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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Binding-Kulturpreis 2014 für den Frankfurter Verlag der Autoren

Theater- und Buchverlag, Medien- und Literaturagentur:
Der Verlag der Autoren gehört den Autoren des Verlags

Von Renate Feyerbacher

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Preisurkunde

Der 19. Binding-Kulturpreis wurde am 5. Juli 2014 in einer Feierstunde an den in Frankfurt am Main ansässigen Verlag der Autoren verliehen. Mit 50.000 Euro ist er einer der höchst dotierten Kulturpreise Deutschlands.

Kulturdezernent Professor Felix Semmelroth begrüsste die Gäste im Kaisersaal des Frankfurter Römer. Nach der Ansprache von Bergit Gräfin Douglas, der Vorstandsvorsitzenden der Binding-Kulturstiftung, folgten drei Laudatoren: Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, Klaudia Wick, Fernsehkritikerin, und Wolfgang Schopf

, Leiter des Literaturarchivs der Goethe-Universität Frankfurt, dem der Verlag sein Archiv überlässt. In allen Reden war das Credo zu hören: „Der Verlag der Autoren gehört den Autoren des Verlags.“ Noch immer kommen die Autoren regelmässig zur Gesellschafterversammlung des als GmbH organisierten, aber vom genossenschaftlichen Gedanken geprägten Unternehmens zusammen.

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Karlheinz Braun und Professor Felix Semmelroth

Im Grunde genommen ist der Verlag der Autoren eine Ausgründung aus dem Suhrkamp-Verlag: Bis 1969 leitete Karlheinz Braun (geb. 1932) den Theaterverlag bei Suhrkamp, dann gründete er nach seinem dortigen Ausscheiden noch im selben Jahr mit den drei im folgenden genannten Suhrkamp-Lektoren den Verlag der Autoren, dessen Geschäfte er anschliessend einige Jahre führte: diese waren Walter Boehlich (1921-2006), elf Jahre lang Cheflektor beim Suhrkamp-Verlag, Peter Urban (1941-2013), Schriftsteller und Übersetzer, Erschliesser der osteuropäischen Literatur, und der Schweizer Schriftsteller Urs Widmer (1938-2014) – vgl.: „Chronik der Lektoren. Von Suhrkamp zum Verlag der Autoren“, im Verlag der Autoren 2011.

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Ulrich Khuon

Als ein „Hüter der Werke und Autorenrechte“ bezeichnete Laudator Ulrich Khuon den Verlag. Und er lobte die gute Zusammenarbeit von Lektoren und Theatermachern. Schwerpunkt war anfangs das Theater – und ist es auch heute noch. Der Verlag entwickelte sich in der Folge zu einem wichtigen Vermittler von Drehbüchern und Hörspielen für das deutschen Radio, das Fernsehen und das Kino. Die Autoren werden bis zur Premiere bzw. Erstausstrahlung betreut. Mittlerweile werden auch Bücher verlegt, vor allem aus dem Bereich der Darstellenden Künste. Heiner Müller ist mit Gedichten und Gesprächen, Wim Wenders mit Bildern und Geschichten sowie Josef Bierbichler mit seinem autobiografischen Rundumschlag vertreten. Ausserdem ist der Verlag als Agentur für Regisseure im Fernseh- und Kinobereich tätig. Unter den 120 Autoren des Medienbereichs befinden sich unter anderem Wim Wenders und Edgar Reitz. Seit kurzem ist der Verlag auch als Literaturagentur aktiv, und in jedem Frühjahr gibt es eine internationale Anthologie „Spielplatz“ mit Theaterstücken für Kinder und Jugendliche. Schliesslich betreut er die Lizenzrechte von Choreograf William Forsythe.

Das vielfach als „Medienverlag“ apostrophierte Unternehmen vertritt mit seinen nur 12 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern insgesamt um die 300 Theater-, Film-, Prosa- und Fernsehautoren sowie Übersetzer.

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Collage von Werbekarten mit Sätzen aus Werken von Sophokles, Fassbinder, Mouawad, Kusz, von Zadow, Widmer und Deichsel

Grosse Namen stehen auf der Liste der Autoren: Dario Fo, Hans Magnus Enzensberger, Rainer Werner Fassbinder, Umberto Eco, Wilhelm Genazino, Wolfgang Deichsel, Angelika Klüssendorf, Botho Strauß, Urs Widmer, Friedrich Karl Waechter oder Dea Loher, die soeben zur Stadtschreiberin 2014/15 in Bergen-Enkheim ernannt wurde, um nur einige zu nennen. Unter den vielen weiteren namhaften Autoren befinden sich auch einige ältere aus der Weltliteratur.

Kleiner Rückblick

Wie kam es 1969 zur Gründung? Es waren die turbulenten Jahre der Studentenunruhen von 1967 bis 1970, die dabei eine Rolle spielten

1968 empörte sich eine große Zahl von Studenten gegen die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den senegalesischen Staatspräsidenten und Poeten Léopold Sédar Senghor (1906-2001). Senghor wurde eine zu grosse Versöhnungsbereitschaft gegenüber den ehemaligen Kolonialmächten und seine deutliche Orientierung sowohl kulturell als auch politisch an Europa kritisiert, die eine afrikanische Identität verhindere. Sie protestierten auch, weil er die Demonstrationen der Arbeiter und Studenten in seinem Land durch die Polizei hatte beenden lassen.

Der Buchmesse 1968, in der Presse auch „Polizeimesse“ betitelt, drohte der Abbruch.

Suhrkamp-Verlagschef Siegfried Unseld (1924-2002) vermittelte damals zwischen der Messe, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und den Studenten. Jedoch wurde ihm später vorgeworfen, er habe sich bei diesen Vermittlungsversuchen letztlich auf die Seite der Messeleitung und des Börsenvereins gestellt. Durch sein Bestreben, „Establishment und Avantgarde“ (Inge Feltrinelli) zugleich zu sein, sass der Verleger zwischen allen Stühlen. Die vier oben genannten Lektoren verfassten Ende September 1968 einen Brief, in dem sie Unseld scharf kritisierten (vgl. Claus Kröger: „Walter Boehlich vs. Siegfried Unseld“). Sie warfen ihm vor, „sein eigenes radikaldemokratisches Verlagsprogramm nicht ernst zu nehmen“ und beklagten seine „Kapitalistenallüren“ wie sein selbstherrliches, autoritäres Auftreten. Die vier legten ihm eine Lektoratsverfassung vor, die quasi die Entmachtung des Verlegers bedeutet hätte. Unseld lehnte jedoch das, was in seinem eigenen Verlagsprogramm – Umverteilung, Mitbestimmung – propagiert wurde, für seinen Verlag ab. Vielmehr mobilisierte er die Autoren, die hinter ihm standen, und behielt das Zepter in der Hand (Siegfried Unseld: „Chronik 1970“, erschienen 2010). Ein Jahr darauf erschien wiederum die schon erwähnte „Chronik der Lektoren“.

Nach dem Austritt der vier Lektoren aus dem Suhrkamp-Verlag drohte dem Verlag der Autoren am Anfang fast das Scheitern; heute verzeichnet der Verlag den wirtschaftlichen Erfolg, der seine Unabhängigkeit garantiert. Die Autorinnen und Autoren wählen die Geschäftsführung, sie sind durch ihre Delegierten über alle Entwicklungen im Verlag informiert und prägen auf diese Weise dessen unternehmerische Prinzipien. Ein erfolgreiches Unternehmen auf gesellschaftlicher Basis und in genossenschaftlichem Geist seit 45 Jahren! Den ersten Soziologie-Professor Deutschlands, der zehn Jahre an der Frankfurter Universität lehrte, Franz Oppenheimer, hätte es begeistert!

Zum Schluss der Veranstaltung gab es noch einen musikalischen Höhepunkt, den Gesellschafterin Annette Reschke, verantwortlich für Theater und Choreographie, anmoderierte und dabei noch einmal die enge Zusammenarbeit zwischen Verlag und Theater dokumentierte. Sie stellte Daniel Kahn, den in Berlin lebenden, aus Detroit stammenden Musiker vor. Er sang und spielte Lieder, die er für die Neuinszenierung „Angst Essen Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder am Maxim Gorki-Theater in Berlin (Regie: Hakan Mican) getextet und komponiert hatte. Zweifellos ein Höhepunkt der Preisverleihung.

Für den Verlag der Autoren nahmen am 5. Juli 2014 Schriftstellerin Ingeborg von Zadow und der Mitgeschäftsführer, Rechtsanwalt Oliver Schlecht, die Urkunde und den Scheck entgegen.

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Ingeborg von Zadow und Oliver Schlecht

Fotos: Renate Feyerbacher

Binding-Kulturpreis 2015 für Max Hollein
→ Verleihung des Binding Kulturpreises 2013 an die Jazz-Künstler Heinz Sauer und Michael Wollny

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