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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Ezio“ – Oper von Christoph Willibald Gluck. Frankfurter Erstaufführung

Überlebensangst – Machtspiel – Pracht – Intrige – Tugendhaftigkeit

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller /Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher

Am 10. November 2013 hatte Christoph Willibald Glucks Dramma per musica „Ezio“ Premiere an der Oper Frankfurt. Ein vom Publikum begeistert gefeierter Abend.

Rezitative über Rezitative, aber sie lassen die komplizierte Handlung verstehen und sind musikalisch einprägsam schön. „Das Wort wird zum Treffpunkt und zur Waffe“, so beschreibt der Regisseur der Frankfurter Erstaufführung, Vincent Boussard, gebürtiger Franzose, das Libretto. Es schrieb 1728 Pietro Metastasio (1698 – 1782). Wortgefechte auf der Bühne, Gefechte mit dem Schwert nur hinter der Bühne. Rezitative seien der Schlüssel zu den Charakteren. Ein Theaterstück mit Musik, das zunächst manchmal sehr statisch daherkommt, aber später Fahrt aufnimmt.

Intrige und Mordabsicht treiben die dramaturgische Spannung voran. Zwei tugendhafte Menschen, das Liebespaar Feldherr Ezio und Fulvia, die Tochter Massimos, stehen dem machtgeilen, angstbesessenen, intriganten Kaiser Valentiniano und seinem intriganten, seine Tochter opfern wollenden Vertrauten Massimo gegenüber. Onoria, die Schwester des Kaisers, weise vermittelnd, wie Fulvia dem humanistischen Gedanken verpflichtet, und Vario, der nicht zum Mörder am Freund wird, sind wichtige Figuren in den verbalen Schlachten.

Sonia Prina (Ezio) und Paula Murrihy (Fulvia); Foto © Barbara Aumüller

Metastasio war der führende Literat für die damalige Bühne und auch vom Publikum geschätzt. Die längste Zeit, ab 1729, war der Italiener Hofdichter beim Kaiser in Wien.

Vermutlich 1731 vertonte Georg Friedrich Händel (1685 – 1759) Metastasios Text für seine gleichnamige Oper (Uraufführung London Februar 1732). Allerdings hat Händel diesen Text sehr verändert.

Christoph Willibald Gluck (1714 – 1787) schuf sein Werk knapp 20 Jahre später

. Die Uraufführung seiner 1. Fassung fand in Prag statt, der Komponist war damals 36 Jahre alt. Mehr als in der 2. Fassung, die drei Jahre später in Wien uraufgeführt wurde, wird dem sehr klugen, äusserst dramatischen Text Metastasios Gleichwertigkeit zugestanden. Diese erste Fassung des Dramma per musica in drei Akten – der Prager Fassung also – wird nun in Frankfurt gespielt.

Das frühe Werk Glucks mit schönen musikalischen Einfällen ist allerdings nicht mit den musikalischen Ideen Händels vergleichbar.

Max Emanuel Cencic (Valentiniano), Paula Murrihy (Fulvia) und Beau Gibson (Massimo); Foto © Barbara Aumüller

Ezio alias Flavius Aëtius, der im 5. Jahrhundert lebte, ist eine historische Figur. Er war ein bedeutender, erfolgreicher Heerführer unter Kaiser Valentinian III. Dieser liess Aëtius jedoch später während seiner Rede auf dem Palatin in Rom ermorden. Neid ist ein starker Charakterzug des Kaisers, der von wahnsinnigen Überlebensängsten geschüttelt wird.

Regisseur Vincent Boussard zeichnet diese Figur geradezu grandios. Eindrücklich, wie er diesen machtlüsternen Schwächling wimmernd an der Brust eines Untergebenen Zuflucht suchen lässt.

Vincent Boussard; Foto: Renate Feyerbacher

Auch Fulvia, die, obwohl sie Ezio liebt und ihm versprochen ist, aber aus politisch-intriganten Gründen von ihrem Vater mit Kaiser Valentiniano verheiratet werden soll, ist psychologisch grossartig geführt. Mal leidet sie still, mal verzweifelt. Ebenso Ezio, der um seine Liebe kämpft, sich dem Kaiser widersetzt und dafür ins Gefängnis geht, eine Hosenrolle, unglaublich männlich umgesetzt. Vater Massimo, dessen Frau vom Kaiser einst vergewaltigt wurde, will Rache: den Tod des Kaisers; er ist bereit, seine Tochter zu opfern, die zwischen Gehorsam gegenüber dem Vater, Furcht vor dem Kaiser und ihrer Liebe zu Ezio hin- und hergerissen ist. Massimo drückt sich an der Wand entlang, während andere reden, von Überlebensangst getrieben schleimt er um den Kaiser herum, ist gewalttätig der Tochter gegenüber.

Psychologisch überzeugend: fein, grob, gewalttätig, zwiespältig sind die Figuren geführt und verleihen dem dramaturgischen Spannungsbogen der komplizierten Handlung eine grosse Wirkung.

Das Bühnenbild von Kaspar Glarner ist karg, aber fulminant belebt durch das Licht von Joachim Klein, das einfallsreiche Schattenspiele ermöglicht, und den Videos von Bibi Abel. Vor allem aber belebt durch die Kostümpracht von Christian Lacroix, die bereits in „Adriana Lecouvreur“ bewundert werden konnte. Schon lange entwirft der Modeschöpfer Kostüme für Oper-, Ballett- und Schauspielaufführungen. Jetzt in Frankfurt ist eine opulente, barocke Kleiderpacht zu erleben: der Kaiser in blutrotem Mantel, aber auch schlüpfrig mit hautfarbenen Dessous, seine Schwester in blutrotem Umhang und Fulvia in grosser schwarzer Robe.

Die Inszenierung wurde, wie gesagt, vom Publikum begeistert aufgenommen.

Christian Lacroix mit der Autorin Renate Feyerbacher

Und was für Sängerinnen und Sänger stehen da auf der Bühne:

Kein Geringerer als der Countertenor Max Emanuel Cencic. Er – 1976 in Zagreb geboren – verkörpert den Kaiser. Wie er diese Angstzustände singt, dann die ins Hysterische überschlagenden Machtausbrüche gestaltet, das macht sprachlos, lässt einen den Atem anhalten.

Cencic gibt sein Debüt an der Frankfurter Oper. Was für ein Gewinn! Er erhielt den Opera Award 2013, den ECHO Klassik 2013 zusammen mit Philippe Jaroussky für die Einspielung der Oper „Artaserse“ von Leonardo Vinci (1690 – 1730). Die beiden sangen die Hauptpartien.

Sonia Prina; Foto: Renate Feyerbacher

Sonia Prina, die Barockspezialistin, die auf der ausgezeichneten CD „Ezio“ die Titelpartie singt (Cencic den Kaiser), ist Ezio. Ein eingespieltes Duo. Das Frankurter Publikum feierte Prina bereits in Vivaldis „Orlando“. Die Altistin ist eine der führenden Sängerinnen ihres Fach und international gefragt. Ihre Diskografie, zu der „Ezio“ gehört, ist beachtlich.

Geradezu herb, sehr männlich wirkt sie auf der Bühne, und man ist später erstaunt, einer spritzigen Italienerin zu begegnen. Was für eine Stimme, was für ein schauspielerisches Talent!

Paula Murrihy (am 5. 12. 2010 in der Oper Frankfurt); Foto: Renate Feyerbacher

Paula Murrihy, die junge irische Mezzosopranistin, gibt ihr Rollendebüt als Fulvia, die junge russische Sopranistin Sofia Fomina als Onoria. Beide Frauen, Ensemblemitglieder, überzeugen in ihren Rollen. Sehr stark und klar ihre Stimmen. Paula Murrihy wird ab 16. November wieder in der Wiederaufnahme von „Dido und Aeneas“ brillieren.

Auch Beau Gibson als Massimo und Simon Bode als Varo gefallen. Ihre tenoralen Stimmen sind ungetrübt, klar umrissen.

Und die Musik?

Ein kleines Ensemble von vorzüglich musizierenden Mitgliedern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters: elf Geigen, vier Violen, drei Violoncelli, zwei Kontrabässe, zwei Barockoboen, zwei Barockfagotte, zwei Hörner, Cembalo und Continuocello – eigentlich eine Besetzung für ein kleines Barocktheater wie in Schwetzingen. Dennoch war das grosse Frankfurter Opernhaus vom Klang erfüllt – ausgefüllt.

Christian Curnyn; Foto: Renate Feyerbacher

Geleitet wurde das Ensemble von Christian Curnyn. Was ihm gelang. Eine eindrucksvolle, musikalische Dynamik. Schon einmal begeisterte er mit „La Calisto“ in der Spielstätte Bockenheimer Depot der Oper Frankfurt.

(vorne v.l.n.r.:) Beau Gibson (Massimo; liegend), Paula Murrihy (Fulvia; sitzend), Sonia Prina (Ezio), Max Emanuel Cencic (Valentiniano; sitzend) und Sofia Fomina (Onoria) sowie im Hintergrund die Statisterie der Oper Frankfurt; Foto © Barbara Aumüller

(Wieder gibt es eine Lobeshymne von mir auf eine Premiere an der Oper Frankfurt, dieses Mal auf „Ezio“, ein selten gespieltes Werk. Es muss sein, sonst würde ich lügen.)

Weitere Aufführungen am 14.,17., 22. (danach Oper lieben), am 24. November und 7. Dezember 2013, jeweils um 19.30 Uhr

 

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