„Bin ich schön?“ im Museum für Kommunikation Frankfurt
Schönheitsideale im Wechsel der Zeit
Von Hans-Bernd Heier
Seit der Antike hat Venus, die römische Göttin der Liebe, des erotischen Verlangens und der Schönheit, Künstler aller Richtungen inspiriert und zu großartigen Kunstwerken angeregt. Eines der bekanntesten Werke der Bildenden Kunst dürfte die „Venus von Milo“ sein. Das Original der herrlichen Marmorstatue ohne Arme, die um 130 vor Christus gefertigt und 1820 auf der Kykladen-Insel Milos gefunden wurde, empfängt Besucher des Louvre gleich im Treppenaufgang des Museums.
Verkleinerte Gipsplastik der Venus von Milo; Foto: Hans-Bernd Heier
Träte die Venus von Milo, das Schönheitsideal der Antike, derzeit zu einer Misswahl an, sie hätte keine Siegeschancen. Denn nach heutigem Geschmack sind ihre Brüste zu klein und die Hüften zu kräftig. Als Traummaße gelten 90-60-90. Diese Vorgaben für den scheinbar idealen Hüft-, Taillen- und Brustumfang schöner Frauen geistern seit Jahrzehnten durch die Modewelt. Allerdings erreicht nur ein winziger Bruchteil aller erwachsenen Frauen diese absoluten Ausnahme-Maße – und das ist auch gut so! Denn die Vorgaben entsprechen dem durchschnittlichen Hüftumfang 13-jähriger Mädchen und die Taille etwa fünfjähriger Kinder. Nur der Brustumfang ist einer erwachsenen Frau angemessen. Internationale Topmodels, die diesem Diktat der Modebranche entsprechen, sind zudem groß wie ein Mann und wiegen so viel wie eine 14-Jährige.
Das Attribut Schönheit ist durchaus zeitbedingt. Denn die Schönheitsideale haben sich im Laufe der Jahrhunderte deutlich geändert. Das hat insbesondere in den Darstellungen der Bildenden Kunst seinen Niederschlag gefunden. Beispielhaft dafür seien nur die großartigen Abbildungen der schlanken, graziösen Frauen- wie Männergestalten der ägyptischen „Amara-Kultur“ erwähnt, zu der auch die weltbekannte Porträt-Büste der Nofretete zählt. Ganz anders die barocke Malerei, in der häufig kraftvolle und üppige Frauen- wie Männerdarstellungen zu sehen sind. Besonders die Werke des großen flämischen Meisters Peter Paul Rubens faszinieren mit ihren fülligen und sinnlichen Aktdarstellungen.
Diktat der Schönheit – Ausstellungsansicht
Der Wunsch zu gefallen, ist uralt und hält uns ein Leben lang auf Trab. Denn unser Äußeres spricht für oder gegen uns, schon bevor wir etwas gesagt haben. Was aber ist eigentlich schön? Wer definiert, was schön ist? Und wie weit unterwerfen wir uns dem Diktat der Schönheit? Die Ausstellung „Bin ich schön?“, die das Museum für Kommunikation Frankfurt noch bis zum 31. August 2014 zeigt, widmet sich den vielfältigen Facetten rund um die Macht und das Machen von Schönheit. Dabei werden nicht nur optische Aspekte im Human- wie im Tierbereich thematisiert, sondern auch akustische.
Ausstellungs-Flyer
Die ebenso informative wie kurzweilige Schau im Frankfurter Kommunikationsmuseum hält den Besuchern einen Spiegel vor. Auf rund 550 Quadratmetern beleuchtet „Bin ich schön?“ biologische und kulturelle Grundlagen von Attraktivität. Die Ausstellung benennt und hinterfragt medial konstruierte Schönheitsideale und nimmt auch die Schattenseiten des heutigen Schönheitskults ins Visier. Dabei bietet sie die Möglichkeit, sich interaktiv mit der eigenen und auch der Attraktivität anderer auseinanderzusetzen. So können die Besucherinnen und Besucher ihr Gesicht morphen, ihre Stimme modulieren oder ihr ästhetisches Empfinden auf der Suche nach dem Goldenen Schnitt erforschen. Doch letztendlich liegt das subjektive Schönheitsidol immer noch im Auge des einzelnen Betrachters. Deswegen gehört vor Verlassen der Wohnung noch ein prüfender Blick in den Spiegel, ein Griff in die Frisur oder noch etwas Rouge für die Wangen zum Alltag.
Mit Wert und Bedeutung der Schönheit wachsen Kinder bereits in frühestem Alter auf. Denn in Märchen, Legenden, aber auch in Soaps sind die Schönen oft die Guten. In diesem einfachen Weltbild ist das Äußere Spiegelbild der Seele. Oft allerdings trügt auch der schöne Schein. Die Gefährlichen missbrauchen die Macht der Schönheit und stürzen die Märchenwelt ins Verderben. Nichts ist, was es vorspiegelt: Auch die hässlichen Herzensguten mischen die einfache Formel auf.
Symmetrie zeugt von ungestörter Entwicklung
Ob schlank oder üppig, behaart oder glatt – jede Kultur und jede Zeit hat ihre Schönheitsideale. Gewisse Merkmale der körperlichen Schönheit jedoch sind universal und ändern sich nicht. So schätzen Menschen symmetrische Formen – vom ebenmäßigen Gesicht bis zum wohlproportionierten Körper. Denn Symmetrie gilt als Zeichen ungestörter Entwicklung, von Gesundheit und Leistungsfähigkeit eines Lebewesens. Auch breite Schultern, ausladende Hüften und glatte Haut gehören zu den „Ewigen Hits“ der Biologie. In der Ausstellung verrät ein Knopfdruck auf die jeweilige Körperpartie von Adam und Eva, was Frauen an Männern und umgekehrt anziehend finden.
Die ewigen Hits der Biologie – bei der interaktiven Station verrät ein Knopfdruck, was Frauen an Männern und umgekehrt anziehend finden
Eine in Kunst, Wissenschaft und Architektur angewandte und auch in der Natur vorkommende Formel für Schönheit und Harmonie ist der „Goldene Schnitt“. Dieser teilt eine Strecke oder eine Fläche im Verhältnis 1:1,618 – eine asymmetrische Proportion, die dennoch als besonders harmonisch empfunden wird. Ob dieses Verhältnis auch dem persönlichen Geschmack entspricht, können Besucher an einer der vielen Mitmach-Stationen der Ausstellung testen.
Bücher über Schönheitsideale und Tipps, wie man sich ansprechend stylt, füllen ganze Bibliotheken. Eine kleine Auswahl bietet auch das Kommunikationsmuseum an; Foto: Hans-Bernd Heier
Die Attraktivitätsforschung möchte das Geheimnis schöner Gesichter lüften. Ein Hilfsmittel dazu ist das genannte Morphing, das digitale Verschmelzen von Gesichtern. Die verblüffenden Resultate: Gemorphte Gesichter erhalten bessere Noten als Einzelgesichter. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts experimentierte der britische Naturforscher Francis Galton auf der Suche nach dem typischen „Schurkengesicht“ mit übereinander gelegten Porträts. Dabei musste er jedoch feststellen, dass die überlagerten Gesichter hübscher waren als die einzelnen Bilder. Im „MorphoPhot“ können die Besucherinnen und Besucher den Test machen und ihre eigenen Konterfeis zu einem „Durchschnittsgesicht“ verschmelzen.
Ausstellungsansicht von modischen und medizinischen Hilfsmittel, um attraktiver zu werden
Schönheit war einst Privileg der Wohlhabenden. In früheren Jahrhunderten konnte sich nämlich nur die reiche Oberschicht um Attraktivität sorgen. Für den schönen Schein wurde kräftig gestopft, drapiert und geschnürt. Im 19. Jahrhundert etwa waren Korsagen so eng, dass sie die inneren Organe deformierten. Als Ideal galt, wenn ein Mann die Taille einer Dame mit den Händen umfassen konnte.
Heute ist das stete Bemühen um Attraktivität allgegenwärtig: So sorgen Zahnspangen und Schrauben für ein makelloses Gebiss, stemmen Büstenhalter gegen die Schwerkraft und täuschen Herrenanzüge männlich breite Schultern vor. Falten und grauen Haaren rücken Visagisten und Coiffeure geschickt zu Leibe. Und dabei hilft die Kosmetikbranche einträglich mit: Mehr als zwölf Milliarden Euro werden in Deutschland jährlich für Schönheitsprodukte ausgegeben. 2012 brachte ein Kosmetikkonzern die teuerste Gesichtscreme aller Zeiten auf den Markt. Die Sonderedition „la creme“ kostete fast fünfmal so viel wie pures Gold: 211 Euro pro Gramm.
Um Falten zu glätten, geben die Deutschen Milliarden aus
Wo Kaschieren und Cremen allein nicht ausreichen, um dem Traum vom perfekten Äußeren nahe zu kommen, wird zunehmend geschnitten, abgesaugt und gestrafft. Immer mehr Menschen lassen sich im Namen der Schönheit operieren. 2011 wurden allein in Deutschland 117.000 Eingriffe gezählt. Die Dunkelziffer liegt weit höher. Fettabsaugen an Bauch, Po und Beinen ist weltweit der beliebteste Eingriff, um dem Traum vom perfekt geformten Körper näher zu kommen. Brustvergrößerungen, Lidstraffungen und Nasenkorrekturen stehen ebenfalls ganz oben auf der Wunschliste. Ob die Operationen die Menschen tatsächlich zufriedener machen, ist allerdings umstritten. Vom Korsett bis High-Heels, von der Tätowier-Maschine bis zum abgesaugten Fett im Einmachglas verdeutlicht die Ausstellung, zu welchen Mitteln und Maßnahmen wir im Namen der Schönheit greifen.
Bildnis der Jungfrau Maria und Madonnenskulptur umrahmt von Barbie-Püppchen – eine gewagte Installation, die zum Diskurs anregt; Foto: Hans-Bernd Heier
Ob Venus von Milo oder Barbie, Jungfrau Maria oder Gisele Bündchen – Schönheitsideale von einst und heute zeigen den Wandel in Zeitgeist und Kultur. Doch trotz aller Gegensätze haben sie eins gemeinsam: Ebenmäßige Formen und eine makellose Haut gelten als zeitlos anziehende Kriterien der Attraktivität. Als idealisierte Figuren sind sie Vorbild und verheißen Trost in einer unzulänglichen Welt. Heute ist unsere Lebenswelt durchzogen von medial konstruierten Schönheitsidealen. Seifenoper-Sternchen, Popstars oder Topmodels – sie alle konfrontieren den Betrachter tagtäglich mit der Frage „Bin ich schön?“.
Als erste Frauenzeitschrift stilisierte „Vogue“ das Covergirl zu Ikone
Moderne Digitaltechniken sorgen für einen strahlend schönen, faltenfreien Auftritt, und zwar längst nicht mehr nur in Hochglanzmagazinen. 1892 erschien mit der Vogue in Amerika die erste Frauenzeitschrift und mit ihr das bis heute zur Ikone stilisierte Covergirl. 1927 durfte sich das schönste deutsche Fräulein zum ersten Mal als Miss Germany ein Krönchen aufsetzen. Die klar gegliederte Schau zeigt, wer und was heute alles gekürt wird. Wie eine ganz normale junge Frau zunächst kosmetisch, dann mit den Kniffen digitaler Bildbearbeitung zum Supermodel herausgeputzt werden kann, führt der Film „Evolution“ – eine Produktion der Kosmetikmarke Dove im Rahmen der „Initiative für wahre Schönheit“ – im Zeitraffer eindrucksvoll vor Augen.
Das Faszinosum der „idealen Idole“: Superman und Lara Croft; Foto: Hans-Bernd Heier
Der Beauty-Wahn und seine Auswüchse machen auch vor dem Kinderzimmer nicht Halt. Hier lassen Bratz-Puppen Barbies regelrecht alt aussehen. Die gestylten „Miniatur-Teenies“ suggerieren, was angesagt und cool ist – von Schlauchbootlippen bis zu extrem hohen Heels. Besonders in den USA sind lackierte Nägel, Lippenstift, Push-ups und Tangas für Erstklässlerinnen oder Schönheitswettbewerbe für die ganz Kleinen an der Tagesordnung.
Konstruierte Schönheitsvorbilder wie Lara Croft oder Superman vereinen alle begehrten Merkmale in Perfektion. Diese „idealen Idole“ faszinieren – mitunter jedoch mit fatalen Folgen, zum Beispiel Essstörungen. In Deutschland leidet mindestens eine von hundert Frauen zwischen 15 und 35 Jahren unter Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie. Diese betreffen zu 90 Prozent Mädchen und Frauen. Auch Bodybuilding ist für viele Menschen weit mehr als eine Freizeitbeschäftigung: Die Perfektionierung und Präsentation des Körpers sind ihr Lebensinhalt. Die meist männlichen Bodybuilder sehen sich als „Bildhauer“ ihrer selbst. Sie arbeiten verbissen, um ihren Körper nach präzisen ästhetischen Kriterien zur Skulptur zu formen. Ihr Ziel ist es, sich selbst als Kunstwerk bei Wettbewerben zu präsentieren. Die Ausstellung zeigt, dass der Schritt vom Leben für den Körper zum Kampf gegen den Körper oftmals nicht sehr groß ist.
Die Brunftschreie der Hirsche wirken betörend auf Hirschkühe
Im Tierreich setzen viele Männchen nicht nur auf äußerliche Schönheit. Mit ohrenbetäubenden Brunftschreien oder lieblichen Gesängen demonstrieren sie den Weibchen und Konkurrenten die eigene Attraktivität und Stärke. Auch auf uns haben Stimmen eine besondere Wirkung und werden daher bewusst im Film, beim Radio oder in der Werbung eingesetzt. Vier Stimmenmodulatoren geben Besuchern Gelegenheit, die eigene Stimme zu verändern und einmal andere Töne anzuschlagen. Aber auch beim Hören sind die Geschmäcker verschieden.
In der Soundlounge erfahren die Besucherinnen und Besucher mehr zum Thema „Wohlklang“.
Die Medienlounge lädt zum entspannten Test der Phantasie ein
Wie sieht der individuelle Mix aus, der unwiderstehlich macht, auch wenn die gängigen Merkmale der Schönheit nicht vorhanden oder schon vergangen sind? Die Medienlounge lässt die Besucherinnen und Besucher selber bestimmen: Wie soll der ideale Partner sein? Wie wichtig sind Größe, Augenfarbe, Hobbys oder Einkommen? Diese höchst entspannende Mitmach-Station regt Seh- und Hörsinn an und testet die Phantasie des Publikums.
Für die höchst unterhaltsame wie informative Schau sollten Besucher ausreichend Zeit mitbringen, um den vielfältigen Aspekten des Phänomens Schönheit nachzuspüren.
Die sehenswerte Präsentation ist eine gemeinsame Ausstellung des Museums für Kommunikation und des Naturhistorischen Museums der Burgergemeinde Bern.
„Bin ich schön?“, Museum für Kommunikation Frankfurt, bis 31. August 2014
Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Fotos Sandra Wildemann; © Museum für Kommunikation Frankfurt
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