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FeuilletonFrankfurt

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PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

5. Frankfurter Goethe-Festwoche: „Goethes Eros“ – über Leben und Liebe des Frankfurter Dichters

Marianne von Willemer und Goethe im Spiegel des „West-östlichen Divan“ im Frankfurter Goethe-Haus

Von Hans-Bernd Heier

Unter dem Titel „Goethes Eros – In tausend Formen magst du dich verstecken“ greift die diesjährige Goethe-Festwoche ein Thema auf, das Leben und Werk des Dichters entscheidend prägte.

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Gerhard von Kügelgen (1772-1820), Johann Wolfgang von Goethe, Öl auf Leinwand, 1810

Zur fünften Frankfurter Goethe-Festwoche vom 19. bis 28. September 2014 haben die Beteiligten ein äußerst abwechslungsreiches und farbiges Festival-Paket geschnürt. Freunde und Verehrer des größten deutschen Dichters erwarten eine große Ausstellung im Frankfurter Goethe-Haus, ein Sonderprogramm auf hr2-kultur sowie insgesamt 23 Veranstaltungen, mit denen die verschiedensten Facetten dieses unerschöpflichen, ewig reizvollen Themas beleuchtet werden.

Bei der Frankfurter Goethe-Festwoche handelt es sich um ein kooperatives Vorhaben, das heißt: Es gibt keinen künstlerischen Leiter, sondern die einzelnen Events werden von den beteiligten Frankfurter Kulturinstitutionen entwickelt und organisiert. Dieses Mal sind abwechslungsreiche Veranstaltungen des Deutsches Filminstituts/Deutschen Filmmuseums, der Fliegenden Volksbühne, des Freien Deutschen Hochstifts/Goethe-Museums, von hr2-kultur, des Kunstgewerbevereins, von Literaturhaus und Schauspiel sowie des Kulturamts Frankfurt am Main zu einem anspruchsvollen Fest-Reigen gebündelt.

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Pressekonferenz mit Professorin Anne Bohnenkamp-Renken, Leiterin des Freien Deutschen Hochstifts / Goethe-Museums, Frankfurts Kulturdezernent Professor Felix Semmelroth, der Intendant des Frankfurter Schauspiels Oliver Reese; Foto: Hans-Bernd Heier

Zwei Begegnungen jähren sich 2014 zum 200. Mal: Goethe liest die seinerzeit neu erschienene Übersetzung der Gedichte des persischen Dichters Hafis und er trifft in Frankfurt Marianne von Willemer. „Mit unterschiedlichen Veranstaltungsformaten begeben sich Frankfurter Kulturinstitutionen auf die Spuren der vielfältigen Verbindungen zwischen Leben und Liebe, Dichtung und Eros des großen deutschen Dichters. ‚Goethes Eros – In tausend Formen magst du dich verstecken‘ vereint Goethes Begeisterung für die persische Dichtung Hafis‘ und seine erste Begegnung mit Marianne von Willemer vor 200 Jahren – ein hervorragender Ausgangpunkt für die Beschäftigung mit dem ‚West-östlichen Divan‘ und dem Themenschwerpunkt“, sagte Frankfurts Kulturdezernent Professor Felix Semmelroth bei der Pressekonferenz.

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Marianne von Willemer als Tänzerin, Scherenschnitt, o. J., Stammbuch Marianne von Willemer, Blatt 54, Privatbesitz

Ein Highlight des hochkarätigen Fest-Reigens ist zweifelsohne die im Freien Deutschen Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum gezeigte Ausstellung „Marianne von Willemer und Goethe im Spiegel des West-östlichen Divan“. Das Freie Deutsche Hochstift nimmt das doppelte Jubiläum zum Anlass, eine Schau zu präsentieren, die dem Zusammenspiel von Leben, Liebe und Dichtung gewidmet ist. Die hervorragende Ausstellung geht der Frage nach, wie Goethes Begegnung mit der Poesie des persischen Dichters Hafis und mit der österreichischen Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin Marianne Jung, die im September 1814 den Frankfurter Bankier J. J. Willemer heiratete, den 65jährigen Poeten inspiriert und sein lyrisches Spätwerk beeinflusst haben. „Unter dem Motto von zwei Versen aus dem Buch ‚Suleika‘, die als Quintessenz des ‚West-östlichen Divan‘ gelten könnten – ‚Denn das Leben ist die Liebe / Und des Lebens Leben Geist‘ – geht es uns in dieser Ausstellung um die wechselseitige Steigerung von Poesie und Leben, die für dieses Werk charakteristisch ist“, schreibt Professorin Anne Bohnenkamp-Renken, Leiterin des Freien Deutschen Hochstifts/Goethe-Museums im Vorwort des profunden Ausstellungsbegleitbuchs.

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Johann Wolfgang von Goethe, West-östlicher Divan, Stuttgart, Cotta, 1819

Als Goethe (1749-1832) im Frühjahr 1814 von seinem Verleger Cotta die erste Gesamtübersetzung des mehr als vierhundert Jahre vor ihm lebenden persischen Lyrikers Hafis (Bewahrer des Korans) geschenkt bekam, sollte dies seinem Leben und Dichten ganz neue Wege weisen. Der Frankfurter bewunderte Hafis und brachte seine Bewunderung in den folgenden Zeilen zum Ausdruck:

„Hafis mit dir, mit dir allein/
Will ich wetteifern“

Vom islamischen Orient bereits seit Kindheit fasziniert und von Hafis‘ Dichtungen zu neuem Schaffen angeregt, trifft Goethe im Sommer desselben Jahres, als er erstmals nach 17 Jahren wieder an den Main reiste, bei seinem alten Bekannten Willemer die zu dem Zeitpunkt noch unverheiratete Marianne Jung. Jeder, der die junge selbstbewusste Frau sah, war laut Mitkurator Joachim Seng von ihr begeistert.

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Johann Jacob de Lose (1755-1813), Marianne Jung, spätere von Willemer, Pastell, 1809

Zwischen dem 65jährigen Dichter und der über dreißig Jahre jüngeren vielseitig begabten Marianne (1784-1860) entwickelte sich ein leidenschaftliches west-östliches Rollenspiel, ein orientalisierender Liebesdialog zwischen Goethe/Hatem – quasi der persische „Zwilling“ des deutschen Poeten – und Marianne/Suleika. Das ebenso geistvolle wie betörende Rollenspiel, an dem beide großes Gefallen fanden und für das Marianne eine Idealbesetzung war, wurde nach dem letzten Zusammensein im Sommer 1815 in Briefen fortgesetzt. Goethe wollte zwar später noch einmal nach Frankfurt kommen, aber auf der Fahrt hatte die Kutsche einen Unfall. Der Poet sah darin ein schlechtes Omen, und er kehrte nach Weimar zurück.

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Nach Anton Radl (1774-1852), „Die Gerbermühle, von Westen“, Tuschezeichnung, um 1815

Höhepunkt dieses in orientalischer Art angelegten Maskenspiels ist zweifellos der poetische Liebesdialog im Buch Suleika des West-östlichen Divan. Erst später sollte sich herausstellen, dass es sich dabei um einen wirklich echten Dialog handelt: Einige der schönsten Liebesgedichte stammen aus der Feder der hochtalentierten Marianne von Willemer. Goethe fügt diese bei seinem Versuch, Leben in Poesie zu verwandeln, in leicht überarbeiteter Form in den Zyklus ein – allerdings, ohne Marianne namentlich zu erwähnen und sie vorher zu befragen. Suleika begegnete dem Dichterfürst durchaus auf Augenhöhe.

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Johann Wolfgang von Goethe: „Mir will es finster bleiben“, 16. Dezember 1815; die für Marianne veränderte Fassung des schon Anfang Oktober unmittelbar nach seinem Abschied in Heidelberg entstandenen Gedichts „Wie sollt‘ ich heiter bleiben“

In fünf Abteilungen widmet sich die Ausstellung im Goethe-Museum den biographischen und literarischen Vorgeschichten sowie der Verwandlung des Erlebten in ein neues dichterisches Werk. Dabei werden zunächst die Lebenswege der beiden Protagonisten vor ihrem schicksalhaften Aufeinandertreffen im Jahre 1814 getrennt darstellt. Im Zentrum steht die Begegnung beider selbst. Reizvoll ergänzt wird die Schau mit Handschriften und Büchern, durch Porträts sowie gegenseitigen Geschenken Mariannes und Goethes.

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Johann Wolfgang von Goethe: „Vor die Augen meiner Lieben“, Weimar, Schmuckblatt, 3. März 1831; im März 1831 versiegelte Goethe Mariannes Briefe, „die auf die schönsten Tage meines Lebens hindeuten“. Später schickte er ihr das Päckchen und bat, es bis nach seinem Tod „uneröffnet“ zu lassen

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Schachtel mit Wiedehopf , zylindrische Pappschachtel mit Deckel, Geschenk Goethes an Marianne Weihnachten 1820

Die Ausstellung im Freien Deutschen Hochstift präsentiert nicht nur Exponate aus den eigenen Beständen, sondern zeigt zudem eine Reihe von Stücken aus Privatbesitz. So ist es den Nachfahren der Familie Willemer zu verdanken, dass eine Vielzahl von nie öffentlich gezeigten Dokumenten, persönlichen Gegenständen und Porträts aus Privatbesitz zu sehen ist. Auch die Klassik Stiftung Weimar und das Goethe-Museum in Düsseldorf haben das Projekt großzügig mit Leihgaben unterstützt.

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Marianne von Willemer, Photographie. Frankfurt am Main. 1858, Atelier von Steinberger & Bauer, Aufnahme retuschiert und übermalt; M. v. W. war für das neue, noch in den Kinderschuhen steckende Medium sehr aufgeschlossen; vier Fotos aus der Zeit 1854 bis 1859 sind bekannt

In der von Hendrik Birus, Anne Bohnenkamp, Christoph Perels, Andrea Polaschegg und Joachim Seng kuratierten Ausstellung sind über 200 Exponate zu sehen. Da viele Handschriften heute nur noch schwer zu entziffern sind, bietet das Goethe-Haus einen Audio-Guide, der die Texte verliest – Dauer: 2,5 Stunden; der Besucher der sehenswerten Schau sollte also Zeit mitbringen – es lohnt!

Gottes ist der Orient! / Gottes ist der Occident! /
Nord- und südliches Gelände / Ruht im Frieden seiner Hände“

Zu Recht merkt Anne Bohnenkamp-Renken an: „Der in diesen vom Koran inspirierten Versen Goethes zum Ausdruck gebrachte Gedanke ist heute so aktuell wie vor 200 Jahren: im Jahr 2014 birgt der West-östliche Divan nicht nur die faszinierende Geschichte einer Verwandlung von Dichtung in Leben und Leben in Dichtung, sondern liefert auch ein bemerkenswertes Beispiel für eine gelingende Begegnung der Kulturen. Goethes hier Gestalt gewordene produktive Rezeption der Kulturen und Dichtung des islamischen Orients kann uns ermutigen, nicht nachzulassen im Willen zu einem konstruktiven Dialog“.

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Angeregt durch den West-östlichen Divan hat der Künstler Josua Reichert zwischen 1971 und 1981 eine Serie von persischen Drucken, unter anderem zu Gedichten von Hafis, gefertigt, wie „Leidenschaftliche Liebe“ (nicht in der Ausstellung); Foto Gisela Heier

Weitere Informationen zum reichhaltigen Begleitprogramm sowie zum Interkulturellen Familienfest am 28. September 2014 unter: www.goethehaus-frankfurt.de und www.goethe-festwoche.de.

„Marianne von Willemer und Goethe im Spiegel des ‚West-östlichen Divan‘ im Freien Deutschen Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum, bis 23. November 2014

Bildnachweis/Fotografien (soweit nicht anders bezeichnet): © Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum

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