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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Goethe und „Rembrandt der Denker“ im Frankfurter Goethe-Museum

Das Dichter-Genie im Dialog mit dem größten Radierer –
Exquisite Werke aus der Graphischen Sammlung Weimar

Von Hans-Bernd Heier

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„De practiceerende Alchimist (Faust)“, Radierung, Kaltnadel und Grabstichel, um 1652; © Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum

Bereits der junge Goethe hat Druckgrafiken von Rembrandt Harmensz van Rijn kennengelernt. Goethes intensive Beschäftigung mit Arbeiten des holländischen Ausnahmekünstlers setzte bereits Anfang der 1770er Jahre ein. Als 25jähriger schreibt er: „Ich zeichne, künstle p. Und lebe ganz mit Rembrandt“. Zeit seines Lebens sollte er sich mit dem größten Radierer der Kunstgeschichte auseinandersetzen. Im Alter von 81 Jahren verfasst er seinen letzten Aufsatz zur bildenden Kunst „Rembrandt der Denker“. Dieser Essay behandelt die Radierung „Der barmherzige Samariter“. „Als Kunstbetrachter, Dichter, Sammler und Zeichner ließ Goethe sich auf einen lebenslangen Dialog mit Rembrandt ein, der überraschende Perspektiven freilegt“, betont Petra Maisak, Leiterin des Frankfurter Goethe-Museums und Ko-Kuratorin der Ausstellung.

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„Der barmherzige Samariter“, Radierung und Grabstichel, 1633; © Klassik Stiftung Weimar

Ein Schlüsselbild der Beziehung des Dichter-Genies (1749 – 1832) zu dem Maler-Genie (1606 – 1669) ist die Radierung „Der Gelehrte in seinem Studierzimmer“, die auch unter dem Namen „De practiseerende Alchimis“ oder „Faust“ bekannt ist. Wahrscheinlich kannte Goethe dieses geheimnisvolle Blatt schon, als er Anfang der 1770er Jahre in Frankfurt mit der Arbeit am „Ur-Faust“ begann. Auf jeden Fall begleitete diese expressive Radierung sein Lebenswerk: die „Faust“-Dichtung. „Rembrandts Bild des Gelehrten, dem eine magische Lichtvision die Geisterwelt öffnet, während ein Totenschädel über seine Schulter zu blicken scheint, muss Goethe fasziniert haben. Hier inkarniert sich bereits die Idee des ‚faustischen‘ Suchers, dem er zeit seines Lebens auf der Spur blieb“, erläutert Petra Maisak.

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Gipfeltreffen zweier Genies, Ausstellungsansicht; Foto: Hans-Bernd Heier

Des Dichters Blick auf Rembrandts Werk bildet den Fokus der beeindruckenden Schau im Goethe-Museum, die noch bis zum 8. März 2015 zu sehen ist. Unter dem Titel „Goethe und ‚Rembrandt der Denker‘ “ belegen rund 90 Radierungen das einzigartige graphische Können des großen Niederländers. Das Spektrum reicht von winzigen Selbstporträts bis zu dem großformatigen „Christus vor Pilatus“ und umfasst biblische Geschichten, holländische Landschaften, Porträts, Akt- und Genredarstellungen. Die Kollektion geht im Kern auf die Graphiksammlungen von Goethe und Herzog Carl August von Sachsen-Weimar zurück und befindet sich heute im Besitz der Graphischen Sammlung der Klassik Stiftung Weimar.

Außer den originalen Radierungen Rembrandts sind auch Werke von Künstlern des Goethe-Kreises zu sehen, die dem Geschmack der Zeit entsprechend in Rembrandt-Manier arbeiteten, wie zum Beispiel die Maler Johann Georg Trautmann, Christian Georg Schütz d. Ä., Justus Juncker, Johann Andreas Bejmamin Nothnagel oder der Darmstädter Hofmaler Johann Conrad Seekatz, deren Werke auch in dem Gemäldekabinett von Goethes Vater hingen.

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„Die Anbetung der Hirten mit der Lampe“, Radierung, 1654; © Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum

Zugang zu Rembrandt fand Goethe über druckgraphische Arbeiten, die er schon früh bei Frankfurter und Leipziger Privatsammlern kennenlernte. Ihn faszinierte die Naturnähe und Gefühlstiefe in Rembrandts Werks, die zugespitzte Darstellung der menschlichen Charaktere, aber auch die brillante Radiertechnik und kontrastreiche Lichtregie. Der Einfluss des großen Niederländers, den er einen „außerordentlichen Menschen“ nannte, machte sich in manchen Zeichnungen Goethes bemerkbar. Mehr allerdings noch in seinen frühen Schriften zur Kunst. Der 1775 verfasste Essay „Aus Goethes Brieftasche. Nach Falkonet und über Falkonet“ kreist um die Radierung „Anbetung der Hirten: Ein Nachtstück“, das laut Petra Maisak in seiner Beschränkung auf das Wesentliche als tief empfundener Ausdruck der Mutterliebe interpretiert wird. Erwähnt sei aus der Vielzahl der Schriften, in denen sich der Dichter mit Rembrandts Arbeiten auseinandersetzt, noch Goethes „Farbenlehre“. Darin schrieb er 1810: “ … Rembrandt, ein großer Meister im Colorit und noch größerer im künstlichen Gebrauch des Lichtes und des durch Widerscheine unterbrochnen Schattens“.

Zeugnisse von Goethes durchaus eigenwilligen Interpretationen in Handschriften, Zeichnungen, Büchern bilden das Herzstück der Ausstellung, deren Hauptattraktion allerdings die originalen Radierungen Rembrandts sind.

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„Selbstbildnis mit Mütze, lachend“, Radierung, 1630; © Klassik Stiftung Weimar

Im Gegensatz zur Druckgraphik gestaltete sich Goethes Zugang zu Rembrandts Malerei schwieriger. Zu dieser Zeit kursierten zahllose Kopien und Fälschungen von Rembrandts malerischem Werk; verlässliche Zuschreibungen gab es nur bei der Druckgraphik, die Gersaint 1751 in einem Gesamtverzeichnis erfasst hatte. Die meisten Gemälde des Barockmalers waren Goethe nur in Form von Schwarz-Weiß-Reproduktionen oder Kopien bekannt. Original-Gemälde bzw. Gemälde, die die Kunstwelt damals für echte Rembrandts hielt, hat der Dichter wohl außer in kleineren Sammlungen nur in den großen Rembrandt–Kollektionen der fürstlichen Galerien in Kassel und Dresden gesehen.

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„Alter Mann, der seine Augen mit der Hand beschattet“, Radierung und Kaltnadel, um 1639; © Klassik Stiftung Weimar

Auf jeden Fall waren die einzigartigen Radierungen, deren weite Verbreitung ganz maßgeblich zum Ruhm Rembrandts beigetragen haben, für Goethes Beschäftigung mit dem holländischen Barockkünstler ausschlaggebend. In Weimar begann er Graphiken von Rembrandt zu sammeln. Seine Sammlung im Haus am Frauenplan umfasste immerhin 53 Druckgraphiken von und nach Rembrandt, darunter zehn originale Radierungen. Der Geheime Rat unterstützte auch Herzog Carl August von Sachsen-Weimar beim Aufbau der herzoglichen Kollektion. Diese Blätter bilden den Kern des Rembrandt-Bestands, der sich heute in der Graphischen Sammlung der Klassik Stiftung Weimar befindet, aus der in Frankfurt eine repräsentative Auswahl versammelt ist.

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„Christus vertreibt die Geldwechsler aus dem Tempel“, Radierung, 1635; © Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum

Gleich zu Beginn der Frankfurter Ausstellung empfangen zehn kleinformatige Selbstportraits des Holländers die Besucher. Rembrandt hat im Laufe seines Lebens eine erstaunliche Anzahl von Selbstbildnissen angefertigt, über 100 sind bekannt. Mithilfe eines Spiegels erforschte Rembrandt die mimische Vielfalt von Emotionen und scheute auch vor Grimassen nicht zurück. Er erprobte den Lichteinfall auf seinem Gesicht und setzte starke Helldunkel-Kontraste zur dramatischen Steigerung ein. Dieses Selbststudium diente Rembrandt als Übung für die überzeugende Darstellung von Affekten in seinen größeren Kompositionen.

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„Die drei Bäume“, Radierung mit Kaltnadel und Grabstichel, 1643; © Klassik Stiftung Weimar

Bei seinen Selbstbildnissen schlüpft er gerne in andere Rollen, inszeniert sich in aufwändigen Kostümen und setzt außergewöhnliche Requisiten ein, die er als leidenschaftlicher Sammler von Antiquitäten und Kuriositäten meist dem eigenen Fundus entnehmen kann. Die ausdrucksvollen, bisweilen nur briefmarkengroßen Selbstbildnisse erfordern bei genauer Betrachtung schon eine Lupe, die im Museum ausgeliehen werden kann.

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„Ein Bauer sagt: ‚tis vinnich kout‘ (s‘ ist bitter kalt)“ und „Ein Bauer antwortet: ‚dats niet‘ (das ist nichts)“, Radierungen, 1634; © Klassik Stiftung Weimar

Auch bei den gezeigten „Tronjes“ (oder „tronie“, altniederlänsisch für Kopf, Gesicht; heute auch: Fratze) dürfte es sich um Ausdrucksstudien handeln, die sich durch besondere Prägnanz auszeichnen. Zerfurchte Greisenköpfe, martialische Krieger oder Orientalen werden in pittoresker Tracht dargestellt. Diese Tronjes waren in den Werkstätten der holländischen Maler des 17. Jahrhunderts ein beliebtes Sujet, das sich im Rembrandt-Umkreis zu einer eigenständigen, gut verkäuflichen Kunstform entwickelte und viele Nachahmer fand.

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„Die drei Kreuze“, Radierung, Kaltnadel, 1653; © Klassik Stiftung Weimar

In seinen Landschaftsradierungen bevorzugte Rembrandt ländliche Räume mit niedrigem Horizont, in denen die Weite spürbar wird und die Zeit stillzustehen scheint. Die wirklichkeitsnahe Darstellung der holländischen Landschaft in stimmungsvollem Helldunkel inspirierte auch den jungen Goethe als Zeichner und Dichter (beispielsweise im „Werther“). Auch kopierte er in Rom Rembrandts „Landschaft mit dem Kahn“, zunächst in einer Skizze und später in einer Federzeichnung, bei der es sich aber eher um eine Nachempfindung handelt.

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„Der Engel verlässt Tobias und seine Familie“, Radierung und Kaltnadel, 1641; © Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum

Rembrandt widmete fast ein Drittel seines Werks biblischen Themen, die zu seiner Zeit noch zu den Hauptaufgaben der Kunst zählten. „Durch Mimik, Gestik und Körpersprache, unterstützt durch das expressive Helldunkel, bringt Rembrandt das ganze Spektrum seelischer Empfindungen zum Ausdruck. Das Spannungsfeld von Liebe und äußerstem Schmerz erkundet er bei den Szenen aus der Kindheit und Passion Christi“, betont Maisak. Ein besonderes Kleinod und das teuerste Blatt der Schau ist die Kaltnadel-Radierung „Die drei Kreuze“.

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„Die Flucht nach Ägypten: Die Überquerung eines Baches“, Radierung, Kaltnadel und Grabstichel; © Klassik Stiftung Weimar

Darstellungen, die ganz unprätentiös vom alltäglichen Leben einfacher Leute und sozialer Randgruppen erzählen, machen fast ein Fünftel von Rembrandts Radierwerk aus. Im 19. Jahrhundert bürgert sich dafür der Begriff der Genrekunst ein. In den nördlichen Niederlanden des 17. Jahrhunderts waren die erzählfreudigen Bilder von Bauern, Bettlern, Vagabunden, Hausierern und Straßenmusikanten besonders beliebt. Die Szenen wirken spontan, als seien sie unmittelbar aus dem Leben gegriffen; in Wirklichkeit waren sie jedoch sorgfältig komponiert. Der Holländer, der als brillanter Schilderer menschlicher Abgründe galt, studierte dafür typische Verhaltensweisen und Gesten seiner Mitmenschen. Mit psychologischem Gespür schilderte er die oft zwielichtig wirkenden Gestalten, deren ausdrucksstarke Physiognomien beim Betrachter soziale Empathie wecken. Einige populäre Blätter wie „Der Rattengiftverkäufer“ sind in der Präsentation zu sehen, für die der Betrachter Zeit mitbringen sollte.

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„Der Rattengiftverkäufer“, Radierung, 1632; © Klassik Stiftung Weimar

Die von Petra Maisak und Nina Sonntag hervorragend kuratierte Ausstellung ist eine Kooperation mit der Graphischen Sammlung der Klassik Stiftung Weimar, gefördert vom Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V. (AsKI) und von der Botschaft des Königreichs der Niederlande. Ansprechend formulierte Wandtexte liefern dem Besucher wichtige Zusatz- und Hintergrundinformationen. Zur Ausstellung ist ein reich bebildertes Begleitheft erschienen, das den Goethe-Schwerpunkt thematisiert (40 Seiten, Preis 7,50 Euro).

„Goethe und ‚Rembrandt der Denker'“, Frankfurter Goethe-Museum, bis 8. März 2015

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): © Klassik Stiftung Weimar, © Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum

→ Rembrandt. Landschaftsradierungen aus dem Städel Museum

 

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