Gisèle Freund: Fotos vom 1. Mai 1932 – Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt
Einzigartige Zeugnisse kurz vor Beginn der Naziherrschaft
Von Renate Feyerbacher
Fotos: Gisèle Freund / Historischen Museum und Renate Feyerbacher
Selbstporträt, Berlin 1929; hmf © bpk/IMEC, Fonds MCC/Gisèle Freund
Fotografien von Demonstrationen, die Gisèle Freund in Frankfurt im Jahr 1932 machte – und nun im Historischen Museum Frankfurt hmf zu sehen sind. Vor den Toren des Museums erneut Demonstrationen und Konfrontationen im Januar 2015. Erschreckende Parallelen im Jahr der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 70 Jahren.
Wie kam es zu diesen zeithistorischen Fotos der Fotografie-Autodidaktin?
Weltberühmt wurde Gisèle Freund durch ihre Fotos von Intellektuellen, von Künstlern und Literaten. Porträtierte waren unter anderem Walter Benjamin, James Joyce, Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, Frida Kahlo, Pablo Neruda.
Die 1908 in Berlin-Schöneberg geborene Sophia Gisela Freund, Tochter aus betuchtem Haus, studierte von 1930 bis 1933 an der Frankfurter Universität Soziologie bei den Professoren Karl Mannheim und Norbert Elias. Dieser regte sie an, eine fotohistorische Doktorarbeit zu schreiben. Ein Jahr studierte sie auch an der Pariser Sorbonne. Gelegentlich war Gisela Freund, Mitglied im Sozialistischen Studentenbund, als Reporterin der Kölnischen Illustrierten unterwegs mit ihrer Leica, die sie zum Abitur geschenkt bekommen hatte. Dazu gab es noch eine Reise nach Paris.
Direktor des hmf, Jan Gerchow, mit dem Sammlerehepaar Margarethe und Martin Murtfeld; Foto: Renate Feyerbacher
Zwar kam Hitler erst 1933 an die Macht, aber der nationalsozialistische Einfluss war bereits eminent. Die Konfrontation der politischen Gegner spitzte sich am 1. Mai 1932 bereits zu. Arbeiter, Gewerkschaften, Sozialdemokraten und linke Studentengruppen demonstrierten gegen die Anhänger der Nationalsozialisten, gegen die Rechten, darunter auch Korpsstudenten, die unter Polizeischutz standen. Unzufrieden waren die Menschen auch mit ihrer Regierung. Dieses Geschehen hielt die politisch interessierte Studentin mit ihrer Kamera fest. Die Fotos, die ihr gelingen, sind einzigartig und von historischer Bedeutung. Sie dokumentieren einen Wendepunkt in der Frankfurter Stadtgeschichte kurz vor der Machtergreifung. Frankfurt wurde eine nazitreue Stadt.
Rote Studenten-Gruppe in der Alten Mainzer Gasse Frankfurt am Main, 1. Mai 1932; hmf © bpk/IMEC, Fonds MCC/Gisèle Freund
Kommunistischer Redner bei der Kundgebung vor dem Opernhaus; hmf © bpk/IMEC, Fonds MCC/Gisèle Freund
Die 51 politisch brisanten Schwarz-Weiß-Fotodokumente gehören seit kurzem dem hmf, geschenkt vom Sammlerehepaar Margarethe und Martin Murtfeld. Die Silbergelatineabzüge auf Barytpapier wurden vor 20 Jahren in Paris von den Originalnegativen aus dem Jahr 1932 abgezogen und von Gisèle Freund autorisiert.
Sammlerehepaar Margarethe und Martin Murtfeld; Foto: Renate Feyerbacher
Wie gelangte das Ehepaar an den kostbaren Besitz?
Die begeisterungsfähige Margarethe Murtfeld erzählt am 12. Januar 2015 im hmf viele hochspannende Begebenheiten. Die Murtfelds waren Anfang der neunziger Jahre aus beruflichen Gründen von Frankfurt nach Paris gezogen. 1994 lernte Margarethe Murtfeld die 86jährige Fotografin Gisèle Freund kennen. In ihrer einfühlsamen Art auf Menschen zuzugehen, gewann sie das Vertrauen der alten Dame. Sie durfte sie in ihrer kleinen Pariser Wohnung besuchen. „Vereinsamt“ und auch irgendwie verbittert, „lebendig vergessen zu werden“, sei sie gewesen. Ihr gemeinsamer Bezug zu Frankfurt brachte das Gespräch auch auf die Fotos von 1932, von denen Margarethe Murtfeld drei in einem Heft gesehen hatte. Sie konnte die Künstlerin überzeugen, Abzüge machen zu lassen und sie 1995 erstmals im Museum für Moderne Kunst MMK in Frankfurt auszustellen. Das Museum wurde damals wegen Überfüllung geschlossen, denn viele Besucher fanden sich wieder auf den Fotos.
Kennengelernt habe ich Margarethe Murtfeld vor sechs Jahren. Sehr beredt erzählte sie in Wiesbaden von der Malerin Hélène de Beauvoir, der Schwester der Philosophin Simone de Beauvoir. Margarethe Murtfeld wollte deren Œuvre aus der Vergessenheit holen. Die berühmte Schwester Simone hatte sie und ihr Werk „verdrängt“. Kurz zuvor hatte ich eine Dokumentation im Fernsehen gesehen, wusste also, wer die Malerin war. Tatsächlich ist es Margarethe Murtfeld gelungen, die Malerin ins kulturelle Bewusstsein zu holen (Ausstellung im Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath). Und nun bringt Margarethe Murtfeld Gisèle Freund und Frankfurt zusammen.
Zuhörer auf dem Römerberg; hmf © bpk/IMEC, Fonds MCC/Gisèle Freund
In der Pressekonferenz Anfang Januar berichtet sie über die Flucht von Gisèle Freund 1933 nach Paris. Von einem Polizeibeamten, der ihr die Genehmigung zur Plakatierung gab, wurde sie gewarnt: die Verhaftung der Studentengruppe stehe bevor. Was auch tagsdarauf geschah. Gisèle Freund nahm Kamera, unfertige Doktorarbeit und einen Koffer mit Habseligkeiten und setzte sich in den Nachtzug nach Paris. Als sie die nationalsozialistischen Kontrolleure hörte, ging sie zur Toilette und spülte die noch in der Kamera verbliebenen Fotos von Naziaufmärschen herunter. Alles wurde kontrolliert. Die Fotonegative von 1932 trug sie am Körper. Und als sie gefragt wurde, ob sie Jüdin sein, konterte sie, ob eine Jüdin den Namen Gisela trage. Sie war Jüdin. Und warum Paris? Ihre Doktorarbeit diente als Beweis für ihre Studien, die dort vertieft werden mussten. Thema war die Fotografie im 19. Jahrhundert – eine politisch-soziologische Analyse. Gisèle Freund wurde dann auch in Paris promoviert. Durch Zweckheirat erlangte sie die französische Staatsbürgerschaft. 1941 floh sie nach Argentiniern, denn die Nazis hatten Paris erobert.
Nach dem Krieg war sie sieben Jahre lang Mitglied der Agentur MAGNUM, die sie wegen ihrer umstrittenen Fotoreportage über Evita Peron im Life Magazin 1950 und ihrer politischen Ansichten verlassen musste. Sie hatte Evita Peron, den sogenannten Engel der Armen, in ihrem Luxus gezeigt – eine entlarvende Reportage. 1953 kehrte sie nach Paris zurück und vier Jahre später kam sie nach Deutschland, nach Berlin. Ihr Werk wurde gefeiert, es gab viele Ausstellungen, 1977 die Teilnahme bei der documenta 6, mehrere hohe französische und deutsche Ehrungen.
Gisèle Freund hat einmal gesagt, sie habe weder den Anspruch, Kunstwerke zu schaffen noch neue Formen zu erfinden, sondern sichtbar zu machen, was ihr am Herzen liege: das sei der Mensch, seine Freuden, seine Leiden, Hoffnungen und Ängste.
Kinder auf dem Römerberg mit Schrifttafel: „Kinder kommt zu uns“; hmf © bpk/IMEC, Fonds MCC/Gisèle Freund
Auch auf den Demonstrations-Fotos von 1932, die noch bis zum 3. Mai 2015 im Historischen Museum Frankfurt hmf zu sehen sind, ist diese Intention zu spüren. Die Intellektuelle mit der Kamera, wie sie genannt wurde, liess sich nicht verbiegen. In dem Moment, wo sie nicht mehr neugierig sei, könne sie sich begraben, wie sie einmal sagte. Gisèle Freund wurde 92 Jahre alt.
Margarethe Murtfeld mit der Zeitschrift „Du“ vom März 1991; Foto: Renate Feyerbacher
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