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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Gioacchino Rossinis „Die diebische Elster“ an der Oper Frankfurt

Ein Sozialdrama spannend wie ein Krimi – ein Justizirrtum?

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Wolfgang Runkel /Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher

Am 30. März 2014 hatte das Melodramma „Die diebische Elster“, ein Meisterwerk des italienischen Komponisten, an der Frankfurter Oper Premiere. Begeisterung für die musikalische Umsetzung, einige unbegründete Buhrufe für die Regie.

Die diebische Elster / La gazza ladra (Oper Frankfurt, 2014)

Alexandra Kadurina (Pippo); Foto © Wolfgang Runkel

Mit Trommelwirbel, so wie sie bei Hinrichtungen üblich waren, fängt es an. Dann verfliegt der trübe Gedanke, die einmalige Ouvertüre lenkt in fröhlichere Gefühle, so wie es bei Rossini erwartet wird. Vor dem Vorhang liebkost Pippo, ein Bauernbursche, den Käfig, in dem seine Elster hockt, die schliesslich dem Vogelgefängnis entkommt. Sie flattert als Projektion auf dem Theatervorhang. Immer wieder werden später der Elster ähnliche Vögel bedrohlich herumflattern. Hitchcock lässt grüssen.

Gross die Bühne mit Landhaus, das immer wieder von mehreren Bühnenarbeitern rein- und rausgeschoben wird. Auf dem Dach sitzend das Dienstmädchen Ninetta, sehr mutig von Sängerin Sophie Bevan. Freude über die Heimkehr von Giannetto, dem Sohn des reichen Pächters und seiner Frau. Ein Fest wird vorbereitet. Vater Fabrizio ist bereit, seinen Sohn mit Ninetta zu verheiraten. Frau Lucia ist dagegen, denn standesgemäß ist diese Heirat nicht.

Mehrere Handlungsstränge laufen parallel: Ninettas Vater ist desertiert, ihm droht der Tod. Er flüchtet zur Tochter und gibt ihr seinen letzten Besitz, Besteck, mit der Bitte, es zu verkaufen und das Geld in einen bestimmten Baum zu legen. Derweil rollt die Kutsche des Bürgermeisters heran. Der Vater, den sie als Landstreicher ausgibt, wird Zeuge, wie dieser versucht, die Tochter zu vergewaltigen. Sie wehrt sich erfolgreich.

Das Fest: Geschickt verhindert Lucia, die Mutter von Giannetto, dass die jungen Leute einander näher kommen. Zuvor hatte sie Ninetta den Koffer mit dem kostbaren Besteck der Familie anvertraut. Die Hausherrin entdeckt jedoch während des Festes, dass Besteck fehlt. Sie beschuldigt Ninetta des Diebstahls. Der abgewiesene Bürgermeister ist anwesend und wittert die Chance für Rache. Sofort lässt er Richter aufmarschieren. Ninetta wird verhaftet, nach einem wahnwitzigen Prozess zum Tode verurteilt. In letzter Minute wird die Vollstreckung verhindert. Ein Justizirrtum? Sicher ein Justizskandal. Ein nichtiger Anlass.

Diese Geschichte soll sich in Frankreich wirklich ereignet haben. Allerdings endete sie mit der Hinrichtung, die Rossini  für den Opernschluss zunächst auch im Sinn gehabt haben soll.

Die diebische Elster / La gazza ladra (Oper Frankfurt, 2014)

von vorne nach hinten: Sophie Bevan (Ninetta), Francisco Brito (Giannetto), Katarina Leoson (Lucia) und Kihwan Sim (Gottardo); Foto © Wolfgang Runkel

Der musikalische Umschwung in der Oper ist klar hörbar. Zunächst bufforeske Töne, dann eine dramatische Linie. Wunderschön Ninettas Auftrittsarie.

Gioacchino Rossini (1792-1868), ein Kind von Theaterschaffenden, genau genommen ein musikalisches Wunderkind, hat in einem Brief an seine Mutter „Die diebische Elster“ (La gazza ladra) als seine schönste Oper bezeichnet, „… darin zwei große Finale, ein Riesenquintett und ein Terzett und drei Duette, Introduktionen, vier Kavatinen, drei Arien und andere Sächelchen und diese Ouvertüre …“ (zitiert nach Programmheft); letztere hatte er kurz vorher auf dem Dachboden des Teatro alla Scala in Mailand am Tag der Uraufführung im Jahr 1817 geschrieben. Seine berühmteste Oper wurde der „Der Babier von Sevilla“ (Il barbiere di Siviglia, 1816), eine Opera buffa in der Tradition der Commedia dell’Arte, die er in 26 Tagen komponierte und die anfangs keinen Erfolg hatte. „Die diebische Elster“ ist das Gegenstück der Opera seria, der ernsten Oper, aber auch keine Opera buffa. Sie gehört zu der Gattung Opera semiseria, eine Mischform von ernst und heiter und von „ausschweifender“ Länge. Sie hat kaum musikalische Anleihen aus seinen früheren Werken, sondern es ist eine für damals neue Musik.

Rossini, der im Laufe seines Lebens in Venedig, Neapel, Bologna, Florenz, London, Wien und Paris aktiv war, hat in zwei Jahrzehnten 39 Opern komponiert. Seine letzte, „Wilhelm Tell“ (Guillaume Tell), schrieb er 1829, da war er noch keine 40 Jahre alt. Übertrieben bissig heisst es im Musik-Brockhaus: „… und komponierte den Rest seines Lebens nur noch Menüs, Pasteten und Bonmots“. Er hörte nicht auf zu komponieren. 1863 schuf er noch seine Petite Messe Solennelle. Er litt unter Depressionen und den Folgen der Gonorrhoe, die er sich in jungen Jahren eingefangen hatte.

Die diebische Elster / La gazza ladra (Oper Frankfurt, 2014)

Katarina Leoson (Lucia) und Federico Sacchi (Fabrizio Vingradito) sowie Francisco Brito (Gianetto; auf dem Portrait abgebildet); Foto © Wolfgang Runkel

War es die Elster, die das Besteck stahl, oder der Händler Isacco? Lucia, die Frau des reichen Pächters, hätte Ninetta verteidigen, in Schutz nehmen können. Sie tat es nicht. Düster die Gefängnisszene, in der Bürgermeister Gottardo die gefesselte Ninetta, die aus einem Kellerverlies hochschwebt, aufsucht. Er wolle sie aus dem Gefängnis entlassen, wenn sie ihm zu Willen sei. Sie lehnt ab. Immer heldenhafter wird diese Figur.

Es ist eine verrückte Geschichte. Wahrheit und Unwahrheit vermischen sich. Eine Justizposse mit tiefer Bedeutung. Dieser grotesken Situation fühlt sich der amerikanische, weltweit agierende Regisseur David Alden verpflichtet: sehr einfallsreich, sehr spannend, am Schluss etwas zu turbulent, aber fantasievoll: Ein witziger Befreiungsschlag von all den Qualen, Ängsten, Unsicherheiten und dem makabren Justizverlauf mit schlafendem Richter.

Sehr ausgefallen das Bühnenbild von Charles Edward. In den grossen, dunklen Gerichtssaal, über den später eine riesige Justitia-Büste herabschwebt, mit vielen hölzernen Türen, die sich immer wieder öffnen und Massen hervor quillen lassen oder vor denen Soldaten postiert sind, wird das Landhaus reingeschoben und in seiner Position immer wieder verändert. Des Bürgermeisters Kutsche wird von zwei Dienern hereingezogen, ein herrschaftlicher Auftritt, tyrannenhafte Geste. Sehr spannend die durch Oliver Winters Lichtdesign erzeugten Schattenspiele. Die Kostüme, eine „Kostümschlacht“ von Jon Morrell, streng puritanisch, die Elemente von Massenpsychose verstärkend, dazu manchmal schematisch ausgeführte Bewegungen aller Chormitglieder (Einstudierung Matthias Köhler). Eine regelrechte Performance mit Stühlen im Gerichtssaal hat die Choreografin Maxine Braham sich einfallen lassen. Bibi Abels sorgte für die Video-Einspielungen – die Angst erregenden Vögel.

Die Musik-Realisation ist keine leichte Aufgabe. Sie erfordert unentwegte Konzentration, die der junge ungarische Dirigent Henrik Nánási, Generalmusikdirektor an der Komischen Oper Berlin, beweist. Bewundernswert, wie er die schwierige Aufgabe meistert. Ein „anderer“ Rossini ist zu entdecken.

Die diebische Elster / La gazza ladra (Oper Frankfurt, 2014)

Sophie Bevan (Ninetta) sowie im Hintergrund den Herrenchor der Oper Frankfurt; Foto © Wolfgang Runkel

Wieder gibt es ein Aufgebot grossartiger Sänger beziehungsweise Sängerinnen – allen voran Sophie Bevan als Ninetta. Stimmlich wie körperlich ein Kraftakt, den die junge englische Sopranistin zu bewältigen hat. Großartig, wie sie sich, fröhlich beginnend, in dramatische Höhen steigert. Für 2013 erhielt sie den begehrten Opera Award als Beste Nachwuchssängerin. In Frankfurt gibt sie ihr Debüt. Eine Bereicherung für die Oper.

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Sophie Bevan; Foto: Renate Feyerbacher

Schön die dunkle Baritonfärbung von Jonathan Lemalu als Vater Fernando – der gebürtige Samoaner, mehrfach ausgezeichnet und international unterwegs, steht erstmals auf der Frankfurter Opernbühne.

Weitere Debüts: die ukrainische Mezzosopranistin Alexandra Kadurina als Pippo – eine schöne Stimme, die noch viel Potential birgt, und die Schwedin Katarina Leoson als Lucia, die Pächtersfrau. Ihre reife Alt-Stimme gefällt.

Der Italiener Federico Sacchi als reicher Pächter und der Argentinier Francisco Brito als sein Sohn und Geliebter von Ninetta bringen italienisches Flair rüber. Brito steigert sich zunehmend in Belcanto.

Und noch ein Debüt: der schottische Tenor Nicky Spence, der aus dem verschlagenen Händler Isacco eine bizarre Figur macht. Michael McCown, Ensemblemitglied, der schon als Scaramuccio in „Ariadne auf Naxos“ gefiel, gelingt als Gefängniswärter Antonio eine witzige Performance.

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Kihwan Sim am 14. November 2012 in der Alten Oper (Konzertante Aufführung von Maria Stuarda); Foto: Renate Feyerbacher

Frenetisch der Beifall für Sophie Bevan, frenetisch für Kihwan Sim, den gewaltbereiten, tyrannischen Bürgermeister. Er prägt diese Bösewicht-Rolle mit einmalig gesungenen tiefen Basstönen. Der Koreaner, der am Frankfurter Opernstudio begann und seit letztem Jahr zum Ensemble gehört, ist ein Rising Star – bereits jetzt ausgezeichnet mit vielen Preisen.

„Die diebische Elster“, Rossinis Oper mit ernstem Sujet komisch-grotesk realisiert, hat auch realitätsnahe Bezüge.

Die diebische Elster / La gazza ladra (Oper Frankfurt, 2014)

im Vordergrund Carlos Krause (Amtsrichter), Sophie Bevan (Ninetta; auf dem Boden sitzend), Kihwan Sim (Gottardo), Jonathan Lemalu (Fernando Villabella), Federico Sacchi (Fabrizio Vingradito) und Francisco Brito (Giannetto) sowie im Hintergrund das Ensemble; Foto © Wolfgang Runkel

Weitere Vorstellungen am 4., 6., 12., 17., 20. und 26. April sowie am 4. Mai 2014, jeweils 19 Uhr.

 

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