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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Städel zeigt Emil Nolde-Retrospektive (2)

Großer Farbenmagier mit braunen Flecken

Von Hans-Bernd Heier

Das Städel würdigt in einer umfangreichen Retrospektive das Schaffen Emil Noldes (1867-1956), eines der bedeutendsten deutschen Expressionisten. Zu sehen sind bis zum 15. Juni 2014 rund 140 Arbeiten, darunter 90 Gemälde, beispielsweise Meisterwerke wie „Frühling im Zimmer“ (1904), „Das Leben Christi“ (1911/1912) oder „Kerzentänzerinnen“ (1912), aber auch einige bisher nicht außerhalb von Seebüll gezeigte Gemälde und Grafiken des Künstlers.

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„Kerzentänzerinnen“, 1912, Öl auf Leinwand, 100,5 x 86,5 cm;  Nolde Stiftung Seebüll, © Nolde Stiftung Seebüll

Wie viele andere Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts interessiert sich auch Nolde für außereuropäische Formgebung und Kunst. In Berlin wird sein Interesse daran geweckt. Das Gemälde „Exotische Figuren (Fetische I)“  von 1911 basiert auf Zeichnungen, die er bei Besuchen im Königlichen Museum für Völkerkunde nach Exponaten anfertigt. Den Auftakt der Präsentation im Obergeschoss bilden Werke, die während oder im Anschluss an Noldes Teilnahme an einer Expedition des Reichskolonialamtes nach Neuguinea in den Jahren 1913/1914 entstehen. In diesen manifestiert sich des Künstlers Sehnsucht nach einem von der westlichen Zivilisation unberührten Naturidyll.

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Die dicht an dicht gehängten Blätter wirken wie ein leuchtender Farbenteppich: Ausstellungsansicht „Emil Nolde. Retrospektive“, Städel Museum, Foto: Norbert Miguletz, © Nolde Stiftung Seebüll

In der Zeit von 1915 bis 1932 konzentriert sich Nolde auf  Sujets seiner nordschleswigschen Heimat: Dort porträtiert er die unbändige Naturgewalt des Meeres sowie die von ihm angelegten Blumengärten, die er in Werken wie „Schwüler Abend“ (1930) mit der rauen nordischen Landschaft konfrontiert. Zudem entstehen variantenreiche und farbglühende Blumenaquarelle. In einem Raum im Obergeschoss hat Krämer 20 Blumenaquarelle in Petersburger Hängung versammelt, um so den seriellen Charakter der Blumendarstellungen zu zeigen. Hier kann der Besucher in ein faszinierendes Farbenmeer tauchen.

Vierwaldstätter See. Um 1930

„Vierwaldstätter See“, 1930 Aquarell auf Velin-Japan, 34 x 74 cm; Städel Museum, © Nolde Stiftung Seebüll

Emil Nolde wie seine Frau Ada begrüßten 1933 euphorisch die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Er bemüht sich um offizielle Weihen. Bereits 1934 tritt er in die Nationalsozialistische Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig (NSAN) ein, die zu den Gründungsparteien der NSDAP Nordschleswig zählt.  Sein Werben um die Gunst der Nazis war indes  vergebens. Deshalb war er zutiefst betroffen, als 1102 seiner Werke im Jahre 1937 aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt wurden, so viele wie von keinem anderen Künstler. Im folgenden Jahr wurden 47 Arbeiten in der Femeschau „Entartete Kunst“ in München gezeigt. 1941 wurde der farbgewaltige Expressionist aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen und ihm jede berufliche und nebenberufliche Betätigung auf dem Gebiet der bildenden Kunst untersagt: Er erhält Berufsverbot, aber kein pauschales Malverbot. Er darf seine Werke nicht mehr in der Öffentlichkeit präsentieren oder verkaufen. Mit der Unterstützung von Freunden und Kunsthändlern gelingt es ihm aber, das Verkaufsverbot zu umgehen und weiterhin Malutensilien zu beschaffen. Privat verkauft er sogar recht gut.

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„Das Heilige Feuer“, 1940, Öl auf Leinwand, 70 x 110 cm; Nolde Stiftung Seebüll, © Nolde Stiftung Seebüll

Bereits ab 1938 entsteht die Werkgruppe der sogenannten „Ungemalten Bilder“. Bis Kriegsende malt Nolde rund 1.300 kleinformatige Aquarelle. Dabei arbeitet er nass-in-nass auf stark saugendem Japanpapier, so dass „mit der verlaufenden Farbe auch der Zufall eine bildgebende Rolle spielt“, sagt Krämer. Einzelne Blätter der Serie der „Ungemalten Bilder“ überträgt er bis 1945 auch in Öl auf großformatige Leinwände, wie „Das Heilige Feuer“.

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„Großer Mohn (rot, rot, rot)“, 1942, Öl auf Leinwand, 73,5 x 89,5 cm; Nolde Stiftung Seebüll, © Nolde Stiftung Seebüll

Bei Noldes letzter bedeutender Retrospektive in Deutschland im Jahre 1987 beleuchtete Walter Jens in der Eröffnungsrede des Künstlers ambivalentes Verhältnis zum Nationalsozialismus: Ausgerechnet Nolde, der „gerne Paladin“ der Nationalsozialisten gewesen wäre, verfolgten diese mit besondere Tücke. In dem Ausstellungskatalog analysieren Aya Soika und Bernhard Fulda, zwei renommierte Wissenschaftler, unter dem Titel „Deutscher bis ins tiefste Geheimnis seines Geblüts“ Noldes Haltung zur nationalsozialistischen Diktatur. Auch Kirsten Jüngling beschäftigt sich in der soeben im Propyläen Verlag erschienenen lesenswerten Biographie „Emil Nolde – Die Farben sind meine Noten“ fundiert mit dem Mann der Widersprüche und zeichnet das facettenreiche Künstlerleben nach.

Nach dem Krieg wurden Nolde aufgrund seiner Diffamierung durch die Nazis rasch rehabilitiert und seine anfängliche NS-Nähe vergessen. Ihm gelang es, sich als Opfer und als Paradebeispiel des von der NS-Diktatur verunglimpften Künstlers zu stilisieren. Er erhielt Ehrungen und Auszeichnungen, war prominenter Teilnehmer der ersten Documenta 1955 in Kassel und stieg zu einem der führenden Künstler Nachkriegsdeutschlands auf.

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Emil Nolde 1948 in der Schweiz; FFV, Kunstmuseum Bern, Dep. GKS; Foto: Paul Senn (1901–1953) © GKS

In dem von einem weicheren Farbauftrag dominierten Spätwerk spielen ausdrucksstarke Natur- und Landschaftsdarstellungen eine entscheidende Rolle. Bis 1951 fertigt er Gemälde, danach ausschließlich Aquarelle. Die unzähligen Blumenaquarelle, die er noch bis 1955 malte, unterscheiden sich kaum von seinen früheren Darstellungen. Am 13. April 1956 stirbt der Künstler im Alter von 89 Jahren in Seebüll. Nolde hinterlässt ein immenses  Œuvre mit über 1.300 Gemälden, unzähligen Aquarellen und Zeichnungen sowie mehr als 500 druckgrafische Arbeiten.

Die großartige Präsentation wird vom Louisiana Museum of Modern Art in Humlebæk, Dänemark übernommen (4. Juli  bis 19. Oktober 2014). Damit gelingt künstlerisch der deutsch-dänische Brückenschlag, den Nolde sich stets wünschte.

“Emil Nolde. Retrospektive”, Städel Museum, bis 15. Juni 2014

Bildnachweis: Städel Museum

→  Städel zeigt Emil Nolde-Retrospektive (1)

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