home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Künstlerduo Wiebke Grösch / Frank Metzger in der Galerie Heike Strelow

„Schilf ohne Wasser“ – der Titel der Ausstellung

Nichts geht ohne Wasser – eine „Binsenweisheit“: Wobei wir gleich wieder beim Wasser sind, bevorzugen Binsen doch – ebenso wie Schilfrohr oder Röhricht, von dem noch die Rede sein wird – feuchte bis nasse Standorte an Gewässern, Feuchtwiesen oder Mooren.

Die Arbeiten des Künstlerduos Wiebke Grösch / Frank Metzger, die jetzt in der Galerie Heike Strelow (nur noch bis 24. Oktober 2014) zu sehen sind, beziehungsweise deren Werkstoffe haben ebenfalls in bestimmter Weise mit Wasser oder zumindest flüssigen Zuständen zu tun: Beton ist zunächst flüssig, bevor er erhärtet; gleiches gilt für Gips; vom die Nähe des Wassers schätzenden Schilfrohr handelten wir bereits; ein Feigenbaum wird schwerlich ohne Wasser seine Blätter ausbilden; und auch Glas schliesslich ist zunächst flüssig.

Es geht – wie zumeist bei dem Künstlerduo Grösch/Metzger und im übrigen auch im Ausstellungsprogramm der Galerie – um konzeptuelle Kunst, in der Überlegungen und Ideen, Bedeutungszusammenhänge und Assoziationen dem künstlerischen Ausführungsprozess gleichgestellt wie auch übergeordnet sind. Wir greifen hier eine Auswahl aus den gezeigten Werken auf.

Zum Titel der Ausstellung wie ihrer Arbeiten in Beton nehmen Grösch/Metzger auf den utopischen, 500 Jahre in der Zukunft spielenden Roman „Die Abschaffung der Arten“ von Dietmar Dath Rekurs, in dem nach dem Verschwinden aller biologischen Arten und weitgehend der Menschen intelligente Wesen eine selbstbestimmte, gänzlich andere Existenz führen – wo also „Schilf“ auch ohne „Wasser“ gedeihen könnte – oder eben gerade nicht. Wir sehen Abgüsse in Beton von Schilfmatten, die gemeinhin vorwiegend der Abdeckung von Materialien oder als Sichtschutz bei Gärten oder Balkonen Verwendung finden. Die dünnen Betonplatten wurden nach Erhärtung gebrochen und können deshalb als Skulpturen frei im Raum stehen. Das angeblich Harte (Bert Brecht: „Du verstehst, das Harte unterliegt“) erweist sich als fragil, die bruchbedingten Ritzen ermöglichen einen Durchblick und konterkarieren die Abschirmfunktion der Matten.

Wiebke_Groesch_and_Frank_Metzger_at_Galerie_Heike_Strelow_09[1]-430

↑↓ Schilf ohne Wasser, 2014, Objekt 2/3, Beton, Gips, Metall, 110 × 110 × 3 cm

Wiebke_Groesch_and_Frank_Metzger_at_Galerie_Heike_Strelow_12-430

„Wieso“, fragte die Libelle Philomena ihre liebste Freundin, die Fledermaus Izquierda, „ist den Menschen eigentlich passiert, was ihnen passiert ist?“ Das war im Sommer, als (…) im Sumpf südlich von Landers wie aus dem Nichts Rohrgewächs emporschoss, obwohl es da vor lauter Hitze kaum noch feucht war. Schilf ohne Wasser: ein Rätsel. (…) Hätte das, was sie waren, weiterwachsen können, nachdem die Grundlagen dafür verloren waren, gleichsam als Rohr, das gedieh, wo es nicht feucht war, als Schilf ohne Wasser?“ (aus: „Die Abschaffung der Arten“, Dietmar Dath, 2008, Katalog zur Ausstellung).

Wiebke_Groesch_and_Frank_Metzger_at_Galerie_Heike_Strelow_03-650

Ausstellungsparcours in der Galerie

Wiebke_Groesch_and_Frank_Metzger_at_Galerie_Heike_Strelow_04-650

Eine wunderschöne Arbeit: der Kubus aus übereinander geschichteten Feigenblättern, gehalten allein durch deren Gewicht und die reibungsbedingte Haftung, ein in sich konsistentes wie zugleich höchst fragiles, bereits von einem Luftzug bedrohtes Objekt. Welchen Bestand wird es haben, wenn die Blätter altern, sich in ihrer Substanz verändern?

Und dann das „Feigenblatt“: altbekanntes Objekt zum Verbergen der Geschlechtsteile nackter Menschen bei Malerei und Skulptur, im übertragenen Sinne etwas, um wahre Gegebenheiten scheinheilig zu verdecken. Sinnig: ein Blatt bedeckt das andere.

Wiebke_Groesch_and_Frank_Metzger_at_Galerie_Heike_Strelow_24-650

Ohne Titel, 2014, Feigenblätter, 70 × 70 × 65 cm

Ein Glasstab, ein Produkt der in Mainz angesiedelten Firma Schott, aus dem Rohlinge zur Fertigung optischer Linsen geschnitten werden – werden sollten: denn der Stab, den das Künstlerduo erwarb, wurde nach Aufgabe der entsprechenden Produkte seiner ursprünglichen Bestimmung nicht mehr zugeführt. Er lehnt nun als künstlerisches Objekt an der Wand, eine Kunststoff- („Klarsicht“)hülle, bekannt zur Aufnahme von Papieren und Aktenstücken für den schnellen Zugriff, umhüllt seine Spitze. Das für den industriellen Prozess nicht mehr taugliche Werkstück wird gleichsam zur Archivalie.

Wiebke_Groesch_and_Frank_Metzger_at_Galerie_Heike_Strelow_17[1]-430

Ohne Titel, 2014, Glas und Kunststoff, 108 × 28 cm

Wiebke_Groesch_and_Frank_Metzger_at_Galerie_Heike_Strelow_21[1]-650

↑↓ Ohne Titel, 2014, Gips und Metall, 223 × 288 × 2 cm

Wiebke_Groesch_and_Frank_Metzger_at_Galerie_Heike_Strelow_22[1]-650

Eine Vergitterung, der Sicherheit dienend, nun in Gips abgegossen ein Zeichen für das Gegenteil, ein Fusstritt brächte es zum Kollabieren.

Glas – Sinnbild, fast Synonym für Zerbrechlichkeit (wir sprechen beispielsweise von „Glasknochenkrankheit“). Ein Glasscherben, verschieden gefärbte Gläser übereinander: sie ergeben ein tiefes, aus Reiseveranstalterprospekten bekanntes Ägäis-maritimes Blau bei allerbestem Urlaubswetter. Was für eine Karikatur!

Ohne Titel (Glas)

Ohne Titel, 2014, Glas, 60 × 93 cm

Wuchs und Absterben, Werden und Vergehen, Täuschung und Realität. „Das Bewusstsein für die Unbeständigkeit gegenwärtiger Ordnungen spiegelt sich vor allem in der Zerbrechlichkeit der installativen Arbeiten wieder … Der Bruch als übergreifendes Stilmittel verbindet eine aktivierende Kraft mit dem Moment der Reflexion. Er steht zum einen für den aktiven Neuanfang als Möglichkeit des politischen Handelns und verweist zugleich auf naturgegebene Prozesse“ (Michaela Filla-Raquin).

Wiebke Grösch/Frank Metzger: “ ‚Schilf ohne Wasser‘ beschreibt den Kreislauf von Wachstum, Zerstörung und Wiederaufbau, von Anpassung und Abgrenzung. Die Scherben, Bruchstücke und Abdrücke sind Spuren der sich vollziehenden Veränderung und Grundlage für etwas Neues. Denn Schilf wird unter Druck zu Kohle. Und Druck gibt es genug.“

L1220294B650

Künstlergespräch: Galeristin Heike Strelow mit Anna Götz, Kuratorische Assistentin im MMK (Gesprächsführung), Wiebke Grösch und Frank Metzger (Foto: FeuilletonFrankfurt)

Biografische Notizen: Wiebke Grösch und Frank Metzger leben und arbeiten als Künstlerduo in Frankfurt am Main; Studium: 1998 bis 1999 Research Studies, Institut für Gegenwartskunst, Akademie der Bildenden Künste, Wien; 1997 Diplom an der Hochschule für Gestaltung HfG Offenbach; seit 1998 zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland, zahlreiche Preise und Stipendien; Frank Metzger ist seit 2013 Wissenschaftlicher Koordinator am International Office des Fachbereichs Architektur der Technischen Universität Darmstadt; Wiebke Grösch war Künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Performative Kunst/Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste Wien; beide lehrten als Dozentin/Dozent für bildende Kunst an der HfG.

„Schilf ohne Wasser“, Galerie Heike Strelow, bis 24. Oktober 2014

Abgebildete Arbeiten/Fotos © Wiebke Grösch / Frank Metzger

 

Comments are closed.