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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Parsifal“, ein Bühnenweihfestspiel von Richard Wagner – Wiederaufnahme an der Oper Frankfurt

Männerbündische Gralsritterschaft contra Kundry

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt (aus Spielzeit 2005/2006) u. a.

Vor neun Jahren hatte die Inszenierung von Christof Nel ihre Premiere an der Oper Frankfurt. Nichts hat sie von ihrer Faszination eingebüsst.

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Franz Seraph Hanfstaengl (1804-1877), Richard Wagner, Fotografie um 1860; Bildnachweis: wikimedia commons

Richard Wagner (1813-1883) diente das Versepos „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach, verfasst zu Beginn des 13. Jahrhunderts, als Vorlage für seinen „Parsifal“. Das viereinhalbstündige „Bühnenweihfestspiel“ hat wenig Handlung. Lang sind die Erzählungen von Ritter Gurnemanz, der zunächst die Geschichte des Grals schildert: Dem Gralskönig Titurel wurde der Gral, die heilige Schale, aus der Christus beim Abendmahl trank und in der das Blut des Gekreuzigten aufgefangen wurde, vom Himmel geschenkt, ebenso der heilige Speer, mit dem Christus die Wunde zugefügt worden war. Klingsor wollte einst zur reinen Gralsritterschaft gehören. Sein sündiges Leben verhinderte das aber. Er entmannte sich und schuf ein mächtiges Zauberreich mit verführerischen Frauen. Amfortas, Titurels Sohn, wollte ihn bezwingen, liess sich aber von einer Frau (Kundry) verführen und verlor den heiligen Speer im Kampf an Klingsor, der ihm eine Wunde zufügte.

Seitdem leidet Amfortas grosse Qualen und ist unfähig, die Ritterschaft zu führen. Das gemeinsame Mahl der Ritter, bei dem der Gral enthüllt wird und das ihnen körperliche und geistige Kraft geben soll, ist gefährdet. Nur die Verheissung auf das Kommen eines Ritters hält sie aufrecht: „Durch Mitleid, der reine Tor, harre sein, den ich erkor.“

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Stuart Skelton (Parsifal); Foto (aus Spielzeit 2005/2006) © Monika Rittershaus

Dieser reine Tor ist Parsifal, der sich, weil er einen Schwan erlegte, sofort unbeliebt macht. Warum tat er das? fragt Gurnemanz. Seinen Namen, seine Herkunft kennt Parsifal nicht. Kundry, die Amfortas Balsam gebracht hatte, gibt Auskunft über seine Herkunft. Gurnemanz schöpft Hoffnung, dass Parsifal der erwartete Ritter ist, und nimmt ihn mit zur Gralsenthüllung. Parsifal lässt das unbeeindruckt, er fragt nichts, drückt kein Mitleid aus. Gurnemanz vertreibt ihn.

In Wolfram von Eschenbachs Epos sind die Ritter-Tugenden Genügsamkeit, Erbarmen und Güte, Mitleid und Empathie: durch Frage und Antwort.

Prompt gerät der junge Parsifal, der die Welt und seine Verführungen nicht kennt, in Klingsors Fänge, der seine schönen Blumenmädchen walten lässt, um Parsifal zu verführen. Vergeblich, dann muss Kundry, die von Klingsor dazu gezwungen wird, ihre Verführungskünste einzusetzen. Ihr gelingt es, Parsifal einen Kuss aufzudrücken als letzten Gruss seiner Mutter Herzeleide, die aus Gram starb, weil Parsifal verschwand. Dieser erste Kuss solle die Liebe in ihm wecken. Aber er ist nicht beglückt, sondern schreit auf und denkt an Amfortas und verweigert das Schäferstündchen mit Kundry, die ihn drängt. Als Klingsor den heiligen Speer auf Parsifal schleudert und dieser ihn aber auffängt, ist der Zauberbann gebrochen. Parsifal erkennt seinen Sendungsauftrag.

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Stuart Skelton (Parsifal; auf dem Boden sitzend), Ensemble (Blumenmädchen); Foto (aus Spielzeit 2005/2006) © Monika Rittershaus

Mitleid und Empathie prägen mehrere Szenen. Das sind manchmal kleine Gesten, die Regisseur Christof Nel wichtig sind: der Friedenskuss der Ritter bei der Gralsenthüllung, die Pflege des leidenden Amfortas durch seine Gefolgschaft sowie Kundrys und Parsifals Umgang miteinander im dritten, letzten Aufzug. Damit verleiht er dem machtbewussten Männerbund menschliche Züge. Der Umgang der Ritter mit Kundry ist allerdings skandalös. Nur Gurnemanz achtet sie. Die Ritter, sicher auch Sünder, hingegen verspotten sie. Kundry ist die einzige bedeutende weibliche Rolle im „Parsifal“. Wagner reduziert sie auf „Cherchez la femme“, die das Unheil bringt. Auf sie blicken die „reinen“ Ritter herab, und als sie sich bekehrt hat und taufen liess, wird sie mit dem Tod bestraft. Ein extrem beseelter Charakter ist Kundry: Sünderin, Verführerin, Büsserin.

Als Wagner 1883 an seinem Schreibtisch in Venedig starb, arbeitete er an dem Aufsatz „Über das Weibliche im Menschlichen“, in dem der Satz stand: „Gleichwohl geht der Prozeß der Emanzipation des Weibes nur unter ekstatischen Zuckungen vor sich. Liebe – Tragik.“

Sinnlich, theatralisch, symbolisch, eigenartig religiös, einfach extrem ist der „Parsifal“. Es ist Wagners letztes Werk, das er 1882 in Palermo vollendete und das einige Monate später im Bayreuther Festspielhaus uraufgeführt wurde.
Christof Nel hat die religiösen Szenen, die an die Wandlung in der Messe erinnern, ohne unangenehmes Pathos inszeniert. Denn wie Peter Steinacker, ehemaliger Kirchenpräsident der Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, in seinem Beitrag „Durch Mitleid wissend der reine Tor – Religion in Wagners Parsifal“ schreibt: „Irgendetwas stört bei Wagner, wenn Religion auf der Bühne erscheint, ganz anders als beispielsweise bei Verdi. Es ist diese Uneindeutigkeit, die den Umgang mit Wagners Parsifal gerade für Christen nicht ganz einfach macht. Meine These nun lautet: Der Parsifal ist das ästhetische Zentrum in Wagners Konzeption einer neuen Religion zur Rettung der Religion überhaupt, die durch inneren Zerfall und durch allgemeine Dekadenz des Menschengeschlechts in eine elementare Krise geraten ist. In seiner Schrift Religion und Kunst und in den sogenannten Regenerationsschriften hatte er sich dazu entschlossen“ (Zitat aus dem Buch „Parsifal – Welterlösung“, herausgegeben von Professor Norbert Abels).

Geheimnisvoll präsentiert sich der Männerbund der Gralsritter. Der bühnenhohe Lamellen-Bretterzaun, der sich meistens im Kreis dreht, gewährt minimale Einblicke durch die Ritzen, während Gurnemanz den Männern die Vorgeschichte erzählt. Bei der Gralsenthüllung öffnet sich die Lamellen-Konstruktion zum grossen Saal. Sehr eindrücklich und logisch ist das Bühnenbild von Jens Kilian, das Olaf Winter durch sein Licht-Design überzeugend unterstützt und Ilse Welter durch ihre interessanten Kostümschöpfungen belebt.

Bei der Wiederaufnahme konnten Magnús Baldvinsson als Titurel und Simon Bailey als Klingsor erneut überzeugen. Frank van Aken, der bis vor einem Jahr Ensemblemitglied war, jetzt jedoch freischaffend und international unterwegs tätig ist, singt den Parsifal. Seine Ehefrau, die Sopranistin Eva-Maria Westbroek, und er verkörperten das Paar Sieglinde und Siegmund in der legendären „Walküre“ von 2010 an der Frankfurter Oper. Die Tenorstimme von Frank van Aken ist noch reifer geworden. Klar setzt sie der Niederländer ein, und er gefällt auch in der Darstellung dieser Rolle.

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Alexander Marco-Buhrmester (Amfortas; stehend), Magnús Baldvinsson (Titurel; am Tisch sitzend), Ensemble (Knappen/Ritter); Foto (aus Spielzeit 2005/2006) © Monika Rittershaus

Was für eine Kundry hat er an seiner Seite! Es ist die Mezzosopranistin Claudia Mahnke, deren stimmliche Entwicklung staunen lässt. Liebe, Schmerz, Trauer, Bösartigkeit, Leidenschaft – alles bietet diese Stimme. Sie ist Mittelpunkt in der Auseinandersetzung zwischen Parsifal und Klingsor. Mit dem Vorwurf, die Mutter ermordet zu haben, konfrontiert sie Parsifal und hofft, den sich schuldig Fühlenden verführen zu können:

„Ihr Wehe doch du nicht vernahmst,
nicht ihrer Schmerzen Toben,
als endlich du nicht wieder kamst,
und deine Spur verstoben;
Sie harrte Nächt‘ und Tage,
bis ihr verstummt die Klage,

Ihr brach das Leid das Herz,
und – Herzeleide – starb.“

Und später wütet sie:
„Lass mich dich Göttlichen lieben,
Erlösung gabst du dann mir.“

Und dann in Wut ausbrechend, als Parsifal sie bittet, ihm den Weg zu Amfortas zu weisen:
„Nie- sollst du ihn finden!“

„Mitleid! Mitleid mit mir!
Nur eine Stunde mein –
Nur eine Stunde dein -:
Und des Weges sollst du geleitet sein!“

Und als Parsifal sich verweigert:
„Haltet den Frechen! Herbei!“

„Denn Pfad und Wege,
die mich dir entführen,
so verwünsch‘ ich sie dir:
Irre, Irre …“
(Ende des 2. Aufzugs, zitiert aus „Parsifal – Welterlösung“, hrsg. von Professor Norbert Abels)

Ein Feuerwerk ist Claudia Mahnkes Stimmkunst! Doch danach verstummt Kundrys Gesang, sie agiert nur noch.

Franz-Josef Selig gibt dem Gralshüter Gurnemanz seine grosse Bassstimme, die der meist rezitativen Partie sehr entgegen kommt. Johannes Martin Kränzle verkörperte einen sichtlich leidenden Amfortas. Beeindruckend. Er wird die Rolle allerdings in den nächsten Vorstellungen nicht singen können, weil er erkrankte. Brian Mulligan springt für ihn ein. Die Rollen der Blumenmädchen und Gralsritter sind ebenfalls gut besetzt. Herrlich der Chor unter der Leitung des neuen Chordirektors Tilman Michael.

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Plakat zur Wiederaufnahme 2015, Foto: Renate Feyerbacher

Die überwältigende Musik des Bühnenweihfestspiels „Parsifal“ wird vom Frankfurter Opern- und Museumsorchester zelebriert. Einmal sind es die Streicher, ein andermal die Bläser, die wuchtig, die sinnlich zu hören sind. Der weltweit viel gefragte, mehrfach ausgezeichnete Dirigent Bertrand de Billy, seit einem Jahr ständiger erster Dirigent des Orchesters, wurde – wie alle Sänger und vor allem Claudia Mahnke – mit „standing ovation“ gefeiert.

Weitere Aufführungen am 29. März sowie am 3. und 6. April 2015

 

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