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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Heinrich Heine und das Frankfurter Judenviertel

Das Theater Willy Praml auf Naxos erinnert an die vergessene Geschichte

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

Heine-Prospekt am Jüdischen Museum, Kreuzung Battonn-/Kurt-Schumacher-Strasse

Zur Erinnerung

Es braust der Verkehr am Börneplatz und durch die Kurt-Schumacher-Strasse. Hier standen die südöstlichen Mauern der Judengasse, hier war der Judenmarkt. Hier stand die Synagoge, die wie alle anderen der Stadt am 10. November 1938 in Flammen aufging.

Erst vierzig Jahre nach dem Krieg wurde die Stadtplanung aktiv. Bis dahin stand dort die Blumengrossmarkthalle, eine Tankstelle, der Rest war Parkplatz und nur eine kleine Gedenktafel erinnerte an die Zerstörung der Synagoge.

Dann wurde geplant, und zwar der Bau der Frankfurter Stadtwerke. Beim Ausschachten zwischen 1987 und 1990 kamen die Überreste der Frankfurter Judengasse, der Synagoge zutage. Es kam zu Auseinandersetzungen, zur Besetzung des Bauplatzes, weil Bürger den vollständigen Erhalt der archäologischen Überreste, die Einblick in die jüdische Baugeschichte gaben, forderten. Die Erinnerung an jüdisches Frankfurter Leben sollte sichtbar wach gehalten werden. Die Stadtwerke wurden gebaut und Reste jüdischer Bauten Stein für Stein abgetragen und im Jüdischen Museum wieder aufgeschichtet. Dahinter oder daneben liegt die Gedenkstätte, die jederzeit betreten werden kann.

Kleine Tafeln an der Gedenkmauer

Heine und Börne

Die Erinnerungs-Ausgrabung des Willy Praml-Theaters geschieht mit Heinrich (Harry) Heine (1797-1856), dem genialen Lyriker und wohl bedeutendsten Dichter deutscher Liebeslyrik. Dabei hatte Heine, in Düsseldorf geboren, der nur dreimal kurz in Frankfurt war, hier keine Spuren hinterlassen. Das erste Mal kam er als 18jähriger und begann bei Bankier Rindskopf eine Lehre.

Beim Besuch der Freimaurerloge „L’Aurore naissante“ (Die aufgehende Morgenröte) lernte er Ludwig Börne (1786-1837) kennen, der im jüdischen Frankfurter Ghetto geboren wurde.

Vielleicht hat Börne, der nach einem Spaziergang durch das Judenviertel 1808 von Kot, von Verpestung schrieb, den jüngeren Heine durch das Ghetto, durch die Judengasse geführt.

Heine verliess schon bald wieder Frankfurt und wurde zum reichen Onkel nach Hamburg geschickt.

Und Börne: Er wurde vom Vater schon früh nach Berlin, Halle, Gießen geschickt und kehrte wieder nach Frankfurt zurück. 1808 wurde er Mitglied der Freimaurerloge in Frankfurt und arbeitete als Polizeiaktuar. Aus dieser Anstellung wurde er wegen seines Judentums 1815 entlassen.

Börne und Heine trafen sich noch einmal 1827 in Frankfurt und wahrscheinlich später in Paris.

Sie hatten biografische Gemeinsamkeiten: Beide liessen sich taufen, weil sie hofften, so eine bürgerliche Karriere machen zu können, die ihnen als Juden verwehrt wurde, und beide gingen ins Pariser Exil. Dort hatten sie als Juden keine Probleme.

Ihre Freundschaft war jedoch später mehr als getrübt. In einem Geheimbericht wird sogar der Begriff „Todfeinde“ gewählt. Börne beklagte 1835 Heines mangelnde Gesinnung im Freiheitskampf. „Ein Talent, doch kein Charakter“. Heine verstand sich jedoch als unabhängiger Dichter. Folgenschwer – so bezeichnen viele Literaturkenner diese Kontroverse zwischen Börne und Heine. Drei Jahre nach Börnes Tod schrieb Heine „Ludwig Börne. Eine Denkschrift“, in der er sich als Moralapostel aufspielt. So nennt ihn Fritz J. Raddatz in seiner Heine-Biographie „Taubenherz und Geierschnabel“ und zitiert Heine: „Soll ich die Wahrheit gestehen, so sah ich in Börnes Haushalt eine Immoralität, die mich anwiderte.“

Er bezichtigte Börne einer „Ehe zu dritt“, einer „Ménage à trois“. Der beschuldigte Ehemann forderte ihn daraufhin zum Duell. Heine wird leicht verletzt.

Dieses Duell veranlasst Heine, Augustine Crescence Mirat, die er Mathilde nennt, 1841 zu heiraten. Das unehelich geborene Bauernmädchen aus dem sogenannten Agrarproletariat in Paris hat er 1833 kennenglernt, da war sie 18 Jahre. Als 15jährige kam sie nach Paris, arbeitete als Schuhverkäuferin, führte das Leben einer Grisette, einer leichtlebigen Arbeiterin. „Sie werden nicht unmittelbar mit Prostituierten gleichgesetzt, sind aber auch keine ‚ehrbaren‘ Frauen“, schreibt Edda Ziegler in „Heinrich Heine – Der Dichter und die Frauen„.

Heine bemühte sich um Mathildes Bildung. Durch die Heirat wurde sie finanziell abgesichert. Er hätte beim Duell getötet werden können.

Das Projekt des Willy Praml-Theaters „HEINE – wacht auf und erzählt seinem Freund Karl Marx wie er im Traum in einem Kahn die Kurt-Schumacher-Straße rauf und runter fuhr. Stationen eines Traumas“

Es geht um Spurensuche zur Romantik in Frankfurt im Rahmen von „Impuls Romantik“ des „kulturfonds frankfurtrheinmain“. Dieses Projekt in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum macht die Fragen, die Suche nach Romantik, an der Person Heinrich Heine fest, der sich als „letzten Romantiker“ sah. Er hat sich in seinem Werk „Die romantische Schule“ (1835) intensiv mit der Periode dieser deutschen „schönen Literatur“ beschäftigt. Als Aufklärer wird er jedoch zu ihrem Gegner.

An die vielschichtige historische Frankfurter Topografie, die stark geprägt war durch das Judentum, wird durch Heines biografisches und künstlerisches Umfeld erinnert. Stationen sind: im Jüdischen Museum, auf dem Platz der ehemaligen Synagoge, heute Gedenkstätte, auf der Kreuzung Kurt-Schumacher-/Battonnstrasse, im Bus, der die Konrad-Adenauer-Strasse auf und ab fährt, in der Kirche der Unitarischen Freien Religionsgemeinde in der Fischerfeldstrasse, in der Heiliggeistkirche, im Atrium des Stadtplanungsamtes und zuletzt im Innenhof des Dominikanerklosters, wo man auch zuerst zusammenkommt.

Auf der ersten Station, im Jüdischen Museum, werden kleine Geschichten zu Heines Leben dargestellt: „Harrys Puppenspiel“, „Harrys erste Prügel“, „Mutter Betty Heine, das rote Sefchen“ und mehr. Das rote Sefchen war die Tochter des Scharfrichters. Harrys erste Erfahrung mit Frauen im Alter von 16 Jahren.

Ensemble Station Ehemalige Börneplatzsynagoge – 1.Kapitel: Der Rabbi von Bacharach

Im literarischen Mittelpunkt steht Heines Romanfragment „Der Rabbi von Bacharach“, das er 1824 als Jurastudent in Göttingen beginnt. Eine vollständige „Frankfurter Judenchronik“ soll er damals durchgearbeitet haben.

Literaturkenner Fritz J. Raddatz erinnert an Heines Bemerkungen über Juden und Judentum, die er später tilgte, wie „Jüdische Schmutzlappen, das grinsende feuchte Volk, das Ungeziefer mit Menschenantlitz im Frankfurter Ghetto (S. 93).

1825 lässt sich Heine taufen.

Heines Parteinahme ist recht eigentlich nie eine für die Sache des Judentums gewesen als vielmehr eine gegen dessen Diffamierung“ (Raddatz S. 94). Börne bekannte sich dagegen zu seinem Judentum.

Der Rabbi von Bacharach“ (Original: Bacherach)

Werner, ein vierzehnjähriger Junge, soll im 13. Jahrhundert von Juden gequält und schliesslich getötet worden sein. Diese ungeheuerliche, falsche Anschuldigung löste ein Pogrom aus, bei dem tausende Menschen getötet wurden.

Dieses Thema greift Heine in dem „Rabbi von Bacharach“ auf. Das erste Kapitel deklamieren die Schauspieler des Willy Praml-Theaters an der rückwärtigen Mauer des Jüdischen Museums/Stadtwerkehaus, dort wo die Synagoge stand.

Ensemble

Der reiche Rabbi Abraham, viel gereist, gebildet, verheiratet mit der schönen Sara, kinderlos, feiert mit Familie, Freunden, Gästen die Abendfeier des Paschafestes in seinem Haus. Zwei in weite Mäntel gehüllte, grosse Männer, die sich als Glaubensgenossen ausgeben, betreten den Raum. Er lädt sie an den Tisch. In Wahrheit sind sie Christen und legen ihm, der immer wieder mit Sara liebäugelt, ein totes Kind unter den Tisch. Rabbi Abraham bemerkt es und flieht mit Sara zum Rhein. Mit einem leichten Kahn fahren sie „auf dem lieben, klaren Rheinstrom“. Sie nehmen den Mäuseturm wahr, schiessen mit dem Kahn durch den Binger Strudel und legen schliesslich in Frankfurt an.

Der verängstigten, aus dem Schlummer erwachten Sara erklärt der Rabbi die Stadt. Er zeigt ihr den Römer und vieles mehr und mahnt sie immer wieder „mach die Augen zu, schöne Sara“, wenn es Lästerliches und Käufliches zu sehen gibt.

Heine erinnert an die Frankfurter Pogrome von 1240 und von 1349, als die Geissler (Flagellanten, eine christliche Laienbewegung) bei ihrem Durchzug Frankfurt anzündeten. Diese Tat wurde den Juden angelastet, die daraufhin ermordet wurden. „Später bedrohte man die Juden noch oft mit dergleichen Schlachten, und bei inneren Unruhen Frankfurts, besonders bei einem Streite des Rates mit den Zünften, stand der Christenpöbel oft im Begriff, das Judenquartier zu stürmen.“

Lange steht das Paar, Abraham und Sara, vorm Tor der Judengasse. Sie besuchen den Gottesdienst in der Synagoge und treffen Don Isaak, den der Rabbi sieben Jahre zuvor in Toledo traf. Dann bricht die Erzählung ab, mit der Bemerkung, der Schluss sei verloren gegangen.

Die Heine-Spezialisten bezweifeln das.

Das zweite Kapitel, das Heine erst 1840 schrieb, wird draussen auf der Kreuzung über Kopfhörer gehört. Schauspieler agieren auf den Strasseninseln, mit Kanupaddeln auf der Kreuzung. Das Boot Sara steht am Rande.

Boot Sara

Ein Chor – positioniert vor dem Bus, in dem das dritte Kapitel des „Rabbi von Bacharach“ spielerisch realisiert wird – singt das Lied von der Loreley. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten …“ aus “ Die Heimkehr„.

Im Bus (im Hintergrund Willy Praml)

Es ist ein Mammut-Projekt, das eine Pause mit Essen und Trinken zulässt.

Es folgen noch langwierige, schwierige Texte, Heines Shylock, die Auseinandersetzung mit der Religion (Werk „Religion und Philosophie in Deutschland“, 1834 /1854), das Frankfurter Wintermärchen („Deutschland, ein Wintermärchen“, 1844) und die Begegnung mit Karl Marx (1818-1883), dem er seinen Traum von der Kahnfahrt auf der Kurt-Schumacher Strasse erzählt.

Marx kommt 1843 als Emigrant nach Paris. Die beiden führen viele Gespräche, sind sich einig im Verneinen der Zustände, finden aber keine gemeinsame Basis in der Realisation. Die „Tagesleidenschaften“, die ein Schriftsteller haben müsse, fehlen ihm. (Aussage Achim von Arnim – zitiert nach Hans Mayer „Die Ausnahme Heinrich Heine“, Vorwort zur Heine- Insel Ausgabe Band 1 Gedichte, 1968).

1844 erscheint „Deutschland. Ein Wintermärchen“, das überall in Deutschland verboten wird.

Das deutsche Herz in meiner Brust ist plötzlich krank geworden …“ (Nachtrag zu „Deutschland. Ein Wintermärchen“, 1844).

Der fünfstündige Abend endet mit der „Matratzengruft“ und „Und in mir lebt nur noch der Tod“ (Nachlese). Seit 1848 leidet Heine an einer Rückenmarkserkrankung, die ihn bald komplett ans Bett fesselt.

Theatermacher Willy Praml

Das Projekt des Theaters Willy Praml „HEINE – wacht auf und erzählt seinem Freund Karl Marx wie er im Traum in einem Kahn die Kurt-Schumacher-Straße rauf und runter fuhr. Stationen eines Traumas“, ein Theaterparcours rund um die ehemalige Judengasse, ist spannend und zwingt geradezu, sich intensiv mit dem Werk des Dichters und vor allem mit Frankfurt und seiner jüdischen Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Noch bis zum 5. Oktober wird dieses Spektakel gezeigt. Die nächsten Aufführungen finden am 20., 21. und 22. September 2013 statt. Das Naxos Kino bietet ein filmisches Rahmenprogramm. Am 29. September 2013, 11 Uhr gibt es eine Stadtführung mit der Architektin Christin Scheiblauer. Treffpunkt ist die Judengasse.

 

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