Unterwegs in Deutschland – Neuland (2)
Über Eisleben und Lutherstadt Wittenberg, Stendal und die Müritz im ersten Teil des Berichts geht die Reise nun nach Stralsund und weiter nach Rügen …
Von Ingrid Malhotra
In Stralsund
Auf Stralsund war ich sowieso ganz besonders neugierig. Damals, bei meiner ersten Fahrt, sah es desolat aus, aber man konnte ahnen, dass dies einmal eine ganz besondere Stadt war. Wenn man damals die Einwohner fragte, ob sie denn keine Zuschüsse erhielten, um die Stadt zu sanieren, gab es ziemlich bösartige Vermutungen darüber, wo diese Zuschüsse wohl gelandet seien. Davon ahnt man heute nichts mehr. Stralsund ist für mich eine der schönsten Städte Deutschlands und sehr umfassend und liebevoll restauriert. Jetzt sagen die Einwohner, dieses Glück sei ihnen widerfahren, weil es sich bei Stralsund um den Merkelschen Wahlkreis handelt. Nun, wenn das wirklich der Grund ist, dann will ich nicht meckern – hier waren eventuelle Wahlgeschenke ausnahmsweise einmal wirklich bestens investiert.
Stralsund – Rathaus und Nikolaikirche
Nachdem ich in der Stadt angekommen war, habe ich erst einmal in einer blitzblanken Gasse bei der Stadtmauer angehalten und mich informiert, welche Hotels es in der Innenstadt gibt, und angerufen, um zu fragen, ob es ein Zimmer für mich gibt. Es gab. Der Rezeptionist war ganz stolz, dass er mir sogar ein richtiges Einzelzimmer anbieten konnte. Ich habe versucht, ihn davon zu überzeugen, dass ich nicht sehr empfindlich bin und auch mit einem Doppelzimmer vorlieb nehmen würde, wenn die Einzelzimmer knapp sein sollten. Aber er bestand darauf, mir das Einzelzimmer zu geben. (Leo hat dann während der Nacht immer wieder versucht, mich aus dem schmalen Bett hinauszuwerfen, damit er hinein kann … Übrigens, wenn ich so darüber nachdenke – in den anderen Orten hatte ich immer ein Doppelzimmer, ausser in Stendal, natürlich, aber die Leute am Empfang haben sich jedes Mal dafür entschuldigt, dass sie mir kein Einzelzimmer anbieten konnten; es ist wirklich ein grosses Glück, dass ich so wenig empfindlich bin gegen Verbesserungen!) Das Parken sah er als Problem: es gab zwar direkt vor dem Hotel einen riesigen Parkplatz, aber dort würde zeitig am nächsten Morgen der Aufbau des Wochenmarktes beginnen und dann müsste ich mein Auto vorher umparken. Und wo es in erreichbarer Nähe noch Parkplätze gäbe? Achselzucken, sehr schwierig.
Stralsund – Am Marktplatz
Also habe ich ausgepackt und zunächst einmal nach einem anderen Parkplatz gesucht, denn in aller Frühe noch vor der ersten Tasse Kaffee muss ich das nicht haben. Es gab keine anderen Parkplätze, auch das schwer anzufahrende Parkhaus, von dem er mir erzählt hatte, liess sich nicht auffinden. Aber dafür gab es in unmittelbarer Nähe eine Tiefgarage, die zu einem anderen Hotel gehörte, aber auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stand. Na, wer sagt’s denn! Das Auto war versorgt. Es war Zeit für einen ersten Erkundungsgang. Auch Leo fand das dringend notwendig.
Stralsund – Strasse zu einem Stadttor
Ist das eine schöne Stadt!
Stralsund – An der Nikolaikirche
Die wundervoll restaurierten Häuser in Backsteingotik und Barock neben kleinen Fischerkaten, die sich zwischen die hoch aufragenden Zierfassaden ducken,
Gasse in Stralsund
die engen Gässchen und weiten Plätze, der unter Erhaltung der alten Kontor-und Speicherhäuser modern und grosszügig gestaltete Hafenbereich mit dem eindrucksvollen Ozeaneum –
Stralsund – Am Hafen
man kann sich nicht sattsehen. Immer wieder finde ich neue Details.
Stralsund – Skulptur am Hafen
Langeweile kann hier einfach nicht aufkommen.
Stralsund – Hafengelände zum Erholen
Und gute Restaurants gibt es auch! Sogar sehr gute, alles stimmt, einschliesslich der Preise: das Ambiente ist angenehm, das Essen und der Wein sind hervorragend, die Bedienung ist aufmerksam und freundlich und die Preise sind nicht allzu hoch. Das einzig Traurige sind wiederum die Läden der Billigketten im Fussgängerbereich, samt einer „Mall“, die aber scheinbar schon wieder geschlossen war. Aber von diesem kleinen Bereich abgesehen gibt es hier noch viel zu entdecken –
Stralsund – Großsegler
ich bin sicher, dass ich bei weitem noch nicht alle Kolonnaden, geheimnisvollen Durchgänge und Innenhöfe gefunden habe.
Stralsund – Ruine der Johanniskirche
Nach zwei Tagen habe ich sehr mit mir gekämpft, ob ich wirklich weiterfahren soll nach Rügen oder ob es nicht gescheiter wäre, einfach hier zu bleiben.
Stralsund von hinten
Weiter nach Rügen
Aber die Neugier hat gesiegt! Bei meinem ersten Besuch auf der Insel Rügen habe ich in Sassnitz gewohnt, in einem „Hotel“, das noch kurz vorher der Erholung der „Werktätigen der Republik“ dienen sollte – naja, die Betreiber gingen wohl davon aus, dass ihre Gäste eh nichts Besseres kennen. Eigentlich wollte ich den Bau wiederfinden, aber das ist mir nicht gelungen.
Sassnitz – Die Seebrücke
Es gibt dort, in diesem steilen Bereich von Sassnitz, nicht weit vom Naturschutzgebiet mit den Kreidefelsen, mehrere solche, eher unschöne, DDR-Bauten, und ich wusste nicht mehr, welcher es war. Bin dann lieber hinunter zum Hafen gegangen
Sassnitz – Fischereihafen
und habe den gewaltigen Seegang fotografiert und Kutterfisch gegessen.
Sassnitz – Kutterfischkutter
Ausserdem war ich auch neugierig auf Binz, denn damals war dort eine rege Bautätigkeit im Gange, und ich wollte schon sehen, ob es wirklich so schön geworden ist, wie man damals erwarten durfte. Es ist! Nicht nur hat Binz einen endlos langen Strand, an dem ausserhalb der Saison ein Hund sich auch einmal austoben kann,
Binz – Am Strand
Binz hat auch eine gleichfalls endlos lange Promenade entlang all diesen wunderschönen weissen Villen, in einem irgendwie klassizistisch gearteten Stil mit offenen Veranden, geschnitzten Ornamenten der verschiedensten Stilrichtungen und kunstvollen schmiedeeisernen Balkongeländern.
Binz – Die Promenade
Was mir dieses Mal allerdings fehlte, waren all die vielen Verkaufsstände mit Bernstein und/oder Thüringer Bratwurst. Binz ist sehr ordentlich geworden! Schade eigentlich.
Zum Ausgleich gibt es immerhin ein hochinteressantes Standesamt – gerade gelandet …
Binz – Das Standesamt
Bernstein gibt es nur noch in – sehr teuren – Läden und Bratwurst allenfalls in den einfacheren Gaststätten. Aber ich finde, diese Verkaufsstände hatten was – mir haben sie Spass gemacht. Aber andererseits hat mir dieser Mangel genug Zeit gelassen, auch einmal von der Strandpromenade wegzugehen und die Wälder und Seen landeinwärts zu erkunden.
Binz – Der Schmachter See
Es gibt hier tatsächlich eine Menge zu unternehmen, auch bei schlechtem Wetter.
Binz – Hauptstrasse, vom See aus gesehen
Und nicht zu vergessen, die Insel ist ja auch gross genug für Autowanderungen – in den abgelegeneren Gebieten gibt es sie noch, die Strassen mit total kaputtem Kopfsteinpflaster aus der Vorkriegszeit, die einen veranlassen, sich pausenlos beim Auto zu entschuldigen. Aber mittlerweile gibt es auch hervorragend ausgebaute Strassen, die leicht zum schnelleren Fahren verführen – was übrigens auch von den meisten Fahrern gerne angenommen wird. Vor allem von denen aus den alten Teilen der Bundesrepublik – von solchen Strassen können wir schliesslich zuhause meist nur träumen …
Binz – Auch für die Unterhaltung der Hunde ist bestens gesorgt
Der Nationalpark Jasmund – das ist der mit den Kreidefelsen – ist immer einen Besuch wert. Oder man kann mit der Fähre nach Hiddensee fahren. Und dann gibt es natürlich noch Prora bzw. den „Koloss von Prora“: ziemlich erschreckend. Deshalb bin ich dieses Mal auch nicht wieder hingefahren, um ihn anzusehen. Ende der 1930er Jahre sollten hier acht Gebäude von je 550 m Länge der Ostsee einen Riegel vorschieben. „Kraft durch Freude“ sollte man dort erleben können, so war es jedenfalls geplant. Aber zum Glück sind nicht alle dieser Riesenbauten fertig geworden. Zu DDR-Zeiten hat man dann aus dem fertigen Teil eine Kaserne gemacht. Heute gibt es eine Jugendherberge und den Rest will man, wie es scheint, als Ferienwohnungen verkaufen. In einem Haus wohnen, bei dessen Anblick man sich zur Ameise reduziert fühlt? Nicht mein Ding!
Nun habe ich die Insel zu Fuss und mit dem Auto erkundet, bin durch Kiefern- und helle Birkenwälder gelaufen, habe Dörfchen und kleine Weiler durchfahren, in denen die Zeit irgendwann vor hundert Jahren stehen geblieben ist, habe grosse Gutshöfe und Gestüte gesehen; die Zeit vergeht viel zu schnell, es muss schon wieder Richtung Heimat gehen. Schnell noch ein paar essbare Souvenirs einkaufen: es gibt hier vieles mit Sanddorn, und der soll ja sehr gesund sein. Ausserdem schmeckt er gut.
Die Heimfahrt geht wieder über kleinere Strassen, die allerdings auch wieder erstklassig ausgebaut sind. Noch einmal durch Stralsund und dann zunächst ein kurzes Stück Richtung Westen nach Ribnitz-Damgarten. Ich hatte gelesen, dass es dort ein sehenswertes Bernsteinmuseum gibt. Das stimmt, es ist ein sehr sehenswertes Museum. Aber auch das Städtchen selbst ist nicht nur einen Besuch, sondern einen Aufenthalt wert. Leider war das Wetter so schlecht, dass keine guten Fotos möglich waren. Aber als Entschädigung habe ich beim Museum eine Bernsteinwerkstatt gefunden, die mir meine alte Bernsteinkette reparieren konnte.
Danach ging es dann endgültig heim. Aber eines steht fest: hier oben gibt es noch viele Ausflüge, die ich machen muss!
Fotos: Ingrid Malhotra
→ Unterwegs in Deutschland – Neuland (1)