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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Peter P. Hopkins, Ian Davenport: „Early ’90s“ im Projektraum KunstVoll

Von Esther Erfert
Kunsthistorikerin

Peter P. Hopkins, geboren 1955 in Framingham, Massachusetts, USA, absolviert 1982 sein Studium an der University of Wisconsin. Es folgen zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland, unter anderem nimmt er im Jahr 1992 an der Documenta IX in Kassel teil. Heute lebt und arbeitet der Künstler in Stamford, Connecticut und Brooklyn.

Peter P. Hopkins erschafft Bilder ohne Pinsel und ohne Farben. Sein Material findet er auf Müllkippen oder in den Straßen der Großstädte und verarbeitet sie mit Substanzen wie Coca Cola, Abwasser, Parfum, giftigen Flüssigkeiten etc. Er bringt den Abfall seiner Umgebung im wahrsten Sinne des Wortes ans Licht. Durch den veränderten Kontext und seine künstlerische Umdeutung wird er Teil eines großen Projekts – wird der ursprüngliche Müll zum Kunstwerk ästhetisiert. Als junger Künstler bewundert Hopkins Robert Smithson (1938 – 1973), einen Land Art-Künstler, der die Begriffe Site und Non-Site prägte. Während es sich bei der Site um einen Ort handelt, den man besuchen, an dem man Erfahrungen sammeln kann und der verstreute, nicht in eine Ordnung gebrachte Informationen enthält, ist die Non-Site eine Art „Container“ – eine abstrakte Arbeit, die ganz bestimmte, ausgewählte Informationen enthält. Entscheidend für die Non-Site ist das Herauslösen der Gegenstände oder Substanzen aus dem natürlich gewachsenen Kontext und die darauf folgende Konservierung an einem anderen, artfremden Ort, zum Beispiel der Galerie.

Peter P. Hopkins entwickelt in Anlehnung daran eine eigene Kunstrichtung, in der er alte gebrauchte Gegenstände, Materialien oder Substanzen in seine Kunst aufnimmt, sie verarbeitet und sie zur Kunst werden lässt. Im Gegensatz zu Smithson benennt er sie nur noch mit dem Begriff der Site und lässt sie auch nicht unverändert stehen, sondern kombiniert sie untereinander, aber auch mit neuen Werkstoffen wie zum Beispiel hier in der Ausstellung mit Farben. Er findet in ihnen eine Ästhetik, mit der er wiederum für den Betrachter meist ästhetisch ansprechende Kunstwerke erschafft.

Capital projekt Covered Site DDD

Peter P. Hopkins, Capital Project Covered Site DDD, 1993, Acryl, holographische Folie auf Leinwand, 78 x 83 cm

Einige dieser Werke, die Hopkins mit Site betitelt, werden in dieser Ausstellung präsentiert. Es handelt sich durchweg um Arbeiten aus den frühen 1990er Jahren. In diesen verwendet er verschiedene Folien, die er teilweise mit Acryl oder einer Mischtechnik bearbeitet. Die Untergründe sind Leinwand, aber auch Gusseisen.

Man merkt den Folien an, dass sie benutzt sind, Spuren des Gebrauchs, Schatten und verblasste oder veränderte Farben geben Hinweise darauf. Die ursprüngliche Abnutzung bekommt durch ihn einen neuen Ausdruck. Auffällig ist bei den Werken, dass sie ebene glänzende Oberflächen haben, die alles Ursprüngliche, schon Gebrauchte hermetisch in sich einschließen und im wahrsten Sinne des Wortes „glätten“.

Capital Project

Peter P. Hopkins, Capital Project, 1994, Acryl, holographische Folie auf Leinwand, 183 x 91 cm

Auch in den frühen 1990er Jahren entsteht ein anderes Projekt, das Capital Project, das, wie Hopkins selber sagt, einen Rahmen für alle seine Aktivitäten, das heißt für Ausstellungen, die Besuche der Müllhalden, alle Bilder, Fotos und sein ganzes Leben in Connecticut, bildet. Das Capital Project kann mit allen Daten und Werken, auch im Nachhinein, „gefüllt“ werden; es ist also kein auf eine bestimmte Dauer oder auf ein bestimmtes Sujet angelegtes Projekt, sondern es hat eine absolut offene Struktur. Zwei Werke des Capital Project, ebenfalls aus den frühen 1990er Jahren, sind in der Ausstellung zu sehen.

Capital projekt Rubber Site #8

Peter P. Hopkins, Capital Project Rubber Site #8, 1993, Gummi, Silikon auf Leinwand, 76 x 84 cm

„Rubber Site # 8 / Capital Project“ erscheint wie ein Werk aus dem Übergang der Site-Serie zur Capital Project-Serie. In diesem Werk verarbeitet Hopkins Gummi/Silikon auf Leinwand. Das Material ist auf die Leinwand aufgebracht, ob es gebraucht ist, sieht man ihm nicht an, lässt es uns aber fast vermuten. Eine dunkle Fläche wird mit Strukturen und Schatten belebt und scheint noch den Sites verhaftet, strebt aber schon eine andere, neue Ästhetik an.

Das zweite Werk des Capital Project ist die Fotografie „Master Bedroom“. Es handelt sich hierbei um eine Fotografie einer Serie (bestehend aus insgesamt sechs Fotografien), die Peter Hopkins in der Villa von C. G. Jung gemacht hat. Seit die Galerie Marc Jancou in Zürich angesiedelt war, diskutierte Hopkins mit dem Inhaber Marc Jancou über die Möglichkeit einer Ausstellung, die den Konflikt über die Natur des Unbewussten zwischen S. Freud und C. G. Jung zum Thema hat. Die Idee entstand, da die Villa Jungs in dem Ort Küsnacht, in der Nähe von Zürich, steht. Durch Jancou bekam Hopkins die Gelegenheit, das Wohnhaus zu besichtigen und dort zu fotografieren. Wie er darüber berichtet, ging er in das Haus, um verschiedene Räume zu fotografieren, in denen er zuvor unterschiedliche Düfte „aktiviert“ hatte. Ob er dies wirklich tat, das wissen wir nicht, doch die Vorstellung, dass er es tat, bildet die Grundlage dieser Fotoserie.

Bedroom-430

Peter P. Hopkins, Capital Project Master Bedroom, 1991, Fotografie, 100 x 80 cm

Die Fotografie Master Bedroom zeigt ein großes Doppelbett in einem relativ schmalen Raum, im Bildvordergrund sieht man auf der linken Seite einen von einer Wand angeschnittenen Tisch, auf dem ein Parfumflakon steht. Ein recht unspektakuläres Foto, wenn man die Hintergründe nicht wüsste. Nach der Aufnahme wurden die Fotografien gerahmt und neben zwei weiteren, das Projekt ergänzenden, Komponenten präsentiert. Neben den Fotografien hingen, als erste Komponente, kleine gerahmte Texte, die den Raum und den Duft benannten (im Master Bedroom war es der Duft Joy) und angaben, wo der Duft genau versprüht wurde und wie lange seine Wirkung war. In einem anderen Raum der Galerie folgte die zweite ergänzende Komponente, dort waren die genannten Düfte, in Gießharz gegossen und in Gipsschalen gefasst, ausgestellt.

Die ganze Galerie wurde wie eine Szenerie aus einem Kriminalfall behandelt, der Betrachter war einem Detektiv gleich angehalten, sich die einzelnen Teile zusammen zu suchen und ein Ganzes daraus zu rekonstruieren. Hopkins wollte damit darauf hinweisen, dass alle „Fakten“ bedingt sind, dass Erinnerung unbeständig ist und dass der Betrachter zu einer Art „Agenten“ in jedem Kunstwerk wird.

Der Geruch stellt für Hopkins die perfekte Metapher dar, denn er ist da, obwohl man ihn nicht präsentieren kann wie einen Gegenstand. Weder ein Bild noch eine Beschreibung kann ihn wiedergeben, und wenn, ist sie für jeden Menschen anders. Die Kunst liegt bei diesen Werken für Hopkins also nicht einfach in den Fotografien an sich, sondern in dem Ereignis und der Geschichte, die sich um die Fotografie rankt.

Indem sich Peter P. Hopkins von der konventionellen Art des Erschaffens und Rezipierens eines Bildes löst, befreit er sich selbst und stößt in Dimensionen vor, die nicht mehr nur das Motiv an sich zum Thema haben, sondern eine Geschichte, die sich entweder vom Motiv ausgehend oder von Hopkins inszeniert um das Bild aufbaut und in den Mittelpunkt rückt. Der Betrachter wird einbezogen, mitzuarbeiten und sich selbst „ein Bild zu machen“, es zu überdenken. Liest er weder den Titel noch die Tafeln, wird er die Werke als schöne Bilder – als ästhetischen Müll wahrnehmen (Peter P. Hopkins in einem Interview mit Sabine B. Vogel, 1992).

Ian Davenport, geboren 1966 in Kent, Großbritannien, graduiert 1988 am Goldsmith College of Art in London. 1991 wird er für den Turner Prize nominiert und nimmt an der Turner Prize Exhibition in der Tate Gallery in London teil. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen präsentieren sein Werk im In- und Ausland. Er lebt und arbeitet in London.

Als Ian Davenport auf der Suche nach einer neuen künstlerischen Richtung das Fließen eines Farbtropfens beobachtet, ist er fasziniert. Die Schwerkraft und die Zufälligkeit des Weges, den er sich bahnt, bringen ihn auf die Idee, in dieser Richtung zu experimentieren.

Anfänglich lässt er den Tropfen die Freiheit, sich ihren Weg selbst „zu suchen“, unregelmäßige Bahnen entstehen, der Tropfen bewegt sich leicht kurvig nach unten, der Zufall bestimmt das Bild. Bald jedoch beginnt Davenport, immer noch von der ursprünglichen Idee erfüllt, einen fiktiven, etwas größeren Tropfen selbst zu lenken. Die Bahnen werden linearer, er beginnt ihre Richtung in der Senkrechten immer mehr zu kontrollieren und schließlich gar zu simulieren. Das Interesse Davenports für die Balance zwischen Kontrolle und Zwischenfall findet hier seinen Ausdruck.

Aus den senkrechten Linien entstehen verschiedene Serien, die teilweise mit dem natürlichen Fließen nichts mehr zu tun haben, aber insofern noch mit ihm verwoben sind, dass die ursprüngliche Richtung der Senkrechten bleibt.

Zwei Bilder, die in der Ausstellung präsentiert werden, entstehen im Jahr 1991. Es handelt sich um „Dulux/Satin Black“ und ein Werk ohne Titel.

Dulux/Satin Black ist ein monochromes Werk der ebenso genannten Monochromes-Serie, das sich mit dem Kontrast von Oberflächen, glänzend und matt, auseinandersetzt. Vier oben abgerundete stilisierte Pinselstriche in glänzender Farbe werden von ebenfalls vier in matter Farbe dargestellten Pinselstrichen überlagert. Das ganze Werk ist in Schwarz gehalten, nur die Unterschiedlichkeit des Schimmers der Oberfläche lässt Strukturen erkennen. Durch das Reflektieren des darauf fallenden Lichts entsteht Bewegung, die senkrechten Pinselstriche wirken dynamisch und kraftvoll.

Das Gemälde ohne Titel, ebenfalls im Jahr 1991 entstanden, ist ähnlich angelegt, wobei Davenport hier nicht mit der Oberfläche arbeitet, sondern das Werk in leicht divergierenden Farbnuancen erschafft. Wiederholt liegt die Betonung auf der Senkrechten, doch durch das Vergrößern der Rundungen entsteht so etwas wie eine architektonische Form. Fast spielt die Senkrechte nicht mehr die tragende Rolle.

Ein anderes Werk ohne Titel, das in dieser Ausstellung präsentiert wird, entstammt der darauf folgenden Serie der Poured Lines („geflossene Linien“), die er von 1992 – 1995 erschafft.

Die sogenannten Poured Lines verweisen wiederum auf seine Anfänge, als er den fließenden Tropfen als sein Thema entdeckt hat. Bei dieser Serie wird aber deutlich, wie weit er sich von der Zufälligkeit des Fließens entfernt hat. Relativ akkurat, senkrecht nebeneinander gesetzte Linien, die fast jegliche Anmutung eines natürlichen Flusses eingebüßt haben, bestimmen das in Schwarz gehaltene Bild. Und doch entsteht durch die Gegenüberstellung von glänzenden und matten Linien wiederum eine Bewegtheit, die eine Assoziation des Fließens aufkommen lässt. Wieder spielt das Licht eine große Rolle, die Reflexion belebt die schwarze Fläche.

Es begegnen uns in Davenports Werk immer wieder Vorgriffe auf sein zukünftiges künstlerisches Schaffen. Viele Elemente erarbeitet er sich in seinem Frühwerk, kombiniert sie neu, entwickelt sie weiter und kommt schließlich von der hier präsentierten meist monochromen Arbeitsweise zur Farbigkeit, in der er sich in seinen späteren Arbeiten wahrlich „auszutoben“ scheint. Er erschafft Serien von Gemälden sowie Wandmalereien, die farblich den extremen Gegensatz zu den ausgestellten Werken darstellen. Es entstehen Bilder mit den schon bekannten exakt nebeneinander gesetzten senkrechten Linien. Die frühere Zufälligkeit jedoch verschwindet fast komplett aus seinen Werken. In seinen Puddle Paintings, die er seit 2006 erschafft, enden die Linien in ‚Farb-Lachen“ (puddles), die am unteren Bildrand und auf dem Boden entstehen und indem sich die Farbe aus der Strenge der Linie zu befreien scheint.

Bis heute arbeitete Davenport an diversen Serien, in denen er jedoch meist der ursprünglichen Idee, dem Fließen des Tropfens und der damit verbundenen Senkrechten, treu blieb.

„Peter P. Hopkins, Ian Davenport: Early ’90s“, Projektraum KunstVoll, Neu-Isenburg, Frankfurter Straße 47, montags bis freitags 15 – 19 Uhr, samstags von 11 – 15 Uhr, bis 28. Februar 2015

Bildnachweis: Projektraum Kunstvoll; Fotos: Robert Funcke

 

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