home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Die Gespenstersonate“ von Aribert Reimann an der Oper Frankfurt

Eine unwirkliche, wirkliche Beziehungsgeschichte

Von Renate Feyerbacher

Fotos: Wolfgang Runkel /Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher

Die Gespenstersonate (Oper Frankfurt, 2014)

Dietrich Volle (Direktor Hummel) und Alexander Mayr (Der Student Arkenholz), Foto © Wolfgang Runkel

Aribert Reimann war zur Frankfurter Erstaufführung seiner Kammeroper „Die Gespenstersonate“ gekommen. Sie hatte Premiere am 26. Januar 2014. Frenetisch wurde er mit dem Team im Bockenheimer Depot gefeiert.

Zum dritten Mal wird eine seiner Opern in Frankfurt aufgeführt: „Lear“ 2008 (Shakespeare) und „Medea“ – Deutsche Erstaufführung – im Jahr 2010 (Grillparzer). Er ist der Komponist literarischer Werke.

„… nicht die Musik am Text entlang entwickeln“, sondern sie sich von der textlichen Vorlage entfernen lassen, das schreibt der Komponist in „Wie arbeite ich an einer Oper?“ (Programmheft).

Aribert Reimann 1-380

Aribert Reimann am Abend der Frankfurter Erstaufführung, Foto: Renate Feyerbacher

Aribert Reimann, 1936 geboren,  hat nach „Ein Traumspiel“ wieder ein Theaterstück des schwedischen Schriftstellers August Strindberg (1849-1912) vertont. Diesmal ist es „Die Gespenstersonate“ (1907), die er sich als Librettovorlage nahm und mit Uwe Schendel bearbeitete, dabei Struktur und Vokabular beibehielt. Der Text ist verständlich, knapp, kommt schnell auf den Punkt.

Kurios, seltsam ist die Story, die von Lebenden und Untoten handelt, eine Scheinwelt, aus der sich niemand befreien kann. Sie hat viel mit Strindbergs Leben zu tun. Dreimal war er verheiratet, liebte die Frauen und hasste sie und konnte dennoch nicht von ihnen lassen: „Verfallenheit an das Weib und sein Grauen vor ihm“, schreibt Thomas Mann. Es gab einen Suizidversuch, mit 42 Jahren erste paranoide Schübe. Strindberg war psychisch krank, aber nicht geisteskrank.

Die Gespenstersonate (Oper Frankfurt, 2014)

Björn Bürger (Bengtsson), Anja Silja (Die Mumie)  und Hans-Jürgen Schöpflin (Johansson), Foto © Wolfgang Runkel

Sein Stück „Gespenstersonate“ hat einen engen Bezug zu seiner dritten Ehefrau Harriett Bosse, einer Schauspielerin, aber auch zu seinem Zustand, seinem Unvermögen, sich von Erlebnissen zu distanzieren. Sein Stück hatte ursprünglich den Untertitel „Kama-Loka“, ein Begriff, der eine Art Hölle vor dem Totenreich bedeutet.

Das Ehepaar Strindberg-Bosse lebte in einem schönen Stockholmer Wohnhaus, wo sie auch Beethoven-Abende veranstalteten. Seine Sonate d-Moll opus 31, Nr.2 inspirierte ihn („Gespenstersonate“).

Ein fast mannshohes Puppenhaus mit modernem Wintergarten, das sich öfters dreht, ist daher das wichtigste Bühnenrequisit an diesem Opernabend. Lautlos auf Schienen gleitet das Mobiliar auf die Bühne – manchmal mit den Protagonisten in den Sesseln (Bühne und Kostüme Kaspar Glarner, Licht Joachim Klein).

Die Gespenstersonate (Oper Frankfurt, 2014)

Dietrich Volle (Direktor Hummel) und Anja Silja (Die Mumie), Foto © Wolfgang Runkel

Strindberg beschäftigt der schaurige Alltag menschlichen Zusammenlebens, das er wahrscheinlich aus eigenen Erlebnissen kannte. Es ist eine Abrechnung mit dem Irrenhaus namens Gesellschaft.

Der Alte, Direktor Hummel, bei Strindberg heisst er der Krüppel und meint den körperlichen wie seelischen Krüppel. Hummel hat sich im Laufe seines Lebens zum Betrüger und sogar zum Mörder entwickelt. Er begegnet auf der Strasse dem untadeligen Studenten Arkenholz. Hummel bietet ihm eine Anstellung – nicht aus Menschenliebe. Er will ihn in ein vornehmes Haus einführen, in dem ein Fräulein wohnt, die er dem Studenten als Braut in Aussicht stellt. Dieses Fräulein ist seine Tochter, die er mit der Mumie, der Frau des Oberst, in einer ehebrecherischen Liebesnacht zeugte.

Er will auch in das Haus, um mit den Bewohnern, dem Oberst, seiner ehemaligen Verlobten und seiner ehemaligen Geliebten, der Mumie, die wie Scheintote dort leben, abzurechnen. Aber die Abrechnung beim jährlichen Gespenstersouper mit dem Oberst wendet sich gegen ihn.

Die Mumie, die manchmal wie ein Papagei plappert, lebt seit 20 Jahren in einem Wandschrank. Diesen – in der Inszenierung eine Falltür – verlässt sie zum Souper und begegnet zum ersten Mal seit 20 Jahren dem Alten. Sie reden miteinander. Hummel offenbart, dass er der leibliche Vater des Fräuleins ist. Sein Diener Bengtsson packt aus und klagt Hummel an, den Tod des Milchmädchens verschuldet zu haben. Die Mumie verurteilt ihren Ex-Geliebten, sich im Wandschrank zu erhängen.

Währenddessen ist der Student zum Fräulein im Hyazinthenzimmer gelangt. Sie gewinnen Vertrauen zueinander, aber als der Student ihr einen Heiratsantrag macht, lehnt sie ab und stirbt. Mysteriös.

Die Gespenstersonate (Oper Frankfurt, 2014)

Barbara Zechmeister (Das Fräulein) und Alexander Mayr (Der Student Arkenholz), Foto © Wolfgang Runkel

Keiner dieser Menschen im Gespensterhaus, auch nicht der Student, hat je seine Träume für ein verträgliches Leben verwirklichen können.

„Eine Stimme kann Inspiration geben und die musikalischen Vorstellungen vorantreiben“ – Aribert Reimann.

Anla Silja 1 - 380

Anja Silja, Foto: Renate Feyerbacher

Gespräche mit der Sängerin Anja Silja, den Sängern Alexander Mayr, Hans-Jürgen Schöpflin, Björn Bürger, dem Dirigenten Karsten Januschke und dem Regisseur Walter Sutcliffe bei Oper Extra, wenige Tage vor der Erstaufführung, also noch in der Probenzeit, machen deutlich, wie schwieirig die Partien sind. Harte Arbeit. Die gesanglichen Kostproben, die sie vorab geben, lassen die musikalische Komplexität erahnen.

Alexander Mayr-380

Alexander Mayr, Foto: Renate Feyerbacher

Ähnlich äussern sich nach der Premiere die junge Solo-Geigerin Gesine Kalbhenn-Rzepka und der Solo-Cellist Johannes Oesterlee aus dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester, das nur neun Musikerinnen und Musiker aus den eigenen Reihen stellt und drei Gastmusiker hinzu verpflichtet. Ein Kammerensemble.

Dann der Opernabend: Die Bühne teilt das Bockenheimer Depot. Die Zuschauer sitzen rechts und links davon. Die Musiker sind nur von einer Seite zu sehen. Von meiner Seite aus sehe ich nur den Kopf des Dirigenten Karsten Januschke, der das Bühnengeschehen sehr konzentriert beobachtet und präzise Einsätze gibt. Monitore rundherum helfen den Singenden, die hin und wieder auf den Dirigenten schauen.

Dirigent Karsten Januschke-500

Dirigent Karsten Januschke, Foto: Renate Feyerbacher

Da gibt es wunderbare musikalische Momente, finster, skurril, humorvoll, zart. Das Zwischenspiel begeistert. Es strengt an, Reimanns Musik zuzuhören, aber die etwa 85 Minuten der Kammeroper vergehen wie im Flug.

Das ist auch das Verdienst der Regie von Walter Sutcliffe, dem eine einfallsreiche Inszenierung gelingt, dennoch sparsam, den singenden Protagonisten Raum zur Entfaltung ihrer schwierigen Partien gebend und sie schauspielerisch gut führend.

Walter Sutcliffe-500

Regisseur Walter Sutcliffe, Foto: Renate Feyerbacher

Das ist ebenso das Verdienst der Sängerinnen und Sänger, allen voran Dietrich Volle, der dem Alten, Direktor Hummel, souverän Stimme gibt, und Alexander Mayr, der die fast akrobatische Stimmenrolle (Student Arkenholz) ohne Probleme bewältigt. Manchmal muss seine Stimme mit Countertenor-Qualität eine Höhe erklimmen, die erstaunen lässt.

Was für ein Auftritt von Anja Silja! Was für eine Bühnenpräsenz. Ihre Sprech-Gesangspartie gestaltet sie sehr differenziert, deutlich, am besten von allen ist sie zu verstehen. Die Mumie, gar nicht mumienhaft, als Grande Dame – erinnernd im Kostüm an Strindbergs erste Frau.

Hans-Jürgen Schöpflin - 380

Hans-Jürgen Schöpflin, Foto: Renate Feyerbacher

Stimmlich grossartig präsent sind Brian Galliford als Oberst, ein international beschäftigter, mit grossen Dirigenten arbeitender Sänger, Hans Schöpflin, ein Spezialist für Rollen für Opern des 20. und 21. Jahrhunderts, ebenso der sehr junge Björn Bürger (Bengtsson, Bedienter beim Oberst), der seit dieser Spielzeit zum Ensemble gehört und einen Preis nach dem andern gewinnt.

Björn Bürger-380

Björn Bürger, Foto: Renate Feyerbacher

Barbara Zechmeister, seit 1996 in Frankfurt, vor drei Jahren zur Kammersängerin ernannt, singt das Fräulein. Sympathisch überspitzt besingt sie ihre Liebe zu den Hyazinthen, mit denen sie sich umgeben hat und mit denen sie wahrscheinlich auch kommuniziert. Sehr angespannt ist das Zusammentreffen mit dem Studenten, dessen Zuneigung sie erwidert, dessen Heiratsantrag sie allerdings zurückweist, plötzlich umfällt und stirbt. Eine grosse Blutlache breitet sich aus. Makaber alles. Gespenstermacht hat sich auch des unschuldigen Studenten bemächtigt.

Unbedingt hingehen!

Weitere Vorstellungen am 31. Januar, am 2., 4., 6. und 8. Februar 2014, jeweils um 19.30 Uhr, im Bockenheimer Depot.

– Weitere Artikel von Renate Feyerbacher –

 

Comments are closed.