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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Giancarlo Cerri und Giovanni Cerri in der Frankfurter Westend Galerie

Zwei Künstlergenerationen aus Mailand

Eröffnungsansprache von Barbara Thurau
Frankfurter Westend Galerie

Caro Giovanni Cerri, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Frankfurter Westend Galerie,

bei dieser Ausstellung haben wir Sie mit etwas Ungewöhnlichem konfrontiert: Gegenständliche Malerei. Diese konnten Sie in der Westend Galerie bisher nur bei den deutschen Künstlern sehen, die ihre Anregung und Inspiration in Italien suchen, in den Farben, Landschaften oder Architekturen wie bei Heinrich Steiner, Siegbert Jatzko, Arnold Leissler und anderen. Bei den italienischen Künstlern vertreten wir seit jeher die abstrakten Tendenzen.

Zum ersten Mal stellen wir heute auch die Werke von zwei Generationen aus, Vater und Sohn. Die beiden gehen künstlerisch getrennte Wege, aber es gab bereits eine gemeinsame Ausstellung 2008 im Museo della Permanente in Mailand. Diese hat uns dazu inspiriert, die beiden Künstler auch hier in Frankfurt zusammen zu zeigen.

Giancarlo Cerri, Grande Sequenza, 2001, Öl auf Leinwand, 180 x 140 cm

Giovanni Cerri, Milano, la Basilica di S. Ambrogio, 2013, Öl auf Leinwand, 100 x 110 cm

Im Katalog zur Ausstellung finden Sie ein Grusswort des Kulturdezernenten Professor Felix Semmelroth, einen Text von Herrn Salvatore A. Sanna und einen Text von Gian Marco Walch, Kulturredakteur bei der Tageszeitung „Il Giorno“, ausserdem Biografien beider Künstler.

Daher beschränke ich mich auf das spannende Wechselspiel zwischen Abstraktion und Figuration, das hier bei der Gegenüberstellung dieser beiden Künstler entsteht.

Wir sehen auf der einen Seite abstrakte, gegenstandslose, formal geschlossene Kompositionen, die aus zwei bis drei Farben bestehen, wobei das Schwarz entscheidend und formgebend ist. Die Arbeiten, die wir hier zeigen, hat Giancarlo Cerri in den Jahren 1994 bis 2005 gemalt, ehe er leider etwas später wegen eines schweren Augenleidens mit der Malerei aufhören musste.

In den vertikal angelegten „Sequenze“, „Grandi sequenze“ oder „Minisequenze“ ist die Farbe kraftvoll und pastos aufgetragen. Die Farbe transportiert die Emotionen des Künstlers.

Giancarlo Cerri, Grande Sequenza, 2001, Öl auf Leinwand, 180 x 140 cm

Auf der anderen Seite sehen wir Stadtlandschaften mit irrealen Farben.

Giovanni Cerri, Il Regno, 2012, Öl auf Leinwand, 100 x 150 cm

Sie sind figurativ – oder besser „gegenständlich“, denn „Figuren“ sucht man vergebens in den Städten von Giovanni Cerri. Menschen waren da, sie haben ein Autowrack hinterlassen, einen Luftballon steigen lassen, einen Ball oder einen Stuhl auf der Strasse vergessen. Sie betreiben im Hintergrund eine Fabrik. Diese Zeichen sind die kleinen Lebenszeichen in den scheinbar leeren Stadtansichten. Die Umwelt scheint unwirklich, bedrohlich, ein Gewitter zieht auf, ein Wirbelsturm, Nebel oder Rauchwolken verhüllen die Gebäude. Aber der Himmel mit seinen faszinierenden Farben hat meist auch eine helle, wolkenlose Partie, die einen Hoffnungsschimmer vermittelt.

Aber was ist jetzt abstrakt, was gegenständlich?

Tatsächlich könnte man die vertikalen Bilder von Giancarlo Cerri um 90 Grad drehen und eine Landschaft mit einem Horizont schaffen. Man könnte Säulen, Figuren, Vorhänge in den vertikalen leicht gezackten Farbstrichen erkennen – besonders in den kleinen „Minisequenze“. Man könnte auch einfach nur die Kraft der Formen und Farben auf sich wirken lassen – besonders bei den „Grandi Sequenze“ – und man wird von ihrer greifbaren Körperlichkeit überrascht.

Giancarlo Cerri, Sequenza verticale 2, 2005, Öl auf Leinwand, 80 x 60 cm

Giovanni Cerri, Paesaggio che non c’è più, 2013, Öl auf Leinwand, 130 x 180 cm

Die Grenze zu den gegenständlichen Arbeiten des Sohnes Giovanni ist gar nicht so klar, wie man im ersten Moment denken würde: Die Farbe als Träger von Emotionen finden wir auch bei ihm – in diesen fast unheimlichen Himmelansichten – faszinierend und beunruhigend zugleich. Andererseits: wie real sind die Gebäude noch, die im Nebel verschwinden oder auf eine schlichte kubische Form reduziert sind (zum Beispiel „Suburbia“). Die Stadtansichten von Giovanni Cerri sind nicht realistisch, sondern eher surrealistisch und sie sind abstrahiert.

Giancarlo Cerri, der Vater, hat die Debatte zwischen Abstraktion und Figuration immer abgelehnt und sich auf die Freude an der Malerei berufen, auf die gemalte Malerei. Das Wesentliche ist die authentische Malerei, nicht ihre Zugehörigkeit zu Richtungen. „Die Gemalte Malerei“ heisst auch ein kleiner Band, den Giancarlo Cerri 2012 veröffentlicht hat und der sein Künstlerbekenntnis enthält.

Giancarlo Cerri wurde 1938 in Mailand geboren und ist zunächst von der lombardischen Malerei seiner Jugendzeit geprägt. In den 1950er/1960er Jahren hat er direkt mit der Staffelei im Freien Landschaften gemalt. Zur Abstraktion ist er über verschiedene Schritte, unter dem Einfluss der informellen Malerei und anderer abstrakter Tendenzen gekommen. Sie hat sich aber auch aus seiner Liebe zur Ölmalerei und aus einem Wunsch nach Freiheit heraus entwickelt. Die abstrakte Malerei bietet ihm den sinnlichen Genuss des Farbauftrags und zugleich die grösstmögliche Freiheit.

Giancarlo Cerri, Sequenza verticale, 2005, Öl auf Leinwand, 80 x 60 cm

Giovanni Cerri wurde 1969 ebenfalls in Mailand geboren. Er ist schon als Jugendlicher mit Bleistift, Filzstift oder Kohle durch die Mailänder Strassen gezogen. Dabei hat ihn der Stadtrand mit seinen stillgelegten Fabriken, verlassenen Grundstücken und Bauruinen, mit Endstationen und Gleisanlagen immer am meisten angezogen – die industrielle Archäologie seiner Stadt. Von 2001 bis 2009 malt er den Zyklus „Città fantasma“ (Geisterstadt) auf Zeitungspapier, einem Bildträger, der – durch seine Textfragmente – das Zeitgenössische wie in einer Art Reportage aus der malerischen Materie ans Licht kommen lässt. In seinen neueren Werken entfernt er sich zunehmend von der Stadt Mailand. Bezeichnenderweise heisst der Zyklus „Il regno“ und bezeichnet ein Land, das jeder da ansiedeln kann, wo er mag. Für ihn sind es Erinnerungsräume, Orte, die es nicht mehr gibt (so ein Titel „Paesaggio che non c’è più“), metaphorische Portraits des Menschen, Sinnbilder der Leere.

Giovanni Cerri, Il Regno, 2011, Öl auf Leinwand, 100 x 110 cm

Der Vater gehört noch derjenigen Künstlergeneration an, die die Abstraktion im Sinne einer klaren, formal reduzierten Komposition als neue Ausdrucksform erkannte. Die Abstraktion war für diese Künstler – und das Publikum – eine regelrechte Befreiung, eine Möglichkeit, Emotionen über reine Farben und Formen zu transportieren. Und eine Abgrenzung von der fotografischen Reproduzierbarkeit der Welt.

Während abstrakte Tendenzen weiter bestehen und sich entwickeln, wie wir an unseren letzten Ausstellungen mit Joachim Czichon, Paolo Iacchetti, Roberto Casiraghi und Federico Palerma gesehen haben, gibt es auf der anderen Seite aber auch eine starke Strömung gegenständlicher Kunst. Diese ist vielleicht als eine Abgrenzung von der virtuellen Welt der modernen Medien zu verstehen. Giovanni Cerri glaubt, dass in den heutigen Zeiten eine Beziehung zum Publikum herzustellen ist über eine Art und Weise, etwas in Bildern zu erzählen. Er möchte in seiner Malerei etwas Lebendiges und Reales darstellen.

Es wird spannend sein zu sehen, wohin Giovanni Cerri sich bewegen wird.

Giovanni Cerri, Salvatore A. Sanna, Leiter der Frankfurter Westend Galerie, und Barbara Thurau in der Vernissage; Foto: FeuilletonFrankfurt

„Giancarlo Cerri und Giovanni Cerri. Zwei Künstlergenerationen aus Mailand“, Frankfurter Westend Galerie, mit Führungen zum Saisonstart der Galerien am 7. und 8. September, jeweils 15 Uhr, und Musikprogramm am 8. September 2013, 11 Uhr

Fotos der Gemälde: © Giovanni Cerri/Frankfurter Westend Galerie

 

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