Baldur Greiner in der Frankfurter Galerie „Das Bilderhaus“
„Körpersprache“
Von Brigitta Amalia Gonser
Kunstwissenschaftlerin
Der 1946 geborene Darmstädter Künstler Baldur Greiner betrachtet Kunst als Engagement, gleich, ob es sich im philosophischen, im religiösen oder im politischen Bereich abspielt. Der Bildhauer ist ein Virtuose in der Bearbeitung von Holz.
Nach einer Lehre als Holzbildhauer in Erbach im Odenwald absolvierte er die Werkkunstschule in Darmstadt bei Fritz Schwarzbeck und schloss daran ein Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg an, bei Gustav Seitz. In diese Zeit fällt auch seine Heirat mit der Collagekünstlerin der Body-Art Annegret Soltau. Danach erhielt er ein DAAD-Stipendium für Mailand, wo er mit Floriano Bodini arbeitete. 1974 bezog er dann sein Atelier in Darmstadt.
Baldur Greiner mit seiner Skulptur „Distanz“, 1992, Weymouthkiefer, 60 x 23 x 36 cm
Das bildhauerische Werk Baldur Greiners lässt sich thematisch und stilistisch gruppieren. Er zeigte es während der Jahre in mehreren Einzelausstellungen in Galerien und Kunsthallen in Darmstadt, Frankfurt am Main, Gießen, Hamburg, Jugenheim/Bergstraße, St.Wendel im Saarland, Groß-Umstadt und im Odenwaldmuseum Michelstadt. Außerdem beteiligte er sich an Ausstellungen der Darmstädter Sezession sowie der Kunstvereine Frankfurt am Main und Darmstadt.
Für die Ausstellung „Körpersprache“ in der Frankfurter Galerie Das Bilderhaus wurden Skulpturen und Holzschnitte aus drei Schaffensphasen des Künstlers ausgewählt.
Portrait Annegret Soltau, 1975, Gips bemalt, 55 x 40 x 30 cm
Zu Beginn zwei komplementäre Arbeiten der frühen hyperrealistischen Phase: mit der intensiv farbig bemalten, aus Gips modellierten, extrovertierten Portraitbüste von Annegret Soltau und dem aus Lindenholz geschnitzten, introvertierten Selbstportrait Baldur Greiners: eine Maske, bekrönt mit den Attributen zweier Drechsler-Stecheisen.
Selbstportrait, Maske, 1978, Lindenholz, 47 x 30 x 11 cm
Dazu zeigt die Galerie das Plakat und die Holzschnitte : „Angst“, „Eingeschlossen“, „Groß, klein“ und „Schwanger“ aus der Tschernobyl-Mappe gegen Atomenergie „Aus Angst wächst Widerstand“ von 1986, die mit dem Super-Gau von Fukushima, von 2011, und der jetzigen Endlager-Suche für atomaren Müll wieder hochaktuell wird.
Shakira, 2006/2007, Lindenholz, 96 x 34 x 30 cm
Abgeschlossen wird die Ausstellung mit Greiners neuer Phase der Introspektive, der letzten zehn Jahre, und ihren archetypalen organischen Urformen von zunehmender formaler Abstraktion. Geheimnisvoll bewegte große Muschel-Schnecken- und Pflanzenformen, deren Materialität und Holzoberfläche wichtig wird. So bei den beiden auch taktil sehr reizvollen Skulpturen „Shakira“, der aufrecht aus Lindenholz gedrehten hellen Meeresschnecke, oder bei der dunkeln „Seele“ aus Ebenholz. Und bei den bijouartigen Kleinplastiken, die sicher ihre Liebhaber finden werden.
Dazwischen entfaltet sich das eigentliche Kernstück der Schau im Bilderhaus: die samt Sockel zuerst mit der Kettensäge konturierten und dann mit immer feineren Schnitzeisen aus leichten Weymouthkieferblöcken herausgearbeiteten elf fragilen Holzskulpturen der parabelartigen, expressiven „Körpersprachen“ von 1992/1993, die Fragen über die Moral und ethische Grundsätze aufwerfen und Greiners beständiges Interesse am Menschenbild demonstrieren.
Selbstsucht, 1993, Weymouthkiefer, 127 x 25 x 24 cm
Sie sind größtenteils naturfarben belassen, so dass man auf deren Oberfläche die „ebossage“, die beim Schnitzen entstandenen Werkzeugspuren verfolgen kann, und die nackten Körper sind nur sparsam und gezielt mit Acrylfarbakzenten lasierend bemalt, außer den drei bekleideten Skulpturen „Selbstsucht“, „Täter“ und „Alter“, die Greiner farbig ganz gefasst hat.
Die Formbildung, aber auch die Präferenz des Nackten belegen noch deutlich den Eindruck „primitiver“ außereuropäischer Kunst, wie sie im Expressionismus vor allem die Holzbildhauer Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff auf der Suche nach dem Ursprünglichen bevorzugten.
Wie die Künstler des Expressionismus sucht Greiner in seinen „Körpersprachen“ nach dem großen Ausdruck und der innerer Wahrheit. Dabei stellt er unmittelbare Emotionen dar: große Gesten, Pathos und Mitgefühl.
Körpersprachliches Ausdrucksverhalten ist ein soziales Signal zur Selbstdarstellung; es vermittelt Identität und impliziert nonverbale Kommunikation.
Die Wahrnehmung des körpersprachlichen Ausdrucksverhaltens von Mimik, Gestik, Körperhaltungen und raumgreifenden Körperbewegungen verläuft über visuelle Kanäle.
Man unterscheidet zwischen offenen und geschlossenen Körperbewegungen.
Die offene Körpersprache signalisiert Wohlbefinden und harmonischen Rhythmus, die Bewegungen sind frei, entspannt, locker fließend.
Während die geschlossenen Körperbewegungen Verhärtung, Steifheit, Unbeweglichkeit, Erstarrung implizieren. Die Arme schützen die Körpermitte, der Kopf wird eingezogen, die Handflächen wenden sich zum Körper, der Körper wird zur Erde gezogen.
Greiner setzt diese Merkmale in der Formgebung seiner Skulpturen gezielt und mit großem Raffinement ein.
Wobei sich der prozessuale Charakter des künstlerischen Ausdrucksgeschehens in der Nachfolge dieses Geschehens zeigt, das den Betrachter zum innerlichen Nacherleben einlädt. Erforderlich ist also ein Einfühlen des Betrachters in die mittels Mimik, Gestik und Körperhaltungen dargestellten Emotionen. Die Skulptur kann aber neben visuellen auch zu taktilen Erfahrungen einladen.
Täter, 1992, Weymouthkiefer, 91 x 38 x 24 cm
Greiner setzt also in seinen expressiven Skulpturen materialisierte Körpersprache dazu ein, um dem Betrachter emotionale Botschaften zu übermitteln.
Den nahezu sakral wirkenden Skulpturenraum in der Galerie Das Bilderhaus dominiert kein Mann der Tat, sondern ein „Täter“ im schwarzen Businessanzug mit roter Krawatte und weit abgespreizten befleckten Händen: er hat sein Gesicht verloren, seine Identität wurde ausgelöscht.
Ihm zur Seite steht als Vorbote die „Selbstsucht“, der seinen Kopf in den Himmel reißt und damit sein Ich überhöht und schon befleckt.
Zu beiden gilt es vehement „Distanz“ zu wahren. Abwehrend streckt die Skulptur die Arme und die beiden Handflächen gegen die beiden aus, um ihnen Einhalt zu gebieten.
Schuldig – nicht schuldig scheint die danebenstehende „Erwägung“ zu überlegen. Während die gegüberstehende „Verleugnung“ kopflos, ihr Haupt am Schopfe hinterm Rücken versteckt und sich die „Scham“, schräg gegenüber, enthauptet, mit vor dem Gemächt gefalteten Händen auf ihren Kopf stellt und im Boden versinkt oder die „Schwäche“ schlaff Arme und Oberkörper hängen lässt und mit wegknickenden Beinen bald schlapp macht.
Ganz anders scheint die gierig in sich stopfende „Kompensation“ die Lösung des Schlamassels für sich gefunden zu haben.
Kompensation, 1992, Weymouthkiefer, 91 x 26 x 28 cm
Bei all dem wird der „Strom des Geistes“ löchrig wie ein Sieb.
Strom des Geistes, 1992, Weymouthkiefer, 60 x 23 x 36 cm
Und das in sich eingesunkene „Alter“ naht unweigerlich!
Alter, 1992, Weymouthkiefer, 60 x 23 x 36 cm
Einzig der variierende, zugleich weibliche und männliche „Eros“ streckt sich im angespannten Orgasmus dem Himmel entgegen.
Eros, weiblich und männlich, 1992, Weymouthkiefer, 100 x 14 x 14 cm
1994 entstand nachträglich, als Pendant zu diesen Skulpturen, die sparsam aquarellierte und mit Buntstift akzentuierte, sensible Holzschnittfolge der „Körpersprachen“.
Täter, 1994, Holzschnitt, farbig lasiert, 32 x 24 cm
Selbstsucht, 1994, Holzschnitt, farbig lasiert, 32 x 24 cm
Entrée und Exit der Ausstellung von Baldur Greiner im Bilderhaus sollte sein wundervolles farblich gefasstes, zugleich männlich und weiblich angelegtes „Paradiestor“ von 1997 aus Weißbuche sein, das aber leider von einer Armada von Ameisen befallen wurde. Statt dessen bildet die „Frucht“, eine weißgeäderte Sandsteinskulptur von 2012, die besondere Attraktion im Garten auf dem grünen Rasen.
Diese Ausstellung voller „Urlaute plastischer Gestaltung und seelischen Ausdrucks“ sollte unter Ernst Ludwig Kirchners Ausruf stehen:
„Es ist ein sinnlicher Genuß, wenn Schlag für Schlag mehr die Figur aus dem Stamm herauswächst. In jedem Stamm steckt eine Figur, man braucht sie nur herauszuschälen“.
Baldur Greiner: „Körpersprache“, Galerie Das Bilderhaus, 9. Mai bis 7. Juni 2014
Abgebildete Werke © VG Bild-Kunst, Bonn, Fotografien © Rolf Gönner, Darmstadt
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