home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

7. Internationaler Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti

„Nur eine winzige Nuance“ fehlte zum ersten Platz

Von Renate Feyerbacher

014-Solti-450

Prospekt: 7. Internationaler Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti

Sechs Tage lang haben sich 20 Kandidaten des Internationalen Dirigentenwettbewerbs Sir Georg Solti im hr-Sendesaal und im Probenraum der Oper Frankfurt der kritischen Jury gestellt. Zum ersten Mal leiten die jungen Dirigenten das hr-Sinfonieorchester und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, zwei der renommierten Klangkörper weltweit. Drei der 20 Kandidaten hatten die Chance, sich nach der Entscheidung der Jury beim Finalkonzert am 22. Februar 2015 in der Alten Oper Frankfurt zu präsentieren. Neben den drei Preisen gab es in diesem Jahr erstmals auch einen Publikumspreis.

Dieses Mal hatte ich es zum Halbfinale, der zweiten Runde also, in den Probenraum der Oper Frankfurt geschafft. Denn ich wusste, dass die Probenarbeit wichtig für die Entscheidung ist. Alle Kandidaten, es waren neun an diesem Tag, hatten jeweils eine Probenzeit von 40 Minuten, in der sie mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 4 B-Dur, eine Arie aus einer Oper von Wolfgang Amadeus Mozart und Maurice Ravels „Le tombeau de Couperin, suite d’orchestre“ zu proben hatten. Ein Kraftakt für die Orchestermitglieder. Erstaunlich war, dass jeder Dirigent einen anderen Klang bewirkte.

Zwei der späteren Gewinner hatte ich beobachten können: den Deutschen Elias Grandy, 34 Jahre alt, und den 32-jährigen Taiwanesen Tung Chieh Chuang. Intensiv, präzise und einfühlsam arbeitete Grandy mit den Musikern. Da er Deutsch sprach, konnten seine Anweisungen und Vorschläge ans Orchester gut verfolgt werden. Chuangs englische Erklärungen, kurz, aber präzise, waren akustisch schwer zu verstehen. Chuang hatte bereits Wettbewerbserfahrung, Grandy nicht. Beide gefielen durch ihre natürliche Leidenschaft.

Ich sass seitwärts neben einem jüngeren Mann, der mich zuvor freundlich auf den freien Platz hingewiesen hatte. Ich fragte ihn, was er mit dem Wettbewerb zu tun habe. Es stellte sich heraus, dass er der 2. Kapellmeister vom Pfalztheater in Kaiserlautern, der in Sevilla geborene Rodrigo Tomillon, war, früher Mitglied der Jungen Deutschen Philharmonie. Er liess mich auf seinem Tablet in Ravels Partitur schauen. Noten kann ich lesen, aber keine Partitur. Ich konnte nur staunen über das rasante Notenbild. Seine Einschätzungen über die jeweilige Probenarbeit teilte er gelegentlich mit. Das war für mich spannend und eine gute Einstimmung auf das Finalkonzert.

084-Solti

Sechs Kandidaten – vereint nach dem Finalkonzert: (v.l.) Szymon Makowski (Polen), Felix Mildenberger (Deutschland), Alexander Humala (Weißrussland), Giancarlo Rizzi (Italien), Earl Lee (Kanada) und Preisträger Toby Thatcher (Ausstralien)

Sage und schreibe 320 Dirigenten und 47 Dirigentinnen zwischen 19 und 35 Jahren aus 64 Ländern hatten sich für den 7. Solti-Dirigentenwettbewerb beworben. Die meisten kamen aus den USA, gefolgt von Deutschland, Japan, Süd-Korea und Russland. Zwanzig, darunter drei Deutsche, durften nach Frankfurt kommen, unter ihnen auch drei Dirigentinnen, aus Taiwan, Neuseeland und Kanada. Sie waren im Halbfinale allerdings nicht mehr dabei. Moderatorin Franziska Reichenbacher hatte die Frauenquote angemahnt.

In der Jury stimmten namhafte Dirigenten, darunter Ivor Bolton, Chefdirigent des Mozarteumorchesters in Salzburg und ab Sommer Generalmusikdirektor am Teatro Real in Madrid. Zurzeit dirigiert er „L’Orontea“ an der Oper Frankfurt. Sprecher der Jury war Andrés Orozco-Estrada, der Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters und Music Director des Houston Symphony Orchestra. Im Anschluss an eine ungewöhnlich lange Juryberatung nach dem Finalkonzert verkündete er die Preisträger. Es gab keinen 1. Preis, sondern zwei 2. Preise, dotiert mit jeweils 10.000 Euro, und den 3. Preis, dotiert mit 5.000 Euro. Er lobte das enorme Niveau und das unglaubliche Potential der drei Finalisten, aber „für die Vergabe eines ersten Preises fehlte nur eine winzige Nuance“ – „Atemstillstand erspart geblieben“.

100-Solti-600

Die drei Preisträger (v.l.) Elias Grandy (2. Preis), Toby Thatcher (3. Preis) und Tung Chieh Chuang (2. Preis sowie Publikumspreis)

Es war eine salomonische Entscheidung, denn die beiden Gewinner des 2. Preises, Elias Grandy und Tung Chieh Chuang waren „ebenbürtig“. Der Taiwanese errang dann aber zusätzlich den Publikumspreis. Sein asiatisches Lächeln vermittelte dem Publikum ein Quäntchen Charisma mehr gegenüber Grandy, der im Abschlusskonzert leicht angespannt wirkte, während er bei der Probenarbeit charismatisch-locker war.

Einen aussergewöhnlichen, kostbaren Publikumspreis hatten sich die Veranstalter ausgedacht: einen Original-Dirigierstab von Sir Georg Solti aus dessen Frankfurter Zeit, den Burkhard Bastuck, der Wettbewerbsleiter, Tung Chieh Chuang überreichte.

076-Solti

(v.l.) Toby Thatcher, Organisationsleiter Axel Schlicksupp, Chefdirigent Andrés Orozco-Estrada, Wettbewerbsleiter Burkhard Bastuck (mit dem Dirigentenstab) und Moderatorin Franziska Reichenbacher

Tung Chieh Chuang trat schon mit 11 Jahren als Pianist auf. Dann studierte er zunächst Statistik, machte seinen Bachelor und erst danach, mit 24 Jahren, entschied er sich für eine Karriere als Dirigent. Er ist Preisträger des Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerbs in Bamberg und des Internationalen Dirigentenwettbewerbs in Bukarest. Es folgten viele Engagements mit bedeutenden Orchestern und ein Stipendium beim legendären Curtis-Institute in Philadelphia, wo er für die Erdbebenopfer in Japan 2012 ein Benefizkonzert organisierte. Derzeit lebt er in Weimar, wo er an der Hochschule für Musik Franz Liszt Dirigieren studiert. Derzeit absolviert er den Konzertexamens-Studiengang.

093-Solti-450

Tung Chieh Chuang

Der in München geborene Elias Grandy ist Kapellmeister am Staatstheater in Darmstadt. Soeben wurde er ab der Saison 2015/2016 zum Generalmusikdirektor der Stadt Heidelberg berufen. Er studierte Dirigieren und Violoncello in Berlin, Musiktheorie und Kammermusik in Basel und München. Er spielte unter grossen Dirigenten im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, vertiefte seine Ausbildung in Japan und gab noch während des Studiums sein Operndebüt. In den letzten Jahren dirigierte er einige Folgen von Rolando Villazóns Sendung „Stars von morgen“, die ARTE ausstrahlte.

088-Solti-600

Elias Grandy mit seiner Frau

Zu den jüngsten Teilnehmern gehörte der Australier Toby Thatcher, 26 Jahre alt, der in London lebt. Mancher im Publikum sah in ihm einen zukünftig ganz grossen Dirigenten. In seiner Heimatstadt Sydney studierte er Oboe, wurde aber bereits mit 19 Jahren in das Symphony Conductor Development Program aufgenommen. So konnte er mit australischen Orchestern arbeiten. Um sein Ziel, das Dirigieren, zu fördern, gründete er das Ensemble Eroica in Sydney, das er in London, wo er heute an der Royal Academy of Music studiert, wiederbelebte. 40 Musiker gehören dazu. Er nahm an vielen Meisterkursen teil, unter anderem bei Neeme und Paavo Järvi. Von 120 Bewerbern gehörte er zu den besten vier, die zum Probedirigat für die Assistenz beim Bournemouth Symphony Orchestra eingeladen wurden. Mit Christoph Eschenbach und Joshua Bell ging er als Solo-Oboist beim Australian Youth Orchestra auf Europa-Tournee. Als Gastdirigent leitet er auch das auf zeitgenössische Musik spezialisierten „ensemble x.y“.

083-Solti-450

Toby Thatcher

Lady Valerie Solti wollte zum Finalkonzert kommen, musste jedoch wegen einer Erkrankung kurzfristig absagen und liess ein Grusswort verlesen. Das Publikum war zufrieden mit der Entscheidung der Jury und feierte die jungen Dirigenten.

Für Organisationleiter Alexander Schlicksupp, Orchesterdirektor der Badischen Staatskapelle Karlsruhe, war die diesjährige Veranstaltung wieder ein Beweis für die herausragende Bedeutung des Solti-Wettbewerbs.

In einem kritischen Vorbericht in hr2 kultur hatte das Jury-Mitglied Ulrich Edelmann, 1. Konzertmeister des hr-Sinfonieorchesters, die Situation für junge Dirigenten beklagt. Für sie gebe es wenig Chancen, sich zu erproben. Erschrocken äusserte er sich über den Dirigierstil mancher Bewerber. Er lobte den Studiengang Orchesterdirigieren an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar: eine exzellente Talentschmiede, in der Tung Chieh Chuang derzeit noch studiert.

029-Solti

Ulrich Edelmann, 1. Konzertmeister im hr-Sinfonieorchester (am 23. September 2012 beim Finalkonzert des 6. Solti-Wettbewerbs)

Fotos: Renate Feyerbacher

→ 6. Internationaler Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti

Comments are closed.