Die Bilderbuchwelten der Stephanie Lunkewitz
Kurz bevor die Illustratorin und Textildesignerin Stephanie Lunkewitz Deutschland in Richtung USA verlassen wird, erscheint ihr Kinderbuch „Anton, das Zebra-Pferd“. Grund für Petra Kammann, sie in ihrem Frankfurter Atelier zu besuchen.
Von Petra Kammann
Ihr Atelier liegt am Frankfurter Stadtwald in einer umgebauten Garage. Im Haupthaus, einer prächtigen Villa, lebt Stephanie Lunkewitz gemeinsam mit ihrem Mann, dem ehemaligen Aufbau-Verleger Bernd Lunkewitz, und ihren drei Kindern. Wegen des Familienlebens hat sie jedoch nicht etwa ihr Berufsleben aufgegeben. Zu groß ist ihre künstlerische Begabung, die auch eine eigene Vorgeschichte hat …
Stephanie Lunkewitz
Es ist noch früh am Tag. Ihre Tochter Hannah und ihre beiden Söhne Paul und Carl sind in der Schule. Da nutzt sie die Gelegenheit, an ihrem dritten Kinderbuch „CARL IST WEG“ zu arbeiten, das noch vor ihrem baldigen Umzug ins kalifornische Pacific Palisades fertig werden soll. Jede freie Minute versucht sie zu nutzen, oft auch abends, wenn die Kinder im Bett sind. Dann springt sie noch mal schnell ins Atelier rüber. Und sie ist froh, dass ihr Mann, der auch häufig den Kindern vorliest, ihre Arbeit mitträgt.
Mit „Toro“, der Geschichte eines Stiers, der nicht sinnlos kämpfen will und den eine kleine Maus namens Peta rettet, legte sie 2010 ihr erstes illustriertes Kinderbuch für die Sechsjährigen im Horncastle Verlag vor. Es ist ihrer Tochter Hannah gewidmet. Ihr neues Kinderbuch „Anton, das Zebra-Pferd“ erschien gerade pünktlich zur Leipziger Buchmesse beim Leipziger Kinderbuchverlag. Darin geht es um die Geschichte eines gemischten Wesens namens Anton, halb Pferd, halb Zebra, das die anderen Zootiere ganz unmöglich finden und daher ausgrenzen. Bald wird das Zebra-Pferd an einen Zirkus verkauft, wo es ihm kaum besser ergeht. „Viel Arbeit gibt’s und wenig Heu“, heißt es in den unterschiedlich gereimten Versen, die sie selbst dazu schrieb, bis Anton schließlich die Zirkusreiterin Hannah vor dem Zugriff des Löwen rettet … Und da werden auch die Illustrationen springlebendig.
Wie bereitet sich eine Illustratorin auf ein Kinderbuch vor, will ich beim Betreten ihres Ateliers wissen. Doch da geht es unweigerlich erst einmal an Opa Schwarzens alter Druckerpresse vorbei. „Die kommt auch mit nach Amerika“, sagt die ansonsten so graziös wirkende Illustratorin bestimmt. Und bevor ich überhaupt dazu komme, Stephanie Lunkewitz nach ihrer eigenen Arbeit zu befragen, sind wir schon mitten in der Geschichte ihrer Großeltern, der Kunstmaler, Grafiker und Kinderbuchillustratoren Veronika Fritsche und Hans-Dieter Schwarz angelangt, die für sie selbst so prägend waren. Sie durfte ihnen als Kind oft genug über die Schulter schauen. Sie waren es, die ihre Begeisterung für alles Künstlerische angefacht haben.
Schublade für Schublade, in denen die Zeichnungen und Illustrationen ihrer Großeltern wohlgeordnet und sorgfältig aufbewahrt liegen, zieht die Enkelin stolz und eifrig heraus. Sie hatte die Zeichnungen nach dem Tod der geliebten Großmutter aus Kisten und Kästen, verstreut und teils unter dem Sofa hervor im Atelier aufgesammelt. Das Andenken an ihre Großeltern und deren künstlerische Tradition will Stephanie Lunkewitz unter allen Umständen bewahren. Hans-Dieter Schwarz und Veronika Fritsche waren schließlich Meisterschüler bei Professor Arno Drescher an der Staatlichen Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe (der heutigen Hochschule für Graphik und Buchkunst) in Leipzig gewesen. Beide Großeltern wurden dann auch in der DDR erfolgreiche Kinderbuchillustratoren. Bücher wie „Das kleine Flusspferd“ oder „Der blaue Fuchs“ wurden sogar im Ausland prämiert. Nur hatte der Großvater leider keine Reisefreiheit, um die Preise dort persönlich entgegennehmen zu können …
Das Flußpferd
Aber viel schlimmer noch: Ihre Oma musste allein mit ihren drei Kindern klarkommen, als Opa Schwarz in der DDR drei Jahre lang im Stasi-Gefängnis in Halle gesessen hat, nur wegen ein paar Karikaturen, die er zum Missvergnügen einiger Funktionäre zeichnete. Unfassbar für die Enkelin, die schon seit ihrem zwölften Lebensjahr ihre Freiheit genießt, denn sie weiß, wie „treffend und charakteristisch ihr Opa aus dem Stehgreif“ zeichnen konnte. Und die Geschichte setzte sich fort. Auch ihre Mutter Bettina Elze durfte nicht, wie ursprünglich gewünscht, Malerin werden, hat stattdessen im Bibliothekswesen gearbeitet. Glücklicherweise gehörten Bücher immer zum Lebensmittelpunkt der Familie. So bildete sich jeder auf seine Weise weiter. Also ist jetzt Stephanie Lunkewitz diejenige, welche auch die so wichtige Buchtradition der Familie fortsetzt. An einer Atelierwand stehen mehrere hundert Kinderbücher, die sie gesammelt hat, im Regal. Heute darf ihre Mutter, die kürzlich in Köthen eine Ausstellung hatte, glücklicherweise malen und auch reisen, was sie besonders genießt. So holen ihre Eltern jetzt vieles nach und waren sogar schon mit ihrem „Wartburg“ in Afrika.
Das klare Atelier in Frankfurt wirkt so aufgeräumt wie die Illustratorin Stephanie selbst. So entdecke ich auf der gegenüberliegenden Seite des Regals fein aufgerollte leuchtend farbige Garnröllchen und kann nicht umhin, sie zu fragen, welche Rolle denn – so schloss ich daraus - ihre Textildesigner-Ausbildung spielt. Schließlich war Stephanie Lunkewitz als Preisträgerin der Wilhelm Lorch-Stiftung mithilfe von Stipendien zu mehrjährigen Auslandsaufenthalten in Rom, Mailand und St. Gallen unterwegs.
Und schon, wie um es sich selbst noch einmal zu beweisen, was sie schon alles geschafft hat, holt sie Kiste für Kiste heraus, um mir all die selbst entworfenen Stoffe zu zeigen. Fast bescheiden erwähnt sie nebenbei, dass etliche dieser Stoffmuster auf der Messe in Paris präsentiert und von den Haute Couturiers eingekauft und dann produziert wurden. Und natürlich freut es sie, wenn sie ihre eigenen Stoffe hinterher in der „Vogue“ wiedererkennt, verarbeitet zu besonders ausgefallenen Modellen.
Feinste Stoffkreationen
Besonders eindrücklich ist ihre Schilderung von der Ausbildung, die sie als erste Deutsche im „Antico Setificio“, der wunderbaren alten Seidenweberei in Florenz machen durfte, für die Leonardo da Vinci noch den Webstuhl entworfen hat. In ihrer Zeit erlebte sie dann auch, dass dort 3000 Meter feuerroter Seide für den Kreml handgewebt wurden. Tagelang spulte sie von morgens früh bis abends spät Seide, „bis man nichts anderes mehr sieht als das Holzgestell, in das der gerissene Faden wieder eingespult werden muss“. Und am Ende hatte sie wie auch die eingefleischten Weberinnen Schwielen an den Fingern. Ganz anders war es dann bei Schläpfer in St. Gallen. Hier entstanden raffiniert übereinanderlegte und mit kleinen Glasperlchen verbundene Stoffe in Schichten, hier wurden Litzen entwickelt, Stoffe mit Wasserstrahl durchbrochen oder andere Stoffe wiederum mit Grafittispray entworfen, mit anderen Worten: extravagante zeitgenössische Designs. Für ihre Diplomarbeit in Halle, für welche die Designerin eine glatte Eins erhielt, hatte sie einen „Wasserfall“ aus Stoff geschaffen, der am Wasserturm in Halle so drapiert wurde, dass er in changierenden Farben herunterfiel und wie ein Wasservorhang wirkte.
Und dann wiederum zeigt mir die Zeichnerin Lunkewitz Skizzen, die sie macht, wenn sie mit ihrem Mann auf Reisen ist: Alltagsbeobachtungen, unnachahmliche Gesten ganz alltäglicher Menschen, Dicke, Dünne, Penner, Lässige und Aufgebrezelte oder Kinder in allen Variationen. Manche von ihnen gehen dann in ihre Überlegungen für Zeichnungen und Kinderbücher mit ein. Für diese baut sie sich jeweils – selbst ist die Frau – ein Storyboard am Computer auf, um die Doppelseiten im Buch auch richtig nutzen zu können.
Nach den vielfältigen Eindrücken in ihrem Atelier weiß man am Ende gar nicht mehr, welches eigentlich ihre größte Begabung ist.
Ja, und dann kann sie eben auch gut mit Kindern umgehen und ihnen die Bedeutung der Kostbarkeit eines Buchs vermitteln. Und sie geht häufig in Schulen, macht Workshops mit Kindern. Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse hingen jedenfalls bei einer Schulveranstaltung auch etliche Kinder an ihren Lippen, als sie aus dem Buch „Anton, das Zebra-Pferd“, das sie ihrem Sohn Paul widmete, vorlas. Wie viele von ihnen mögen sich mit der uneindeutigen Mischung dieses sympathischen Tieres wohl identifiziert haben?
Lesung: Am 25. Juni 2015, 16 Uhr, findet unter der Moderation von Petra Kammann eine Lesung von Stephanie Lunkewitz aus „Anton das Zebrapferd“ mit anschliessender Signierstunde statt: Buchhandlung Buchplatz, Ziegelhüttenweg 2, 60598 Frankfurt
Fotos: Petra Kammann und Stephanie Lunkewitz