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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Verzweigt!“ im Sinclair-Haus

Spannender Streifzug durch „Bäume in der zeitgenössischen Kunst“

Von Hans-Bernd Heier

Der weltberühmte Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781) lamentierte einst: „Ach, diese ewig grünen Bäume, warum können sie nicht einmal blau sein …“. Sie können! Die aktuelle Ausstellung im Museum Sinclair-Haus dürfte dem Autor von „Nathan der Weise“ sicher Freude bereitet haben. Denn in „Verzweigt! – Bäume in der zeitgenössischen Kunst“ sind die mythenbehafteten Bäume auch blau, rot, violett, braun, schwarz und bisweilen sogar ganz bunt. Sie stehen nicht nur vertikal in der Landschaft, sondern durchaus schief und bisweilen gar auf dem Kopf. Und die Baumskulpturen sind nur teilweise aus Holz, auch aus Bronze, Stahl, Stoff, Draht und Pappmaschee.

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Laura Ford, „Tree Girl with Birds“, 2013, Stahl, Jesmonite, Textilien, 208 x 82 x 82 cm; © Courtesy Galerie Scheffel, Bad Homburg

Mit dem Zyklus, den der Baum jährlich durchläuft, mit seiner stetigen Erneuerung, steht er nicht nur wesenhaft für die menschlichen Lebensalter, sondern ist auch universell ein Symbol für den Lauf der Welt und des Lebens. Auch optisch gleichen die Verzweigungen seiner Äste und Wurzeln den Adern und Gehirnverästelungen im menschlichen Körper, einem Flussdelta oder Blitzen – eine Grundstruktur, die überall auf der Welt vertreten ist und Leben ermöglicht. Auch der „Stammbaum“ folgt sinnbildlich diesem Muster.

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Laura Ford „Nature Girl (Stump Girl)“, 1996, Bronzeguss, patiniert und bemalt, 94 x 60 x 50 cm, Edition 3/6, Galerie Scheffel; Foto: Hans-Bernd Heier

Für die Menschen hat der Baum lebenswichtige Bedeutung. Christian Morgenstern hat es trefflich formuliert: „Nichts ist für mich mehr Abbild der Welt und des Lebens als der Baum …“. In Mythen und Märchen spielt er eine große Rolle und gehört zu den am häufigsten abgebildeten Motiven in der Kunst. Seine einzigartige Form hat Künstler schon immer fasziniert. „Von jeher ist das Motiv des Baumes Teil des menschlichen Bildarchivs. Bereits in antiken, mythologischen Darstellungen – etwa der ‚Daphne‘ – wurde der Baum zum Sinnbild der Metamorphose, der Verwandlung des Menschen in ein baumhaftes Wesen“, schreiben Andrea Firmenich, Geschäftsführerin der ALTANA Kulturstiftung, und Johannes Janssen, Direktor und Kurator des Museums Sinclair-Haus, im Vorwort des exzellenten Begleitkatalogs. „Und immer wieder war und ist der Baum Symbol für das Aufstrebende, Erblühende einerseits und – in knorriger und abgestorbener Form – andererseits Zeichen der Vergänglichkeit, des Vergehens, wie er etwa in zahlreichen Gemälden der Romantik zu sehen ist“.

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Ulrich Erben, aus der Serie „Camposanto“, 2000; Öl, Lack auf Leinwand, 2 von 6; 30 x 40 cm; ALTANA Kunstsammlung, © Ulrich Erben

Das traditionelle Naturmotiv hat auch zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler in seinen Bann gezogen. Sie haben das „Abbild der Welt und des Lebens“ aus verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet und auf die vielfältigste Art dargestellt und bearbeitet: seien es Bäume als Ganzes oder in Details wie Stamm, Äste, Blätter oder Wurzelwerk. Schließlich liefert der Baum mit seinem Holz auch einen viel genutzten Werkstoff, der gesammelt, zersägt, zusammengesetzt oder poliert zu sehr verschiedenen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten führen kann.

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Darren Almond „Night & Fog“ (Norilisk) 5, 2007, Bromide Print, 205,7 x 98,1 cm, Edition 5; ALTANA Kunstsammlung, © Darren Almond

Das Sinclair-Haus beleuchtet in „Verzweigt!“ in einer abwechslungsreichen Abfolge von Skulpturen, Objekten, Gemälden, Zeichnungen und Filmen das Motiv des Baumes. Die Präsentation verdeutlicht das breite Spektrum dieser künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema und zeigt zugleich, wie facettenreich und mit welch unterschiedlichen Techniken die zeitgenössische Kunst mit diesem Naturmotiv umgeht.

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Johannes Janssen und Ina Fuchs bei der Pressekonferenz; Foto: Hans-Bernd Heier

In der hervorragenden Schau, die bis zum 22. Februar 2015 in Bad Homburg zu sehen ist, werden erstmals Werke aus einer hochkarätigen Privatsammlung mit dem eigenwilligen Namen „r/e collection“ gezeigt, die seit vielen Jahren ganz auf das Baum-Sujet ausgerichtet ist und bisher noch nicht öffentlich gezeigt wurde. Rund 90 Prozent der ausgestellten Exponate stammen aus dieser exquisiten Kollektion. Ergänzt wird dieses Konvolut durch Exponate der ALTANA Kunstsammlung und weitere Leihgaben.

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Tobias Rehberger, „Mother Dying II“, 2004, Draht, Holz, Tape, Papier, 240 x 300 x 200 cm; ALTANA Kunstsammlung

Die Präsentation fügt sich hervorragend in das Konzept der ALTANA Kunstsammlung ein, die auf das Thema „Natur“ fokussiert ist. Insgesamt besitzt die Stiftung über 500 hochkarätige Werke nationaler wie internationaler Künstler, die sich in ihren Arbeiten mit der Natur auseinandergesetzt haben.

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Brigitte Waldach, Wald (Polytych), 2012, ALTANA Kunstsammlung, © Brigitte Waldach, courtesy Galerie Bo Bjerggaard

In „Verzweigt“ sind rund 80 Kunstwerke von 60 Künstlern versammelt. Bei der Zusammenstellung der Arbeiten hat sich Kurator Janssen von ästhetischen Kriterien leiten lassen, aber natürlich auch von den räumlichen Gegebenheiten (Deckenhöhe) des spätbarocken Bürgerhauses.

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Ausschnitt aus dem Triptychon von Stefan Sehler, 2006, Acryl, Lack hinter Acrylglas; r/e collection, © Stefan Sehler

Gleich im Hof des schmucken Sinclair-Anwesens empfängt den Besucher Laura Fords Bronzeplastik „Nature Girl“. Der Baumstumpf ruht auf zwei Mädchenbeinen mit roten Lackschuhen. „Gerade diese roten Schuhe rufen Erinnerungen an Kindermärchen hervor. Laura Ford spielt bewusst mit der Fantasie des Betrachters, der sogleich eine Fülle an kindlichen Assoziationen und vielleicht sogar konkreten Erinnerungen durchläuft“, erläutert die neue Mitarbeiterin Ina Fuchs.

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Doug & Mike Starn, „Structure of Thoughts“ #5, 2001, Tintendruck, Wachs, Enkaustik, Lack auf Maulbeerpapier, Japanpapier und Seidenpapier, 132,5 x 117 cm; ALTANA Kunstsammlung

Im großen Ausstellungsraum im Parterre ist eine weitere Arbeit der Britin Laura Ford zu sehen „Tree Girl with Birds“. Auch dieser Baum aus braunen Textilien wurzelt nicht in der Erde, sondern steht auf zwei geblümten Stoffpantoffeln.

Des Weiteren stachen dem Autor beim Streifzug durch die überzeugend gehängte Baum-Schau die farbintensiven italienischen Landschaftsausschnitte von Ulrich Erben sowie Anselm Kiefers zauberhaftes frühes Aquarell „Landschaft bei Buchen“ aus 1971 ins Auge, ebenso wie Rodney Grahams Fotografie von umgekehrten Bäumen. Dieses Werk erinnert an die Arbeitsweise von Georg Baselitz, von dem 14 Radierungen aus den Jahren 1972 bis 1975 zu sehen sind. Ebenfalls der Fotografie-Technik bedient sich Wolfgang Tillmans, der seine Kamera durch dichtes Geäst und mehrere Baumkronen hindurch in den nächtlichen Himmel gerichtet hat und so dem Betrachter ein bezauberndes Himmelspanorama eröffnet.

Im Treppenflur der ersten Etage ist die großartige Arbeit von Vollrath Hopp zu bewundern. Die großformatigen Kohlezeichnungen, die jeweils aus 27 Einzelblättern bestehen, zeigen die Veränderung von Baumalleen im Lauf der vier Jahreszeiten. Der Besucher fühlt sich durch die ungeheure Intensität des Werkes geradezu in die Allee hineingezogen. Nicht minder beeindruckend sind die zwei ebenfalls großformatigen, in Mischtechnik erstellten Arbeiten von Doug & Mike Starn „Structure of Thoughts“ aus 2001, die dicke, knorrige Bäume mit filigranem Astwerk zeigen.

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Mark Wagner, „Three Season Triptych“, o. J., Collage auf Brett, 3 Teile, je 15,2 x 12,2 cm; r/e collection, © Mark Wagner

Eher humoristisch haben sich dagegen Jiří Kolář mit seiner Collage „Adam und Eva. Paraphrase eines Renaissance-Gemäldes“ und der amerikanische Künstler Jean-Michel Basquiat mit seinem in knallig grüner Acrylfarbe gemalten „Car Freshener“-Tannenbaum dem Baum als Abbild des Lebens genähert. Auch Mark Wagner setzt das Baumthema spöttisch-kritisch um. Sein Triptychon „Three Season“ umfasst drei Collagen, in denen je ein mächtiger Baum sowie der Hintergrund aus sorgsam gefalteten Ein-Dollar-Scheinen zusammengesetzt ist. Dass Wagner die Baumcollagen aus Geldscheinen gefertigt hat, eröffnet laut Ina Fuchs viele, auch durchaus kritische Bedeutungsebenen.

„Verzweigt! – Bäume in der zeitgenössischen Kunst“, Museum Sinclair-Haus, Bad Homburg, bis 22. Februar 2015

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Sinclair-Haus

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