55. Biennale Arte Venedig 2013 (9)
„TRIPLE POINT“: Sarah Sze bespielt den Pavillon der USA
Von Erhard Metz
Dass im Verhältnis Deutschlands und Europas zu den USA derzeit der Haussegen, wie man so sagt, reichlich schief hängt, wussten wir zur Zeit der Vorschau auf die diesjährige Biennale Ende Mai noch nicht, als wir das „geordnete Chaos“ bewunderten, welches die Installationskünstlerin Sarah Sze am und im US-amerikanischen Pavillon in den venezianischen Giardini angerichtet hat. Nun gut, das eine hat ja mit dem anderen vermutlich auch nichts zu tun. Nehmen wir mal an.
Sarah Sze, Triple Point, presented by The Bronx Museum of the Arts, New York; diverse Installationsansichten
Dennoch wollte, jedenfalls in der deutschsprachigen Presse der Mai-Tage, so recht keine Freude aufkommen an dem Geschehen – wie gesagt – sowohl am als auch im US-amerikanischen Pavillon. Für lahm befand Catrin Lorch in der Süddeutschen Zeitung das riesige Werk, und in ihrem Prädikat „sehr langweilig“ stimmten Niklas Maak und Julia Voss in der FAZ überein. „art spezial“ setzte noch einen drauf: „zu harmlos“, ein vernichtendes Urteil im Grunde über kontemporäre Kunst.
Aber, wie es schon im Evangelium des Johannes (1, 35-42) heisst: „Kommt und seht“.
Es ist das perfekteste Durcheinander an akkumulierten Gegenständen, das wir je gesehen haben. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten sollten wir etwas zurückhaltender formulieren, denn wir entdecken durchaus Konstruktionen, Inszenierungen, Zusammen- und Gegenüberstellungen, die uns doch überraschen. Alles alte Hüte, mögen manche Profi-Kunst-Gurus spotten. Ganz so leicht aber wollen wir uns die Dinge nicht machen.
Es sind erkennbar banale Alltagsmaterialien, die Sarah Sze aneinander, auseinander oder – bestenfalls? – zu einem Miteinander und Gegeneinander fügt. Vorfindliches, Vorgefundenes. Angeblich alles aus Venedig, so hören wir, ohne es zu glauben. Sind es 10.000 grosse, mittlere, kleine und kleinste Dinge, sind es 50.000, gar eine halbe Million?
Da wimmelt und wuchert es, da kreucht und fleucht es trotz allen Stillstandes, fliesst es gleichsam als ein zäher Brei durch die Säle und aus dem Inneren über die Fassaden des palladianisch anmutenden, 1930 errichteten Pavillons der USA. Und das alles, was wir sehen, das Grosse, Mittlere, Kleine und Allerkleinste, ist das nicht alles irgendwann mit irgendeinem Sinn und Zweck von Menschenhand gemacht (einschliesslich der grossen Steine – pardon, wir verraten es – die sind aus Pappmaché)? Und ist das nicht alles ein Ausbund dessen, was wir seit Jahrhunderten euphemisch mit dem Signum der Zivilisation versehen? Aber ist das alles – wir wiederholen bewusst – nicht auch klebrigem Bronchialschleim vergleichbar, der das freie Durchatmen verhindert und uns zu lästigem Husten zwingt?
Plätze, Foren, Arenen, Agoren, Hörsäle, Bühnen menschlicher sogenannter Zivilisation sehen wir. Konstruktionen, die wir gleichsam mit Labortischen forschender Institute wie mit Schreiner- und Schlosser-Werkbänken assoziieren. Gewimmel von aus Forschung gewonnenen Erkenntnissen wie auch spekulativen Verdächtigungen und Weissagungen oder auch Nicht-Erkenntnissen, esoterischen Ahnungen und religiösen Verheissungen. Hinter jeder aufgestossenen Tür verschweigen sich dem Verblüfften mehrere verschlossene. Franz Kafka schon hat es gewusst.
Dann der Stern – oder die Kompass-Rose? Wir erinnern uns an den 14-zackigen silbernen Stern in der Grotte der Geburtskirche in Bethlehem, vor dem wir einst standen. Hier nun im USA-Pavillon ein irdischer Felsbrocken – oder ein von unendlicher Ferne kündender Meteorit? (Ach ja, ach nein, verflixt nochmal, aus Pappmaché!)
Sarah Sze wurde 1969 in Boston geboren. Sie studierte an der Yale University in New Haven, CT mit dem Abschluss Bachelor of Arts und an der School of Visual Arts New York mit dem Abschluss Master of Fine Arts. Seit 2009 hat sie eine Professur an der Columbia University, School of the Arts, inne. Sze stellte weltweit aus und war bereits auf der Biennale in Venedig 1999 vertreten. Die Künstlerin lebt und arbeitet in New York.
Am Ende unseres Parcours durch den Pavillon öffnet sich der Blick ins Freie, und alsbald stehen wir wieder vor dem antikisierenden Säulenportal. Langweilig? Nein, langweilig ist es uns eigentlich nicht geworden.
Zum Schluss ein Und oder Aber: Aus dem Rathaus kommt man schlauer heraus, als man hineingegangen ist – so und ähnlich lautet ein bekanntes deutsches geflügeltes Wort. Gilt dies nun auch für unseren Besuch bei Sarah Sze in den venezianischen Giardini?
„Kommt und seht“ steht es bei dem Evangelisten Johannes geschrieben.
Abgebildete Werke © Sarah Sze; Fotos: Erhard Metz
(Die diesjährige Biennale Arte di Venezia
dauert noch bis zum 24. November 2013)