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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

100 Jahre Goethe-Universität Frankfurt am Main (2)

Die einflussreichen Gelehrten

Von Renate Feyerbacher

Im Anschluß an die erste Folge „Die Gründungsväter der Universität Frankfurt und ihre Mitbegründer und Stifter“ folgt ein Blick auf einige einflussreiche Gelehrte an der Hochschule.

Die einflussreichen Gelehrten

Eine aussergewöhnliche Persönlichkeit war Franz Oppenheimer (1864-1943). Der assimilierte Jude, der auch anfangs mit Hitler sympathisierte, verliess 1938 Deutschland. Er, der sich in der deutschen Kultur verwurzelt fühlte, bekannte sich zeitlebens zu ihr, kehrte aber zu Lebzeiten nicht mehr zurück und wurde – testamentarisch verfügt – 2007 auf dem Sachsenhäuser Friedhof neben seiner zweiten Frau begraben.

Oppenheimer studierte zunächst Medizin, unter anderem bei Paul Ehrlich, der später in Frankfurt lehrte und dessen Dissertation betreute. Er hatte in seiner Praxis, die er nachher aufgab, die Not der Menschen kennengelernt. Er betätigte sich als Chefredakteur und Schriftsteller. Die Gedankenwelt des Sozialismus und der „Freiländer“-Bewegung erreichten ihn und wurden in seinem Leben bestimmend. Er gründete eigene landwirtschaftliche Siedlungsprojekte in Deutschland und in Palästina. Alle Gründungen scheiterten im Endeffekt. Kurz nach der Jahrhundertwende begegnete er Theodor Herzl, dem Begründer des politischen Zionismus, und beteiligte sich massgeblich an dieser Bewegung.

Danach folgten der philosophische Doktorgrad in Kiel, Promotion und Habilitation im Fachgebiet Volkswirtschaftslehre, Privatdozentur, dann Titularprofessur in Berlin, die ihn bis 1919 beschäftigten. Dann übernahm er die erste Professur für Soziologie an der Frankfurter Universität, die er zehn Jahre lang inne hatte.

Oppenheimer war kein Marxist. Er war überzeugt, mit seinem „liberalen Sozialismus“, der keine Wettbewerbsbeschränkung zuliess, einen Beitrag zur Lösung der sozialen Frage zu leisten. Mit seinen wirtschaftstheoretischen Ausführungen, seinem „Dritten Weg“, „der weder im Kapitalismus noch im Kommunismus enden sollte“, hatte er Erfolg. Dagegen waren die interdisziplinären Vorlesungen seiner „Frankfurter Schule“ bei den Studenten, zu denen der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard, der Vater der Sozialen Marktwirtschaft, gehörte, sehr beliebt. Oppenheimers Bild schmückte Erhards Bonner Arbeitszimmer.

Einer, der auch nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte, war der Quantenphysiker Otto Stern (1888-1969), der 1933 in die USA emigrierte und in Pittsburgh eine Forschungsprofessur erhielt. Nur einmal nach Kriegsende besuchte er aus privaten Gründen Ostberlin. Dennoch lebte er trotz der Emigration in der deutschen Kultur weiter, sprach Deutsch und schrieb in Deutsch. Zürich wurde für Monate im Jahr zur neuen Heimat.

Er ist einer der ganz Grossen seines Fachbereichs. Seine bahnbrechende Methode schuf die Voraussetzung, um den inneren Bauplan des Atoms zu entschlüsseln. Er war der erste, der einzelne Atome isolieren und daran Quanteneigenschaften messen konnte. Er wurde zum Wegbereiter der modernen Quantenphysik, dem es wie seinem Lehrer und Freund Albert Einstein allerdings schwerfiel, sie zu akzeptieren. Kernspintomographie, Maser und Laser, Atomuhr und anderes sind ohne Otto Sterns Forschungsergebnisse nicht denkbar.

Frankfurt war in den 1920er Jahren ein Zentrum der Physik von internationaler Bedeutung. Namhafte Wissenschaftler arbeiteten hier, unter ihnen Max von Laue, ab 1914 Professor für Theoretische Physik, der im gleichen Jahr den Nobelpreis erhielt. Es gelang ihm, Otto Stern als ersten Privatdozenten in der Physik nach Frankfurt zu holen. Nach kurzem Intermezzo liess dieser sich beurlauben, da er sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte. Laut Vorlesungsverzeichnis hielt er aber Vorlesungen. Öfters kam er auch nach Berlin, wo er Albert Einstein traf. Nach dem 1. Weltkrieg war er Privatdozent bei Max Born. Dieser, ebenfalls Nobelpreisträger, war schon bald dem Ruf nach Göttingen gefolgt, weil die Universität Frankfurt Otto Stern eine etatgesicherte Professur verweigerte. Born schrieb dem gemeinsamen Freund Einstein, der Dekan habe geäußert, „Stern hat einen entsetzlichen jüdischen Intellekt“. Einstein hatte dagegen eine „ausgezeichnete Meinung“ von ihm. Stern wechselte die Universität, wurde Professur in Rostock und folgte einem Ruf nach Hamburg. Hier forschte und lehrte er zehn Jahre, unterbrochen von einem Forschungssemester in Berkeley.

In seiner kurzen Frankfurter Zeit schrieb Otto Stern Physikgeschichte. Hier gelang ihm zusammen mit Walther Gerlach das Stern-Gerlach-Experiment – im Gebäude des Physikalischen Vereins in der Robert-Mayer Strasse. Dieses grundlegende Experiment, dessen Ergebnisse heute noch aktuell sind und diskutiert werden, hatte, wie noch zwei andere Experimente, Nobelpreisqualität. Den Nobelpreis erhielt er jedoch erst 1943, obwohl er mehrfach vorgeschlagen worden war. Mit dem Weggang Otto Sterns, dessen menschliche Qualitäten gewürdigt wurden, endeten Frankfurts physikalische Sternstunden.

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Plakat mit Otto Stern; Foto: Renate Feyerbacher

Besonderen Einfluss auf den noch jungen physikalischen und medizinischen Bereich der Universität Frankfurt hatte Friedrich Dessauer (1881-1963).

Bereits mit vierzehn Jahren baute er in seinem Zimmer einen Röntgenapparat nach und konnte damit die tödliche Krankheit seines Bruders diagnostizieren. Friedrich Dessauer experimentierte ein Leben lang ohne Rücksicht auf seine Gesundheit. Hauttumore und Hautkrebs erforderten um die hundert Operationen. Sein Studium der Physik und Elektrotechnik in München und Darmstadt musste er abbrechen, weil der frühe, plötzliche Tod des Vaters die Familie in finanzielle Schwierigkeiten brachte. Erst viel später konnte er es mit der Promotion an der neu gegründeten Frankfurter Universität abschliessen.

Noch minderjährig hatte er eine Firma für Röntgenapparate gegründet. Er kooperierte mit Frankfurter Ärzten. Die Familie zog nach Frankfurt. Aufreibend waren die beruflichen Jahre als Unternehmer. Er war einer der ersten Physiker, die sich für die Wirkung der Strahlen auf biologisches Gewebe interessierten.

Finanziell beteiligt war der Stifter Henry Oswalt am neu gegründeten Institut für Physikalische Grundlagen der Medizin, aus dem das heutige Max-Planck-Institut für Biophysik hervorging. Um das planmäßige Ordinariat gab es lange Zeit ein Gerangel zwischen dem Physiker und den Medizinern. Standesdünkel war ausschlaggebend.

Friedrich Dessauer war nicht nur Forscher und Lehrender, sondern auch Politiker. Der überzeugte Katholik wurde 1919 zum Stadtverordneten der Zentrumspartei und einige Jahre später in den Reichstag gewählt. Eng arbeitete er mit Reichskanzler Heinrich Brüning zusammen, mit dem er auch befreundet war. Als Fehler bezeichnete Dessauer nach dem Krieg die Zustimmung zu Hitlers Ermächtigungsgesetz.

Verhaftungen, Prozesse wegen angeblichen Landesverrats setzen Dessauer zu. Er wurde zwar freigesprochen, aber in Deutschland konnte er nicht bleiben, zumal 1934 ein SA-Mob das Haus der Familie in Sachsenhausen unbewohnbar gemacht hatte.

Die Familie mit den drei jüngeren Kindern fand Zuflucht in Istanbul, wo er ein Institut für Radiologie und Biophysik aufbaute. Ein schwieriges Unterfangen. Privat fühlte sich der Katholik Dessauer entwurzelt und litt unter religiöser Einsamkeit. Denn unter den 30 exilierten deutschen Professoren in Istanbul waren 28 jüdischer Herkunft. Die anderen ihn Umgebenden waren Muslime, die Jesus nur als Propheten anerkannten.

Als er noch während des Krieges ein Angebot von der katholischen Universität Fribourg in der Schweiz erhielt, zögerte er nicht und nahm die Professur an. Die Nazis bürgerten ihn schliesslich aus, die Frankfurter Universität entzog ihm den Doktorgrad, was sie nach dem Krieg rückgängig machte.

Nach 15 Jahren des Exils kehrte er für Gastvorlesungen wieder nach Deutschland zurück und nahm sogar 1953 für sieben Jahre seine Lehrtätigkeit an der Frankfurter Universität wieder auf. Er verstarb in Frankfurt.

Eine weitere Kapazität in einem anderen Fachbereich, den die Frankfurter Universität für Jahre verlor, war der Nationalökonom Fritz Neumark (1900-1991).

Obwohl er Soldat gewesen war, obwohl seine Frau evangelisch und „arisch“ und er selbst konfessionslos war, wurde er wegen des antijüdischen Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums als außerordentlicher Professor entlassen. Er emigrierte 1933 nach Istanbul, wo er an der Universität eine Professur innehatte. Kemal Atatürk, der erste türkische Präsident nach dem Weltkrieg, wollte ein modernes Land mit Universitäten nach westlichem Vorbild schaffen. Die verfolgten Wissenschaftler, Politiker und Künstler aus Nazi-Deutschland sollten diesen Aufschwung mit gestalten. Ausser Neumark waren auch andere namhafte Nationalökonomen aus Frankfurt nach Istanbul gekommen. Es gab die Verpflichtung, sehr schnell die türkische Sprache zu erlernen. Neumark hielt bereits nach zwei Jahren seine Vorlesungen auf Türkisch, und nach fünf Jahren publizierte er in dieser Sprache.

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Buch von Fritz Neumark in türkischer Sprache; aus der Ausstellung „Fremd bin ich den Menschen dort“ im Herbst 2012 in der Deutschen Nationalbibliothek; Foto: Renate Feyerbacher

Als Regierungsberater kam er zu hohem Ansehen. Die Mitarbeit an der Modernisierung der türkischen Einkommenssteuer gehörte zu seiner wichtigsten Aufgabe.

Die meisten Gelehrten, die in Istanbul oder Ankara Zuflucht gefunden hatten, kehrten nach dem Krieg nach Deutschland zurück. Neumark erhielt bereits 1949 einen „Rück“-Ruf an die Frankfurter Universität. Er hatte Bedenken und kam zunächst nur probeweise zu einer Gastprofessur, wurde aber sofort gebeten, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen zu werden. Es folgte eine Berufung nach der anderen in höhere Bundes-Gremien. Die Familie kehrte zurück. Neumark wurde Dekan und zweimal Rektor der Universität Frankfurt in den Jahren 1954/1955 und 1961/1962. Das spricht für sein hohes Ansehen und Vertrauen, das er gewonnen hatte. Bleibende Verdienste erwarb er sich mit seinen Formulierungen finanzpolitischer Prinzipien für Staatseingriffe, bei denen Interventionsgrundätze eine wichtige Rolle spielen. Am Handbuch der Finanzwissenschaften war er von der ersten bis zur letzten Ausgabe beteiligt. Bis ins hohe Alter wurde er mit Auszeichnungen und Ehrungen überhäuft.

Ein gespanntes Verhältnis, das Neumark „Entfremdung“ nannte, hatte er zu den Professoren Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die beide ab 1948 aus dem USA-Exil zurückkehrten und ab 1950 für immer an der Frankfurter Universität blieben.

Max Horkheimer (1895-1973), der junge Unternehmersohn, wollte kein Juniorchef werden, hatte aber auch keine Universitätskarriere vor Augen – genauso wenig wie sein Freund, der Soziologe und Ökonom Friedrich Pollock (1894-1970). Horkheimer widersetzte sich seinen Eltern und heiratete die Sekretärin Rosa Christine Riekher (Maidon). Dieser „Dreierbund“ mit Pollock bestand ein Leben lang: in Frankfurt, in New York, in Los Angeles, wieder zurück in Frankfurt und im Tessiner Montagnola.

Der Sozialphilosoph Horkheimer – „Der Philosoph lebt in der wirklichen Welt“ – und Friedrich Pollock wurden 1924 Mitbegründer des ein Jahr zuvor eingerichteten, weltberühmten Instituts für Sozialforschung, dessen Leiter Horkheimer später wurde. Der Lehrstuhl für Sozialphilosophie war damit verbunden. Mangels Publikationen hatte sich die Universität lange gesträubt, Horkheimer zu berufen. Meisterhaft sind seine Aphorismen à la Schopenhauer. Bei seinen Vorlesungen gelang ihm der Brückenschlag zwischen Philosophie und Wissenschaft, Theorie und Empirie. Sein Denken kreiste um Karl Marx, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Sigmund Freud – Basis für seine kritische Theorie. Aber er war kein bekennender Marxist. Ihm ging es darum, auf die unbefriedigenden Zustände auf der Welt aufmerksam zu machen. Interdisziplinär war das Studium aufgestellt. Dialektische Durchdringung kennzeichnete das Programm.

Mit der Gründung des Instituts verbunden war die „Frankfurter Schule“ einer Gruppe von Wissenschaftlern, die sich ideologiekritisch mit gesellschaftlichen Verhältnissen auseinandersetzten.

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Max Horkheimer (vorn links), Theodor W. Adorno (mitte) und Jürgen Habermas (rechts) im April 1964; Bildnachweis: Jeremy J. Shapiro/wikimedia commons GFDL

Der acht Jahre jüngere Theodor W. Adorno (eigentlich Theodor Ludwig Wiesengrund, 1903-1969) hatte sich 1931 in Frankfurt habilitiert und wurde mit Max Horkheimer zum Inbegriff der „Frankfurter Schule“. Adorno hob sich ab von den andern. Er war ein Künstler-Philosoph. Schon früh hatte er sich als Musikkritiker einen Namen gemacht und in Wien bei Alban Berg, einem Schönberg-Schüler, Komposition studiert. Adornos Kompositionen sind durchaus Konzertsaal-reif. In den 1940er Jahren gab er das Komponieren – enttäuscht über die mangelnde Anerkennung – auf. Wie Horkheimer emigrierte er in die USA und kehrte nach Kriegsende wieder in seine „Heimat“ Frankfurt zurück. „Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll“, schreibt er in seinen „Minima Moralia“. Ein Trauma, was sich nie ausblenden liess. Nie hat er sich politisch exponiert, und er fürchtete kollektive Aktionen. Für die linken „68er“ Studenten wurde er zum Idol, war aber im politischen Konflikt zerrissen und hilflos. Wohl niemand hatte von ihm eine Rädelsführerschaft erwartet, wohl aber die Unterstützung studentischer Forderungen, die er ja verstand und auch gut hiess. Im Streit gingen Professor und Studenten auseinander. Kurz danach starb Adorno im Urlaub.

Zwei einflussreiche Aussenseiter

Das Institut für Sozialforschung, „Café Marx“ oder „Marxburg“ genannt, wurde angefeindet auch von den Jüngern des Kreises um den Dichter Stefan George, der „Meister“ genannt wurde, sich als Prophet sah und bedingungslose Gefolgschaft forderte. Er zog die Menschen in seinen Bann.

Zu diesem Kreis zählte der Historiker Ernst Kantorowicz (1895-1963), er nannte sich Georges „Kammerdiener“, der 1930 in Frankfurt zunächst Honorarprofessor und zwei Jahre später Ordentlicher Professor für Mittelalterliche Geschichte wurde. Kantorowicz war bereits berühmt, als er an die Frankfurter Universität kam – dank seiner Biografie über Kaiser Friedrich II., den Staufer, den Enkel Barbarossas, die er zusammen mit George erarbeitet hatte. Das drei Jahre zuvor veröffentlichte Werk hatte einen Streit unter Historikern ausgelöst, auch aufgrund der Tatsache, dass es keine einzige Fussnote, keinen Beleg enthielt. Allerdings lieferte er einen zweiten Band fast nur mit Fussnoten und Belegen nach. Anerkennung für die bedeutsame Leistung war nun sicher. Die Stifteruniversität Frankfurt engagierte den Aussenseiter, als den Kantorowicz sich sah. Grossen Zuspruch fand das Werk der sogenannten Nationalliteratur des jüdischen, aus Posen stammenden Autors bei den nationalsozialistischen Machthabern. Als über hundert jüdische Kollegen entlassen wurden, bat er um Beurlaubung. Kantorowicz, selbst Jude, Frontsoldat 1914, mit nationaler Gesinnung, hätte theoretisch an der Universität bleiben können. Er zog den Antrag zur Beurlaubung zunächst wieder zurück, kämpfte um sein Recht, dann beantragte er sie wieder, weil er einen Ruf ans New College in Oxford erhalten hatte. 1934 beantragte er seine Emeritierung, 1935 folgte der Ruhestand und das Publikations-Verbot. Aber erst drei Jahre später floh er von Berlin aus zunächst nach England, dann in die USA, wo er in Berkeley lehrte. Dort fühlte er sich wohl, verweigerte aber 1949 den anti-kommunistischen Loyalitätseid (McCarthy-Ära) und wurde als Professor entlassen. Die Krönung seiner wissenschaftlichen Laufbahn erfuhr er dann an der Universität in Princeton.

Kantorowicz polarisierte als Wissenschaftler genauso wie als Privatmann, aber er war aufrecht. Von Stefan George, der sich bis zu seinem Tod nicht von den Nationalsozialisten distanziert hatte, emanzipierte er sich.

Zehn Jahre nach der Gründung übernahm die Universität das Münchner Institut für Kulturmorphologie – heute Frobenius-Institut – und die Stadt Frankfurt kaufte das Afrika-Archiv von Leo Frobenius (1873-1938), das in das Völkermuseum – heute Weltkulturen Museum – kam. Er selbst erhielt einen bezahlten Lehrauftrag für Völkerkunde.

Viele Intellektuelle zeigten sich verwundert über dieses Geschehen. Es gab fachwissenschaftlichen Protest. Mit den Adjektiven weltfremd, neuromantisch, naiv wurde Frobenius tituliert, gespottet wurde über sein Gestammel, über seine „Wortornamentik“ und über seine Fähigkeit zur „Ergriffenheit“. Einen Scharlatan und Pseudogelehrten, der vor allem Fantasieprodukte lieferte, nannten ihn einige. Seine faszinierende Erzählkunst, seine „Wiederverzauberung“ der Welt und sein theatralisches Talent begeisterten hingegen viele. Wie andere intellektuelle „Irrationalisten“, sie waren auch im George-Kreis zu finden, lag er im damaligen Trend. Er arbeitete mehr mit Mythologie statt mit Fakten. Andere verstanden seine Ideen als antikolonialistischen Impuls. Das angeblich kulturlose Afrika war für Frobenius die „Kulturkonservenbüchse des lieben Gottes“. Léopold Sédar Senghor, der erste senegalesische Präsident, war begeistert und lobte, der Ethnologe habe Afrika die Würde zurückgegeben.

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Leo Frobenius; Bildnachweis: wikimedia

Frobenius war ein perfekter Selbstdarsteller, das musste er wohl sein, denn bis zum 61. Lebensjahr war er ohne feste Anstellung. Und als er zum Honoraprofesssor und Leiter des Völkermuseums ernannt wurde, geschah das gegen den Willen der Naturwissenschaftler und einiger Geisteswissenschaftler.

Alles, was er tat, war spektakulär, medial vorbereitet. Der Autodidakt, Vielschreiber und Abenteurer war ein Meister im Beschaffen von Spenden. Die Freundschaft mit Ex-Kaiser Wilhelm II., verbunden mit finanziellen Zuwendungen (es existiert ein intensiver Briefwechsel) beendete ein Dankestelegramm an Hitler. „Undankbarer Protégé“, bemerkte der Ex-Kaiser. Gelder kamen auch vom Konsul, Kaufmann und Stadtverordneten Karl Kotzenberg. Denn Geld brauchte Frobenius für seine zwölf strapaziösen innerafrikanischen Forschungs-Expeditionen. Die Erforschung der Felsbilder wurde verstärkt. 8500 Felsbildkopien, Zeichnungen, Aquarelle und Abreibungen aus vier Kontinenten entstanden und wurden dem Publikum gezeigt – nicht allein in Frankfurt, sondern auch in mehreren europäischen Städten, im südafrikanischen Afrika und sogar im New Yorker Museum of Modern Art (zur Eröffnung der entsprechenden Ausstellung reiste er 1937 nach New York). Ein Höhepunkt der internationalen Anerkennung. Die Felsbilder von Frobenius wurden unlängst (bis 22. Juli 2014) im Goethe-Institut in Paris ausgestellt.

Biografienreihe „Gründer, Gönner und Gelehrte“

Zu ihrem 100. Geburtstag gibt die Goethe-Universität die Biografienreihe „Gründer, Gönner und Gelehrte“ heraus, erschienen im Frankfurter Societäts-Verlag. Renate Feyerbacher hat sie in der Jubiläumsausgabe des Wissenschaftsmagazins der Goethe-Universität „Forschung Frankfurt“ unter dem Titel „Lebensbilder, die die wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts spiegeln – Ein Blick in die zwölf Bände der Biografienreihe ‚Gründer, Gönner und Gelehrte‘ “ (S. 150 ff) besprochen. Weitere Bände sind geplant.

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↑ Eine schmucke Kassette; Foto: Tamara Marszalkowski/Goethe-Universität
↓ Die zwölf bisher erschienenen Ausgaben; Foto: Renate Feyerbacher

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Ein Fazit

Es waren vor allem die jüdischen Familien, die entscheidend zur Gründung der Universität beigetragen haben. Später wurde ein Drittel der Hochschulmitglieder, meistens jüdische, entlassen. An anderen Universitäten lag die Zahl der Entlassenen „nur“ um die 10 bis 15 Prozent. Dafür kam zum Beispiel der Mediziner Josef Mengele (1911-1979) an das Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene der Universität Frankfurt, wo er von 1937 bis 1943 als Assistent arbeitete. Anschließend wurde der Hauptsturmführer Lagerarzt in Auschwitz, wo er seine Versuche an Sinti- und Roma-Kindern, an Zwillingen, an Kleinwüchsigen und anderen durchführte. Noch bis zum Wintersemester 1943/1944 stand er im Personalverzeichnis der Goethe-Universität. Nach dem Krieg gab er sich neue Namen und entzog sich durch Flucht nach Südamerika der Verantwortung. Dieses nationalsozialistische Kapitel müsste in den nächsten Büchern aufgearbeitet werden.

In den bisherigen Biografien wurden nur die Männer gefeiert. 1920 liess Preußen die Habilitation von Frauen zu. Als erste Frau an der Universität Frankfurt habilitierte sich die Bakteriologin Emmy Klieneberger-Nobel (1892-1985), ihr wurde die Lehrbefugnis 1933 entzogen. Sie forschte daraufhin in England, wo sie zeitlebens blieb und rund 80 wissenschaftliche Publikationen veröffentlichte. Ruth Moufang (1905- 1977) war die erste Lehrstuhlinhaberin für Mathematik in Deutschland. Auch sie verliess die Frankfurter Universität. Frieda Fromm-Reichmann (1889-1957) gilt als Pionierin der psychoanalytisch-orientierten Behandlung von Psychosen. Sie war eine der ersten Frauen, die Medizin studierten. Zusammen mit anderen Analytikern gründete sie 1929 das Frankfurter Psychoanalytische Institut und lehrte Psychoanalyse erstmals an einer deutschen Universität. 1933 floh sie. Die Habilitation von Tilly Eidinger (1897-1967) wurde von den Nazis verhindert. Als erste Frau Deutschlands hatte sie im Fach Paläontologie die Erforschung der Gehirne ausgestobener Wirbeltiere studiert. Auch sie verliess Deutschland.

Die Liste von bedeutenden Frauen an der Universität Frankfurt ist beachtlich. Das Cornelia Goethe-Centrum und das Gleichstellungsbüro der Goethe Universität haben mit ihrer Veröffentlichung „Einzeln & Gemeinsam – 100 Jahre starke Frauen an der Goethe-Universität“ damit begonnen, an diese Frauen zu erinnern.

→  100 Jahre Goethe-Universität Frankfurt am Main (1)

 

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