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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Wols – Das grosse Mysterium“ im Museum Wiesbaden

Das Werk eines Unangepassten

Von Hans-Bernd Heier

Aus Anlass des 100. Geburtstags von Wolfgang Otto Schulze (Wols) zeigt das Museum Wiesbaden eine umfassende Ausstellung zu Leben und Werk dieses heute zu den wichtigsten Künstlern des 20. Jahrhunderts zählenden Malers, Fotografen und Zeichners. In seinem kurzen Leben hat Wols (1913 – 1951) ein reichhaltiges Werk hervorgebracht – angefangen von ersten Fotografien über Aquarelle bis hin zu bahnbrechenden Gemälden.

Das Landesmuseum Wiesbaden gehörte zu den ersten Institutionen, die sich dem Werk Wols‘ zuwandten: Im Sommer 1961 fand hier anlässlich seines zehnten Todestages eine erste Museumsausstellung seines Werkes statt. Gut 50 Jahre später wendet sich das Museum abermals dem Künstler zu und zeichnet in der Retrospektive mit dem Titel „Wols – Das grosse Mysterium“ seine Lebensstationen von Dresden über Berlin bis Paris und die Entwicklung seines Werkes nach. Gezeigt werden Ölgemälde, Zeichnungen und Aquarelle, Fotografien sowie Druckgrafiken, viele aus Privatbesitz, die lange Zeit nicht mehr zu sehen waren.

Zudem werden anhand von handschriftlichen Aphorismen und Briefen, persönlichen Dingen, Notizen sowie historischen Katalogen und Filmen die Lebensumstände des Unangepassten in der Zeit von 1933 bis 1951 beleuchtet. Die Schau, in der über 100 Arbeiten gezeigt werden, ist nicht nur eine Hommage an den früh verstorbenen Künstler, sondern, wie Alexander Klar, Museumsdirektor und Ko-Kurator, sagt, „auch eine Hommage an die Historie des Hauses“.

Wolfgang Otto Schulze verliess 1933 seine Heimatstadt Dresden wegen des für ihn unerträglichen politischen Klimas in Deutschland und lebte zunächst in Barcelona und dann auf Mallorca und Ibiza. 1935 liess er sich in Paris nieder, wo er als Porträtfotograf tätig war. Bereits im Frühsommer 1932 zog es ihn erstmals nach Paris. Eine versehentliche Verkürzung seines Namens in einem Telegramm nahm er zum Anlass, sich ab 1937 „Wols“ zu nennen. Er verkehrte im Kreis der Surrealisten und pflegte freundschaftliche Kontakte unter anderen mit Max Ernst, Tristan Tzara, André Masson und Marcel Duhamel.

Wolfgang Otto Schulzes fotografisches Werk lässt sich auf Mitte 1932 datieren. Der mit vielen Talenten begabte Sohn eines sächsischen Spitzenbeamten versucht, sich mit dieser Reise nach Paris vom grossbürgerlichen Milieu des Elternhauses zu lösen und seine Bestimmung zu finden. Bereits in diesen frühen Schwarz-Weiss-Fotografien aus den Jahren 1932/33 kommt ein neuer Blick auf die Wirklichkeit zum Tragen. Schulze visiert seine Motive schräg, schroff oder frontal an, so dass seine Aufnahmen unvermittelt wirken: Es sind direkte Blicke auf eine Mauer, ein Gitter, einen Bretterverschlag, eine Barriere oder eine Treppe hinauf.

Als der Künstler Ende 1935 mittellos nach Paris zurückkehrt, beginnt für ihn, da er nicht willens ist, seinen Militärdienst im „Dritten Reich“ abzuleisten, ein Leben als Emigrant. Er arbeitet vornehmlich als Porträt- und Werbefotograf, um sich über Wasser zu halten. Im Mai 1937 erhält er den lukrativen Auftrag, den Pavillon d’Élégance auf der Pariser Weltausstellung zu fotografieren. Surrealistisch inszeniert, war dieser Pavillon der Haute Couture eine der beliebtesten Attraktionen der Weltausstellung. „Sein fotografisches Werk besteht aus rund 2.000 Motiven in Form von Negativen, Kontaktabzügen und Vintage Prints“, schätzt Gastkurator Hans-Joachim Petersen. Unter den Abzügen befinden sich auch sechs Fotogramme, die ohne Kamera durch direkte Belichtung des Fotopapiers entstehen.

Zu Beginn seines Werkes aus rund 1.000 Papierarbeiten stehen Aquarelle, die mit „WS“ signiert und zwischen 1935 und 1937 gemalt sind. Danach nimmt er das Akronym Wols an, das vor allem helfen sollte, ihn nicht gleich als illegalen Deutschen in Paris zu entlarven. Wols hat seine Papierarbeiten bis auf wenige nicht betitelt. Fast alle Titel sind posthum entstanden. Ab 1937 signiert er seine Arbeiten meist nur auf Wunsch eines Kunden und fertigt Fotografien von den verkauften Blättern an, um sie als Referenzmotive zu erhalten.

Wols, der jede Form der Vereinnahmung ablehnt, aquarelliert und zeichnet bis zu seinem Tod. Er greift in seinen frühen Aquarellen auf Elemente des Surrealismus zurück, in dem Fragmente der Realität absichtsvoll unsinnig, eben wie die Worte der surrealistischen Dichtung, zusammengefügt wurden. André Breton, der Theoretiker der Surrealisten, formulierte dies im Manifest des Surrealismus 1924 so: „Das stärkste Bild muss ich gestehen, ist für mich das, das von einem höchsten Grad von Willkür gekennzeichnet ist; für das man am längsten braucht, um es in die Alltagssprache zu übersetzen“.

Mit dem Eintritt Frankreichs in den Zweiten Weltkrieg im September 1939 wird Wols interniert und auf eine Odyssee durch verschiedene Lager geschickt: Er gelangt schliesslich in ein Lager in der ehemaligen Ziegelei Les Milles bei Aix-en-Provence. Hier sind neben Schriftstellern wie Walter Benjamin, Lion Feuchtwanger, Golo Mann auch Nobelpreisträger wie die Mediziner Otto Meyerhof und Wilhelm Reichstein, und Künstler wie Max Ernst und Hans Bellmer inhaftiert. Im Lager entfaltet Wols eine umfangreiche künstlerische Produktion und schafft Hunderte von Zeichnungen und Aquarellen. Hatte er in der Umgebung der Surrealisten und der professionellen Fotografen in Paris ein künstlerisches Umfeld gehabt, so ist er jetzt auf sich gestellt und erliegt dem Alkohol.

Ende Oktober 1940 heiratet Wols in Aix-en-Provence seine 15 Jahre ältere Freundin Gréty, welche die französische Staatsbürgerschaft besitzt. Er wird aus Les Milles entlassen und dem Paar wird der Wohnort Cassis zugewiesen. Trotz Reiseverbots und dürftiger Lebensumstände zählen die Jahre dort zu seinen glücklichsten, was sich auch in seinen Fotografien und Aquarellen niederschlägt.

Aus Angst, von der Gestapo gefunden zu werden, fliehen Wols und Gréty Weihnachten 1942 nach Dieulefit bei Montélimar. Dort lernt Wols wenig später den im Exil lebenden Schriftsteller Henri-Pierre Roché aus Paris kennen. Roché, der die zarten, poetischen Aquarelle Wols‘ besonders zu schätzen weiss, erinnert sich später: „Wir sahen uns jeden Tag. Ich kam am Morgen zu ihm, er sass bequem mit dem Rücken zur Mauer auf seinem Strohsack, seinen Hund zu Füssen, seine Flasche, seine Pfeife, sein Banjo, drei winzige Farbnäpfchen, seine Feder und zwei kleine Pinsel auf dem Boden in Reichweite. Und immer ein oder zwei Aquarelle in Arbeit. Mehr und mehr liebte ich diese kleinen Aquarelle, die ich aus seinen Fingerspitzen hervorquellen sah, unvorhergesehen, ohne Unterlass. In drei Jahren erwarb ich fünfzig davon, eins nach dem anderen, frisch wie sie gemalt waren“.

In Dieulefit „verfeinert Wols die Virtuosität der Aquarelle, strafft ihre kompositorische Anordnung und beschränkt sich dabei auf eine Anzahl ähnlicher, reich variierter Strukturen, die sich zu Serien verknüpfen lassen“, schreibt Petersen in dem hoch informativen Begleitbuch zu der sehenswerten Schau. Seitdem der Künstler zeichnet, hält er sich an kleine Formate und erklärt dazu: „Das Mass der Handfläche ist heilig. Man muss den Flächenraum noch enger zusammenziehen. Die Bewegungen der Finger und der Hand genügen, um alles auszudrücken. Ein winziges Blatt Papier kann die ganze Welt enthalten. In den Bewegungen der Unterarme und der Arme für das Bemalen einer Leinwand steckt schon zu viel Ehrgeiz und Gymnastik, das will ich nicht“. Klar zu Wols‘ Welt im Kleinen: „Er ist am grössten, wenn er klein ist“.

Ende 1945 zieht es Wols nach Paris. Dort führt er bis zu seinem Tode ein unruhiges, fast fieberhaftes Leben. Er taucht ein in das Intellektuellen- und Künstlermilieu in Saint-Germain. Dort begegnet er auch Antonin Artaud und Jean-Paul Sartre. Sein Eindruck auf Sartre ist nachhaltig: „Ich habe Wols, kahlköpfig, mit seiner Flasche und seiner Tragetasche, im Jahre 1945 kennen gelernt. Die Tasche enthielt die Welt, seine ganze Sorge, die Flasche seinen Tod … Ohne die jugendliche Trauer in seinem Blick hätte man ihn mit seinen 35 Jahren auf 50 geschätzt. Jeder, und er selbst als erster, war überzeugt, dass er es nicht mehr lange machen würde. Er selbst hat es mir oftmals gesagt, ganz ohne Selbstmitleid, nur um seine Grenzen abzustecken. Er hatte wenig Pläne: er war ein Mensch, der unaufhörlich aufs Neue begann, ewig im Augenblick …“.

Anfang 1946 bringt der Pariser Kunsthändler René Drouin vierzig Leinwände, Farben und Utensilien ins Hotel St. Georges, um Wols, dem materielle Werte nicht so wichtig sind, die Herstellung von (besser verkäuflichen) Gemälden schmackhaft zu machen. Bereits in Cassis hatte der Autodidakt mit kleinen Gemäldeformaten experimentiert, nun entstehen in rascher Folge farbintensive Gemälde, zauberhafte Aquarelle, Drucke und Bücher. Seine Bilder oszillieren zwischen Gegenständlichem und Ungegenständlichem. Wols ist der grosse Anreger des Informel, und er gilt unter Künstlern und Kunstkennern als Vorreiter der sich ausbildenden informellen Malerei.

Im St. Georges liegt der Künstler tagsüber auf dem Bett, zeichnet, malt und spielt Banjo. Nachts streift er mit seinem Hund umher, um sich dann in Bars zu betrinken. In der Nacht zum 25. August 1951 bricht Wols nach dem Essen von verdorbenem Fleisch zusammen und stirbt, nachdem jede ärztliche Hilfe zu spät kommt, mit nur 37 Jahren am 1. September 1951.

Trotz politischer und behördlicher Verfolgung hat der vielseitig begabte Künstler ein ausserordentliches Werk geschaffen, das von der Fotografie, der Zeichnung und Radierung ausgehend über surreal-skurrile Arbeiten bis in die nahezu völlig gegenstandslose Malerei des Informel hineinreicht.

Die Ausstellung des Museums Wiesbaden ist in Kooperation mit der Lyonel-Feininger-Galerie, Quedlinburg, und dem Museum Liner / Kunsthalle Ziegelhütte entstanden.

Wols – Das grosse Mysterium“, Museum Wiesbaden, bis 26. Januar 2014

Fotos: Museum Wiesbaden


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