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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Bremen, ein kleines Abenteuer

Von Elke Backert

Der Esel der Bremer Stadtmusikanten am Rathaus hat blank gescheuerte Vorderbeine, dem Eber der Schweineherde in der Sögestrasse haben Bürger und Besucher das Ringelschwänzchen blank gerieben. Anfassen, Augen schliessen, sich was wünschen, und der Wunsch geht in Erfüllung. Vorausgesetzt, beim Esel fasst man beide Vorderbeine an, senkt den Kopf und – verrät niemandem seinen Wunsch. Sonst ist alles für die Katz. Das Abenteuer Bremen kann beginnen.

Keiner geht vorüber, ohne die Glück bringenden Eselsbeine zu streicheln und sich ablichten zu lassen: An der Westseite des Rathauses steht seit 1951 die Bronzeplastik der Bremer Stadtmusikanten des Bildhauers Gerhard Marcks

Wer sich gern gruselt, geht zuerst in den Bleikeller des Doms St. Petri. Ob Mann oder Frau, ob 80-jährig oder jung gestorben, ob Tagelöhner oder Offizier, alle die in Glassärgen beigesetzten Mumien aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind gleichermassen ausgetrocknet und wiegen nur noch zehn Kilo. Als man um 1900 die dank der Trockenheit so konservierten Leichen entdeckte, hängte man zum Testen der Mumifizierung ein totes Äffchen und eine tote Katze im Keller auf. Und siehe da, auch sie sind „verledert“.

Dom und Rathaus

Unverwechselbar bleiben das prächtige Rathaus im Stil der Weserrenaissance und die ehrwürdige Figur des Roland auf dem historischen Marktplatz, die seit 1404 den Bürgerwillen nach Unabhängigkeit verkörpert.

Aus Stein gehauen und 1404 errichtet, ist der Roland das Wahrzeichen Bremens

Aufwendige Schnitzarbeiten im Bremer Rathaus

Beachtenswert im Rathaus ist nicht nur die Kassettendecke, sondern auch die aufgehängten Segelschiffe, deren Kanonen echte Schüsse abfeuern konnten

Rathaus und Roland stehen als Welterbe der Menschheit unter dem Schutz der UNESCO, doch auch der Schnoor – Bremens ältestes Stadtviertel -, die ungewöhnliche Architektur der traditionsreichen Böttcherstrasse oder der Bremer Dom suchen ihresgleichen. Für einen Rundgang zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten ist nicht mal ein Stadtplan nötig. 2.000 Nägel aus Messing und Stahl führen vom Liebfrauenkirchhof über Marktplatz und Schnoor zur Böttcherstrasse.

Anfangspunkt der Route ist das heimliche Wahrzeichen der Hansestadt. Mit dem Rücken zum Rathaus und dem Gesicht zum Liebfrauenkirchhof präsentiert sich die von Gerhard Marcks entworfene Bronzestatue der Bremer Stadtmusikanten. Das Märchen der Gebrüder Grimm ist in aller Welt bekannt und eng mit Bremen verbunden.

In der Kunsthalle Bremen empfangen sie gar die Besucher, ein bisschen makaber zwar, aber sie haben Rückgrat. Ihre Skelette zeigen es.

Die Bremer Stadtmusikanten empfangen den Besucher in der Bremer Kunsthalle

Nur wenige Schritte von den Stadtmusikanten entfernt wartet das Bremer Loch, ein Kanaldeckel mit einem Schlitz, auf Münzen. Der Spender wird mit dem hohen Eselsruf „Iaa!“ belohnt.

„Doh wat rin“ ins Bremer Loch. Wer eine Münze einwirft, wird mit dem Eselsruf Iaa! belohnt

Hinter dem Eingang zum Bremer Ratskeller befindet sich Deutschlands ältester Weinkeller. In ihm schenkt der Kellermeister bereits seit 1409 edle Tropfen aus. Mit 650 klangvollen Sorten beherbergt der Ratskeller die grösste Sammlung deutschen Weins. In der grossen Gewölbehalle, zwischen Säulen und Prunkfässern mundete es auch Poeten. Heinrich Heine liess sich hier zu einem Gedicht inspirieren, Wilhelm Hauff verfasste seine Novelle „Phantasien im Bremer Ratskeller“ an Ort und Stelle.

Im Schnoor reihen sich kleine, schmale Fachwerkhäuser aus dem 15. und 16. Jahrhundert aneinander wie die Perlen an einer Schnur, plattdeutsch „Schnoor“. Möglicherweise rührt der Name aber auch von den Taumachern, die in diesem ehemaligen Fischerquartier wohnten. Hier zeugt das „Hochzeitshaus“, das wohl kleinste Hotel der Welt, von alten Bräuchen. Hochzeitshäuser waren im Mittelalter notwendig, weil Paare, die vom Lande kamen, um etwa im Bremer Dom zu heiraten, eine Wohnung in der Stadt nachweisen mussten. Aber selbst Städter mieteten oft ein geeignetes Hochzeitshaus, um ihre Feier auszurichten. Die eigene Wohnung war meist viel zu klein. Für damalige Verhältnisse muss das Hochzeitshaus im Schnoorviertel – mit nur „vier Schritten tief und vier Schritten breit“, also einer Grundfläche von 16 Quadratmetern – ungeheure Ausmasse gehabt haben. Heute kann das niedliche Hotel jeder mieten, der Urlaub vom Alltag machen möchte.

Das Ringelschwänzchen muss gestreichelt werden! Bringt Glück!

Vom Schnoor sind es nur wenige Meter flussabwärts entlang der Weserpromenade Schlachte zu einem einmaligen Kunst- und Architekturprojekt. In der Böttcherstrasse lebten früher die Fassmacher, deren Berufsbezeichnung sich von „Bottich“ für Fass herleitete. Heute ist die kleine Gasse das Zuhause von Kunst und Kunsthandwerk. Der Bremer Kaffeekaufmann Ludwig Roselius kaufte Anfang des 20. Jahrhunderts die Häuser der verfallenen Strasse und liess sie mit Hilfe der Architekten Bernhard Hötger, Eduard Scotland und Alfred Runge zu einem architektonisch aussergewöhnlichen Strassenzug restaurieren.

Hier ist auch das Glockenspiel zu Hause, das sich niemand entgehen lassen sollte. Zu seinem Klang zeigt der drehbare Turm im Mauerwerk zwischen dem Haus des Glockenspiels und dem Roselius-Haus bekannte Ozeanbezwinger, womit Roselius auf den Pioniergeist der Hansestadt anspielt. Denn in Bremen entstand die erste Maschine, die von Ost nach West den Atlantik überflog, ein Flugzeug vom Typ Junkers W 33 namens „Bremen“.

Aber auch das Paula Modersohn Becker-Haus ist etwas Besonderes. Es ist das erste Museum weltweit, das einer Frau gewidmet war.

Die Bremer Kunsthalle zeigt einen schönen Querschnitt berühmter Maler, auch Werke von Paula Modersohn-Becker (1876-1907), hier ihr „Selbstbildnis vor grünem Hintergrund mit blauer Iris“ (um 1905)

Auch die Bremer Kunsthalle zeigt Werke von Paula Modersohn-Becker (1876-1907), zudem einen schönen Querschnitt berühmter Maler. 2014 lädt die Kunsthalle zur Sonderausstellung „Sylvette, Sylvette, Sylvette. Picasso und das Modell“ ein.

Einzigartig im Norden ist „The Rock! – Der Berg ruft!“ Auf einem Offroad-Parcours des Mercedes-Benz-Kundencenters Bremen kann man ein atemberaubendes Fahrgefühl erleben und die Parcours-Herausforderungen dank ausgebildeter Instruktoren und Beifahrer meistern – etwa bei der Fahrt über eine Geröllstrecke, Treppenstufen, Baumstämme und den sogenannten Verwindungshügel (Fahren auf drei Rädern). Bei den Baumstämmen wird man kräftig durchgeschüttelt und behält dennoch dank perfekter Stossdämpfung einen klaren Kopf. Ein weiterer Höhepunkt des Parcours, der auch für Veranstaltungen und Fahrertrainings genutzt werden kann, ist die Extremsteigung von 70 Prozent und das Gefälle von 80 Prozent. Ein unvergessliches Abenteuer.

Das Abenteuer setzt sich fort im Astrium der DASA am Flughafen. Highlight ist der Gang durch Teile des originalgetreu nachgebauten Raumstationsmodells, bestehend aus einem japanischen Modul, dem europäischen Columbus-Labor und dem amerikanischen Wohnmodul. Hier sieht man die Antworten auf so brennende Fragen: Wie schlafen die Astronauten, wie duschen sie im All.

Es klappert auch in Bremen eine Mühle: die Kaffee Mühle, ein beliebtes Ziel

Von der Zukunft in die Vergangenheit: Die Seestadt Bremerhaven lockt mit der in der Weser gefundenen Original Bremer Hansekogge von 1380 ins Deutsche Schifffahrtsmuseum. Sie füllt die Lücke zwischen den in Norwegen und Dänemark geborgenen Wikingerschiffen des 9. bis 11. Jahrhunderts und dem in Stockholm ausgestellten Kriegsschiff Wasa von 1628. Immer ein Magnet für Jung und Alt ist der Mini-Port mit fernlenkbaren Schiffsmodellen. Zum Speisen in exklusivem Ambiente verführt die vor Anker liegende „Seute Deern“, der grösste hölzerne Frachtsegler der Welt, der im Original erhalten geblieben ist. Er gehört mit der Hansekogge, die übrigens die älteste nachweisbare Schiffstoilette hat, zum Weltkulturerbe.

Bremer Wappen; süffisant sagen die Bremer Hanseaten über ihr Wappen, die Hamburger hätten zwar das Tor zur Welt, aber es sei verschlossen, nur die Bremer hätten den Schlüssel dazu

Fotos: Elke Backert

 

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