home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Mein Bundesverdienstkreuz und ich

„Krischan, lat de Piepen stan!“ (Wilhelm Busch)

Von Hans-Burkhardt Steck
Rechtsanwalt und Diplom-Soziologe

Was ist das? fragen die Journalisten. Na hören Sie mal, das weiß man doch: Das ist doch das große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband, aber in der Ausführung, die man bei solchen Anlässen trägt. Mein Gott, wer so was nicht mal weiß, der hat bei solchen Anlässen nichts verloren. Solche Anlässe, das sind zum Beispiel Hauptverhandlungen vor einer großen Strafkammer, bei denen man den Angeklagten gibt. Für solche Fälle ist die besondere Ausführung des Bundesverdienstkreuzes mit Stern und Schulterband gedacht und gemacht, und zwar aus sehr guten, bislang allein von unser aller Ex-Präsident erkannten Gründen.

Er freut sich ja schon sehr auf den bevorstehenden Freispruch, der seine Ehre wiederherstellen wird. Sowieso geht’s ja nur um lächerliche 700 Euro. Ganz richtig sagt sein Verteidiger, die Hypothese sei absurd, daß sich sein Mandant für ein paar hundert Euro einem Freund gefällig zeige. Da müsse, möchte man fast hinzufügen, schon ein bißchen mehr rüberwachsen. Oder wie war das gemeint?

Jedenfalls weiß Wulff ganz genau: Wenn er freigesprochen wird, ist seine Ehre wiederhergestellt. Denn, und das ist die Überlegung dahinter: Nur Straftaten sind unehrenhaft. Wenn man ein anständiger Mensch ist, dann verliert man seine Ehre nur durch eine strafrechtliche Verurteilung. Und wie beweist man, daß man ein anständiger Mensch ist? Richtig, durch Orden! Denn wer kriegt das Bundesverdienstkreuz? Nein, nicht wer viel verdient! Nein, das kriegt jeder, der sich um die Bundesrepublik Deutschland verdient macht. Wer also edel und uneigennützig, oft unter Gefahr für Leib und Leben oder unter Opferung des letzten Hemdes, selbstlos Menschen in Not hilft, alte Mütterchen über die Straße zerrt oder eine Tafel für Obdachlose organisiert.

Aha. Das alles und noch viel mehr hat Christian Wulff also für uns getan, sonst hätte er ja den tollen Orden bestimmt nicht gekriegt, den es sogar in einer eigenen Ausführung für Menschen gibt, die wegen Vorteilsannahme angeklagt sind. Das wußten wir alle bis gestern nicht!

So ganz stimmt’s auch nicht. Man kriegt den tollen Orden auch einfach dafür, daß man den Bundespräsidenten gibt. Jedem neuen Bundespräsidenten wird er zu Beginn seiner Amtszeit umgehängt, ohne daß er dafür auch nur den kleinsten Finger krumm machen müßte.

Das Wunderbare dabei: Man sieht es dem Orden nicht an, ob er für grundanständiges, heldenhaftes und uneigennütziges Verhalten oder für das Ergattern eines hohen Staatsamts verliehen wurde. Ist im Grunde auch egal. Denn ein hohes Staatsamt kriegen ja auch nur anständige Leute.

500px-GER_Bundesverdienstkreuz_9_Sond_des_Grosskreuzes.svg

Mit achtspitzigem Bruststern: höchste Form des Ordens, allen Bundespräsidenten als Amtsinsigne verliehen, wird auch als kleiner Anstecker am Revers getragen (Bildnachweis: wikimedia)

Und das Tolle ist: Der Orden beweist im Umkehrschluß, daß man ein grundanständiger, heldenhafter und uneigennütziger Mensch ist! Man braucht bloß die – sehr kompakte und nicht weiter auftragende – Spezialausführung für Tage, an denen man als Angeklagter wegen Vorteilsannahme vor Gericht steht, immer mit sich zu führen, und schon kann man sich überall und jederzeit als anständiger Mensch ausweisen. Wer da nicht mittun möchte. Ich jedenfalls habe mir vorgenommen, ab sofort auch wirklich alle Mütterchen über jede Straße notfalls zu tragen, wenn sie sich zu sehr sträuben.

Allerdings hat Herr Wulff anscheinend eins nicht bedacht: Wenn der Bundespräsident oder ein Ex-Bundespräsident mit dem Abzeichen daherkommt, dann könnte der eine oder andere darauf kommen, daß das wohl der automatische Bundespräsidentenorden sein müsse, zumal man ja niemals von irgendwelchen Heldentaten des Herrn Wulff gehört hat, die die Verleihung eines Ordens, und auch noch der allerhöchsten Klasse, gerechtfertigt hätten. Wirklich urkomisch: Er kriegte den Orden, weil er Bundespräsident war, trägt ihn, um seine Anständigkeit zu demonstieren, und ist überhaupt nur angeklagt, weil er Bundespräsident war, denn es ist doch sehr die Frage, ob man ohne diese ganze Bundespräsidentengeschichte so aufwendig gegen ihn ermittelt hätte.

Wulff hat aber, gewitzt wie er ist, noch einen ganz anderen Dreh erfunden. Es gibt ja, das weiß selbst er, Menschen, die eine besonders absurde Theorie vertreten. Die sagen, die menschliche Gesellschaft sei durch ein System unterschiedlichster Reaktionen auf Fehlverhalten gekennzeichnet. Je schwerer das Fehlverhalten wiege, desto empfindlicher sei die Reaktion. Zum Beispiel:

Mit ungewaschenen Händen beim Abendbrot erscheinen: Tadelnder Blick
Freche Bemerkungen über den dicken Bauch des Vaters: Verweis
Freche Bemerkungen über die Kochkunst der Mutter: Nachtischentzug
Freche Bemerkungen über Franz-Peter Tebartz-van Elst: Stubenarrest
Beim Abwasch Meißener Porzellan zerdeppern: Taschengeldentzug
Freche Bemerkungen über den Chef: Fristlose Kündigung
Schwarzfahren: Bußgeld
Ladendiebstahl: Geldstrafe
Betrug: Freiheitsstrafe
Mord: Lebenslang

Und da gibt es Leute, die behaupten, das Kriminalstrafrecht umfasse nur einen winzigen Teil des „negativen“, „dysfunktionalen“ oder „abweichenden“ Verhaltens, vielleicht ein Promille von einem Promille. Die behaupten, das Verhalten eines Menschen werde im wesentlichen durch die Reaktion der anderen Menschen – Lob, Tadel, Haue, Pralinen – gesteuert. Und es gebe einen riesigen Bereich der außerjuristischen Gemeinheit. Gemeinheiten, die gegen kein Strafgesetz verstoßen und einen trotzdem furchtbar ärgern. Zum Beispiel Frau Merkel „Mutti“ nennen. Oder die Frage aufwerfen, ob sich Gerhard Schröder die Haare färbte, als er vor hundertfünfzig Jahren mal Kanzler war. Das Kriminalstrafrecht sanktioniere, so diese komischen Leute, lediglich die Spitze des Eisbergs menschlicher Abgründe, nur die allerschlimmsten Gemeinheiten kämen vor den Strafrichter. Nur die, bei denen es gar nicht mehr anders ginge. Der absolute Löwenanteil an negativen Sanktionen komme aber nicht von der Richter-, sondern von der Eckbank am Eßtisch.

Diesen Blödsinn wird uns jetzt unser geliebter Ex-Bundespräsident austreiben. Er hält das alles für blühenden Quark (kann Quark blühen?) und sagt:

Erstens: Was nicht strafbar ist, ist gebongt.

Zwotens: Alles, was ein anständiger Mensch tut, ist anständig, wenn es nicht strafbar ist. Es wird einfach dadurch „gut“, daß es ein guter Mensch tut. Mit anderen Worten:

Alles, was ein Guter tut
ist allein schon deshalb gut.

Sein Verfahren gibt dem Präsidenten eine wunderbare Gelegenheit, die überlegene Richtigkeit seiner Sichtweise am praktischen Beispiel, nämlich an ihm selbst, zu beweisen.

Denn: Bei der Staatsanwaltschaft gingen Informationen über eine Vielzahl von Verhaltensweisen des Herrn Wulff ein. Wenn so etwas bei einer Staatsanwaltschaft eingeht, dann muß die entscheiden, ob die jeweilige Strafanzeige die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens rechtfertigt. Stark vereinfacht sieht das so aus: Die Staatsanwaltschaft schaut sich den Sachverhalt, der ihr unterbreitet wird, an, und fragt sich zweierlei.

Erstens: Wenn alles stimmt, was der Anzeigeerstatter behauptet, wäre das dann eine Straftat? Ja? In echt? Na, dann muß ich wohl ein förmliches Ermittlungsverfahren einleiten.

Zweitens: Ist das vielleicht schon durch unbezweifelbare Beweise widerlegt, was der Anzeigeerstatter behauptet? Dann darf ich natürlich kein Ermittlungsverfahren einleiten, das wär ja noch schöner.

Wieder mal mit anderen Worten: Ein Sachverhalt, der die Staatsanwaltschaft veranlaßt, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, ist – jedenfalls nach Auffassung der Staatsanwaltschaft – eine strafbare Handlung. Also auf alle Fälle schon mal unehrenhaft.

Bei Herrn Wulff ist nun eine ganze Reihe von Verhaltensweisen zunächst mal als verdächtig angesehen worden. Am Ende hat sich dann aber rausgestellt, dass bei fast allen das eine oder andere Detail gefehlt hat, was vom Strafgesetz verlangt wird. Dann blieben zwar immer noch unschöne Dinge übrig, aber die waren eben nicht strafbar. Nur eine einzige Sache blieb übrig, bei der waren alle Umstände so, wie das Strafgesetzbuch sie gerne hätte und, bums, wurde der Herr Wulff wegen dieser einen Sache angeklagt. Man muss vielleicht dazu sagen, dass die Staatsanwaltschaft ermitteln und anklagen muss und keinerlei Ermessensspielraum hat. Das einzige was sie darf: Sie darf, bei ganz kleinen Fällen, dem Beschuldigten anbieten, das Verfahren gegen Zahlung einer gewissen Geldbuße einzustellen.

Der normale Mensch fragt sich jetzt natürlich sofort: Ist das denn ein kleiner Fall, wenn der erste Mann im Staat Geld für Gefälligkeiten kriegt? Kann das überhaupt ein kleiner Fall sein? Egal, um wieviel Geld es geht?

Aber gut, die Entscheidung hat uns Herr Wulff abgenommen. Der sagt klipp und klar: Ich will keine Einstellung gegen eine Geldbuße. Wahrscheinlich denkt er dabei: Das ist doch kein kleiner Fall, wenn der Bundespräsident Geld nimmt. Auch wenn es wenig ist.

Aber vor allen Dingen ist er eben felsenfest davon überzeugt, dass seine Ehre – und die scheint das letzte zu sein, was er noch zu haben glaubt – dadurch wiederhergestellt wird, dass ein Strafgericht erklärt, er habe sich nicht strafbar gemacht. Das ist jedenfalls sehr originell und überzeugt auf Anhieb. Die ganzen Rücktritte von Strauß, Brandt und Filbinger bis hin zu Jung, Guttenberg und Schavan waren für die Katz‘! Keiner von denen hatte sich schließlich strafbar gemacht. Und unehrenhaft verhalten? Sie haben sich eben nicht strafbar gemacht. Dolle Orden hatten sie sicher auch alle, waren also anständige Menschen. Warum zum Teufel sind sie dann zurückgetreten?

Aber noch viel mehr fragen wir uns: Warum zum Teufel ist denn Christian Wulff zurückgetreten, wenn er sich doch nach eigenem Bekunden kein bisschen strafbar gemacht hat?

Comments are closed.