zu werden. Der Plan scheitert. Realistisch und schonungslos wird dieser endlose Kreislauf von Sucht und Prostitution dargestellt. Die vierundzwanzigjährige Céci Chuh als Sin begeistert durch ihre schauspielerische Leistung. Theaterschauspielerin Angela Winkler, aktiv am Berliner Ensemble, die durch ihre Rollen in den Volker Schlöndorff-Filmen „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975) und „Die Blechtrommel“ (1979) berühmt wurde, hat die Nebenrolle der Ärztin übernommen.

Als bester Dokumentar-Langfilm wurde „Conduct! – Jede Bewegung zählt“ von Götz Schauder mit dem Weißen Bembel ausgezeichnet. Er begleitete den legendären 4. Georg Solti-Dirigentenwettbewerb 2008, der alle zwei Jahre in der Alten Oper Frankfurt stattfindet. Götz Schauder, Absolvent der Hochschule für Gestaltung Offenbach (HfG), gelingen einfühlsame Portraits der jungen Dirigenten. „Durch die präzise Beobachtung seiner Protagonisten in dieser hermetisch abgeschlossenen Szenerie erzeugt der Film in seiner Vielschichtigkeit eine hohe Emotionalität und Spannung“, begründet die Jury ihre Entscheidung. Shizuo Kuwahara, der seinerzeit gewann, und Andreas Hotz, der den 3. Platz für sich entschied, hat er im Beitrag verewigt. Hotz ist seit der Spielzeit 2012/13 Generalmusikdirektor am Theater Osnabrück. Der Japaner Shizuo Kuwahara ist heute Musikdirektor und Dirigent beim Symphony Orchestra Augusta (USA).

Es ist auch eine Hommage an die beiden herausragenden Orchester in Frankfurt am Main: das hr Sinfonieorchester und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, die sich bei diesem Wettbewerb zur Verfügung stellen und engagieren.

Die Regisseure Michael Schaff und Thomas Toth gewannen mit ihrem Werk „Ein bisschen Normalität“ in der Kategorie Regionaler Kurzfilm. Es ist ihre Bachelor-Abschlussarbeit an der Hochschule Mainz und beobachtet das Leben einer Mutter zwischen Fürsorge, Erziehung und Drogenrausch. Die Jury spricht von einem ungeschönten Blick auf das Leben, aber auch von der vertrauensvollen Zusammenarbeit, durch die ihnen ein berührendes Porträt gelingt, „das besonders durch seine gelungene Montage überzeugt.“

Liebling des Lichter Filmfest-Publikums wurde Elizabeth Ok mit ihrem Dokumentarfilm „Carlo, Keep Swingin“, der 2014 für den Hessischen Film- und Fernsehpreis nominiert war. Er erzählt vom Jazz-Trompeter und -Theoretiker Carlo Bohländer, der bereits in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts einen Jazzclub in Frankfurt etablierte, und von 70 Jahren Jazz in Frankfurt. Witwe Anita Bohländer, Jazzlegenden wie Bill Ramsey, Paul Kuhn, Günter Lenz, Gustl Mayr, und der Veranstalter Fritz Rau kommen zu Wort.

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Elizabeth Ok mit Jazz-Saxofonist Gustl Mayr in der Garderobe am 18. März 2015

Albert und Emil Mangelsdorff sind mit Dokumentarfilmausschnitten dabei. Jazzkenner und Jazzkritiker Michael Rieth, der im vergangenen Oktober plötzlich verstarb, vermittelt in seiner unnachahmlich intellektuell-informativ-freundlichen Art historische Einblicke. Viele Besucher sprachen Elizabeth Ok nach dem Film an und waren begeistert. Manche gestanden aber auch ihr Unwissen über die Jazzszene in Frankfurt.

Elizabeth Ok, in Ochsenfurth bei Würzburg geboren, mit armenischen Wurzeln, wohnte ab Herbst 2006 bis Anfang 2010 am Mainkai 6 in Frankfurt. Es war die Wohnung von Carlo Bohländer, dessen Keller seinen kompletten, unsortierten Nachlass enthielt. Sie gab sich ans Sortieren der Akten, in dessen Verlauf ihr die Idee zur Dokumentation kam. Fünf Jahre hat sie daran gearbeitet. Sie schrieb das Drehbuch und führte Regie. Die Produktion lag bei ihr und ihrem Mann Oliver Stock, der in einer Wirtschaftsgesellschaft arbeitet. Sie haben den Streifen alleine finanziert. Der Binding Publikumspreis, dotiert mit 2000 Euro, ist daher sicher willkommen. Ein Jazz-Konzert nach der Film-Premiere – unter anderem mit Anita Honis Bohländer und Bill Ramsey – brachte den Cantate-Saal zum Toben.

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Anita Honis Bohländer und Bill Ramsey in der Künstlergarderobe am 18. März 2015

Im Juni können Jazzfreunde und solche, die es werden wollen, „Carlo, Keep Swingin“ in Frankfurt und in Wiesbaden sehen.

Im Wettbewerb waren Filme, die bereits Preise errungen haben: Der Dokumentarfilm „The Green Prince“ von Nadav Schirman, er gewann unter anderem den Hessischen Film- und Fernsehpreis 2014. In Gesprächen erzählen Mosab Hassan Yousef, Sohn des Hamas-Mitbegründers Scheich Hassan Youssef, und der Israeli Gonen Ben Yitzhak, von ihrer zehnjährigen Zusammenarbeit für den israelischen Geheimdienst – eine unvorstellbare Geschichte, spannend wie ein Thriller.

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Nadav Schirman am 19. März 2015

Zu sehen war „Femminielli“ von Nino Pezzella, der den Hesschischen Film- und Fernsehpreis für Experimentalfilm erhielt und während der Berlinale 2015 den Preis der deutschen Filmkritik – ein Preis, der ausschliesslich von Filmkritikern vergeben wird. Das Kino platzte aus allen Nähten. Zehn Jahre lang hatte der Frankfurter Regisseur und Drehbuchautor Nino Pezzella mit seiner Kamera die als Männer geborenen Femminielli von Neapel begleitet. Ähnlich den Drag-Queens (männliche homosexuelle Transvestiten) frönen sie einem „hermaphroditen Kult“, der seinen Ursprung in der Antike hat. Pezzella kommt den Menschen sehr nah, empathisch dokumentiert er ihre Sehnsüchte, zeigt ihr entbehrungsreiches Leben. Es sind menschlich fein beobachtete Künstlerfiguren, die ihren Status als Glückbringer einer Gesellschaft haben.

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Elizabeth Ok und Nino Pezzella am 5. Februar 2015 während der Berlinale – Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik

Ein weiterer aussergewöhnlicher Film im Wettbewerb war „Im Labyrinth des Schweigens“. Wer wusste kurz nach dem Krieg etwas vom Konzentrationslager Auschwitz, vom Holocaust? Heute, 70 Jahre nach der Befreiung, wird das ehemalige Lager von Touristen geradezu überschwemmt. Anmeldung ist notwendig. Vor über zwanzig Jahren, als ich dort war, war das noch nicht der Fall. Es war der FR-Journalist Thomas Gnielka, der dem Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Ende der 1960er Jahre Unterlagen eines KZ-Häftlings zuspielte. Bauer und Gnielka versuchten daraufhin, das Geflecht von Verdrängung, Verleugnung, Lügen und Schuld zu entwirren. Es gelang, und Fritz Bauer, der seinerzeit als Jude nach Schweden emigriert war, wurde vom Bundesgerichtshof mit den Ermittlungen beauftragt. 1963 begann der erste Auschwitz-Prozess in Frankfurt. Über die Vorgeschichte hat Regisseur Giulio Ricciarelli einen Spielfilm produziert mit namhaften Schauspielern, unter anderem dem grandiosen Wiener Burgschauspieler Gert Voss in der Rolle von Fritz Bauer. Es war seine letzte grosse Rolle. Er starb vor einem Jahr.

Dieser Film ist nicht nur ein Denkmal für Fritz Bauer, sondern auch für Thomas Gnielka und die drei jungen Staatsanwälte, von denen Gerhard Wiese, heute 86 Jahre, sein Wissen, seine Erinnerungen dem Regisseur mitteilte. Er habe zu Beginn der Arbeit 1958 herzlich wenig von Auschwitz gewusst, sagte er bei der Vorführung des Films, in dem nur ein Staatsanwalt mit dem fiktiven Namen Johann Radmann agiert – überzeugend dargestellt von Alexander Fehling. Ein gelungener Spielfilm über die Vergangenheit, über Auschwitz, der gerade junge Leute interessieren könnte.

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Giulio Ricciarelli am 9. November 2014

Ilona Zioks Dokumentation „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ von 2010 vertiefte die Thematik Auschwitz während der Festspiele.

Im Dokumentarfilm „Tristia – eine Schwarzmeer-Odyssee“, eine Koproduktion des Hessischen Rundfunks unterstützt von der Hessischen Filmförderung, führt Regisseur Stanislaw Mucha in sieben Länder, die das Meer berühren. Der Titel geht auf die in fünf Bänden gesammelten poetischen Briefe zurück, die der römische Dichter Ovid an seine Frau, an die wenigen verbliebenen Freunde und an Kaiser Augustus nach Rom schrieb. Ovid wurde nach Tomis (heute Constanta/Rumänien) am Schwarzen Meer verbannt – wegen seiner sittenwidrigen Ars amatoria oder Ars amandi, Gedichte über die Liebekunst. Es ist eine schwermütige Bestandsaufnahme. 5000 Kilometer legten Mucha und sein Team in drei Monaten bei der Umrundung des Schwarzen Meeres zurück. In dieser relativ kurzen Zeit konnten nur Impressions-Splitter aufgenommen werden, dennoch – es sind informative Momente. Sie treffen Menschen auf der Strasse und lassen sie erzählen. Sie werden mit Multikultur, mit Postkommunismus, mit wachsendem Kapitalismus, mit Prunk und Armut konfrontiert.

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Stanislaw Mucha 19. März 2015 im Filmmuseum

Es sprengt den Rahmen, über alle Wettbewerbsfilme zu schreiben, erwähnt werden soll noch „Hin und Weg“, ein Film zur kontroversen Diskussion über Sterbehilfe. Der unheilbar kranke Hannes will seine traditionelle Fahrradtour mit Frau und Freunden zu seiner letzen machen, um in Belgien Sterbehilfe zu finden. Umstritten, mit grossen Darstellern.

In seinem Spielfilm „Welcome to Karastan“ hat der unter anderem in Berlin lebende englische Regisseur Ben Hopkins eine skurile, schwarze Komödie übers Filmemachen, über Politik und Egos geschaffen. Im Mai ist der Streifen auch in Frankfurt zu sehen.

Sogar ein Oscar-Preisträger erschien beim Lichter Filmfest: Florian Henckel von Donnersmarck, 1973 in Köln geboren, der 2007 für „Das Leben der Anderen“ den Oscar als „Bester deutschsprachiger Film“ erhielt, präsentierte seine Essays zum Thema „Kino“. In lockerer Atmosphäre erzählte der international agierende, mehrfach ausgezeichnete Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent von seiner Kindheit, gab kleine Einblicke in sein Privatleben, seine heutige Familie mit drei Kindern. Nach einem Studium in Oxford ging er in die Regie-Lehre bei Richard Attenborough (1923-2014) und anschliessend an die Hochschule für Fernsehen und Film München.
Der Zwei-Meter-Mann mit üppigem, lockigem Haar aus bedeutendem schlesischem Adelshaus, das sich bis ins 14. Jahrhundert nachverfolgen lässt, aufgewachsen in New York, Berlin, Frankfurt und Brüssel, arbeitet geduldig die lange Schlange der Autogrammheischenden mit persönlicher Hinwendung ab, umarmt Frankfurter Freunde – kein adeliges Getue.

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Florian Henckel von Donnersmarck am 21. März 2015 im Filmmuseum

Lichter Money schliesslich war das Thema des Rahmenprogramms und einiger Filme. Geld ist aber auch das Thema, welches die Macher des Lichter Filmfestivals beschäftigt, das eine sichere, mittelfristige Finanzierungsperspektive benötigt. Wie kein anderes Festival stärkt das Lichter Filmfest nämlich die Filmschaffenden der Region.

Fotos: Renate Feyerbacher

→ 9. Lichter Filmfest Frankfurt International

 

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