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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ausstellung „Himmelstürmend“ im Deutschen Architekturmuseum (DAM)

Eine Stadt erfindet sich neu: Frankfurts Skyline

Von Petra Kammann

An einem Sonntagnachmittag im Frankfurter Architekturmuseum: Fasziniert stehen Jungens vor einem Bildschirm und schauen zu, wie in einer Endlosschleife durch die Sprengung der 116 Meter hohen AfE-Turm der Frankfurter Universität zunächst in einer gigantischen Rauchwolke – und dann im Nichts versinkt. Es war das bislang höchste Hochhaus in Europa, das da inmitten anderer Häuser dem Erdboden gleichgemacht wurde. Ein Glücksfall, dass in der bebauten Umgebung niemand zu Schaden kam. Aber Sprengungen, Baukräne, Ab- und Wiederaufbau gehören in Frankfurt seit 1945 förmlich zum Tagesgeschäft. Sie geben der Stadt die Energie und den Glauben an Erneuerung und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sowohl die Sprengung des AfE-Turms als auch der Abriss des Henninger-Turms schufen jeweils neuen Raum für künftige Stadtentwicklungen, wie sie im Palais-Quartier, im Maintor-Quartier, entlang der Europa-Allee und demnächst auf der „Marieninsel“ zwischen Taunusanlage und Marienstraße sowie in „Gateway Gardens“ am Frankfurter Flughafen sichtbar werden.

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Sprengung des AfE-Turms, 2. Februar 2014, Bildnachweis: DAM, Foto © Boris Zdravkovski, 2014

Dabei wurde die schwer kriegsgeschädigte Stadt am Main in den Sechziger und Siebzigern als „Krankfurt“ oder „Bankfurt“ gescholten, hatte sie doch nach dem Verlust der mittelalterlichen Struktur mit den im 19. Jahrhundert hinzugewonnenen Erweiterungsringen beim Wiederaufbau kein rechtes Gesicht mehr. Die Stadt in der Mitte Deutschlands hatte förmlich ihre Mitte verloren; sie wurde auch nicht, wie zunächst angenommen, Hauptstadt und konzentrierte sich daher zunächst auf Handel, Finanzen und Industrie. Parallel dazu erwachte in der Universitätsstadt mit den aus der Emigration zurückgekehrten Professoren der „Frankfurter Schule“ erneut der Bürgersinn. Nicht zuletzt Alexander Mitscherlichs Gedanken über die „Unwirtlichkeit der Städte“ hatten hier eine konkrete Anschauung. Alte Bürgerhäuser im Frankfurter Westend, die nicht durch den Krieg zerstört waren, fielen durch Abriss Immobilienhaien zum Opfer, die entlang der Bockenheimer Landstraße einen phantasielosen Kasten neben den anderen stellen wollten, um Platz für Versicherungszentralen und Banken zu schaffen. Sie hatten vor allem auf Eines gesetzt: auf Gewinnmaximierung. Studenten und Westendbewohner löckten wider den Stachel, besetzten die alten Villen, um sie vor dem Abriss zu schützen.

Das Blatt begann sich zu wenden, als 1973 das im Bau befindliche Selmi-Hochhaus im südlichen Westend brannte, es wurde 1976 von der heutigen DZ Bank erworben, die in einem Hochhaus dort ihre Zentrale einrichtete. 1985 wurde diese Zentrale durch ein sieben Stockwerke hohes Gebäude (City-Haus II genannt) auf dem Nachbargrundstück erweitert, 1993 bezog die DZ Bank zusätzlich das benachbarte Hochhaus Westendstraße 1. Von 2007 bis 2008 wurde das City-Haus I nach Plänen des derzeit in Frankfurt ubiquitären Architekten Christoph Mäckler saniert und erhielt durch seine neue Fassade ein insgesamt helleres Erscheinungsbild. Dies ist nur ein Beispiel dafür, welche Wege die Verwandlung der Immobilien einschlägt. Da kommt die Rolle der profilierten Architekten wieder zum Tragen.

Nach dem Baustopp, der Anfang der 1970er Jahre durch die engagierte Arbeit der AG Westend erwirkt wurde, sowie durch das erzwungene Nachdenken, das ein weiter gehendes Umdenken urbaner Überlegungen zur Folge hatte, begannen vor allem im Westend die Umstrukturierungen. Die Alte Oper wurde wiederaufgebaut, später entstand in gesunder Mischung aus renovierten Bürgervillen und profilierten Neubauten das Museumsufer auf der anderen Mainseite. Einerseits wurden nach und nach die zum Teil heruntergekommenen alten Bürgerhäuser wieder renoviert, andererseits wurde gezielter über die Gestaltung und die Standorte von Hochhäusern nachgedacht. Aus dem aggressiven Krank- und Bankfurt entstand allmählich das sogenannte Mainhattan mit einer sich entwickelnden Skyline, die für deutsche Städte der Nachkriegszeit einmalig ist.

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Opernplatz mit Zürich-Haus, SGZ-Hochhaus and Alte Oper, Institut für Stadtgeschichte; Bildnachweis: DAM, Foto © Klaus Meier-Ude, 1985

Wie aber und warum wuchs Frankfurt dann in den Himmel? Nicht nur dieser Frage geht eine äußerst sehenswerte Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum (DAM) mit dem geradezu poetischen Titel „Himmelstürmend“ nach und bietet einen Überblick zur Hochhausgeschichte der Stadt. Etwa 100 Bauten mit aktuellen und historischen Fotos, Zeichnungen, Dokumenten und Modellen werden im DAM präsentiert. Im Katalog sind es etwa doppelt so viele. Dabei wird in der Ausstellung die soziale Entwicklung nicht ausgeklammert: Die Exponate machen sowohl den Wiederaufbau nach 1945 als auch den Häuserkampf im Westend sowie auch schließlich das Bauen in der heutigen Zeit der globalen Finanzmärkte sichtbar. Und die ausgewählten Bauten werden in ihren historischen, ökonomischen und kulturellen Kontext gestellt. So stehen das Bienenkorbhaus und das Junior-Haus als klassische historische Bauwerke neben den herausragenden Türmen der Skyline – dem Silberturm, dem Messeturm, dem Commerzbank Tower oder dem Main Tower. Der Besucher erfährt auch etwas über den ersten Hochhausplan von 1953, der sich noch am mittelalterlichen Stadtbild orientierte. Gebaut werden sollten damals 26 frei stehende Hochhäuser nur an Brücken über den Main und dort, wo in den Stadtmauern einst die Tore eingelassen waren. Die Kirche sollte noch im Dorf bleiben. Mit dem Dom und seinen 95 Metern Höhe sollte in der City kein profaner Bau konkurrieren.

Galten nach 1945 Gebäude mit sechs Etagen schon als Hochhäuser, so begannen sie in den 70er und 80er Jahren gewaltig in die Höhe zu schießen. Man fing an, sie auch unter ästhetisch-attraktiven sowie unter urbanen Aspekten zu betrachten … Inzwischen gibt es in Frankfurt mehr als 500 Gebäude, die höher als 60 Meter und 30 Bauten, die höher als 100 Meter sind. Und es sieht so aus, als kämen durch den Bau der EZB wohl auch noch weitere Türme hinzu, die weiter in den Himmel wachsen wie in den anderen neuen Metropolen der Welt. Ausstellungskurator Philipp Sturm stellt auch einige Gebäude vor, die nicht realisiert wurden wie das elegante Gebäude der klassischen Modene des Architekten Mies van der Rohe von 1968, das aus einem 127 Meter hohen Büroturm mit Stahlskelett und Rasterfassaden und einem, der Berliner Nationalgalerie ähnelnden, eingeschossigen Pavillon an der Neuen Mainzer Landstraße und der Großen Gallusstraße entstehen sollte. Aber die Bank entschied sich für Richard Heil, der gute Kontakte zur Stadt hatte, wie es in den Akten heißt.

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Foster + Partners: Commerzbank Tower, Bildnachweis: DAM, Foto © Uwe Dettmar, 2009

Ein Unglücksfall? Ja und nein. Heute steht an dieser Stelle der höchste Turm Frankfurts, der 259 Meter hohe Tower der Commerzbank, erbaut vom Stararchitekten Norman Foster, ein Ökohochhaus mit neun sich um eine Spirale drehenden Wintergärten und mit bis zu neun Meter hohen, sich über vier Etagen erstreckenden Bäumen. Foster tüftelte das Gebäude schon 1997 so geschickt aus, dass es sowohl natürliches Licht bekommt als auch durch Fenster be- und entlüftet werden kann. Aber das „ungebaute“ Frankfurt wird auch erfahrbar anhand anderer visionärer Projekte – wie des grazilen Campanile oder des Millennium-Towers von Speer & Partner, der deshalb nicht realisiert wurde, weil der Investor, der Immobilien-Tycoon Ronald Trump, sich nach den Ereignissen von 9/11 zurückgezogen hatte. Ein anderes Beispiel zeigt, dass es nicht immer ein Unglück ist, wenn etwas nicht Wirklichkeit wurde wie etwa die Überbauungspläne des niederländischen Architekten Bakema für den Hauptbahnhof. Denn unter dem monströsen Aufbau hätte man die Schönheit des alten Frankfurter Bahnhofs nach Pariser Vorbild nicht mehr wahrnehmen können.

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Murphy / Jahn: Messeturm, Bildnachweis: DAM, Foto © JAHN, 1991

Manche der realisierten Hochhäuser sind besonders bemerkenswert: So etwa Helmut Jahns Messeturm, der „Bleistift“, der seiner markanten Form wegen schon bald nach seiner Vollendung 1991 zum Wahrzeichen der Frankfurter Skyline wurde, oder auch der Westend Tower an der Mainzer Landstraße mit dem auskragenden Strahlenkranz, der in Richtung Kaiserdom weist und an den Krönungsort deutscher Kaiser erinnert. Und mal abgesehen von seinen sonstigen architektonischen und ökologischen Finessen lässt der „gerippte“ zylindrische Westhafen Tower am Fuß der Friedensbrücke von Schneider + Schumacher mit seiner wabenartigen Fassadengestaltung Assoziationen an die Rhomben eines traditionellen Frankfurter Apfelweinglases zu.

Die neuere Entwicklung zeigt aber auch, dass Hochhäuser längst nicht nur als Gehäuse für Büroräume taugen, sondern ganz unterschiedlichen Zwecken dienen können, für Hotels, Restaurants und Bars oder als Shopping-Center – im Taunusturm wurde jüngst sogar eine Dependence des Museums für zeitgenössische Kunst eingeweiht, das MMK 2. Dies bricht das Solitäre der Wolkenkratzer auf. Schließlich lässt es sich hier auch schön, wenn auch teuer wohnen. In den schwindelnden Höhen genießt man die herrlichsten Ausblicke. So gilt das Leben im Hochhaus oder in Nähe von Wolkenkratzern inzwischen als attraktiv. Mit dieser Erkenntnis entstanden um die herausragenden Türme herum in den einstigen Brachen ganz neue Viertel wie beispielsweise die Häuserensembles im Westhafen, das Europaviertel hinter der Messe oder im Ostend um Frankfurts Kreativmeile Hanauer Landstraße in Nähe des neuen EZB-Turms von Coop Himmelb(l)au. Je nachdem, von welcher Seite man sich diesem Turm mit seinen polygonalen Scheiben nähert, wirkt er zugewandt oder distanziert. Da er sich aus der architektonisch ehemaligen Großmarkthalle von Martin Elsaesser aus den 1920er Jahren heraushebt, macht dies auf die einstige Schönheit der früheren Markthalle aufmerksam.

Wenn man einmal davon absieht, dass bislang wegen der einstigen Nähe zum Osthafen traditionell im Osten der Stadt die billigeren Wohnungen zu bekommen waren und hier nun auch wegen des Zuzugs möglicher EZB-Mitarbeiter eine Gentrifizierung einsetzt, so hat die städtebauliche Konzentration auf bestimmte Stadtteile dennoch etwas Aufgeräumtes. Deutlich wird der Trend „weg vom Verwaltungs- und hin zum Wohnungsbau“ auch in „Gateway Gardens“, wo fern der City, mit direktem Anschluss an den Flughafen, in den nächsten Jahren ein 35 Hektar großes neues Stadtviertel für globalisierungsfreudige Menschen im gehobenen Preissegment entstehen wird. Für die Geringerverdienenden wünschte man sich allerdings eine Stadtplanung wie im „neuen Frankfurt“ à la Ernst May auf dem Bornheimer Hang.

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↑↓ Hochhausspitzen, Fotos: Petra Kammann

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Unabhängig davon sind die Frankfurter selbst inzwischen auch stolz auf ihre Hochhäuser, die ihnen so etwas wie eine neue Stadtidentität gegeben haben, wie das von Hitradio FFH ins Leben gerufene, alle zwei Jahre stattfindende Wolkenkratzerfestival beweist. Dort tummelten sich im vergangenen Jahr 1,2 Millionen Menschen, um in die höchsten Etagen der Hochhäuser zu gehen oder dem atemberaubenden Seiltänzer Reinhard Kleindl, der 185 Meter über Frankfurt auf einem dünnen Seil zwischen den Terrassen balancierte, zuzuschauen, während sich am vollen Opernplatz ein Turm aus Menschen in Sekundenschnelle aufbaute. Das himmelsstürmende Erlebnis können die Besucher der Ausstellung anhand einer Video-Aufzeichnung noch einmal Revue passieren lassen. Auch daran wurde in der faktenreichen Ausstellung gedacht. Eines ist ganz sicher. Nach dem Besuch der Ausstellung geht man mit anderen Augen und einem frischen Blick auf die Stadt aus dem Museum.

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Neubau der Europäischen Zentralbank im Frankfurter Osten, Foto: Petra Kammann

Die Ausstellung „HIMMELSTÜRMEND. Hochhausstadt Frankfurt. Bauten und Visionen seit 1945“ ist im Deutschen Architekturmuseum (DAM) bis zum 19. April 2015 zu sehen.

 → Internationaler Hochhauspreis 2014

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