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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Don Giovanni“ von Wolfgang Amadeus Mozart an der Oper Frankfurt

Höllenalarm vor der Höllenfahrt

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher

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Christian Gerhaher (Don Giovanni) und Robert Lloyd (Komtur); Foto © Monika Rittershaus

Das konnte doch kein Inszenierungseinfall sein, was bei der Premiere des „Don Giovanni“ in der Oper Frankfurt mitten in der wunderbaren Arie der Donna Anna geschah: Ein Höllenlärm mit Sirene und der Ansage, dass das Opernhaus sofort zu verlassen sei, der Minuten lang alle nervte, wäre doch unmöglich in dieser kammermusikalisch-psychologisch fein ziselierten Arbeit des Regisseurs Christof Loy.

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Robert Lloyd (Komtur), Christian Gerhaher (Don Giovanni) und Juanita Lascarro (Donna Elvira); Foto © Monika Rittershaus

Erstauntes, hilfloses Fragen und Umhersehen, aber grosse Ruhe. Banges Warten dann vor den Portalen des Opernhauses. War da ein Geruch von Feuer? Erinnerungsgedanken an den 12. November 1987, als das Bühnenhaus der Oper brannte. Dann steht Dramaturg Norbert Abels vor den sich wieder öffnenden Portalen: „Ein Fehlalarm“ – und wieder im Saal beruhigt Intendant Bernd Loebe, dass Polizei und Feuerwehr alles besichtigt hätten und alles in Ordnung sei.

Ein aussergewöhnlicher Premierenabend setzt erneut zum Finale an: Donna Anna, gesungen von Brenda Rae, Don Ottavio, gesungen von Martin Mitterutzner, und das Orchester – professionell, als sei nichts gewesen.

Aussergewöhnlich dieser „Don Giovanni“, weil es das Dramma giocoso (heiter) – so bezeichnete Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) seine Oper – in dieser Interpretation so noch nicht gegeben hat. Es ist nicht heiter. Der Protagonist ist nicht dieser verwegene, wüste Casanova, sondern ein unsympathischer, zwar manchmal unglaublich wütender, dann wieder nachdenklicher, getriebener Mensch, egozentrisch, anarchisch menschenverachtend, dem der Tod im Nacken sitzt. „Ist Don Giovanni, wie ihn Mozart verdeutlicht, ein Wolf oder ein menschliches Gesicht unter lauter Larven?“ fragt der Philosoph Ernst Bloch (Zitat Programmheft).

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Brenda Rae (Donna Anna) und Christian Gerhaher (Don Giovanni); Foto © Monika Rittershaus

Die Oper beginnt mit dem Mord am Komtur, der seiner Tochter Donna Anna zu Hilfe eilt, weil ein in ihr Zimmer eingedrungener Unbekannter alias Don Giovanni sie vergewaltigen will. Dieser tötet den Vater und blickt dem Sterbenden ins Auge. Dieser Blick wird ihn verfolgen. Wie eine Blutspur liegt der rote Vorhang, in dem der Ermordete versinkt. Genauso endet der Mörder Don Giovanni in einem furiosen Fechtgemetzel. Er fleht nicht um Gnade, die Hölle verschlingt ihn. Der Komtur steht leibhaftig vor Don Giovanni, nicht wie sonst üblich auf dem Sockel, und tötet ihn. Die Anfangsszene wiederholt sich – nun sind die Rollen getauscht. Der Tod ist immer gegenwärtig. Die Musiker, die in Giovannis Haus aufspielen, haben Totenköpfe – eine faszinierende Schlüsselszene.

Drei Frauen umkreisen die Hauptfigur: die durch den Vergewaltigungsversuch und den Mord traumatisierte Donna Anna, liiert mit Don Ottavio, die Sexualität nun nur noch als körperliche Gewalt wahrnimmt. Ottavios selbstloses Verhalten hilft ihr, diese Angst zu überwinden.

Donna Elvira ist Don Giovannis Ehefrau, die er nach drei Tagen verliess. Ein zunächst tobendes, naives Geschöpf, mit Degen bewaffnet, das sich rächen, ihn töten will und am Ende eine veränderte Frau ist, die eine verantwortungsvolle Liebe empfindet und sich für Don Giovanni einsetzt.

Die Dritte ist das Bauernmädchen Zerlina, die am Tag, als sie Don Giovanni begegnet, ihren Masetto heiraten will. Alle Tricks setzt der Verführer ein und ist erfolgreich. Er könne nicht dulden, „dass dieses liebe, goldige Gesichtchen, dieses zuckersüsse Mündchen die Beute eines plumpen Bauern würde … du bist nicht geschaffen als Bäuerin zu leben … Hier auf der Stelle nehm ich dich gleich zur Frau“ (1. Aufzug). Und Zerlina glaubt dem zuckersüssen Geschleime, erhofft sich ein besseres Leben als mit dem Bauern. „Kaum kann ich widerstreben“. Sie ist bereit, mit Don Giovanni aufs Schloss zu gehen. Mit ihm zusammen singt sie „So dein zu sein auf ewig, wie glücklich und wie selig, wie selig werd ich sein“.

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Christian Gerhaher (Don Giovanni) und Grazia Doronzio (Zerlina); Foto © Monika Rittershaus

Sind so die Frauen? Zerlina ist wankelmütig, spielt mit Masettos Liebe. Das gefährliche Spiel endet erst, als sich Donna Elvira einmischt, den Verführer entlarvt und Zerlina rät „Flieh, Betrogene, flieh“. Dass die Beziehung zu Masetto massiv gestört ist, wen wunderts?

Aber die beiden finden wieder zusammen und werden vom Regisseur sehr aufgewertet, vor allem Zerlina. Sie ist nicht nur eine Episodenfigur (Theodor W. Adorno), sondern eine schlau agierende, aber auch resolut Handelnde. Sie wird zu einer Hauptfigur.

Ein runtergekommener, heller, grosser Saal, durch dessen Fenster immer mal wieder Licht hereinfällt, ist Schauplatz des 1. Aktes. Im 2. Akt – Don Giovanni ist auf der Flucht, die andern suchen ihn – verkleinert eine Holzwand mit Fenstern und Türen, die immer wieder bewegt werden, die Bühne. Johannes Leiacker hat das gelungene Bühnenbild kreiiert, das durch Olaf Winters Licht-Design Variationen erfährt. Die Kostüme, die Ursula Renzenbrink entwarf, sind eine Augenweide.

Auch ein ganz anderer Leporello präsentiert sich. Don Giovannis Diener, sonst meist nur ein Rotzlöffel, ein seinem Herrn sehr ähnlicher, zynischer Geselle, zeigt Gefühle, hat Mitleid mit den Frauen, unerhörte Angst. Christof Loy ist ein Menschenkenner, das ist in jeder Figur zu spüren. Wunderbare Sängerinnen und Sänger standen ihm zur Verfügung.

Allen voran Christian Gerhaher, der sein Rollendebüt als Don Giovanni gibt. Der Träger des FAUST Theaterpreises 2013 singt die Rolle manchmal fast kammermusikalisch – Gerhaher ist ein bedeutender Liedsänger – , dann bricht die Wut aus ihm heraus – so, dass man zusammenzuckt. Er spielt schleimig, herrisch, wütend, depressiv, manchmal schleicht er über die Bühne. Der heftige Streit mit Leporello findet vor der ersten Zuschauerreihe statt. Ein schöner Regiestreich wie auch der gelegentliche Abgang des Bühnenpersonals durch die Tür des Saals.

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Simon Bailey am 11. Mai 2014; Foto: Renate Feyerbacher

Simon Bailey als Leporello kann diesem Menschen-Monster Paroli bieten. Seit zwölf Jahren gehört der gebürtige Brite zum Ensemble, und es war reizvoll, die eindrucksvolle Entwicklung seiner ansprechenden Bassbariton-Stimme mitzuerleben. Sein Spiel war schon immer professionell. Ein wirklich tolles Paar: Bailey und Gerhaher, das frenetischen Beifall auslöste.

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Juanita Lascarro (Donna Elvira), Björn Bürger (Masetto), Grazia Doronzio (Zerlina) und Brenda Rae (Donna Anna); Foto © Monika Rittershaus

Die drei Frauen – die zwei Donnen und das Bauernmädchen: stimmlich welche Wucht! Brenda Rae, deren Koloraturen weltweit berühmt und gefragt sind, hat einen feinen kammermusikalischen Ton, klar erreicht sie die Höhen. Es ist ihr Rollendebüt. Mit stürmischem Beifall bedankt sich das Publikum ebenso bei Juanita Lascarro als Donna Elvira. Auch ihre stimmliche Entwicklung in den zwölf Jahren, die sie im Ensemble ist, beeindruckt. Ihr Spiel hat sie grossartig gesteigert. Die Oper Frankfurt hat ein fantastisches Ensemble!

Und was für eine Zerlina – Grazia Doronzio gibt ihr Rollendebüt. Diese international agierende, sympathische Künstlerin, die vor zwei Jahren erstmals an der Oper Frankfurt sang, ist die ideale Besetzung für diese Rolle. Herrlich ihre zarte, kecke Stimme und ihr quicklebendiges Spiel.

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Grazia Doronzio am 11. März 2012; Foto: Renate Feyerbacher

Auch aus dem Ensemble kommen Tenor Martin Mitterrutzner als Don Ottavio und Bariton Björn Bürger als Masetto. Zwei junge, grandiose Sänger, die ihre internationale Karriere begonnen haben.

Eindrucksvoll die Stimme des britischen Gastes Robert Lloyd, Commander of the British Empire, der dem Komtur ein Gesicht gibt. Eine umfangreiche Diskografie des Sängers, der mit bedeutenden Dirigenten arbeitet, ist Beleg für sein künstlerisches Schaffen.

Der Chor, einstudiert von Markus Ehmann, diesmal in kleiner Besetzung, spielt keine wesentliche Rolle. Das Orchester, geleitet von GMD Sebastian Weigle – es war sein erstes Don Giovanni-Dirigat – war gut, aber nicht immer so bravourös wie sonst.

Ein „Don Giovanni“, den man keinesfalls versäumen sollte.

Weitere Vorstellungen am 15., 17., 23., 25. und 29. Mai sowie am 1., 6., 8., 21. und 27. Juni 2014.

 

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