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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Hornist Peter Steidle – ein global aktiver Musiker

„Ich liebe die Musik über alles“

Von Renate Feyerbacher

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Peter Steidle am 26. Februar 2014 mit Triplehorn; Foto: Renate Feyerbacher

Zu seinem 75. Geburtstag, den Peter Steidle am 19. Februar 2014 feierte, hatten sich namhafte Musiker- und Künstlerfreunde, Studentinnen und Studenten im „gelben“ Haus am Dornbusch eingefunden. Wunderbar locker war die Stimmung, die das Ehepaar Helga und Peter Steidle, zwei sympathische, aufgeschlossene Menschen, den Gästen bereiteten. Über 50 Jahre sind die beiden schon verheiratet.

Das Gespräch, das wir später zusammen führten, war informativ und persönlich.

Mit 28 Jahren, das war Ende 1967, kam Peter Steidle als Hornist zum Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt

, das heute hr-Sinfonieorchester heisst, und blieb 36 Jahre. Er spielte unter den Chefdirigenten, dem Amerikaner Dean Dixon (1961-1974), dem Israeli Eliahu Inbal (1974-1990), dem Russen Dmitrij Kitajenko (1990-1996) und dem Amerikaner Hugh Wolff (1997-2006). Mit dem Orchester war er mehrmals in der Welt unterwegs, zum Beispiel achtmal in Japan.

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Plakat des Hessischen Rundfunks von 1995; Foto: Renate Feyerbacher

Bereits 1963 konnte Peter Steidle mit dem Detmolder Bläserkreis, gegründet von Klarinettist Jost Michaels, eine vom Goethe-Institut finanzierte Tournee antreten, an die er sich heute noch leidenschaftlich erinnert. Über Athen, Zypern, Türkei, Persien, Afghanistan, Indien, Myanmar ging es nach Thailand. „Wir probten und fluchten über die Hitze, weil wir im Frack spielen mussten. Ein junger Mann stand hinter uns und lachte, es war der König incognito, damals jung, charmant.“

Das Reisen hat er auch heute nicht aufgegeben. Heute ist es aber kein Reisen mehr, sondern ein Sich-Niederlassen für Monate, aber davon später nach dem Blick auf Kindheit und Jugend.

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Steidle in seiner „Hornhölle“ am 26. Februar 2014; Fotos: Renate Feyerbacher

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Die war wie die vieler Kinder im 2. Weltkrieg und in der Nachkriegszeit sehr belastet, bei Peter Steidle kam die Scheidung der Eltern hinzu.

Seine Mutter, eine geborene von Mengersen, besuchte Anfang der 1930er Jahre ihren Onkel, den deutschen Gesandten Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg in Bukarest, der 1944 als Widerstandskämpfer hingerichtet wurde. Die gelernte Gymnastiklehrerin hatte auch die Absicht, sich beruflich zu betätigen. Sie lernte den Ölmanager Carl Theodor Steidle kennen, und das „Traumpaar“ heiratete Ende 1933. Peter kam im Februar 1939 in Bukarest zur Welt. Es war das Jahr des Kriegsbeginns und Rumänien wurde zum Aufmarschgebiet der Deutschen. Zu dieser Zeit begann auch das Auseinanderleben der Eltern, und schliesslich folgte 1943 die Scheidung, die begünstigt wurde, weil die Großmutter mütterlicherseits Jüdin war. Mutter und Sohn gingen nach Berlin zu einer Tante, die mit dem Leiter der Staatsbibliothek verheiratet war. Dieser rettete „Entartete Kunst“, soweit er es konnte. Dann Evakuierung: „Die Mutter musste Panzersperren bauen, Dämme schaufeln. Es hiess, sie muss sich als Viertel-Jüdin bewähren. Ich durfte glücklicherweise in keinen Kindergarten, ich war immer mit dabei. Gegen Ende des Krieges, als es hiess, morgen werden die Panzersperren, die Mutter mit errichtete, geschlossen, sind wir auf einen Treck einer entfernten Bekannten aus dem Baltikum aufgesprungen und sind mit dickem Pferdewagen gen Westen gezogen. Leider gerieten wir in einen Munitionstransport und wurden von englischen Jagdflugzeugen beschossen. Nur mit dem nacktem Leben gelangten wir irgendwie nach Schleswig Holstein.“

Der Vater, der mit Admiral Wilhelm Canaris, dem Leiter des militärischen Geheimdienstes gearbeitet hatte, wurde von den Russen verschleppt, musste im Bergwerk arbeiten und wurde nach einem Unfall schwer verletzt nach Frankfurt am Main entlassen, wo seine Eltern lebten. Später wurde er Direktor der Frankfurter Messe und Präsident des internationalen Messeverbandes.

Mutter und Sohn fanden schliesslich in Hameln bei einer Tante der Mutter, einer Schwester ihres Vaters, ein zu Hause. Sie war eine aussergewöhnliche Frau, so erinnert sich Peter Steidle, die in Hawai gelebt hatte, zur Jagd ging, Zigarren rauchte und 99 Jahre alt wurde. Er habe viele Schulprobleme damals gehabt, deren Ursache auch in den Scheidungsauseinandersetzungen der Eltern lag. Als Kind sei er ein Außenseiter gewesen. Er habe die Mutter oft weinen sehen, die versuchte, Geld zu verdienen. Es gab keine schulische Kontinuität und ein Internatsaufenthalt war unvermeidlich. Aber hier fand er sein Refugium, vor allem als er auf dem Speicher ein altes, verbeultes Horn fand. Seine Liebe zu klassischer Musik, denn Schlager und leichte Musik waren ihm zuwider, vertiefte sich.

Musikbeispiel: Wolfgang Amadé Mozart,
Menuett aus dem Sextett KV 252;
Aufnahme der Frankfurter Bläser-Serenade, 1985

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung Peter Steidle / Frankfurter Bläser-Serenade
Alle Rechte bei Peter Steidle

 

So begann die Hornistenkarriere des Peter Steidle. Als er 16 war, hatte er bei einem Hannoveranischen Solohornisten Unterricht. Der Vater war entsetzt über den Berufswunsch des Sohnes. Dennoch nahm er in Frankfurt mit dem Solohornisten des Radio-Sinfonie-Orchesters (RSO), Gustav Neudecker, Kontakt auf und vereinbarte Hornunterricht in Frankfurt. So hätte der Vater ihn der Mutter entfremden können. Aber es kam anders: Neudeckers berühmter Lehrer Edmund Stegner von der Musikhochschule Frankfurt erhob Einspruch: der Junge könne auch in Detmold an der dortigen Musikakademie, wo Neudecker eine Professur hatte, unterrichtet werden. So geschah es. Auch der Oboist Helmut Winschermann, die Geiger Tibor Varga und Max Strub, weitere berühmte Professoren, besonders Jost Michaels, waren seine Lehrer.

Mit dem Vater hatte der Sohn, nachdem sein Kommen nach Frankfurt gescheitert war, Jahre lang keinen Kontakt mehr.

Ab Herbst 1956 war Peter Steidle Jungstudent, ab Sommersmester 1958 Vollstudent an der Nordwestdeutschen Musikakademie Detmold und studierte Waldhorn bei Gustav Neudecker, mit dem er später im RSO sass. Ein ausgezeichneter Hornist, aber ein schwieriger Mensch, so Peter Steidle. Die beiden verstanden sich nicht und Neudecker nörgelte wie ein Schulmeister an dem jungen Hornisten herum, auch noch als er Mitglied im RSO war – also bereits ein Meister. „Eines meiner ersten Konzerte war mit Georg Solti. Neudecker kritisierte mich am laufenden Band: zu laut, zu hoch, zu tief und ich war am Rande der Verzweiflung. Dann kam Solti in der Pause auf die Horngruppe zu und sagte zu Neudecker: „Lassen sie mal den jungen Mann, der macht das schon. Hab das später mal Solti gesagt: es hat mich geprägt.“ Dirigent Georg Solti (1912-1997), ab 1952 Generalmusikdirektor in Frankfurt, stand immer wieder am Pult des RSO. Der Internationale Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti, der alle zwei Jahre in Frankfurt stattfindet, erinnert an diesen grossen Dirigenten.

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Peter Steidle und der Preisträger des Solti-Wettbewerbs von 2010, der Spanier José Luis Gómez Río, am 31. Dezember 2012 nach der Generalprobe zum Neujahrskonzert des hr- Sinfonie-Orchesters im Funkhaus am Dornbusch. Heute ist Gómez Generalmusikdirektor des Orchestra Teatro Social di Como und weiterhin Assistent von Ehrendirigent Paavo Järvi; Foto: Renate Feyerbacher

Ich schliesse gern Kreise“, sagt Peter Steidle. Am 27. Januar.1956 – Mozart’s 200. Geburtstag – habe er im Schulorchester zum ersten Mal ein Hornkonzert von Mozart gespielt. Am 27. Januar 2006 habe er dieses Hornkonzert, wenn auch mit Klavierbegleitung, wieder gespielt. 50 Jahre lagen dazwischen. „Da habe ich für mich beschlossen: jenseits dieses Kreises spiele ich nicht mehr öffentlich. Ich war ja schon pensioniert.“

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Auf Mauritius; Foto © Peter Steidle

Pensioniert heisst nicht untätig. Bereits 14 Tage nach seiner Pensionierung, 2004, bricht der Musiker nach Mauritius auf. Der Senioren Experten Service (SES), der rüstige Rentner vor allem in technischen Berufen, weniger in kulturellen, zum Erfahrungsaustausch in die Welt schickt, hatte ihn ausgewählt. Diese kleine Insel, beziehungsweise es gehören noch andere kleine Inseln dazu, liegt östlich von Afrika im indischen Ozean. Die „kleinste Demokratie“, wie Peter Steidle sie nennt, mit der Hauptstadt Port Louis, ziemlich reich, hat ein kleines Konservatorium. „Die Leute, die da studieren, machen das aus Spass. Sie werden es nie als Beruf ausüben können. Und fürs Hornspielen muss Werbung gemacht werden.“ Versicherung und Flugticket zahlte der SES, die Unterbringung und Verpflegung der Gastgeber. Zweimal für ein halbes Jahr war Steidle auf Mauritius.

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Die Frankfurter Bläserserenade; Foto © Peter Steidle

Danach folgten neun Monate auf Madagaskar, die grosse Insel westlich von Mauritius. Amnesty International reklamierte damals immer wieder die Verletzung von Menschenrechten.

Peter Steidle erzählt, dass er hier eine gute Schülerin fand. Geld für Instrumente gab es nicht, die Madagassen machten klassische Musik durch Singen. Bundespräsident Horst Köhler besuchte 2006 die Insel. Aber wie sollten die Nationalhymnen erklingen? Peter Steidle probte mit dem Militärorchester für den Besuch des Bundespräsidenten die Hymnen. Die Noten hatte ihm die Bundeswehr zur Verfügung gestellt. Der Botschafter berichtete später, wie gut die Soldaten gespielt hätten.

Musikbeispiel: Joseph Haydn, Nr. 6 aus der „Schöpfung“ für Harmonie-Ensemble, Arrangement: Peter Steidle,
Ensemble „Frankfurter Bläser-Serenade“ 2006 in Antananarivo / Madagaskar

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung Peter Steidle / Frankfurter Bläser-Serenade
Alle Rechte bei Peter Steidle

 

In Madagaskar spielte Peter Steidle mit der „Frankfurter Bläserserenade“, die er 1981 gegründet hatte, Joseph Haydns „Schöpfung“. Die Texte sprach ein madagassischer Künstler. Das war ein grosses Ereignis, das auf einer CD festgehalten wurde.

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In China; Foto © Peter Steidle

Zusammengerechnet war der Hornist zwei Jahre in China – in Shenyang, einer Stadt mit fast fünf Millionen Einwohnern. Hier lehrte er an der Musikhochschule mit zehntausend Studenten, von denen die Hälfte klassische europäische Musik studieren.

Peter Steidle mit seinem grossen Können und Wissen war dort willkommen. Er betreute die Hornklasse und hielt Vorträge mit historischen Aufnahmen, besuchte die Musikhochschulen, die ein hohes Niveau haben. Auch heute noch wird der Musiker händeringend gebeten, wieder zu kommen. Er würde zwar nochmals in die Welt aufbrechen, aber woanders hin und nicht mehr für eine so lange Zeit.

Und was sagen die Familie, die Ehefrau, die Tochter Julia und der Sohn Gregor, der zunächst auch Horn studierte und immer wieder konzertierte, heute aber als Jurist arbeitet, und die Enkel? Tolerant sind sie, nur die Enkel verkraften es schwer und fragen immer wieder „Groß-Peter, wann kommst Du zurück?“

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Von links Tochter Julia, Professor Gerhard Müller-Hornbach (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt), Sohn Gregor Steidle, Professorin Susanne Müller-Hornbach (Hochschule für Musik und Tanz Köln), Professor Andreas Weiss (Staatliche Hochschule für Musik Karlsruhe), Peter Bromig, Solohornist im SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden, Freiburg am 19. Februar 2014; Foto: Renate Feyerbacher

Peter Steidle war ein vorzüglicher Musikpädagoge und er ist es noch immer. Die jungen Chinesinnen und Chinesen, die auch bei seiner Geburtstagsfeier waren, kommen alle aus Shenyang. Ein Student aus der Millionenstadt schaffte mit Bravour die Aufnahmeprüfung an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst.

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Musikstudenten der Hornklasse von Professor Esa Tapani von der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (Andrew, Julia, Flavia und Greta) am 19. Februar 2014; Foto: Renate Feyerbacher

Ehemalige Schülerinnen und Schüler Steidles sind heute Hornisten in namhaften Orchestern. Unterricht gab er immer, nahm aber nie Geld dafür. Er habe durch seine feste Stellung im Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt bereits Geld für den Lebensunterhalt verdient und wollte es nicht auch noch von Schülern nehmen. Dadurch hatte er natürlich auch die Freiheit, sich Schüler auszuwählen oder sich von ihnen freundschaftlich zu trennen, wenn die Unterrichtsharmonie nicht stimmte.

Musikbeispiel: Joseph Haydn, Adagio aus einer Feldpartita C-dur;
Aufnahme der Frankfurter Bläser-Serenade, 1985

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung Peter Steidle / Frankfurter Bläser-Serenade
Alle Rechte bei Peter Steidle

 

Das Horn ist ein sehr schwierig zu spielendes Instrument. Die Töne müssen mit den Lippen und mit Atemdruck erzeugt werden. Früher gab es nur die Naturhörner, dann wurden im 19. Jahrhundert die Ventile erfunden, die ähnlich wie ein „Zapfhahn“ funktionieren und jeweils das Rohr des Hornes verlängern und somit den Ton vertiefen. Diese Erfindung hat das Spiel zwar revolutioniert, aber die Gefahr, dass der Ton nicht getroffen wird, besteht nach wie vor. Aus einem Ventilhorn wurde ein Doppelhorn, dann ein Triplehorn, das ziemlich schwer an Gewicht ist.

Peter Steidle beschäftigt sich schon lange mit dem Instrumentenbau. Nun hat er mit einem kleinen Unternehmer, Christopher Cornford, eine andere Bauart, ein anderes System entwickelt und ein Triplehorn designed, das leichter ist und dennoch alle Anforderungen erfüllt. Es sind quasi drei Hörner in einem vereingt: Es wird beim Spiel von dem kürzesten Horn mittels Verlängerungen auf das mittlere und mit weiteren Verlängerungen auf das größte Horn zugeschaltet.

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Foto: Renate Feyerbacher

An seine Zeit im RSO erinnert sich Peter Steidle mit gemischten Gefühlen: Glücksgefühl empfand er dann, wenn das Orchester beim Konzert zu einem Klangkörper zusammenfand. Musik sei eine Sprache der Emotion. Wettbewerbe zähle er nicht zu den guten Erscheinungen. Sein Grundprinzip ist: „Wir spielen miteinander für Euch. Das halte ich für einen sehr hohen sozialen Level.“

Gestört hat ihn die hierarische Struktur, vor allem dann, wenn der Dirigent autoritär operierte. Die Nervosität hat ihn immer gequält, aber sie sei beherrschbar. „Wir haben immer Angst, dass wir daneben treffen. Wir haben nur einen Schuss, wie es Peter Handke in „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ beschreibt.“ Zum Abschluss gibt es einen Witz zu den Kritikern, die alles leicht beurteilen: „Wir Musiker nennen die Kritiker immer Eunuchen: Sie wissen wie es geht, aber sie können nicht.“

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