home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Heinz Baumüller: DISTANZTANZ in der Orangerie Schloss Benrath

Eröffnungsansprache von Petra Kammann
Vorsitzende des Benrather Kulturkreises e.V.

Ganz herzlich möchte ich Sie alle im Namen des Vorstands begrüßen, vor allem aber Sie, meine beiden boys-„Beuys“: Heinz Baumüller und Johannes Stüttgen! Sie sind durch Beuys (Joseph) miteinander verbunden.

Sie, lieber Herr Baumüller, haben den uns bekannten Raum der Orangerie in einer Weise verändert, die uns mal schmunzeln, mal nachdenklich werden lässt. Und Sie, lieber Herr Stüttgen, den viele von Ihnen als Schüler, als Mitarbeiter und als Autor Ihrer großen und profunden Beuys-Biografie, dem „ganzen Riemen“, her kennen … Sie werden uns gleich Ihre Erfahrungen mit Baumüller mitteilen. Der „erweiterte Kunstbegriff“ von Joseph Beuys, die „soziale Plastik“ hat wohl Ihrer beider Denken und Wirken beeinflusst. So waren sie, Herr Stüttgen, von 1980 bis 1986 Geschäftsführer der Free International University (FIU) und Leiter des ehemaligen Ateliers von Beuys, „Raum 3“, in der Düsseldorfer Kunstakademie. Das Sich-Einmischen in Räume und Denkräume ist auch eines der Haupt-Motive des Bildhauers und Schriftkünstlers Heinz Baumüller. Das können Sie, liebe Besucher der Ausstellung, hier unmittelbar erleben.

!cid_A7568A55-ECA4-4E7A-BA4C-A3306A02056C@Speedport_W_921V_1_37_000B-600

Heinz Baumüller bei der Hängung seiner Arbeiten

IMG_7335B-600

Wer von Ihnen jemals auf der Insel Hombroich und somit am Eingang der damit verbundenen Raketenstation war, ist sicher schon einmal der konkav-konvexen Tunnelskulptur aus Beton von Heinz Baumüller begegnet. Sie markiert dort gleichermaßen Eingang und Ausgang. Und genau dazu laden Sie ein mit dem, was Sie tun: in etwas hineinzugehen, scheinbar bekannte Wege zu beschreiten, die Sie dann flugs in eine andere Richtung lenken und aus denen man, häufig schmunzelnd, auch wieder herausfinden kann.

IMG_7368B-450

Johannes Stüttgen bei seiner Eröffnungsansprache

„Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann …“, sagte der Maler, Dichter und Provokateur Francis Picabia. Und es klingt heute geradezu wie eine Handlungsanweisung zum Wahrnehmen dessen, was Heinz Baumüller hier in der Orangerie präsentiert. Er zeigt uns, was Kreation unter heutigen Bedingungen bedeutet, bedeuten kann.

IMG_7352B-600

„Imaginable Painting“

Entstehen, ausgelöst durch Sprache, Bilder und Visionen erst im Kopf des Betrachters? Und wenn ja, um welche Bilder handelt es sich dabei? Sind diese Bilder, die in unserem Kopf entstehen, tatsächlich unsere eigenen Bilder, sind es durch Sprüche (durch Werbesprüche) oder Aphorismen vermittelte? Ganz einfach: Überprüfen Sie es selbst. Flanieren Sie durch die Welt der Sprüche und lassen Sie dabei die Bilder in Ihrem eigenen Kopf entstehen. Aber schauen Sie sich auch einmal die raumgreifende Skulptur „Imaginable Painting“ von Heinz Baumüller an. Was sehen Sie, wenn Sie durch den leeren Rahmen schauen? Einfach nur gar nichts oder „Die Insel im Heuhaufen?“, wie einer der Sprüche Baumüllers lautet, oder „den Schnee von morgen“? Oder „Menschen ohne Maischberger“ oder wie der Titel der Ausstellung lautet die „Dis//:tanz://“? Assoziationen aller Art sind zugelassen.

!cid_90BE5EAA-23E8-4C21-90BE-0C40B51FA367@Speedport_W_921V_1_37_000B-600

Johannes Stüttgen und Heinz Baumüller zur Eröffnung vor „Imaginable Painting“

Die Welt an sich ist schon ein Bild. Im Prozess des Sehens wird das Außen/die Welt als Bild in unserem Kopf interpretiert und gespeichert. Die Bilder werden individuell kategorisiert, qualitativ bewertet, mit diversen Zusatzeindrücken kombiniert und in das Kurzzeitgedächtnis überführt. Dieser Prozess findet bei aktivem Hinsehen und Wahrnehmen millionenfach statt. Sollte die Information dem Träger als relevant erscheinen, wird sie über das Kurzzeitgedächtnis in das Langzeitgedächtnis überführt.

Dieses Gesamtbild ist wiederum einem stetigen Veränderungsprozess durch aktuelle, neu hinzukommende Eindrücke unterworfen. Da die Welt für uns als Bild im Kopf existiert, wird dieses Bild in jedem Augenblick neu von uns subjektiv bewertet, interpretiert und gespeichert. Durch diese Fähigkeit der Verwandlung können wir mittels unserer Kreativität auch wieder diese, unsere Welt immer wieder neu gestalten und neu formen.

!cid_C26F2E70-177B-4EAA-9F3C-A8AC3F227038@Speedport_W_921V_1_37_000B-650

Die Bilder, die wir sehen, werden schon immer von uns, um uns und für uns produziert. Unsere positiven wie negativen Visionen und Bilder entstehen um uns herum und im Kopf, werden aber geformt und angeregt durch die Welt, in der wir leben; durch bewusste und unbewusste Inhalte, mit denen wir uns beschäftigen und die auf uns eindringen. Nehmen wir so einen Spruch wie „Mein Freund iszt Turkey“, so kommt hier eine Verschmelzung von lautlichen, visuellen und geschmacklichen Erfahrungen zustande: Die Präsens von Türken in unserer Gesellschaft, aber auch Erfahrungen mit dem Truthahn (Turkey) als amerikanisches Festtagsgericht. Unser Agieren und Wahrnehmen gibt uns die Möglichkeit, jene schrägen Bilder zu produzieren.

!cid_284528E1-9DC6-4754-A4BE-B885E160477B@Speedport_W_921V_1_37_000B-650

Schauen Sie die Plastik im zweiten Raum mit dem Titel „Walzertraum“ an. Je nach Perspektive und Drehung des spiegelglatten Plattentellers dreht sich ein rotes Herz auf einen blauen Kopf zu. Herz steht auf Kopf und umgekehrt und bringt sich stets in eine neue Lage. So wie Herz und Kopf dort dreht auch der Kopf des Heinz Baumüller aufgesammelte Spruchweisheiten in eine ungewohnte Richtung. Ganz leicht schräg schiebt er sie daneben und funktioniert die Bedeutung einfach um, mal philosophisch, mal anzüglich, mal politisch wie zum Beispiel mit der Aussage „§ 1 Die Würde des Menschen ist konjunktiv“.

Die reflektierte Unantastbarkeit der Würde hätte mit diesem verfremdeten Spruch aus Heinz Baumüller um ein Haar einen österreichischen Bundespräsidenten gemacht. Denn von 1988 bis 1992 kandidierte Baumüller nach einem Briefwechsel mit dem amtierenden Bundespräsidenten Kurt Waldheim für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten. So verbindet ihn auch die politische Aktion mit Joseph Beuys. Man denke nur an dessen Büro für direkte Demokratie in der Düsseldorfer Altstadt oder an die Pflanzung der 7000 Eichen in Kassel. Die „soziale Plastik“ sollte auch in der Politik umgesetzt werden.

IMG_7375B-600

Prominente Eröffnungs-Gäste: Imi Knoebel in Begleitung

Den Ort der Orangerie hier macht der Bildhauer, der unter anderem in Kollerschlag eine Werkstatt mit seinen beiden Brüdern betreibt, zu einem Raum der Wortspielerei. Er lässt die Worte tanzen und schafft damit einen Freiraum für die Imagination. Aphorismen, Redensarten und Wortspielereien liebt der Künstler schon seit seiner Kindheit. Über 1000 sinnige Sätze hat er seit 1972 zusammengetragen – mehr als 60 davon präsentiert er hier in einer Art Installation. Lassen Sie sich vom Tanz der Wörter und Buchstaben einfangen und nehmen Sie Dis-tanztanz. Vor allem aber lassen Sie sich inspirieren.

Heinz Baumüller: DISTANZTANZ, Orangerie Schloss Benrath, bis 12. April 2015

Abgebildete Werke © VG Bild-Kunst, Bonn, Fotos: Petra Kammann

 

Comments are closed.