Alltägliche und seltsame Geschichten und Begebenheiten (19)
Auf nach Schraubendorf!
von Juanito Carnivora
(mit freundlicher Genehmigung der Chefredaktion und Verlagsleitung von “Plözin – Die tapfere kleine Zeitschrift”, Text © -habust- )
Warum fährst Du eigentlich nicht mal nach Schraubendorf?
Weil es dort keine Schanze gibt und Du Deinem von Dir so innig geliebten Sport nicht nachgehen kannst?
Ach geh! Das ist doch eine Ausrede. Du kannst doch nicht im Ernst verlangen, daß es in jedem Urlaubsort eine Schanze gibt, nur damit Du springen kannst!
Doch, kannst Du doch? Dann kannst Du eben nicht nach Schraubendorf fahren.
Aber wir anderen, wir springen ja nicht Ski, wir können ohne weiteres unsere Siebensachen packen und nach Schraubendorf fahren.
Allerdings weiß ich nicht genau, wo das ist. Aber wenn man erst mal da ist, dann ist es ganz toll. Da scheint den ganzen Tag die Sonne, und der Bürgermeister ist ein Pfundskerl, mit dem man Pferde stehlen kann. Die verhökert man dann im nöchsten Weiler, der, glaube ich, Nagelhausen heißt oder so ähnlich. Von dem Erlös kann man sich weitere Wochen in Schraubendorf leisten und so manche Mahlzeit im Schraubendorfer Ochsen. Den betreibt der Bürgermeister, Herr Dr. iur. Karl-Heinz Ochsen. Ein phantastischer Koch! Dem seine Buletten müßtest Du mal kosten! Da kannst Du Dich glatt reinsetzen. Dazu ein knackfrischer Salat (ohne scharf, mit Joghurtsauce) und ganz tolle Vollkornkekse als Nachtisch. Da läuft mir ja schon beim Schreiben das Wasser im Munde zusammen. Ich hab Hunger!!
So, jetzt ist mir besser. Also wo waren wir stehengeblieben? Richtig, im Ochsen von Schraubendorf. Natürlich gibt’s da nicht nur Buletten, der K.-H. macht auch eine irre, absolut echte Elsässer Tarte Flambée und mittelfränkische Kuttelgerichte, daß es Dir die Tränen in die Augen treibt. Nur sein Topfenstrudel könnte besser sein, aber er war noch nie in Österreich und beabsichtigt auch nicht, dieses Versäumnis auszubügeln (“Die können ja heimkommen”, meint er dazu brutal).
Natürlich kann man nicht den ganzen Tag im Ochsen sitzen und sich den Bauch vollschlagen. Sonst würde man ja nach einiger Zeit einfach rammdösig. Die Petunia Ochsen, das ist die Stieftochter vom Bürgermeister, betreibt deshalb eine Puschelbahn, auf der man sich stundenlang königlich amüsieren kann. Wer nicht so gern puschelt, der geht eine der kleinen, verwinkelten Gassen weiter in ein ganz goldiges Fachwerkhäuschen, wo Otto Ochsen, dem Bürgermeister sein halb schwachsinniger Bruder, Körbe flicht. Zum drauf Warten! So ähnlich wie im Hessenpark, nur viel schlechter und teurer.
Nun gibt es Leute, die finden diesen ganzen Unsinn einfach nur grauenhaft und Schraubendorf zum Kotzen. Auch denen können wir helfen. Fahren wir doch einfach an die Côte d’Azur! Wer schon mal den Sonnenuntergang in Gassin bei St. Tropez gesehen hat, dem kann Schraubendorf gestohlen bleiben.
Plözin besuchte Petunia Ochsen in Schraubendorf. Die arme Frau lebt dort ganz zurückgezogen und einsam mit ihrer Puschelbahn. Kunden gibt es kaum. Und wenn, dann bezahlen sie nicht. Und wenn doch, dann mit Falschgeld. Und wenn ausnahmsweise mal mit echtem, dann viel zu wenig, und das wollen sie noch zurückhaben. Das ist nicht leicht! So eine Puschelbahn schluckt schließlich auch unheimlich viel Sprit. Und die Stromkosten! Mein lieber Mann, da fliegen dir die Ohren ab, wenn du die Rechnungen siehst.
Plözin-Reporterin Marianne Mendel sprach mit Petunia Ochsen, die seit Jahrhunderten keine Presse mehr an sich rangelassen hatte. Sie hatte da schlechte Erfahrungen gemacht. Heinrich Heine hatte ihr eine zauberhafte Homestory mit entsprechender PR versprochen, und was schreibt der Schlingel? Dokter Schiwago! So einen langweiligen Wälzer. “Nur die Musik hat mir gefallen”, vertraute Petunia unserer Reporterin an. Ansonsonsten kannste die Schwarte vergessen.
Also was ist denn nun mit der ganzen entsetzlichen Wahrheit?
Petunia Ochsen zögert immer noch, tritt von einem Fuß auf den anderen, dann auf den der Reporterin, nestelt nervös an ihren Fäustlingen, weint ein bißchen, schaut in ihr leeres Portemonnaie, schüttelt ihre zebrafarbenen Locken, dann kommt sie endlich zur Sache.
Sie kenne doch – gemeint ist Marianne Mendel – den Erwin Schnabelkopf. Natürlich, natürlich, beeilt sich unsere Chefreporterin zu bestätigen, und tatsächlich ist ihr dieser weltbekannte Komponist ein Begriff. Nun, der habe, was der Öffentlichkeit sorgsam verborgen und nach Kräften vertuscht worden sei, mit wahrer Hingabe und der Flasche einen winzigen Hamster aufgezogen, der mit zärtlicher Liebe an dem betagten Musikus gehangen habe. Nur habe es sich, und dies sei der kritische Punkt, um eine Wodkaflasche gehandelt, und was aus dem Hamster geworden sei, das könne sie, unsere Plözin-Chefreporterin Marianne Mendel, sich ja wohl vorstellen.
An dieser Stelle erbleicht die Gewährsperson, als ein gräßliches Schaben die buchene Tür ihres einfachen Puschelbahnbetriebsbüros zum Erbeben bringt.
Marianne Mendel notiert, Petunia Ochsen werde zusehends fahriger und nervöser, seit sie Stück für Stück mit der entsetzlichen Wahrheit herausrückt. Das, meint die Ochsen, was da schabe, das sei ER. Eben jener mit Wodka großgezogene Hamster der Komponistenlegende Erwin Schnabelkopf. Macht sie jetzt den Fehler ihres Lebens, wenn sie diesen ungeheuerlichen Skandal der Öffentlichkeit preisgibt?
ER. Das steht für Erwin Randale. Erwin nach Schnabelkopf und Randale nach … Sie wissen schon.
Mendel bietet Ochsen das Du an. Du weißt schon nach was. Der Wodka hat seinen Dienst getan.
Petunia bebt.
Die Tür auch. ER hat sie fast durchgeschabt. Marianne Mendel packt das nackte Grauen. So hat sie sich das nicht vorgestellt. Hat sich, wie sie ihrem Chef Dr. Krohn-Aua die Reise abluchste, ein fideles Wochenende in Schraubendorf am Steinhuder Meer ausgemalt. Was würde das schon sein, was ihr die Petunia Ochsen da verschwörerisch am Telefon als “die schärfste Nummer seit den Hitler-Tagebüchern” anzupreisen versuchte! Bestenfalls Dorfklatsch. Und jetzt war sie einem der furchtbarsten Geheimnisse der Renaissance auf der Spur.
Holz splittert. Schreiend flüchten die Frauen in die hinterste Ecke des kleinen Büros. Lautes Lallen klingt durch die aufgeschabte Tür. Hamstersprache. Versteht kein Mensch. Die meisten Hamster auch nicht. Das betrunkene Ungetüm dringt durch die Tür, wankt auf die vergeblich hinter der Zimmerlinde Schutz suchenden Frauen zu, die Wodkaflasche im Arm.
Da zieht Petunia ihren letzten Joker. Der Schuß läßt beide vorübergehend ertauben. ER bricht zusammen. Und macht sich auf die Wanderung zum ewigen Stammtisch.
– Finis operis –
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