„EXIL“ – die Zeitschrift für Exilliteratur 1933 bis 1945
Bei seinem Rundgang über die diesjährige Frankfurter Buchmesse besuchte Oberbürgermeister Peter Feldmann unter anderem einen kleinen Stand: die Präsentation des ebenfalls kleinen EXIL-Verlags, dessen Arbeit ihn – so die Meldung des Presse- und Informationsamts – „besonders beeindruckt“ hat. „Guter Geist“ und Verlegerin dieses Unternehmens ist Edita Koch, die 2011 mit Stolz auf die 30-jährige Verlagsgeschichte zurückblicken konnte.
Oberbürgermeister Peter Feldmann und Edita Koch, Verlegerin und Herausgeberin von „EXIL“, am 11. Oktober 2013 auf der Frankfurter Buchmesse
„EXIL 1933-1945. Forschung, Erkenntnisse Ergebnisse“ – so lautet der Name der jetzt im 32. Jahrgang erscheinenden Halbjahreszeitschrift, herausgegeben von Edita Koch in Zusammenarbeit mit Henrike Walter. Sie richtet sich mit ihren Beiträgen an eine wissenschaftlich interessierte Öffentlichkeit. Wir finden in ihr zum Teil einzigartige literarische Zeugnisse und Dokumente, Berichte und Forschungsergebnisse im weiteren Kontext des durch nationalsozialistische Verfolgung bedingten Exils. „EXIL“ bietet aktuellen Forschern auf diesem Gebiet ein Podium von interdisziplinärer Bandbreite.
„EXIL“ kann über den Buchhandel – ISSN 0721-6742 – oder direkt beim EXIL-Verlag erworben und auch abonniert werden. Der Preis (13,50 Euro pro Heft, ältere Ausgaben 12,80 Euro) hat eher den Charakter einer Schutzgebühr.
Der Verlag „EXIL“ wurde 1981 von Edita Koch zusammen mit ihrem Mann Joachim gegründet.
Zunächst wurde nur die Zeitschrift „EXIL“ verlegt, später kamen auch einige wissenschaftliche Bücher dazu wie „Das Theater im Exil“ und der Tagungsband „Realismuskonzeptionen der Exilliteratur“. Den Schwerpunkt bildet aber die zweimal jährlich erscheinende wissenschaftliche Zeitschrift „EXIL“. Keiner hätte damals daran geglaubt, dass dieses Unternehmen gelingen würde. Das Material, das zu bearbeiten war, schien in alle Winde verstreut, die mögliche Leserschaft, die sich für das Thema Exil interessierte, schien zunächst kaum auszumachen zu sein. Mit einer Anfangsauflage von 200 Exemplaren fing das Zeitschriftenprojekt an. Aber schon nach der ersten Ausgabe wurde klar: Die emigrierten Schriftsteller gibt es, ihre Texte sind ebenfalls da und die Unterstützung, die das Team von Edita Koch von den Autoren von Anfang an erfuhr, war überwältigend. Nach dem Tod ihres Mannes ein Jahr nach der Gründung von „EXIL“ führte Edita Koch die Zeitschrift allein weiter.
Zu den ersten, die die Idee der Zeitschrift unterstützten und von Anfang an darin auch publizierten, gehörte der aus Berlin stammende Dichter Hans Sahl, der über Prag in die USA emigrierte. Das oft zitierte Gedicht „Wir sind die letzten, fragt uns aus“ hat er im Exil geschrieben. Bis zu seinem Tod 1993 besuchte Edita Koch den Autor, mit dem sie eine tiefe Freundschaft verband, oft in seiner New Yorker neuen Heimat und nach seiner späten Rückkehr nach Deutschland in Tübingen. Die neueste Ausgabe der Zeitschrift „EXIL“ hat wieder den Schwerpunkt Hans Sahl.
Zu ihren wichtigen und aufregenden Entdeckungen gehören die Tagebücher aus dem Spanischen Bürgerkrieg von Ernst Toller. Auszüge aus dem Manuskript hat sie 1990 in ihrer Zeitschrift publiziert. Ernst Toller, der im Spanischen Bürgerkrieg helfen wollte, ist später nach New York emigriert, wo er aus Verzweiflung über die Aussichtslosigkeit seiner Lebenslage Selbstmord beging.
Spannend werden zunehmend die Manuskripte aus den 1989 geöffneten Archiven in der ehemaligen Sowjetunion: Texte und Dokumente von und über deutsche und jüdische Emigranten unter Stalin, allesamt sehr tragische Schicksale. Einiges davon hat sie in den letzten Ausgaben publiziert, in der Ausgabe 1/2012 den Aufsatz von Reinhard Müller „Über die Gründung des Pariser Instituts zum Studium des Faschismus. Neue Moskauer Dokumente“.
Neben ihrer ursprünglichen Motivation, die Texte der Exilautoren bekannt zu machen und die Exilforschung voranzutreiben, spiegelt sich in der Arbeit von Edita Koch auch ihre eigene Geschichte wider. Als Tochter von Holocaust-Überlebenden ist sie mit ihren Eltern nach dem Prager Frühling 1968 nach Deutschland emigriert. Da ihre Eltern über ihre Erlebnisse in den KZs nicht sprachen, suchte sie sich Gesprächspartner unter Dichtern und Schriftstellern. In Frankfurt, wo Edita Koch seit 1995 lebt, sprach sie vor allem mit der Autorin Anja Lundholm.
Für Ihre Arbeit wurde Edita Koch mehrfach ausgezeichnet, 1983 mit dem Preis des Deutschen Literaturfonds Darmstadt. 1993 erhielt sie vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker das Bundesverdienstkreuz, 2003 wurde sie in ihrer Prager Heimat mit der Masaryk-Medaille ausgezeichnet und 2006 erhielt sie den Ben Witter-Preis der Wochenzeitung „Die Zeit“ für ihr unermüdliches Engagement.
Ihre Pläne für die Zukunft: sofern es das Material erlaubt, weiter die Zeitschrift „EXIL“ herausgeben zu können. Denn das Thema Migration und Exil ist ein universelles Thema, das aktueller ist denn je. Nicht nur, weil heute viele Menschen und Nationalitäten wieder ins Exil gehen. Allein die Nachlässe aus den Jahren 1933 bis 1945, die im Leo Baeck-Institut in New York unveröffentlicht lagern, bieten Stoff für viele weitere Jahre Arbeit.
Solange jedenfalls Material und die finanziellen Möglichkeiten dazu da sind, werden, so ist zu hoffen, noch viele weitere Ausgaben der in schlichtem Weiss gehaltenen Zeitschrift „Exil“ erscheinen. Demnächst wird der Exil-Verlag das Buch „Das Leben der Betty Stein-Morgenstern“ von Willi Georg publizieren, ein Buch über das Schicksal einer jüdischen Familie im Frankfurter Westend während der Nazi-Zeit.
Quelle: EXIL-Verlag, Edita Koch
Die Verlegerin und Herausgeberin Edita Koch wurde in Gablonz, Tschechische Republik, geboren. Dem Abitur am Elisabethengymnasium in Frankfurt folgte das Studium der Germanistik, Slawistik und Judaistik an der Johann-Wolfgang Goethe Universität mit dem Abschluss Magister für Neuere Philologie. Bis zum Wegzug des Suhrkamp Verlags aus Frankfurt am Main 2010 war sie dessen Mitarbeiterin und leitete das Archiv.
Veröffentlichungen: Artikel in der Zeitschrift EXIL über die Schriftsteller Ernst Weiß, Joseph Hahn, Hans Sahl und den Bankier Hugo Simon; Artikel und Rezensionen in der Zeitschrift TRIBÜNE, Jüdische Allgemeine Zeitung und in der Emigrantenzeitung AUFBAU, New York, zu Themen des Exils und der Kunst; Herausgeberin des Sonderbands 1 „Realismuskonzeptionen der Exilliteratur zwischen 1935 und 1940/1“ und des Sonderbands 2 „Exiltheater und Dramatik 1933-1945“; Bibliographie zum Materialienband über Peter Handke, erschienen im Suhrkamp Verlag.
„Edita Koch, Geschichtsanwältin, hält die Erinnerung an vergessene deutsche Helden wach, nämlich jene Schriftsteller, Künstler oder Wissenschaftler, die nach der Machtübernahme Hitlers ins Exil gehen mussten – und im Nachkriegsdeutschland vergessen wurden.“ (Hans Riebsamen, Frankfurter Allgemeine Zeitung).
Zum 30. Jahrestag der Gründung des EXIL-Verlags im Jahr 2011 erreichten Edita Koch zahlreiche Grussworte und Anerkennungen (veröffentlicht in Heft 2/2010; Auswahl, mit freundlicher Genehmigung des EXIL-Verlags):
„Vom ersten Heft an Abonnent, leider nur selten Autor, weil andere Dinge in den Vordergrund treten mussten, aber stets voll Achtung für Ihr unermüdliches Engagement bis zur Selbstausbeutung, mit einem hohen Mass an Empathie für Ihr Thema Exil, verbunden mit steter Kompetenz. EXIL ist inzwischen mehr als eine Institution und hat in ihrer Publikationsgeschichte vieles gerettet, was sonst noch versteckt, verloren, vergessen wäre. Hierfür gebührt Ihnen nicht nur mein persönlicher Dank, sondern auch die wissenschaftliche Anerkennung unseres Faches. Mit herzlichen Grüssen und dem Wunsch, dass EXIL weiter seinen Weg machen kann Ihr Erich Kleinschmidt“
Professor Erich Kleinschmidt, Institut für deutsche Sprache und Literatur, Universität zu Köln
„Seit drei Jahrzehnten ist EXIL das lebendige Gedächtnis des unfreiwilligen Exodus aus Deutschland, der 1933 einsetzte und dessen Folgen nicht enden wollen, auch wenn die meisten, die ihr Exil überlebt haben, inzwischen gestorben sind. EXIL hat vieles von dem am Leben erhalten, was die Erfahrungen der Zeitzeugen lehrt. EXIL hat vieles geleistet, um das Wissen über Lebensumstände, Viten und kulturellen Leistungen von Exilanten, das schon durch Vertreibung und Flucht verschüttet war, dem Vergessen zu entreissen. EXIL hat den grossen Tendenzen und Entwicklungslinien, den bedeutenden Namen und den weniger bekannten, scheinbar weniger bedeutenden, aber jedenfalls aufschlussreichen Leistungen und Personen die gleiche Aufmerksamkeit entgegengebracht … Das alles sind Verdienste, die den Herausgebern der Zeitschrift, vor allem Edita Koch, den grössten Respekt aller eingetragen hat, die sich mit dem Exil auseinandersetzen …“
Professor Bernhard Spies, Deutsches Institut, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
„Mein erstes Heft der Zeitschrift EXIL war die Nummer 1 des Jahrganges 1983. Grund des Einzelkaufes, aus dem dann schnell ein Abonnement wurde, war Martin Mantzkes Beitrag über Emigration und Emigranten als Politikum in der Bundesrepublik, der sich viel mit Willy Brandt beschäftigte. Es war die Zeit, in der ich begann, an meinem Buch über Brands Exil in Norwegen zu arbeiten … Danach folgten viele, sehr viele Beiträge, die mit meinen Themen verwandt waren (z. B. über Ossietzky, Trapps über die Bücherverbrennungen, Moskauer Kaderakten), aber auch zu ganz anderen Themen (das ‚Furchtwängler-Heft‘ 2004, Musiktheater, Josef Roth und das Ostjudentum, die Familie Mann – um einige wenige zu nennen), die meinen Horizont in den folgenden über 25 Jahre erweiterten …“
Professor Einhart Lorenz, Historisk institutt, Universitetet i Oslo
Fotos: Erhard Metz
→ Rudolf Olden, Anwalt und Journalist – vergessen?