Das lyrische Märchen „Rusalka“ von Antonín Dvořák eröffnet die Spielzeit 2013/2014 der Oper Frankfurt
Sehnsucht, ein Mensch zu sein, Sehnsucht, mit der Natur zu verschmelzen
Von Renate Feyerbacher
Amanda Majeski (Rusalka) und Zoltán Nyári (Prinz; liegend); Foto © Barbara Aumüller/Oper Frankfurt
Die Nixe Rusalka ist die Schwester von Friedrich de la Motte Fouqués Undine und von Hans Christian Andersens kleiner Meerjungfrau. Mit Rautendelein, eine Elfe, die auch Sehnsucht nach den Menschen hat, aus Gerhart Hauptmanns „Die versunkene Glocke“ ist sie wahlverwandt. Aus diesen Vorlagen hat Jaroslav Kvapil ein nachdenkliches Libretto geschrieben, das der Komponist Antonín Dvořák (1841-1904) in kurzer Zeit begeistert vertonte. 1901 fand im Prager Nationaltheater die Uraufführung statt. Sie ist die einzige Dvořák-Oper, die wirklich überdauerte
. In den Konzertsälen sind seine sinfonischen Werke, vor allem die 9. Sinfonie „Aus der neuen Welt“, seine Slawischen Tänze, seine Kammermusik ständig präsent. Dabei lag dem Komponisten die Oper so am Herzen, „weil ich die Oper auch für die geeignetste Schöpfung für das Volk halte. Dieser Musik lauschen die breitesten Massen, und zwar sehr oft …“ (Zitat aus Programmheft der Oper Frankfurt).
Amanda Majeski (Rusalka); Foto © Barbara Aumüller/Oper Frankfurt
Kein Tropfen Wasser ist auf der Bühne zu sehen, stattdessen die Halle eines Naturkundemuseums. Hinten ein romantisches Bild mit Bäumen, darin vorne rechts sitzend ein junges Wesen, hell gekleidet. Es ist Rusalka, die Wassernymphe, die später mit Hilfe der Waldelfen aus dem Bild steigt. Vor dem Bild steht tief versunken der Direktor des Museums alias der Prinz und schmachtet Rusalka an.
Das Museum schliesst, die Besucher haben zu gehen, und aus den Vitrinen mit ausgestopften Tieren kriechen aus den Unterschränken die drei Waldelfen und treiben ihre Spässe mit dem Wassermann, der aus der Tiefe hervorstieg. In ihren roten Kleidchen mit weissen Acessoires und weissen Kniestrümpfen sehen sie wie Schulmädchen aus.
Rusalka gesteht dem Wassermann, ihrem Vater, ihren Wunsch, ein Mensch zu werden. Sie hat sich in den Prinzen verliebt. Der Vater warnt, versucht sie umzustimmen, vergebens.
„Wehe! Wehe! Wehe!“ klagt er. Bevor Rusalka, wie er ihr rät, die Hexe Ježibaba um Rat fragt, bittet sie im „Lied an den Mond“ diesen, den Liebenden zu helfen. Eine wunderschöne Arie, die – wie auch die Zwischenmusiken – sehr symphonisch klingt. Die Musik hat etwas Fliessendes, manchmal Tänzerisches, und vor allem Dramatisches.
Katharina Magiera (Ježibaba, die Hexe) und Amanda Majeski (Rusalka); Foto © Barbara Aumüller/Oper Frankfurt
Die Hexe, hier als Bibliothekarin, engagiert temperamentvoll – gesungen von Katharina Magiera – , verhilft Rusalka zum Menschsein. Gierig kürzt sie den Rocksaum des üppigen Kleids von Rusalka mit seinen Rüschen und schuppenartigen, gefächerten Verzierungen. Sehr einfallsreich die Kostüme von Amélie Sator. Die Hexe lässt die Rocksaumteile wollüstig durch ihre Hände gleiten. Ein magischer Moment.
Der Preis fürs Menschwerden: Rusalka wird stumm.
An dieser Sprachlosigkeit scheitert die Liebe der beiden. Der Prinz wird treulos. Er wendet sich der dekadenten Fremden Fürstin zu, Gegenspielerin der bescheidenen Rusalka. Die Fürstin verlässt ihn aber letztendlich. „Warum musstest Du treulos sein?“ fragt Rusalka, als der Prinz zu ihr zurückkehrt. Ihre Liebe ist unerschütterlich.
Die rätselhafte Rusalka steht für die Natur, an der sich der Prinz versündigt. Und dafür muss sie ihn bestrafen. Einsam, von allen verlassen, steht sie am Ende der Oper auf einem Podest. Die Natur ist verschwunden.
Die Märchenwelt mit ihren unerschöpflichen Weisheiten ist ein Gegenpol zur Menschenwelt, die Regisseur und Bühnenbildner Jim Lucassen teilweise drastisch realisiert.
Das riesige Saurierskelett in einem Saal des Naturkundemuseums, das bedrohlich über den oberflächlich agierenden Gästen des Prinzen schwebt, irritiert zunächst. Kann dann aber doch überzeugen.
Rusalka hat sich mit einer langen, durchsichtigen Folie umschlungen – die glänzende Folie erinnert an Wasser. Der Prinz reisst sie ihr vom Köper.
Aus dieser Folie macht sie schliesslich ihr Brautkleid und ihren Brautschleier, den der Prinz bei seiner Rückkehr zu ihr in Händen hält. Ein wunderbarer Einfall.
Die Gäste verhöhnen Rusalka.
Amanda Majeski (Rusalka; in der Mitte) und Chor der Oper Frankfurt; Foto © Barbara Aumüller/Oper Frankfurt
Jim Lucassen überzeugt durch eine feine, personendifferenzierte Regie, durch kleine Detaileinfälle.
Amanda Majeski singt die Rusalka. Was für eine Sopranstimme mit grossem Stimmumfang! Das Frankfurter Publikum hat die amerikanische Sängerin bereits als Gänsemagd in Humperdincks „Königskinder“ begeistert gefeiert. Als Rusalka hat sie sich nochmal gesteigert. Auch ihre schauspielerische Ausstrahlung gefällt.
Ihr Partner, der ungarische Tenor Zoltán Nyári, verkörpert den Prinzen auch stimmlich und schauspielerisch überzeugend. Der Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner, Ensemblemitglied, gelingt als Fremde Fürstin ein grossartiges Debüt. Der Russe Mischa Schelomianski sang bereits in der Premiere von Rusalka in Montpellier den Wassermann, auf den er an vielen grossen Opernbühnen abonniert zu sein scheint. Eine schöne Bassstimme, die an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst ausgebildet wurde.
Amanda Majeski (Rusalka; stehend) und Zoltán Nyári (Prinz; liegend); Foto © Barbara Aumüller/Oper Frankfurt
Im Gespräch hat Generalmusikdirektor Sebastian Weigle auf die Frage, ob er Lieblingsmomente habe, geantwortet: „Ach, das ist schwer, weil mir die gesamte Oper sehr ans Herz gewachsen ist und ich sie zum ersten Mal dirigiere“ (Programmheft).
Diese Begeisterung ist beim Musizieren des Opern- und Museumsorchesters zu spüren.
Dvořáks Oper „Rusalka“, die Übernahme einer Produktion der Opéra national de Lorraine, hat dem Frankfurter Publikum gefallen.
Weitere Aufführungen in diesem Jahr gibt es morgen am 12. September, am 15., 21., 27. und 29. September sowie am 3. Oktober 2013, jeweils um 19 Uhr (am 29. um 15.30 Uhr)