Caricatura zeigt Kurt Halbritters meisterliches Werk (1)
Spießern und Mitläufern schonungslos den Spiegel vorgehalten
Von Hans-Bernd Heier
Kurt Halbritter, einer der bedeutendsten deutschen Karikaturisten, wäre am 22. September 2014 90 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass ehrt ihn das caricatura museum frankfurt – Museum für Komische Kunst mit der umfangreichsten und vielseitigsten Werkschau. Präsentiert werden Zeichnungen und Aquarelle aus dem Bestand des Instituts für Stadtgeschichte, aus eigenen Beständen sowie von weiteren Leihgebern, darunter bisher noch nie gezeigte Werke.
Selbstporträt, 1977; Copyright © Kurt Halbritter / Quelle: Institut für Stadtgeschichte; wie der Künstler sich selbst sah …
… und so die Fotografin Inge Werth; Copyright © Inge Werth Haunetal-Wehrda / Quelle: Institut für Stadtgeschichte
Für Achim Frenz, den Leiter des caricatura, ist dies eine ganz besondere Ausstellung
, weil Kurt Halbritter in Frankfurt am Main geboren wurde und mit der Geschichte des Hauses eng verbunden ist. Zu Unrecht ist dieser herausragende Zeichner, Karikaturist, Cartoonist und Gesellschaftskritiker etwas in Vergessenheit geraten. Er starb 1978 mit gerade einmal 53 Jahren plötzlich auf einer Schiffsreise nach Irland an einem Herzinfarkt.
Aus: Heimat deine Zwerge; Copyright © Kurt Halbritter / Quelle: Institut für Stadtgeschichte
Die Minderjährige aus dem „Tagebuch einer Minderjährigen“; Copyright © Kurt Halbritter / Quelle: Institut für Stadtgeschichte
Mit der höchst sehenswerten Präsentation, die in Kooperation mit dem Institut für Stadtgeschichte entstanden ist, knüpft das Museum für Komische Kunst an eine Ausstellung im Karmeliterkloster im Jahre 1999 an. Das Institut für Stadtgeschichte hatte 1993 den gesamten schriftlichen Nachlass Halbritters gekauft und später noch die anderen Werke des Nachlasses von seiner Frau erhalten. Auf Initiative des Instituts stellte Robert Gernhardt, ein Weggefährte aus alten Pardon-Zeiten, eine Ausstellung mit Zeichnungen von Kurt Halbritter unter dem Titel „Mann unter Strom“ zusammen.
„Hallo Mütterchen – Verdammt – Diese Juden legen einen doch immer wieder rein“ aus Adolf Hitlers Mein Kampf; Copyright © Kurt Halbritter / Quelle: Institut für Stadtgeschichte; Montage: FeuilletonFrankfurt
Die derzeitige Ausstellung, die noch bis zum 16. November 2014 zu sehen ist, nimmt Bezug auf Gernhardts Vorarbeit. Die von ihm getroffene Auswahl wird als Einstieg gezeigt. Hier begegnet der Besucher dem gutmütigen Häftling Johannes, der frechen „Minderjährigen“, einer frivolen Göre, und den Zwergen aus „Heimat deine Zwerge“, mit denen Robert Gernhardt zufolge Halbritter zu einem unverkennbaren Original geworden ist.
„Jawoll, Herr Sturmbannführer, er ist gerade wieder dabei“ aus: Adolf Hitlers Mein Kampf; Copyright © Kurt Halbritter / Quelle: Institut für Stadtgeschichte
In der gezeichneten Kurzbiografie „Halbritters Ganzwelt“ aus dem Jahre 1970 skizziert der Karikaturist mit Biss seine wichtigsten Lebensstationen in Comic-Manier. Er zeigt, dass er sich auch selbst auf die Schippe nehmen konnte.
Propaganda und Organisation / Vignette aus: Adolf Hitlers Mein Kampf; Copyright © Kurt Halbritter / Quelle: Institut für Stadtgeschichte
Die Arbeiten aus „Adolf Hitlers Mein Kampf“ bilden einen Schwerpunkt der Ausstellung. Halbritter hat 1968 dieses sein erfolgreichstes Buch veröffentlicht, dem viele Neuauflagen folgen sollten. Darin spießt der Karikaturist und Gesellschaftskritiker, der die Hitler-Diktatur bewusst erlebt und durchlitten hat, den vorauseilenden und angepassten Gehorsam der biederen Bürger gekonnt mit spitzer Feder auf. Seine ironischen Illustrationen der strammen „Hundertfünfzigprozentigen“ und eifrigen Mitläufer des Naziregimes sind auch fast 50 Jahre nach Erscheinen der Erstauflage bedrückend zutreffend. Das wohl wichtigste Cartoon-Buch in Deutschland sollte „wenigstens den Kindern der aberhunderttausend Mitläufer eine Pflichtlektüre sein2, so „Die Zeit“. Bei den entlarvenden Zeichnungen, an denen Halbritter zwei Jahre gearbeitet hat, sitzt jeder Strich.
„Führung und Gefolgschaft“, Vignette aus: Adolf Hitlers mein Kampf; Copyright © Kurt Halbritter / Quelle: Institut für Stadtgeschichte
„Geh‘ schon nach Hause, Judith, Marion muss ihrer Mama helfen und kann nicht mit dir spielen“, aus: Adolf Hitlers mein Kampf; Copyright © Kurt Halbritter / Quelle: Institut für Stadtgeschichte
„Adolf Hitlers Mein Kampf“ mit dem Untertitel „Gezeichnete Erinnerungen an eine große Zeit“ sind ironische, bissige Illustrationen zum Alltag im Dritten Reich und zu des Volkes Mentalität, die laut „Spiegel“ „tatsächlich mehr sagen als manches Tausend Schriftstellerworte“. Gerhard Kromschröder, ehemaliger stellvertretender Chefredakteur von „Pardon“, schreibt im Vorwort der Neuauflage, die anlässlich der Ausstellung im Verlag VitoLibro erschienen ist: „Was in den eigenen vier Wänden, in der Hausgemeinschaft, im Stadtviertel praktiziert wurde, in dieser überschaubaren kleinen Welt, das kumulierte in düsterer Konsequenz im Furor industriellen Menschentötens, im Holocaust. Es ist das Verdienst des Chronisten Kurt Halbritter, uns diese vernachlässigte kleinbürgerliche Quelle deutscher Vernichtungslust erschlossen zu haben, die er uns in seinem bitteren Bilderbogen quälend nah vor Augen führt“. Halbritter übertreibt, verzerrt, karikiert nur wenig – seine Zeichnungen sind auf eine hinterhältig sanfte Weise treffend. Eine Auswahl der pointiertesten Original-Arbeiten mit haarscharfem Strich und einer gehörigen Portion Bosheit wird in der Schau gezeigt. Weitere Zeichnungen verschiedenster Technik, größtenteils aus „Pardon“, teilweise aber auch unveröffentlicht, runden die Schau im Erdgeschoss ab.
Gerhard Kromschröder, ehemaliger stellv. Chefredakteur von „Pardon“, in der Pressekonferenz; Foto: FeuilletonFrankfurt
„Kurt Halbritter“, caricatura museum frankfurt, bis 16. November 2014