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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Frankfurter Opern- und Liedersänger Johannes Martin Kränzle

Ein Interview vor seinem Liederabend in der Oper Frankfurt

Das Gespräch führte Renate Feyerbacher

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Johannes Martin Kränzle am 17. Januar 2014; Foto: Renate Feyerbacher

RF  Am 4. Februar 2014 haben Sie einen Liederabend in der Oper Frankfurt, den Sie mit Franz Schuberts „Winterreise“ gestalten werden. Anlass für dieses Gespräch.
Fast auf den Tag genau vor vier Jahren haben wir uns schon einmal miteinander unterhalten.
Damals warteten sie auf die Noten des Komponisten Wolfgang Rihm. Es waren die Noten seines neuen Werks „Dionysos“, den Sie singen sollten und auch sangen.

JMK  Ich wartete noch sehr sehr lange, Ende Mai habe ich die Noten bekommen. Ich hatte nur noch vier oder sechs Wochen bis zur Premiere. Das war sehr knapp.
Ich habe mich zwei Wochen lang voll eingeschlossen mit einem der besten Korrepetitoren, dem Amerikaner Erik Nielsen. Er ist nicht mehr an der Oper Frankfurt. Wir haben täglich viele Stunden gearbeitet.

RF  „Dionysos“ (Uraufführung Salzburg, 27. Juli 2010) war auch körperlich eine grosse Anstrengung für Sie, dazu ein schwieriger Text. Es gab Ausschnitte im Fernsehen zu sehen.

JMK  Jetzt gibt es eine DVD. Es sind Friedrich Nietzsches Dionysos-Dithyramben, seine letzten Gedichte, die man selbst beim ruhigen Lesen nicht richtig verstehen kann. Die hat Rihm vertont. Er hat nur die Gedichte verwandt und dazu aber relativ konkrete Szenenanweisungen gemacht: das eine sollte im Bordell spielen, das nächste auf den Bergeshöhen und das dritte auf dem See im Kahn.
Eine Sache, die wir ganz gut in Form gebracht haben. Ein tolles Team.
Es war die Aufführung des Jahres.

RF  Wie war die Zusammenarbeit mit Rihm?

JMK  Vorher hatte ich ihn ja nie kennenlernen können, weil er beim Komponieren nicht gestört werden wollte. Da war ich dann schon sehr unruhig, zumal dann so manche Stellen kamen, die mir nicht so lagen, wo ich dachte, hätten wir doch darüber reden können. Dann haben wir uns getroffen und er hat nochmal sehr schön ein paar Sachen für mich modifiziert, die mir besser lagen. Das hat er künstlerisch aus dem Moment heraus nochmal anders verfasst. Das war die letzte Minute, die dringendsten Wünsche. Schöner wär es für mich gewesen, man hätte sich vorher kennengelernt. Ich hätte ihm sagen können, das und das ist für meine Stimme reizvoll und damit tue ich mich schwer. Man hat ja seine Eigenheiten, seine Besonderheiten.

RF  Sie haben einmal über sich gesagt: ich bin ein Langsamentwickler.

JMK  Weil die meisten Karrieren vor 30 beginnen.
Ich hab auch schon, als ich 28 war, an der Hamburger Staatsoper in einer mittleren Rolle gesungen. Ich hatte auch Pausen, dann gab es Zeiten in Hannover, wo ich jeden Abend mit was anderem auf der Bühne stand. Das muss auch sein. Strapazierfähigkeit muss man sich auch erwerben. Jetzt, da die Verantwortung für den einzelnen Abend grösser ist in meinem Niveau oder eigenem Anspruch, da ist es gut, dass ich nicht mehr so viel singe.
Dass ich mich da oben halten kann, auch immer wieder eingeladen werde und für die Zukunft tolle Projekte habe, dass sich das bestätigt und nicht eine Eintagsfliege war! Das hat sich für mich hinterher als Glück erwiesen, dass es so gekommen ist. Ob ich dann jetzt noch so da stehen würde, wie ich jetzt dastehe?

Musikbeispiel, bitte anklicken:

Robert Schumann / Friedrich Schiller, Der Handschuh

Franz Schubert / Robert Schumann, Grenzen der Menschheit, Johannes Martin Kränzle & Hilko Dumno, Songs after poems by Goethe & Schiller
mit freundlicher Genehmigung:
© Challenge Classics, 608917260021 – CC72600 – LC00950, P & C 2013
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„In seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf dem Balkone,
Die Damen in schönem Kranz.
Und wie er winkt mit dem Finger,
Auftut sich der Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt
Und sieht sich stumm
Rings um.“

JMK  Aber, dass ich mich auf dem Niveau in grossen Rollen in der obersten Kategorie bewege, das ist noch nicht so lange, vielleicht fünf, sechs Jahre her.
Für mich war es ein Glück, dass das langsam ging. Andererseits hätte ich sicher auch damals nicht Nein gesagt, und hätte den Versuchungen sicher nicht widerstanden, wenn man mich da hoch geholt hätte. Ob ich das dann geschafft hätte, würde ich sogar ehrlicherweise bezweifeln.
Die ganzen Wettbewerbe zielen auf Jugend ab.
Manchmal sagen Agenten meinen Schülern: ach, du bist schon 28, das ist zu spät. Das finde ich einen grossen Blödsinn. Neulich hab ich gelesen, das würde ich mir sehr wünschen, dass es einen Wettbewerb ohne Altersbeschränkung gibt.

RF  Schauen sie sich das neue ArtOpera-Projekt an.

JMK  Warum geht es nicht viel mehr um den Gehalt, der da rüber kommt, um die Qualität.
Ich finde es eine Fehlentwicklung, zumal gerade Bühnenrollen im Schauspiel und in der Oper immer die ganze Bandbreite der Altersklassen erfordern. Sonst ist ein „Figaro“, in dem nicht drei Generationen auf der Bühne stehen, langweilig – für mich. Wenn ich da den Bartolo mit dem angeklebten Bart sehe, der 29 ist, da denke ich immer: haben wir da schon wieder eine Hochschulaufführung. Das sind zum Teil Alltagsaufführungen an deutschen Opernhäusern, weil man auf so was überhaupt nicht mehr achtet.

RF  Anja Silja ist immer wieder an der Oper Frankfurt und singt Partien ihres Alters. Jetzt ist sie die Mumie in Aribert Reimanns „Die Gespenstersonate“.

JMK  Ja, ja, das kann man gar nicht spielen als junger Sänger, als junge Sängerin. Als ich hier ins Engagement kam, da waren ganz viele Leute, die jahrelang tolle Arbeit gemacht haben. Auch durch die vielen Intendantenwechsel vor Herrn Loebe, durch die Unruhe, gibt es kaum mehr so eine Generation, die jetzt alt ist. Die braucht jedes Haus.

RF  Sie haben ein grosses Repertoire, aber dass Sie mal den Zwerg Alberich im Ring singen würden, konnten Sie sich nicht vorstellen.

JMK  Nein, nein. Da kam ich nie drauf, schon aufgrund meiner Körpergrösse nicht. Daniel Barenboim kam auf die Idee, dem ist die Äußerlichkeit egal, der hat stimmlich gedacht: der hat die Höhe. Man braucht für Alberich relativ viel Höhe. Dass das so glücklich läuft und so ein schöner Erfolg wird, hätte ich vorher nicht gedacht, dass mir die Stimmlage so wunderbar liegt. Ich habe mich mit der Rolle vorher überhaupt nicht befasst. Für meine Gestaltungsfreude ein gefundenes Fressen. Aber der Alberich, der war schon angstbesetzt. Ich musste durch Wasser waten. Es war allerdings temperiert. Ich hatte drei Kostüme und wurde sofort umgezogen. Schwierig auch mit den Mikrofonen wegen der DVD-Aufnahmen in Berlin.

RF  DVD-Aufnahmen gibt es übrigens auch vom Frankfurter Ring. Da sind Sie auch dabei. Sie waren in den vier Jahren nach unserem ersten Gespräch sehr erfolgreich. Sie sangen den Dionysos in Salzburg, den Beckmesser in Glyndebourne, dem berühmten englischen Opern-Festival, sie waren bei den Proms in London, sie sangen den Alberich an der Scala in Mailand und an der Staatsoper Berlin.
Wie war die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Daniel Barenboim?

JMK  Das ist sehr interessant. Den Erfahrungsschatz, den er gerade bei den Wagner-Opern hat, der ist unglaublich. Er hat zu jedem Takt, zu jedem Ausdruck hat er Ideen und fordert einen zur Risikobereitschaft heraus. Das fand ich sehr schön. Was er von einem fordert oder will und wenn er Lust hat, dann geht es bis in die kleinste Silbe oder jedes kleinste Wort in Detailarbeit.

RF  Es spielt die Staatskapelle Berlin, deren Chef Barenboim ist. Wie begleitet das Orchester die Sänger? Orientiert es sich nach ihnen?

JMK  Das ist sowieso bei guten Dirigenten, Klangkörpern, die versuchen auch zu begleiten und nicht nur ihre Sache zu machen. Da zeigt sich die Qualität eines Orchesters, wie gut sie sich einordnen können. Genauso wie sich die Qualität eines Sängers zeigt, nicht wie schön er alleine singen kann, sondern wie gut er musizieren kann.

RF  Die Textverständlichkeit ist Ihnen sehr wichtig. In „Herzog Blaubarts Burg“ in Frankfurt singen Sie ungarisch, in „Die Zarenbraut“ an der Staatsoper Berlin russisch. Wie schulen Sie sich?

JMK  Das ist zeitaufwändig. Ich nehme Unterricht in den jeweiligen Sprachen, in den slawischen Sprachen. Bei Ungarisch muss ich zugeben, habe ich es jetzt bei Blaubart nur phonetisch gemacht. Ich hatte die Rolle vor fünf Jahren schon mal in Köln gesungen. Und wenn es zum zweiten Mal kommt, kann man sich sogar verbessern.

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Herzog Blaubarts Burg: Claudia Mahnke (Judith), Johannes Martin Kränzle (Blaubart), Foto © Wolfgang Runkel/Oper Frankfurt

RF Hat sich Ihre Stimme verändert?

JMK  Also, ich merke schon, meine Stimme wird älter, und wenn ich so ganz junge Aufnahmen von mir höre, merke ich, dass ich eine viel höhere, vor allem hellere Baritonstimme hatte. Und jetzt oft teilweise Bassbaritonrollen singe. Die Tiefe ist viel stabiler geworden, die Höhe ist immer noch da, wobei ich sie mir mehr bewahren muss. Ich bin jetzt wieder eingesprungen in Köln bei der „Fledermaus“-Premiere ganz kurzfristig. Der Eisenstein ist schon eine ganz andere Lage wie der Bartók. Da kann ich mich zusammenreissen und es macht auch Spass, aber ich bin dann manchmal froh, wenn es die tieferen Rollen sind.

RF  Sie singen an der Staatsoper in Berlin den Grjasnoj in der „Zarenbraut“, einen „herrlich deklamierenden Bösewicht“, wie es in einer Musikzeitschrift heisst.

JMK  Das ist eine sehr schöne Lage für mich. Ich liebe die Rolle, ich hatte sie auch mal in Frankfurt gesungen vor fünf, sechs Jahren, das war nicht so eine ganz glückliche Produktion. Leider. Da habe ich schon gehofft, dass das nochmal wiederkommt. Und als Herr Barenboim, mit dem ich schon vorher davon sprach, erzählte, dass er das nochmal macht, da hat er mich sofort eingeplant.

RF  Sie spielen sehr psychologisch. Ich denke an den Blaubart, an den Papageno, an den schizophrenen Lenz in der gleichnamigen Oper von Wolfgang Rihm (Oper Frankfurt 1999). Sie schaffen es, die menschlichen Charaktere, ihre Gefühle, die sehr differenziert sind, sehr empathisch darzustellen. Kann man das lernen oder ist das Ihre Empathie?

JMK  Darum geht es ja. Bei einigen Kollegen kann man auch feststellen, dass es darum geht. Die Empathie muss erst mal da sein.
Die Lust und der Mut, das ausdrücken zu wollen, müssen da sein. Weil es eine grössere Verletzlichkeit darstellt, also auch grössere Angreifbarkeit, wenn man sich so verausgabt auch emotional, und dann vernichtet werden würde. Es trifft einen härter, als wenn man „nur“ gesungen hat. Es gibt Leute, die geben von ihrer eigenen Emotionalität höchstens ein Drittel ab an so einem Opernabend.

Musikbeispiel, bitte anklicken:

Robert Schumann / Johann Wolfgang Goethe, Ballade des Harfners

 Franz Schubert / Robert Schumann, Grenzen der Menschheit, Johannes Martin Kränzle & Hilko Dumno, Songs after poems by Goethe & Schiller
mit freundlicher Genehmigung:
© Challenge Classics, 608917260021 – CC72600 – LC00950, P & C 2013
CHALLENGERECORDSINT

„Was hör ich draußen vor dem Tor,
Was auf der Brücke schallen?
Laßt den Gesang vor unserm Ohr
Im Saale widerhallen!“
Der König sprach’s, der Knabe lief,
Der Knabe kam. Der König rief:
„Bringt ihn herein den Alten.“

JMK  Es ist auch ein Teil, das meinen schönen Weg im Moment dokumentiert, weil ich vielleicht aus dieser Ecke komme. Stimmen gibt es vielleicht grössere, interessantere, schönere, aber die Kombination als Darsteller, als Erzähler, als Künstler. Ich finde, dass Sänger absolut Künstler sein müssen, sein sollen, und dann werden die Opernabende spannend.
Ich habe Probleme mit der Epoche Donizetti, Bellini, diesem reinen Belcanto. Wenn es da nicht ganz tolle Sängerinnen oder Sänger sind, dann wird mir das ganz schnell fad. Wenn die Gruberova so was singt, dann ist es immer emotional, dann ist auch so eine Musik ganz schnell lebendig.

RF  Die Rolle des Beckmesser in „Die Meistersinger von Nürnberg“, damit sind Sie demnächst an der Metropolitan Opera, der MET, in New York. Die Kritiken überschlugen sich nach der Kölner Aufführung und das Publikum jubelte. Dafür wurden Sie für den FAUST Theaterpreis nominiert. Der Alberich und der Dionysos brachte Ihnen den Titel Opernsänger des Jahres 2011 der Zeitschrift Opernwelt.

JMK  Die Kritiker hatten verschiedene Rollen von mir nominiert. Das hat mir gefallen. Im November, Dezember in diesem Jahr bin ich mit dem Beckmesser an der MET. Es ist Herr Levine als Dirigent geplant, wenn er gesund ist. Das wäre natürlich toll und sonst sind es auch grosse Namen, die da mit kursieren.
Der Beckmesser, das ist eine Rolle, die sehr vom Sprachwitz, von der Sprach-Rafinesse lebt, da habe ich mir schon sehr gute Gedanken gemacht. Vor allem dahingehend, dass er ein menschlicher Beckmesser bleibt, keine Karikatur, obwohl er manchmal komisch ist, aber eher aus seiner Über-Ernsthaftigkeit komisch wird, als dass der jetzt witzig sein will. Das will er ja nicht. Er ist eher eine tragische Figur, über die man lacht. Er will der beste Sänger sein, er ist sogar einer der Intelligentesten in der Gruppe, er ist nur zu steif und zu unflexibel in seinem eigenen Ausdrucksvermögen, was diese Gesänge angeht. Auch im Moment ist er blockiert, kann auch nichts dichten, nimmt daher vom Sachs dieses Lied. Es ist eher die eigene Unzulänglichkeit, die ihn komisch macht. Und darüber zu lachen, hat immer was Bitteres.
Denn jedem von uns passiert so was: beim Vorstellungsgespräch, bei wichtigen Auftritten, Vorträgen, dass man mal nicht mehr Herr seiner Lage ist und rum schwimmt, anfängt zu improvisieren, nicht günstig wirkt. Wenn man das einfangen kann, damit sich jeder Mensch dadurch ein bisschen wiedererkennen kann, selbst in so einer Rolle wie dem Beckmesser, dann berührt es die Leute. Und dadurch ist vielleicht der Erfolg zu erklären.

Musikbeispiel, bitte anklicken:

Franz Schubert / Johann Wolfgang Goethe, Der König in Thule

 Franz Schubert / Robert Schumann, Grenzen der Menschheit, Johannes Martin Kränzle & Hilko Dumno, Songs after poems by Goethe & Schiller
mit freundlicher Genehmigung:
© Challenge Classics, 608917260021 – CC72600 – LC00950, P & C 2013
CHALLENGERECORDSINT

„Es war ein König in Thule,
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldenen Becher gab.
Es ging ihm nichts darüber,
Er leert‘ ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.“

RF  Sie können sich ja unglaublich verausgaben, wie schaffen Sie das? Ich denke an Blaubart.

JMK  Das ist ja wie eine Katharsis, eine Befreiung beim Zuschauer wie beim Darsteller. Wenn ich mich ganz reingebe, erfüllt mich das auch in dem Moment. Dann komme ich auch an die Grenzen, die ich auch spüren möchte. Gerade beim Blaubart geht es wirklich um existentielle Machtkämpfe, Gefühlsschwankungen zwischen zwei Personen, die in der Inszenierung bis zur Gewalt oder auch bis zur völligen Verzweiflung ausschlagen. Es ist natürlich die Balance – da darf man trotzdem nicht die Stimme verlieren oder die Kontrolle kann einen für einen kurzen Moment verlassen, aber sie muss aber dann gleich wieder hergestellt werden können. Das ist professionell. In ganz jungen Jahren hatte es mich manchmal weggeschwemmt, da war ich gar nicht mehr Herr der eigenen Mittel. Das kann man lernen.

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Götterdämmerung: Lance Ryan (Siegfried; liegend), Anja Fidelia Ulrich (Gutrune) und Johannes Martin Kränzle (Gunther; stehend), Foto © Monika Rittershaus/Oper Frankfurt

RF  Die Rolle von Gunther in der „Götterdämmerung“ fällt mir ein. Wie war die Zusammenarbeit hier in Frankfurt mit Regisseurin Vera Nemirova und Dirigent Sebastian Weigle?

JMK  Das hat mir auch sehr grossen Spass gemacht, weil ich von der Rolle nicht so viel erwartet hatte vorher. Das ist Vera Nemirova eingefallen, dass sie den Gunther aufwerten kann. Vielleicht in der Arbeit mit mir hat sie die Idee bekommen. Das war natürlich ein Geschenk, den Gunther so lange beim Trauermarsch durchspielen zu dürfen.

RF  Das ist ja nun ein grosser Betrüger. Lässt sich von Hagen manipulieren, stimmt dem Mord an Siegfried zu, und am Schluss wird diese Figur sympathisch. Eine neue Interpretation.

JMK  Ich hoffe, es gibt eine Wiederaufnahme und ich wieder dann dabei sein werde.
Sebastian Weigle hat immer eine sehr gute Arbeitsatmosphäre. Dadurch entsteht natürlich auch viel, indem er Mut macht oder eine Freude an der Musik vermittelt. Das ist auch ganz was Wichtiges, finde ich.

RF  Sie sagten, Sie wollten mal Opernregisseur werden. Sie gehen gern ins Schauspiel.

JMK  Ich lern da ganz viel. Ich lerne, wie Sprache zur Geltung kommt, wie sie verhuscht, wie man denkt auf der Bühne. Das ist das, was manchmal in der Oper zu kurz kommt.

RF  In Köln erhielten Sie 2011 den Opernpreis, Sie sind ein Liebling des dortigen Opernpublikums.
Und jetzt haben Sie eine Gastprofessur an der Kölner Musikhochschule. Wie gefällt Ihnen diese Arbeit mit Studierenden?

JMK  Jeden Monat versuche ich, eine halbe bis eine Woche da zu sein. Das ist eine ganz tolle Tätigkeit, Wissen oder Kniffe oder Tricks, auch Ruhe und Zuversicht weitergeben zu können. Ich bekomme immer mehr Spass daran, wenn es um den Einzelnen geht. Wenn ich wieder in Frankfurt bin, dann fällt mir die eine oder andere Arie für den einen oder anderen Studenten beziehungsweise Studentin ein und dann hole ich nachts die Noten aus dem Notenschrank.

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CD: Franz Schubert / Robert Schumann, Grenzen der Menschheit, Johannes Martin Kränzle & Hilko Dumno, Songs after poems by Goethe & Schiller, Challenge Classics / CHALLENGERECORDSINT ; Foto: Renate Feyerbacher

RF  Und jetzt kommt Ihr Liederabend mit Schuberts Winterreise in der Oper Frankfurt.
Und es gibt eine neue CD mit Schubert und Schumann-Liedern von Ihnen.
Wie gehen Sie mit dem Leistungsdruck um und dem Ruhm?

JMK  Ruhm spüre ich normalerweise nicht. Neulich hatte ich ein Kirchenkonzert in Neckargemünd. Fast niemand engagiert mich mehr für Kirchenkonzerte. Leider. Entweder denken die, ich bin zu teuer oder manche denken, ich kann es nicht mehr, weil ich Wagner gesungen habe. Ich kann es noch sehr gut. Jetzt das Weihnachtsoratorium. Ich singe es viel besser als vor 20 Jahren. Gerade was das Oratorium angeht, muss ich mir alles selber organisieren. Da gibt es keine Konzertagentur für mich, weil, die wäre sehr unglücklich mit mir, weil ich durch die Opern terminlich unflexibel bin. Meine oratorischen Auftritte und Liederabende sind daher zum Großteil Eigenorganisation und auch auf einem ganz anderen finanziellen Level. Das nehme ich gerne in Kauf, weil ich diese Literatur so gerne singe. Es wäre schlimm, keinen Bach mehr singen zu können oder nur noch einmal im Jahr einen Liederabend zu haben. Meine Agentur ist eine sehr spezialisierte Opernagentur, was mir sehr hilft, weil sie es professionell macht.

RF  Welche zukünftigen Projekte wird es geben?

JMK  Hier angekündigt ist eine Oper von Frederick Delius „Romeo und Julia auf dem Dorfe“. Da ist es vielleicht so, dass ich die Geige spiele. Der Schwarze Geiger heisst die Rolle. Ich bin da schon im Kontakt mit der Regisseurin. Das ist schweres Repertoire, da kann ich dann nur ein paar Stellen spielen.
Dann hab ich eine ganz unbekannte Oper vor mir in Wien, „Die Zauberin“ von Peter Iljitsch Tschaikowsky, die wird nie gespielt. Mit dem Regisseur Christof Loy mach ich mal wieder was. Das ist eine schwere Rolle auf Russisch. Da werde ich noch viel lernen müssen. Und dann hier geplant eine Rolle, auf die ich schon ewig warte. Ich sang sie seit dem Vorsingen in der Aufnahmeprüfung nicht mehr: der Vater in „Hänsel und Gretel“, den werde ich singen. Dann geht es nach New York, wo ich Beckmesser bin. Das ist dieses Jahr.

RF  Sie sind Ensemblemitglied der Oper Frankfurt seit vielen Jahren. Sie waren zuletzt ein Jahr freigestellt. Leben Sie gerne in Frankfurt?

JMK  Da war ich in Glyndebourne, Mailand, Berlin, da gab es die ganzen „Ringe“. Nächstes Jahr werde ich sehr viel hier singen.
Ich lebe gern in Frankfurt und pflege meinen Freundeskreis.

RF  Sind Sie noch ehrenamtlich in Brasilien aktiv?

JMK  Ich habe es jetzt wieder vor für den Sommer. Ich muss unbedingt wieder hinfahren. Die haben schon öfters geschrieben, ich solle kommen. Ich versuche, das einzuplanen.

RF  Ich bedanke mich für das Gespräch.

Johannes Martin Kränzle (Bariton) und Hilko Dumno (Klavier): Franz Schubert (1797-1828), Winterreise op. 89 D. 911, Oper Frankfurt, 4. Februar 2014, 20 Uhr

→  Begegnung mit dem Sänger Johannes Martin Kränzle

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