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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kunstführungen für Menschen mit Demenz in den Opelvillen Rüsselsheim

Hessenweit erstes Museumsprojekt:
„Nur der Augenblick zählt“

Es ist ein besonderer Tag – dieser 3. Dezember 2013: Zum 21. Mal begeht die Weltgemeinschaft den „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung“ (vormals „Internationaler Tag der Behinderten“). 1992 hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen in einer Resolution den 3. Oktober eines Jahres zu diesem Tag bestimmt. Er wurde erstmals 1993 begangen.

An diesem 3. Dezember 2013 fand im Rahmen der laufenden Ausstellung „Noa Eshkol – Wall Carpets“ in den Opelvillen Rüsselsheim eine zweite Kunstführung für Menschen mit Demenz statt. Das Hessische Sozialministerium, das dieses Projekt unterstützt und finanziell fördert, war durch Cornelia Lange, Leiterin der Abteilung Familie, Gabriele Meier-Darimont vom Referat Seniorinnen und Senioren und eine weitere Mitarbeiterin des Ministerium vertreten.

Vorangegangen war Ende Mai 2013 ein entsprechendes Pilotprojekt der Stiftung Opelvillen im Zuge der Ausstellung „Toni Schneiders. Fotografien 1946-1990“. Die damalige Führung durch die Schwarz-Weiss-Fotografien aus der Zeit von 1946 bis 1990 löste bei vielen der an Demenz erkrankten Teilnehmer eine grosse Assoziationsfreude aus. Sie konnten besondere Details benennen und diese mit eigenen Erlebnissen in Verbindung bringen. Es stellte sich heraus, dass sich die Sprachfähigkeit der Erkrankten durch die spezifische, anregende Umgebung in den Ausstellungsräumen gegenüber derjenigen im Pflegeheim oder dem Zuhause vergrösserte.

Auf der Grundlage dieses positiven Befunds beschloss die Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, in Erweiterung ihres museumspädagogischen Programms an den Ruhetagen des Hauses (Montag und Dienstag) unter dem Motto „Nur der Augenblick zählt“ regelmässig Führungen für Menschen mit Demenz anzubieten. Die Organisation und Leitung dieses Projekts übernahm die langjährige Mitarbeiterin der Opelvillen Doris Bender, die dafür eine ergänzende, spezifisch-fachliche Ausbildung absolvierte.

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Doris Bender erklärt in der Führung am 3. Dezember 2013 die Wandteppiche von Noa Eshkol

Die Führungen richten sich an Menschen, die an Demenz erkrankt sind, sowie an deren Angehörige in häuslicher Pflege und an die Betreuer in den jeweiligen Einrichtungen. „Durch viele Untersuchungen hat sich herausgestellt“, erklärt Doris Bender, „dass die Sprachfähigkeit der demenzkranken Menschen durch die anregende Umgebung wieder grösser ist, als im Heim oder zuhause. Es gilt der Versuch, durch die Wahrnehmungs-Kompetenz des alten Menschen, die ästhetische Formensprache künstlerischer Werke, ihre Inszenierung und Präsentation in musealen Räumen positive Emotionen hervorzurufen“.

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„Unsere Führungen ‚Nur der Augenblick zählt‘ stellen keine Therapie dar“, so Doris Bender weiter. „Unser Ziel ist es vielmehr, diesen Menschen ein Stück Lebensqualität, die den ‚Augenblick verschönert‘, zu verschaffen. Ein Museumsbesuch stellt eine Abwechslung im Alltag dar und bietet einen geschützten Rahmen für Betroffene und deren Angehörige. Die Ausstellung zeigt Wandteppiche der israelischen Künstlerin Noa Eshkol, die anhand von Stoffresten vielfarbige und ausdrucksstarke Kompositionen schuf. Die sowohl gegenstandslosen als auch ungegenständlichen Variationen eignen sich aufgrund ihrer Narration auf besondere Weise für eine assoziationsreiche Führung. Eshkol hat über Jahrzehnte ihre Stoffcollagen geschaffen, die unterschiedliche Muster vergangener Zeiten tragen. Die Stoffe wecken Assoziationen an Sommerkleider, ein Festgewand, aber auch an Militär und Kriege. Ein weites Spektrum, das eine Fülle an Erinnerungen wecken kann und auf ganz besondere Weise Besucher mit Demenz zur Kommunikation anregt“.

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Bei Kaffee, Tee und Gebäck bereitet Doris Bender die Gruppe auf die Führung vor

Am 3. Dezember war eine grössere Gruppe an Demenz erkrankter Personen aus der Augustinum Seniorenresidenz Bad Soden zu Gast in den Opelvillen. Die Mehrzahl unter ihnen konnte ersichtlich den Erläuterungen von Doris Bender folgen, andere Teilnehmer wiederum zeigten nur geringe oder sehr verhaltene Reaktionen. Nicht jede Ausstellung wird für Führungen dieser Art geeignet sein. Auch sollte der Teilnehmerkreis nicht zu gross gewählt werden, um eine persönliche, individuelle Ansprache der einzelnen Besucherinnen und Besucher, gar einen Dialog mit ihnen zu ermöglichen.

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Führung in den Opelvillen Rüsselsheim am 3. Dezember 2013

Der Kulturgeragogik – der Kulturarbeit also mit älteren Menschen im Sinne kultureller Weiterbildung und der Vermittlung von Kultur, gerade unter dem Aspekt, ein Alter in Würde und Selbstbestimmung und bei – den Umständen entsprechend – hoher Lebensqualität zu ermöglichen, kommt immer stärkere Bedeutung zu. Der Verein dementia+art e.V. in Köln beispielsweise nimmt sich der kulturellen Teilhabe von Senioren und besonders von Menschen mit Demenz an. Inzwischen veranstalten einige Museen, besonders in Nordrhein-Westfalen, sogenannte Demenzführungen. Schrittmacher war das Lehmbruck-Museum in Duisburg, das bereits 2007 als bundesweit erstes Museum ein entsprechendes Konzept entwickelte.

„Um Politik für und mit Menschen mit Behinderungen erfolgreich gestalten zu können, ist es notwendig, Barrieren abzubauen und ein gleichberechtigtes Zusammenleben zu fördern“, erklärte der hessische Sozialminister Stefan Grüttner anlässlich des Internationalen Tags der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember 2013. „Die Hessische Landesregierung hat sich von Beginn an aktiv für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eingesetzt“. Hessen hat bundesweit einmalig eine Stabsstelle zur Umsetzung der Konvention im Hessischen Sozialministerium eingerichtet.

„Bei alle dem verkennt die Landesregierung jedoch nicht, dass noch weitere Anstrengungen erforderlich sind, damit Menschen mit und ohne Behinderungen gleichberechtigt in unserer Gesellschaft leben können. Dabei ist jeder Einzelne wertvoll und wichtig und bereichert unsere Gesellschaft in jeder Hinsicht“, so der Sozialminister weiter. Grüttner erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass allein schon die steigende Lebenserwartung naturgemäss häufig persönliche Beeinträchtigungen und Behinderungen mit sich bringen kann. „Daher werden wir den begonnen Weg konsequent weiter gehen“, erklärte Grüttner abschliessend.

In Hessen leben über 71.000 Menschen mit Demenz. Die Zahl der an einer Form von Demenz Erkrankten wird bundesweit auf 1,4 Millionen geschätzt.

Kunstführungen für Menschen mit Demenz, Opelvillen Rüsselsheim; Informationen und Anmeldungen: opelvillen@online.de und opelvillenveranstaltung@online.de

Fotos (mit Genehmigung des Leiters Pflegedienst der Augustinum Seniorenresidenz Bad Soden zur öffentlichen Wiedergabe): FeuilletonFrankfurt

→ Wandteppiche von Noa Eshkol in den Opelvillen

 

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