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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Unterwegs in Deutschland – Neuland (1)

Von Ingrid Malhotra

Neuland … also, für mich jedenfalls!

Man kann ja nicht immer nur unterwegs in China sein. Zuhause gibt es doch auch noch Neues zu entdecken. In den vielen Jahren der Trennung Deutschlands in zwei Teile hat man ja Gewohnheiten entwickelt – z.B. immer nur nach Süden, nach Westen und gelegentlich auch einmal nach Norden zu fahren. Nach Osten? Wozu? Man kam ja nicht weit!
Sicher, in den letzten 25 Jahren war ich schon recht oft östlich von Frankfurt am Main unterwegs. Meine Heimatstadt Dresden war dabei meist mein Hauptziel, aber auch das nahe Thüringen mit seinen bezaubernden Landschaften lud immer wieder einmal zu einem Tages- oder Wochenendausflug ein.

Kurz nach der Wiedervereinigung bin ich auch einmal durch Mecklenburg-Vorpommern bis nach Rügen gefahren. Aber damals waren die Städte noch völlig verwahrlost, die Strassen grässlich und die Hotels, naja, seltsam. Eher wie Jugendherbergen, aber wie solche vor 50 oder 60 Jahren. Doch man sah auf jeden Fall, dass es da wunderschöne Landschaften zu entdecken gab und dass die Städte einmal wunderschön gewesen sein müssen – jedenfalls manche.
Viel Zeit hatte ich damals nicht, aber dass ich noch einmal mit Ruhe durch möglichst viele Abschnitte der Alleenstrasse bis nach Rügen fahren würde, war klar. Jetzt hat sich endlich die Gelegenheit ergeben.

Erst einmal ging es an Fulda vorbei Richtung Osten, durch eigenartige Landschaften, die durch gewaltige Abraumhalden eine ganz besondere Prägung erhielten. Irgendwie hatte das auch einen gewissen Reiz, schwer zu beschreiben …

Bild 1 - Irgedwo zwischen Fulda und Eisleben

Irgendwo zwischen Fulda und Eisleben

Mein erstes Etappenziel war Eisleben. Damals, in den frühen Neunzigern, hatte ich Station in der Lutherstadt Wittenberg gemacht, wo man schon Anzeichen eines beginnenden Wiederaufbaus erkannte. Eisleben ist auch eine Lutherstadt, dachte ich mir, ist sicher sehenswert und schön saniert. Dachte ich.

Die Enttäuschung war gross, denn was ich von der Innenstadt sah, war viel, aber nicht besonders einladend. So viel war es auch nur, weil ich verzweifelt versuchte, das Parkhotel zu finden, für welches es hie und da Wegweiser gab. Leider nicht immer, wenn ich einen brauchte, so dass ich viele Male durch die Stadt kreiselte und fand, dass die Häuser überwiegend noch so aussahen, wie in Dresden unmittelbar nach der Wende, dass es Geschäfte, die den Namen wenigstens halbwegs verdienten, scheinbar nur in einem Einkaufszentrum draussen am Stadtrand gab und dass ich eigentlich keine grosse Lust hatte, hier herumzulaufen.

Naja, schliesslich fand ich auch das Parkhotel. Superlage oberhalb des Stadtkerns bei einem verwilderten Park, über den mein Hund sich wohl sehr gefreut hätte. Die Eingangstür sah etwas merkwürdig aus. Laienhaft knallgrün gestrichenes Holz mit aufgesetzten weissen Streifen, aber über Geschmack soll man nicht streiten. Ich klingelte, wartete, klingelte, wartete …

Schliesslich öffnete eine schläfrige Frau die Tür und informierte mich, dass das Parkhotel kein Hotel sei. Irgendwo weiter oben sei wohl eines, aber hier jedenfalls nicht! Mein Vorschlag, dann doch die Wegweiser zu entfernen, erntete nur einen völlig verständnislosen Blick. Ich suchte also „weiter oben“, fand auch ein Haus, an dem Hotel dranstand, aber es sah irgendwie nicht so vielversprechend aus. In der Stadt gab es eines über einem griechischen Restaurant – das habe ich einmal gemacht und werde es nie wieder tun! Meine Kleider, der Hund, ich, alles roch noch tagelang nach griechischer Küche.

Bin also eine halbe Stunde oder so um Eisleben herum gefahren und dachte mir, es muss doch irgendwo etwas geben, aber da war nichts. Schliesslich stand ich wieder bei dem Hotel, von dem ich fand, es sehe nicht so vielversprechend aus – sehr orange. Äussere Eindrücke täuschen ja manchmal ein bisschen. Drinnen stand ich an einer Rezeption im Eingangsbereich eines sehr gepflegten und ansprechenden Restaurants, die jungen Damen waren äusserst professionell und sehr hilfsbereit. Selbst hatten sie leider kein Zimmer mehr frei, aber sie telefonierten herum, bis sie etwas für mich gefunden hatten und beschrieben mir dann ausführlich den Weg zum – Strandhotel.

Strandhotel? Mitten in Thüringen! Da wird man doch neugierig, oder? Der Weg war nicht weit, und die Überraschung war gross. Das Strandhotel hatte einen Strand! Am Süssen See. So heisst der See tatsächlich. (Auf der Karte habe ich inzwischen gesehen, dass es auch einen Salzigen See gibt.) Die Zimmer waren einfach, aber ausreichend, das Restaurant war auch durchaus ländlich, aber das Essen war gut, die Bedienung freundlich und aufmerksam. Mein Hund Leo konnte draussen toben. Was will man mehr? (Das Fotografieren habe ich leider vergessen: abends kein gutes Licht, und morgens bin ich kein Mensch …)

Am nächsten Morgen, nach einem ausgiebigen Frühstück und Morgengassi am Seeufer entlang, durch Gärten und das Dörfchen Aseleben ging die Tour weiter. So schön es hier auch war, dieses Mal hatte ich ja etwas Bestimmtes vor. Diese schöne und mir völlig unbekannte Gegend würde ich mir ein anderes Mal gründlicher anschauen. Ich beauftragte also mein Navi, mich abseits der Autobahnen nach Wittenberg zu bringen.

In die Lutherstadt Wittenberg

Ich weiss jetzt, dass es in Deutschland zwei Wittenbergs gibt, Und dass eines davon seeeehr weit weg ist. Es hat eine Weile gedauert, bis mir auffiel, dass ich eigentlich schon längst da sein sollte, denn die Landschaften, durch die ich fuhr, waren ja schon sehr sehenswert. Viele Alleen, Berge, kleine Flüsse. Hübsch … Aber irgendwann merkt ja auch die Dümmste, was los ist. Ich wendete und hiess mein Navi, das richtige Wittenberg zu suchen, sicherheitshalber mit Postleitzahl.

Nun, der Eindruck von damals hat nicht getäuscht, man hat viel gearbeitet in Wittenberg. Das Stadtzentrum ist wunderschön hergerichtet. Merkwürdigerweise gibt es sehr viele Eisdielen, aber es gibt auch ein Cranach-Museum, spannende Fassaden, eine gewaltige Kirche und sehr nette, nun ja, Toilettenwärter, die sich meines Hundes äusserst liebevoll annahmen, während er seine übliche Schimpfkanonade ob meiner empörenden Abwesenheit losliess. Um das Ganze herum eine gepflegte Parkanlage. Sehr sehenswert.

Bild 2Wittenberg noch immer wird kräftig restauriert

Wittenberg – Noch immer wird kräftig restauriert

Allerdings keine Stadt für Leute, die gerne Schaufensterbummel veranstalten – nur wenige Läden waren auch nur im mindesten interessant, da, wo die Stadt am schönsten war. Am liebsten wäre ich trotzdem dort geblieben, aber ich hatte doch einen Zeitplan! Und der hatte schon genug gelitten durch meine Irrfahrt. Und so einen Zeitplan muss man einhalten, oder!?

Bild 3 Wittenberg noch konnten nicht alle Schäden behovben werden

Wittenberg – Noch konnten nicht alle Schäden behoben werden

Also weiter in Richtung Stendal

Die Strecke war nicht sehr lang, aber abwechslungsreich, der Weg ins Stadtzentrum war leicht zu finden. Und ein Hotel gab es auch, den „Schwarzen Adler“. Schöne Fassade, aber – ausgebucht! Was wollen denn nur so viele Leute in Stendal? Aber die junge Frau an der Rezeption hatte noch ein As im Ärmel: das beste Zimmer überhaupt! Eine ganze Wohnung mit zwei Schlafzimmern, Küche, Bad und überhaupt sehr luxuriös.

Also, über den Begriff „luxuriös“ kann man auch sehr unterschiedlicher Auffassung sein. In dem Schlafzimmer mit dem bequemen Bett gab es zwar einen Fernseher, aber keinen Strom und folglich auch kein Licht und kein Fernsehen. In dem Schlafzimmer mit Licht war das Bett soso. Die Küche hatte Licht, aber sonst keinen Strom. Aber im Bad gab es beides. Wie schön. Und das Ganze war nur um die Ecke vom Hotel entfernt. Wer weiss, ob es noch ein anderes Hotel gäbe …

Hund und ich waren müde und hungrig, also nahmen wir die Wohnung, freuten uns, dass wir die Küche sowieso nicht brauchten und erkundigten uns an der Rezeption, wo man denn etwas Gutes zu essen bekommen könne. Tja, also, das beste Restaurant sei wohl hier das eigene.

Bild 4 Stendal - der Roland

Stendal – der Roland

Na, wenn das so ist. Wirklich, der junge Kellner hat sich masslos angestrengt. So bemüht und aufmerksam sieht man selten einen. Er war auch sehr froh, dass ein Gast da war. (Möchte wissen, wo all die Leute hingegangen waren, die die Hotelzimmer besetzt hielten. Die wussten wohl mehr als ich …) Dass die Qualität des Essens zu wünschen übrig liess, war nicht die Schuld des Kellners. Als er merkte, dass ich es stehen liess, brachte er mir noch einen unberechneten Nachtisch, der auch tatsächlich sehr viel besser war. Aber der Wein war wirklich gut – aus Sachsen, und dort gibt es ganz hervorragende Gewächse.

Bild 5  Stendal - dJahrzehnte der Vernachlässigung haben ihre Spuren hinterlassen

Stendal – Jahrzehnte der Vernachlässigung haben ihre Spuren hinterlassen

Am nächsten Tag haben Leo und ich dann Stendal besichtigt. Also, mit einem Wort: Stendal ist schön! Sehr schön. Das Stadtzentrum ist zu einer recht grossen Fussgängerzone ausgebaut worden Dort sind alle Fassaden hergerichtet, nur leider manchmal mit unzulänglichen Mitteln, so dass der Putz schon wieder abplatzt. Aber trotz dieses kleinen Schönheitsfehlers gibt es viel zu sehen und zu bewundern.

Bild 6   Stendal -Im Zentrum

↑ Stendal im Zentrum Kirche und Rathaus sind auf ganz merkwürdige Weise miteinander verschmolzen
↓ Stendal – Rathaus und Kirche innig vereint

Bild 7 Stendal -Rathaus und Kirche innin vereint

In den äusseren Bereichen des Zentrums findet man Anlagen, Brunnen, alte Befestigungstürme, Blumenrabatten und gelegentlich sogar ein richtig gutes Geschäft.

Bild 8 Stendal -Backsteingotik und Fachwerk

↑ Stendal – Backsteingotik und Fachwerk
↓ Stendal – Blumenrabatten

Bild 9 Stendal -Blumenrabatten

In der Fussgängerzone haben sich leider wie in so vielen Städten in der ehemaligen DDR Billigketten etabliert und verschandeln das Stadtbild.

Bild 10 Stendal - In der Fussgängerzone

Stendal in der Fussgängerzone

Aber es gibt noch so vieles zu gucken und zu bestaunen, dass man darüber hinweg sehen kann. Allerdings sollte man sich nicht zu weit in die Nebenstrassen verlaufen, die vom Zentrum wegführen – denn dort sieht man noch, wie es einmal war …

Bild 11 Stendal - dAbseits des Zentrums

Stendal – Abseits des Zentrums

Übrigens, wenn man den Stendalern vorschwärmt, wie schön man ihre Stadt findet, dann kommt eine etwas traurige Antwort: „Ach, naja, aber Tangermünde ist doch viel schöner! Da müssen Sie mal hin!“ Inzwischen habe ich mir Tangermünde auf Streetview angeschaut: Tatsächlich, da muss ich mal hin!

Auf zur Müritz!

Nun wollte ich weiter zur Mecklenburgischen Seenplatte, an die Müritz. Hoffnungsfreudig habe ich das Navi darüber informiert, und es bot mir als Ziel Müritz-Graal an. Beinahe hätte ich zugestimmt, aber nach den gemachten Erfahrungen habe ich erst einmal im Internet nachgeschaut, ob das auch richtig ist. Nun, diese Fahrt hätte mich an die Ostseeküste gebracht. Da wollte ich jetzt aber noch gar nicht hin. Ich habe mir also den Namen einer Stadt an der mecklenburgischen Müritz gesucht (ich glaube, es war Waren) und ihn eingegeben und bin losgefahren. Weit war die Strecke ja nicht, auch nicht schwer zu fahren, leider führte die Strasse meist in einer gewissen Entfernung an den Seen vorbei. Ich glaube, dort muss ich tatsächlich einmal ein paar Tage irgendwo bleiben und die Gegend zu Fuss oder mit dem Fahrrad erkunden. In Röbel habe ich dann Mittagspause gemacht und wollte eigentlich gerne in einem Hotel absteigen, das direkt am Wasser lag und sehr einladend aussah.

Leider war es geschlossen. Also bin ich zurück zum Bootsanlageplatz, habe dort hervorragend gegessen – frischen Fisch natürlich und anschliessend den Ort besichtigt. Klein, aber überaus sehenswert.

Bild 12 Röbel an der Müritz - Am See

↑ Röbel an der Müritz – Am See
↓ Röbel an der Müritz – Im Ort

Bild 13 Röbel an der Müritz - Im Ort

Aber nun hatte ich ihn ja gesehen; habe mal wieder ein bisschen im Internet nachgeschaut, was es an der Müritz sonst noch so gibt und fand ein Schlosshotel ganz in der Nähe am Seeufer. Sehr teuer schien es nicht zu sein, aber leider ziemlich voll belegt, wie sich bei meiner Ankunft herausstellte. Es war wohl auch mit einem Klinikbetrieb verbunden, so dass rundherum ausser Park, See und ein paar sehr stillen Dorfstrassen nicht viel war. Sehr ruhig. Ich habe mir dann einen Parkplatz gesucht und bin ein bisschen durch den Wald gewandert, immer am See entlang, und kam zur Müritzklinik. Riesig. Direkt am Seeufer. Also da könnte man auch mal krank werden … Falls ich irgendwann einmal zur Reha muss, werde ich versuchen, mich an diese Klinik zu erinnern.

Bild 14 Müritzstrand

Müritzstrand

Unten in der Klinik gab es einen Souvenirladen mit wunderschönen Glas- und Kristallwaren aus Thüringen. Dort habe ich gleich Geschenke für die nächsten Geburtstage und Weihnachtsfeste eingekauft und mit dem Verkäufer über sächsische Weine diskutiert.

Jetzt habe ich versucht, eine Strasse zu finden, die an mehreren Seen entlang führt, aber das habe ich nicht geschafft. Die grösseren Strassen gingen alle in sicherer Entfernung an den Seen vorbei und bei den kleinen wusste ich nicht, wo sie mich letztendlich hinführen würden – dafür hätte ich dann doch eine Umgebungskarte und vielleicht ein bisschen Planung gebraucht.

Also, auf nach Stralsund!

→ Unterwegs in Deutschland – Neuland (2)

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