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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Sommerliche Reisegrüsse aus der Türkei / 11


Erzählung in Briefen

© von Robert Straßheim

Elftes Kapitel

14.6.

Lieber Markus,

In welch einer ungewissen Nachrichtenwelt wir leben! Da berichteten westliche Medien 1978 über tausende Menschen, die sich verzweifelt in Boote stürzten, um dem Kommunismus zu entfliehen. Sie wurden von internationalen Hilfsschiffen aufgenommen und fanden Asyl in westlichen Ländern.

Was ich aber nun über den Hintergrund lese, ergibt ein erschütternd anderes Bild: Laut Giesenfelds Vietnam-Buch versuchten die USA nach ihrem Abzug aus Vietnam mit aller (nicht-militärischen) Macht, den Erfolg des Kommunismus zu untergraben. Dazu führten die USA – zusammen mit ihren Verbündeten – von aussen einen Wirtschaftskrieg gegen Vietnam, und innerhalb Vietnams hatten sie „etwa 200.000 ‚Vietnam-Amerikaner‘ zurückgelassen, darunter viele direkte und indirekte Mitarbeiter der CIA“ ¹), die vor keinen Aktionen zurückschreckten, um das Land seiner inneren Sicherheit zu berauben. Ihr Ziel, in Vietnam einen Bürgerkrieg zu provozieren, haben die USA und China zwar verfehlt, aber es gelang ihnen, den vietnamesischen Kommunismus anzuschwärzen:

„eine [von der chinesischen Regierung] mit internationalem Echo geführte Propaganda- und Gerüchtekampagne … behauptete, die Hoa [eine ökonomisch mächtige Minderheit chinesischer Abstammung] würden in Vietnam aus rassischen Gründen verfolgt. Man forderte alle Vietnamesen chinesischer Herkunft auf, nun ins ‚Vaterland‘ zurückzukehren, weil ein Krieg zwischen der Sowjetunion und China unmittelbar bevorstehe, in den auch Vietnam verwickelt würde und dessen erste Opfer sie sein würden.“

Die vietnamesische Regierung liess die Menschen bedingungslos ausreisen. An der Grenze zu China aber stellte sich heraus, „dass die chinesischen Behörden die Flüchtlinge, die sie selbst gerufen hatten, nicht einlassen wollten, worauf diese nach tagelanger Belagerung der Grenzübergänge mit Gewalt in die VR China eindrangen.“

Um jedem Menschen in Vietnam eine ungefährliche Ausreise zu ermöglichen, eröffnete das UNO-Flüchtlingskommissariat „mehrere Büros in Vietnam. Schnell wurde jedoch deutlich, dass die Regierungen der westlichen Länder, allen voran die USA, an einer solchen Regelung nicht interessiert waren. Sie holten sich ‚ihre‘ Flüchtlinge lieber von den Geschäftemachern illegal organisierter Suchschiffe … und nahmen, nach strenger Auslese, nur so viele davon auf, wie nötig war, die mit ihnen betriebene Propaganda gegen Vietnam aufrechtzuerhalten.“

Und in unserem Fernsehen liefen dann die Bilder von den verzweifelten boat-people, die auf der Flucht vor dem kommunistischen Regime halb ertrunken von der Cap Anamur und anderen Schiffen gerettet wurden.

Glaubst du, dass die Massenmedien heutzutage weniger manipulieren? Dabei unterstelle ich den Nachrichtendiensten selbst nicht unbedingt schlechte Absichten: Sie können ja nur weitergeben, was sie an Informationen erhalten. Und wenn diese Infos nur von Quellen kommen, die von Regierungen kontrolliert werden?

Erholung von meinem desillusionierenden Vietnam-Buch verschafft mir ein kleiner Rundgang mit dem Baby, das Abwechslung vom Strand brauchte. Oft begegnen wir da einem älteren, gemütlichen Arbeiter, der immer rund ums Hotel sauber macht, uns jedes Mal zuwinkt, sich nähert, fürs Baby mit dem Besen auf den Eimer trommelt, ihm ein paar Koseworte zuspricht, doch genügend Abstand wahrt. Obwohl wir uns nicht mit Worten verständigen können, freuen wir uns jedes Mal, er übers Baby, das Baby über die neuartige Zuwendung und ich über seine Kinderliebe.

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¹) dieses und alle nachfolgenden Zitate: Günter Giesenfeld: Land der Reisfelder. Vietnam, Laos und Kambodscha. Geschichte und Gegenwart. 2013, Argument Verlag, S. 269-279

(Fotos: © Robert Straßheim, Montagen: FeuilletonFrankfurt)

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