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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss in der Oper Frankfurt

Lachen und Weinen

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt

Claudia Mahnke (Der Komponist) und Brenda Rae (Zerbinetta), Foto © Monika Rittershaus

Die Musik beginnt. Nur etwas hebt sich der schwarze Vorhang mit verlängertem roten Teppichlauf. Tanzende Füsse beleben die Bühne in Pumps, in Turnschuhen, in Strassenschuhen. Der reichste Mann Wiens hat zu einer Soirée geladen und einen jungen Komponisten beauftragt, eine neue Oper zu schreiben.

Der Vorhang öffnet sich ganz:

eine herrschaftliche Treppe, viele Türen, ein Flügel wird in den Saal geschoben. Nervosität all überall, vor allem bei dem jungen Komponisten, der vom Musiklehrer erfahren muss, dass nach seiner traurigen Oper „Ariadne auf Naxos“ eine Komödianten-Truppe das Publikum wieder aufheitern soll. Beschwerden beim Haushofmeister nützen nichts. Der junge Komponist ist verzweifelt, will alles hinschmeissen, ebenso die Primadonna alias Ariadne. Nur die Aussicht auf Gage, die er dringend braucht, hält ihn zurück.

Wie verrückt rennen alle durcheinander. Türen schlagen. Nur Zerbinetta und der Tanzmeister sinnen nach Lösungen. Dann wieder eine neue Anweisung des Hausherrn: beide Stücke, die „Ariadne“ und die improvisierte Komödie, sollen gleichzeitig gespielt werden. Der Grund: Zeitmangel. Das Feuerwerk soll pünktlich um 9 Uhr beginnen. Soweit die Handlung des Vorspiels.

(v.l.n.r.): im Hintergrund Stine Marie Fischer (Dryade), Elizabeth Reiter (Najade), William Relton (Der Haushofmeister) und Maren Favela (Echo) sowie im Vordergrund Franz Grundheber (Ein Musiklehrer; sitzend), Claudia Mahnke (Der Komponist), Peter Marsh (Ein Tanzmeister; auf dem Flügel liegend), Martin Mitterrutzner (Brighella), Michael McCown (Scaramuccio; den Tanzmeister festhaltend), Alfred Reiter (Truffaldin) und Daniel Schmutzhard (Harlekin), Foto © Monika Rittershaus

Dann beginnt die Oper in der Oper. Die Nymphen klagen über Ariadnes Todessehnsucht, die einen Monolog über Theseus anstimmt. Diesem Theseus, so erzählt es die Mythologie, hat sie das Garnknäuel gegeben, damit er, nachdem er das Ungeheuer Minotarus mit Menschenleib und Stierkopf besiegt hatte, wieder aus dem Labyrinth findet. Beide fliehen, aber Theseus lässt Ariadne auf Naxos alleine zurück. Hat er sie vergessen oder gab es eine höhere Bestimmung?

Ariadne ist das Sinnbild für Einsamkeit. Die Komödianten tauchen auf, versuchen sie zu trösten. Vergeblich. Die schlaue, einfühlsame Zerbinetta singt von Liebe und Treue, gibt etwas von ihrem Seelenleben preis und versichert Ariadne ihrer Solidarität. Schmeichelnd beginnt sie: „Grossmächtige Prinzessin … Prinzessin hören Sie mich an – nicht Sie allein, wir alle – ach, wir alle – was Ihr Herz erstarrt, wer ist die Frau, die es nicht durchlitten hätte? … Ach, solcher wüsten Inseln sind unzählige auch mitten unter Menschen, ich – ich selber, ich habe ihrer mehrere bewohnt.“

Auch jetzt keine Regung von Ariadne.

Daniel Schmutzhard (Harlekin; im Hintergrund sitzend), Brenda Rae (Zerbinetta) und Camilla Nylund (Ariadne), Foto © Monika Rittershaus

Diesen wahren Text schrieb der österreichische Schriftsteller, Lyriker und Librettist Hugo von Hofmannsthal (1874-1929), der Autor von „Jedermann„, „Der Turm„, „Der Schwierige“, der Librettist von „Elektra“, „Der Rosenkavalier“, „Die Frau ohne Schatten“ und eben „Ariadne auf Naxos“, deren 2. Fassung am 4. Oktober 1916, mitten im 1. Weltkrieg, an der Wiener Hofoper uraufgeführt wurde.

Alle sieben Hofmannsthal-Libretti wurden vom deutschen Komponisten Richard Strauss (1864 -1949) vertont.

Strauss hat schon in jungen Jahren Kontakte nach Frankfurt. Als er 23 Jahre alt ist, dirigiert er bei der Frankfurter Museumsgesellschaft seine Sinfonie f-moll op.12, und das mit Erfolg. Den Posten als Kapellmeister erhält er jedoch fünf Jahre später nicht. Aber seine Opern sind im Frankfurter Spielplan bestens vertreten.

Strauss und Hofmannsthal führten einen steten Briefwechsel, der deutlich macht, wie tief, wie intensiv ihre Zusammenarbeit war, die grandiose Opern-Werke hervorbrachte.

„Man muss nicht nur miteinander, sondern geradezu ineinander arbeiten“, schrieb Hofmannsthal an Strauss am 25. Mai 1911, als er mit „Ariadne“ begann. Aber ein paar Tage später hiess es „… sind aber, glaub ich, auf dem besten Weg, uns diesmal nicht zu verstehen“. Einen guten Monat später antwortete Strauss: „Also dichten Sie und warten Sie!“ (zitiert nach Programmheft).

Sie waren sehr ehrlich miteinander, gradlinig, was natürlich auch Empfindlichkeiten offenbarte – vor allem beim sensiblen Hofmannsthal. Gerade bei der „Ariadne“ waren sie sich oft nicht einig.

Alle Figuren in der Oper wandeln sich: die eitle Primadonna alias Ariadne, ebenso wie Zerbinetta, die Kokette, scheinbar Oberflächliche und der getäuschte Komponist: „Ich habe nichts mit dieser Welt gemeinsam! Wozu leben in ihr? … Lass mich erfrieren, verhungern, versteinen in der meinigen!“ Später kommt er nicht mehr zu Wort, aber er ist präsent, bescheiden sitzt er auf dem alles überragenden Stuhl und beobachtet. Beobachtet, wie der göttliche Bacchus, der Circe entfliehen konnte, seine Liebeskraft zu Ariadne entfaltet. Es bewahrheitet sich, was Zerbinetta bereits voraussagte: „Kommt der neue Gott gegangen, hingegeben sind wir stumm!“

Beifall und Zufriedenheit bei den Gästen des Gastgebers.

Regisseurin Brigitte Fassbaender ist begeistert von diesem Werk, von seinen Widersprüchen, seiner Witzigkeit, seiner Ironie, seiner Erotik, seiner Komik, seinem Geistreichtum. Diese Begeisterung in diesen Facetten geht in dieser Regie komplett auf.

Der Komponist, grossartig gesungen und gespielt von Ensemblemitglied Claudia Mahnke, die in diesem Jahr in Bayreuth als Fricka, Waltraute und Zweite Norn im „Ring des Nibelungen“ gefiel, ist für Brigitte Fassbaender eine zentrale Figur, an der sie die Metapher für „die konfliktgeladene Schnittstelle von Kultur und Kulturbetrieb“ deutlich macht.

Auf den Einwand des Komponisten im Vorspiel, dass seine Musik sinnlos wird, antwortet der Tanzmeister: „Aber der Zuhörer unterhält sich. So wie es jetzt ist, ist es, um stehend einzuschlafen.“ Den beiden Werk-Schöpfern ist es gelungen, das zu verhindern – und der Regisseurin auch.

Camilla Nylund (Ariadne; sitzend), Michael McCown (Scaramuccio), Daniel Schmutzhard (Harlekin), Alfred Reiter (Truffaldin), Martin Mitterrutzner (Brighella) und Brenda Rae (Zerbinetta), Foto © Monika Rittershaus

Brigitte Fassbaender, die grosse, weltberühmte Mezzosopranistin, die den Octavian aus dem „Rosenkavalier“ in vielen Aufführungen sang, war nach ihrer Opernkarriere Intendantin am Tiroler Landestheater in Innsbruck und leitet heute das Richard-Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen. Sie kennt das Werk des Komponisten und schätzt es sehr. Und das ist der Inszenierung anzumerken.

Zusammen mit dem weltweit, auch in Frankfurt, agierenden Bühnenbildner und Kostümschöpfer Johannes Leiacker hat sie eine tiefe, witzige, moderne Interpretation den Frankfurtern beschert. Joachim Kleins Licht-Design setzt manchmal ein i-Tüpfelchen drauf.

Das Vorspiel-Bühnenbild zunächst im gewissen Sinne noch traditionell, wird in der Opern-Aufführung geradezu verrückt. Ein kleiner Stuhl hängt an der Decke, die Türen stehen Kopf, der rote Teppich gleitet in den Orchestergraben, der riesige Stuhl dient zunächst als Spielfläche der vier Komödianten und später als Beobachterposten des Komponisten. Schwarz, rot, weiss sind die Farben. Schwarz mit langer, roter Falte ist das Gewand der Ariadne. Es macht sie edel und würdig.

Michael König (Bacchus; kniend), Camilla Nylund (Ariadne) und Claudia Mahnke (Der Komponist), Foto © Monika Rittershaus

Ariadne wird interpretiert von der finnischen Sopranistin Camilla Nylund, die vor Jahren an der Oper Frankfurt die Arabella sang und zuletzt die Elsa im „Lohengrin“. Die schwierige Partie der Ariadne meistert sie einfühlsam, fast zelebrierend. Klar setzt sie die Stimme an.

Ensemblemitglied Brenda Rae als Zerbinetta treibt nach der Arie „Grossmütige Prinzessin“ das Frankfurter Publikum zu unglaublichem Beifallssturm. Leidenschaft, Zartheit, Trotz bringt ihre kolorature Sopranstimme eindringlich zum Ausdruck.

Es sind die Frauen Fassbaender, Mahnke, Nylund und Rae, die diesen Opernabend entscheidend prägen und wieder zu einem Höhepunkt der soeben begonnen Opernsaison machen.

Die Männer, der edle Tenor von Michael König als Bacchus, der Kammersänger Franz Grundheber, der ewig jung zu bleiben scheint, als Musiklehrer, und Peter Marsh als Tanzmeister: sie gestalten ihre „Nebenrollen“ ebenso wie die Nymphen leidenschaftlich.

Herrlich mischen Zerbinettas Kompagnons die Szenen auf: gesungen werden sie von Daniel Schmutzhard als Harlekin, von Michael McCown als Scaramuccio, von Alfred Reiter als Truffaldin, von Martin Mitterrutzner als Brighella. Sie machen richtig Laune.

Michael McCown (Scaramuccio; im Hintergrund sitzend), Brenda Rae (Zerbinetta), Camilla Nylund (Ariadne) und Alfred Reiter (Truffaldin), Foto © Monika Rittershaus

Und die Musik: als wenn sie neu zu hören wäre. Nur 37 Musiker sind beteiligt, die Generalmusikdirektor Sebastian Weigle leitet. Kammermusikalisch geht es zu, ein Novum bei Richard Strauss, der noch in „Elektra“ mit voller Opulenz aufwartete. „Obwohl durchaus mit modernen Mitteln komponiert, scheint es nie vordergründig um den Fortschritt bemüht“, so beurteilt Alwyn Tomas Westbrooke in seinem Programmheft-Beitrag „Das Zeitgemässe der Ariadne auf Naxos“.

Weitere Vorstellungen dieses bedeutenden Opernereignisses gibt es am 10., 18. und 25. Oktober 2013, jeweils um 19.30 Uhr, am 13. Oktober um 15.30 Uhr mit Kinderbetreuung, am 1. November mit „Oper lieben“ im Anschluss und Ende Dezember sowie Anfang Januar 2014.

 

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