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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die finnische Weihnachtsstadt heißt Turku

Turku an der Südwestküste Finnlands: eine Stadt mit ausgeprägter Geschichte, die 2011 gemeinsam mit Tallinn in Estland Kulturhauptstadt wurde

Von Elke Backert

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Weihnachtsmarkt in Turku: Den mit Kerzen beleuchteten Tannenbaum haben die Finnen von den Deutschen übernommen

Fichtenzweige polstern die Stufen zum „Haus der Engel“. Der Duft rotwangiger Äpfel und brennender Kerzen an der Tür fordert auf, einzutreten. Das Café-Restaurant, zugleich Galerie, trägt seinen Namen zu Recht. Verführerisch wie die gemalten Engel an den Wänden und auf den Stühlen sind die leibhaftigen Geflügelten in Form weiblicher und männlicher Bedienung. Die Speisen munden so himmlisch, wie das Spiel der Harfenistin klingt. Man trinkt aus Engelsgläsern und isst Kuchen mit eindeutigen Namen: Seraphim, Amors Pfeil, Engelskuss, gefallener Engel. Das hundert Jahre alte Holzhaus in der früheren Hauptstadt Turku im Südwesten Finnlands ist nur ein Beispiel für die anheimelnde weihnachtliche Atmosphäre. Sobald es dunkelt, zünden alle Finnen rotleuchtende Kerzen vor dem Hauseingang an. Wenn dann noch Schnee Bäume und Straßen in glitzerndes Weiß hüllt, ist die Stimmung perfekt.

Aus christlicher Sicht beginnt der Finnen Weihnachtszeit wie bei uns am ersten Advent, wenn in den Kirchen Georg Joseph Voglers Hosianna-Hymne gesungen wird, die niemand versäumen möchte, wie auch alle Adventskonzerte regen Zuspruch finden. Doch schon lange vorher treffen sich Frauen, um Weihnachtsbasare zu planen, und Firmen organisieren für ihre Mitarbeiter Partys, „Pikkujoulu“ genannt, „Kleines Weihnachten“. Sie entsprechen unseren Weihnachtsfeiern.

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Mit dem ersten Advent leuchten Lichter in Straßen, Geschäften und an aufgestellten Tannenbäumen. Der 6. Dezember wird als Nationalfeiertag begangen. 2010 jährte sich die Unabhängigkeit zum dreiundneunzigsten Male. Da versäumte es kein Finne, die Fenster im Kerzenschein erstrahlen zu lassen.

Kerzen-Prozessionen am Lucia-Tag

Am 13. Dezember ist Lucia-Tag, benannt nach der sizilianischen Heiligen, die der Legende nach den Märtyrertod starb. Seinen Ursprung hat der Lucia-Tag in Schweden, und anfänglich begingen ihn nur die Schwedisch sprechenden Finnen, die vorwiegend in Südfinnland leben. Weil man den Tag für den kürzesten und dunkelsten hielt, erhellte man ihn durch Kerzen-Prozessionen.

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Traditionell kleidet sich eine Tochter der Familie in Weiß, setzt sich eine Blumenkrone aus brennenden Kerzen aufs Haupt und singt mit ihren Schwestern und Brüdern vor ihren Eltern, während sie Geschenke austeilt.

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In Turku fährt, nach einem Gottesdienst im Dom, Santa Lucia in einer Pferdekutsche durch die Stadt. Die Sitte, anhand von vier Kerzen die Wochen bis Weihnachten zu zählen, haben die Finnen von den Deutschen übernommen ebenso wie den Tannenbaum. Ihren schmücken sie gern mit Ketten aus Papierflaggen, und an der Zimmerdecke befestigen sie ein aus Stroh gebasteltes Mobile, das sie „Himmeli“ nennen. Überhaupt fällt handgearbeiteter Baumschmuck auf, ob aus Holz gesägt oder aus Stroh gefertigt. Wer ihn nicht selbst herstellen will, kauft ihn auf den Weihnachtsmärkten, natürlich nicht ohne den „Glögi“ zu trinken, den mit Mandeln und Rosinen angereicherten Glühwein.

Heiligabend ist der Höhepunkt des Jahres. Hat die Domglocke zwölf geschlagen, verkündet Turkus Kanzleichef vom Balkon des Brinkkala-Hauses nach einem bis ins Mittelalter zurückgehenden Brauch den „Weihnachtsfrieden“, der zu andächtigem und gesittetem Verhalten aufruft. Seit 1935 übertragen ihn die Rundfunksender und heute auch das Fernsehen. Seit aber 1996 der Erzbischof der Entscheidung zugestimmt hat, Turku als die Weihnachtsstadt zu bestimmen, hat die Stadt innerhalb von drei Jahren einen Zuwachs von 11.000 Gästeübernachtungen allein in der Weihnachtszeit verzeichnen können.

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Anmutig spiegelt sich Turkus Dom im Fluss

Üppiges Essen mit Weihnachtsschinken und Stockfisch

Nach Verkündung des Weihnachtsfriedens beginnt das festliche Essen, das nach der Überlieferung nicht enden darf. Das Hauptgericht besteht aus dem Weihnachtsschinken, mit Senf gewürzt. Man vermutet, dass der Schinken das Relikt einer altnordischen Opfersitte ist, als man einst Freia, der Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit, Schweinefleisch opferte. Dazu gesellen sich Aufläufe – aus Karotten, Kohlrüben oder/und Kartoffeln. Stockfisch mit weißer Mehlsoße und zerlassener Butter ist ein weiterer Gang der Tafel, möglicherweise ein Überbleibsel katholischer Fastenregeln. Auf dem Tisch stehen auch diverse Heringshappen und Heringssalat, Rosolli genannt. Milchreis bildet den Abschluss. Wer die in ihm versteckte Mandel findet, wird mit Glück belohnt. Duftende Hyazinthen, Flieder und Maiglöckchen schmücken die Tafel. Sogar der Vögel wird gedacht. Sie bekommen Talg und eine Garbe Hafer.

Eine bedeutende Rolle spielt – wir können es kaum fassen – die Sauna. Überall im Land sieht man aus den Saunahütten am See Rauch aufsteigen. Früher stellte man sogar eine Schüssel Brei für den häuslichen Schutzgeist in die Sauna. Um 17 Uhr rufen die Kirchen zum Gottesdienst, und mit Kerzen auf den Gräbern gedenkt man der Toten.

„Joulupukki“ kommt auf einem Rentierschlitten vom hohen Lappland

Dann endlich ist es soweit: „Joulupukki“ kommt, der Weihnachtsmann. Er ähnelt unserem Nikolaus, und während er einen Korb mit Geschenken hereinträgt, fragt er die Kinder, ob sie brav gewesen seien. Natürlich antworten sie mit einem kräftigen Ja. Offiziell reist der Weihnachtsmann, von Wichteln begleitet, auf einem Rentierschlitten vom hohen Lappland an, wo er auf dem Berg Korvatunturi wohnt. Weil die Kinder aus aller Welt an ihn schreiben, hat er rund ums Jahr zu tun und ein eigenes Postamt und ein Werkstattdorf am Polarkreis eingerichtet, wo man ihn jederzeit besuchen und ihm seine Wünsche ins Ohr flüstern kann.

Weihnachten 2000, als die heutige finnische Metropole Helsinki zur Kulturhauptstadt Europas gekürt wurde, brillierte sie mit einer Kirche aus Schnee und Eis auf dem Domplatz und lenkte die Augen der Welt auf sich. In der Kirche wurden sogar Trauungen vollzogen. Sie war eine Nachbildung der Ulrike-Eleonore-Kirche, die für den Bau des Doms abgerissen wurde.

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Eiskirche in Helsinki

Die neue Weihnachtsstadt Finnlands heißt Turku, ist wie Rom auf sieben Hügeln erbaut und lässt Weihnachten erst am 13. Januar 2009 (Knutstag) ausklingen. Sie ist die älteste Stadt Finnlands, die 2011 Europäische Kulturhauptstadt wurde.

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Immer ein Erlebnis ist die mächtige Burg von Turku

In der Burg aus dem Jahre 1280, die das Historische Museum beherbergt, wetteifern die schönsten Krippen, eine sogar mit Barbiepuppen, mit den im Dom ausgestellten. Neben einem „Weihnachtsmarkt vergangener Zeiten“ gibt es einen mit traditionellem Handwerk und modernen Designprodukten. Im Handwerksmuseum sind Weihnachtstische verschiedener Epochen gedeckt, genauso in der Burg und in der Museumsapotheke des Qwensel-Hauses.

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Turku, Museumsschiffe: Herrlich promenieren lässt es sich am Ufer des Aurajoki

Die beleuchteten Uferpromenaden zaubern ein romantisches Ambiente und laden ein zum Bummeln und Kaufen, Eisbahnen zum Schlittschuhlaufen. Erstklassige Wellness-Hotels in Turku machen den Besuch zu einem Erlebnis für die ganze Familie.

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Fotos: Elke Backert

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