Die „Wende“ geschafft – „Labung“ von Hans von Marées jetzt in rechtmässigem Besitz des Museums Wiesbaden
Landesmuseum restituiert das Gemälde und kauft es von den Erben zurück
Von Hans-Bernd Heier
Das Timing war optimal: Kurz bevor in Deutschland der 25. Jahrestag des Mauerfalls und damit der politischen Wende gedacht wurde, konnte das Museum Wiesbaden den erfolgreichen Abschluss der Kampagne „Wiesbaden schafft die Wende!“ im kulturellen Bereich feiern.
In Anwesenheit von Wissenschafts- und Kunstminister Boris Rhein, dem Schirmherrn der Kampagne, Stephanie Tasch, Dezernentin in der Kulturstiftung der Länder, und Gerd Eckelmann, Vorstandsvorsitzender der Freunde des Museums Wiesbaden, berichtete Museumsdirektor Alexander Klar über eine beispielgebende Aktion, die es bisher in Hessens Landeshauptstadt noch nie gegeben habe: Innerhalb von sieben Wochen gelang es, dank finanzkräftiger Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Freunde des Museums Wiesbaden und vieler Privatspenden von Bürgern das Geld für den Ankauf des Gemäldes „Die Labung“ von Hans von Marées aufzubringen. Ohne diese Aktion, die auch weltweit Aufmerksamkeit erlangte, wäre es nicht möglich gewesen, dieses sammlungsrelevante Werk Marées aus dem Museumsetat zu erwerben.
Raumansicht im Museum Wiesbaden mit dem noch nicht gewendeten Werk
Während der siebenwöchigen Kampagne „Wiesbaden schafft die Wende!“ war von Marées Gemälde nur die Rückseite zu sehen. Die Bürger sollten damit zum Spenden animiert werden, um in der Sammlung auch wieder die Vorderseite des Spätwerks bewundern zu können.
Die Überprüfung der zum Teil auf dem Kopf stehenden Aufkleber und der handschriftlichen Vermerke war mitentscheidend bei der Spurensuche der Provenienzforscher
Das Landesmuseum Wiesbaden widmet sich schon seit 2009 intensiv der Suche nach Raubkunst und hat bereits eine Reihe von Arbeiten restituiert. Im Zuge dieser akribischen und daher zeitraubenden Nachforschungen hatte sich herausgestellt, dass das 1980 dem Landesmuseum als Schenkung des Wiesbadener Ehepaares Rose und Friedrich Klein überlassene Gemälde im Jahre 1935 auf einer Auktion bei dem Kunsthändler Paul Graupe in Berlin ersteigert wurde. Den jüdischen Vorbesitzer Max Silberberg (1878 – 1945) hatten die Nationalsozialisten nicht nur zum Verkauf seiner Villa in Breslau gezwungen. Gleichzeitig musste der kunstsinnige Industrielle sich auch vom größten Teil seiner mehr als 200 Werke umfassenden Sammlung trennen. Diese wurde in mehreren Auktionen in dem Berliner Auktionshaus Graupe versteigert. Der Bibliothekar und Auktionator Paul Graupe zählte ab 1933 zu den wenigen Adressen, an die sich jüdische Kunstsammler wenden konnten, wenn sie sich genötigt sahen, ihren Besitz zu veräußern. Graupe, selbst ein Berliner Jude, der 1939 über Paris nach New York floh, galt als solider Notverkäufer jüdischer Besitztümer wie auch als wichtiger Devisenbringer für den NS-Staat. Am 23. März 1935 gelangte bei Graupe unter der Katalognummer 9 auch das Gemälde „Die Labung“ von Hans von Marées aus der Sammlung Silberberg zur Versteigerung.
Bei der Pressekonferenz: Stephanie Tasch, Dezernentin in der Kulturstiftung der Länder, Schirmherr der Kampagne Boris Rhein, Hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst, Museumsdirektor Alexander Klar und Gerd Eckelmann, Vorstandsvorsitzender der Freunde des Museums Wiesbaden; Foto: Hans-Bernd Heier
In Abstimmung mit dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gelangte das Museum Wiesbaden zu dem Schluss, dass der damalige Verkauf des Werkes während des Nationalsozialismus „verfolgungsbedingt“ zustande kam und das Gemälde demzufolge auf der Grundlage der Washingtoner Prinzipien von 1998 und der Berliner Erklärung von 1999 an die Erben von Max Silberberg zurückzugeben sei. Bei der Washingtoner Erklärung handelt es sich um eine freiwillige Übereinkunft der Unterzeichnerstaaten mit dem Ziel, Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus zu identifizieren, die Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine gerechte und faire Lösung der Wiedergutmachung anzustreben. Der Selbstverpflichtung der Washingtoner Erklärung folgte Deutschland am 14. Dezember 1999 mit der Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz.
Die Erben Silberbergs zeigten sich im Anschluss an die Restitution bereit, das Spätwerk dem Museum Wiesbaden zu dem günstigen Preis von 200.000 Euro zum Kauf anzubieten. Den Ankauf des Gemäldes haben die Kulturstiftung der Länder und die Freunde des Museums Wiesbaden mit je einem Drittel der Kaufsumme unterstützt. Die Bürger steuerten bisher 35.000 Euro bei – wobei die Spendenbeträge von fünf bis 1.500 Euro reichten. Der Restbetrag wird durch die Hessische Kulturstiftung abgedeckt. „Die Labung“ von Hans von Marées kann damit in den Kunstsammlungen des Museums Wiesbaden verbleiben.
Für den großen Moment streifen Minister Boris Rhein und Museumsdirektor Alexander Klar weiße Handschuhe über. Dann heben sie den schweren Holzrahmen von einer Staffelei. Vorsichtig drehen sie das Bild um und hängen es an die Wand
Besucher können jetzt wieder die Vorderseite der „Labung“ bewundern. Gerd Eckelmann kommentierte den erfolgreichen Ausgang dieser einzigartigen Kampagne lapidar: „Wenden macht Freude“.
Die Wende ist geschafft!
Hans von Marées (Elberfeld 1837 – 1887 Rom) gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Kunst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Maler prägte zusammen mit Arnold Böcklin und Anselm Feuerbach maßgeblich den Stil des Neo-Idealismus, der vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Bürgertum hoch geschätzt wurde.
Marées besuchte die Kunstakademie in Berlin und arbeitete in den 1860er Jahren im Umfeld von Franz von Lenbach in München. Seit 1870 lebte und arbeitete er in Neapel, Florenz und schließlich in Rom. Dort schuf er seine großartigsten Werke, die sich durch klare Komposition sowie Harmonie zwischen Mensch und Natur auszeichnen. Marées eigentliches Thema ist die Figur im Raum, wobei seine Figuren meist unbewegt verharren. Insbesondere sein Spätwerk, zu dem auch „Die Labung“ gehört, ließ ihn zu einem der bedeutendsten Künstler des 19. Jahrhunderts werden.
Hans von Marées „Die Labung“, Ölgemälde ,1879/80, Museum Wiesbaden. In der Sammlung wird bei den Provenienzangaben zu Marées Gemälde auf die Herkunft aus der Sammlung Max Silberberg, auf die Schenkung der Eheleute Klein, die Restitution und den anschließenden Ankauf durch das Museum Wiesbaden hingewiesen
„Die Labung“ zeigt einen idealisiert dargestellten nackten Jüngling, der vor zwei Frauen kniet, deren eine ihm in einer Kanne ein Getränk zur Labung anbietet. Das kunsthistorisch wertvolle Bild nimmt im Rahmen der Wiesbadener Sammlung der Malerei des 19. Jahrhunderts eine Schlüsselposition ein. Darüber hinaus kommt dem Gemälde eine „Scharnierfunktion“ zwischen den beiden Sammlungsbereichen „Alte Meister“ und „Klassische Moderne“ zu.
Peter Forster, Leiter der Provenienzforschung am Museum Wiesbaden, und die Kunsthistorikerin Miriam Merz; Foto: Hans-Bernd Heier
Bislang konzentrierte sich im Museum Wiesbaden die Forschung nach belasteten Werken auf den Erwerbungszeitraum 1933 – 1945. Der Fokus der Recherche richtete sich zunächst auf etwa 200 Kunstwerke, die unter dem damaligen Leiter Professor Hermann Voss unter teilweise ungeklärten Umständen in das Museum gelangt sind. Einige der von Voss erworbenen Kunstwerke wurden seither als „verfolgungsbedingt entzogen“ identifiziert. Seit 2010 wurden insgesamt vier Gemälde an die rechtmäßigen Eigentümer bzw. deren Erben restituiert. Noch ist allerdings „sehr viel kontaminierte Kunst im Haus“, wie Klar einräumt.
Im Auftrag Adolf Hitlers ernannte Joseph Goebbels Anfang 1943 Voss zum Sonderbeauftragten, der die Kunstsammlung des geplanten „Führermuseums“ in Linz aufbauen sollte. Seine Wiesbadener Funktion behielt er bei. Als Sonderbeauftragter kaufte Voss mit erheblichen Geldmitteln Kunstwerke in Deutschland und in dem von deutschen Truppen besetzten Ausland auf, darunter zahlreiche beschlagnahmte jüdische Kunst- und Kulturgüter. Voss nutzte dabei seine guten beruflichen Verbindungen zu Kunsthändlern, Kunsthistorikern und Sammlern im In- und Ausland. Der Kunsthändler, den Voss am meisten einsetzte, war der mit der Kunstbeschaffung aus Paris beauftragte Hildebrand Gurlitt. Das Jüdische Museum in Frankfurt hat vor knapp einem Jahr in der tief beeindruckenden Ausstellung „1938 – Kunst, Künstler, Politik“ auch die dubiose Rolle von Hermann Voss als Museumsleiter in Wiesbaden und als Sonderbeauftragter thematisiert. Aber nicht nur Kunstwerke, die nach 1945 in das Museum Wiesbaden gekommen sind, stammen möglicherweise aus verfolgungsbedingtem Entzug und sind nach den Grundsätzen der Washingtoner Erklärung zu restituieren, wie das Gemälde „Die Labung“ von Hans von Marées. Die Kunsthistorikerin Miriam Merz war zufällig auf die Herkunft des Mareés-Werkes gestoßen. „Die Labung“ war im Katalog jener Auktionen abgebildet, die Silberberg um seine Kunstsammlung brachte. Ein Abgleich mit der Datenbank „Lost Art“ erhärtete den Verdacht. Für Museen bedeutet das, dass sie nicht nur Erwerbungen zwischen 1933 und 1945 überprüfen müssen. Nazi-Raubkunst kann auch zu anderen Zeiten in ihren Bestand gelangt sein. „Es ist noch nicht zu Ende“, sagt Museumskustos Peter Forster.
Peter Forster, Kustos der Sammlungen 14. bis 19. Jahrhundert, und die Kunsthistorikerin Miriam Merz bekommen im nächsten Jahr Unterstützung. Bei der Pressekonferenz erklärte Rhein: „Die Kampagne macht aber auch auf das von den Nationalsozialisten verübte Unrecht aufmerksam. Deshalb habe ich gerne die Schirmherrschaft übernommen, denn diesem Unrecht müssen wir uns stellen. Nur so können wir deutlich machen, dass wir nicht vergessen, was in der NS-Zeit passiert ist. Unser Ziel ist es, das geschehene Unrecht aktiv aufzuarbeiten, beispielsweise mit Hilfe der Provenienzforschung in unseren Landesmuseen.“ Denn das Problem gehe alle Museen an. Deshalb kündigte Rhein an, dass Hessen ab Januar 2015 eine hessische Zentralstelle mit zwei zusätzlichen Vollzeitstellen für Herkunftsforscher finanzieren werde. Diese Zentralstelle soll organisatorisch beim Museum Wiesbaden angesiedelt werden, aber auch die Sammlungsbestände in den anderen Landesmuseen in Kassel und Darmstadt unter die Lupe nehmen. Auf Wunsch sollen auch kleinere Museen unterstützt werden. Rhein sieht darin ein „Modell für die Zukunft“.
Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Wiesbaden