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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wie die Justiz ihr Licht unter den Scheffel stellt

Wider den Richter in Weiss
oder
Schluss mit dem ganzen Quatsch

von
Rechtsanwalt Dipl.-Soziologe Hans-Burkhardt Steck

Hochkonjunktur hat er, der Richter in Weiss, das steht ausser Frage. Man kann schon den Eindruck haben, dass die Justiz ihre Macht an die Psychiatrie abgegeben hat. Mit wahrer Begeisterung werden deren zweifelhafte Behauptungen abgenickt und Beschlüssen zugrunde gelegt, die tief in das Leben von Mitmenschen eingreifen und manchen für läppische Straftaten im untersten Bereich der Kriminalität 20 oder 30 Jahre hinter Gitter bringen. Das ist Deutschland im Jahre 2013. Mollath ist überall. Er ist nur die Spitze eines grässlichen Eisbergs.

Bildnachweis: Gabi Eder/pixelio.de

Dabei hat die Justiz weitaus bessere Mittel zur Erkennung des Wesens von Menschen, zum Verständnis ihres Handelns und zur Einschätzung dessen, was sie vermutlich in Zukunft tun werden. Aber nein, immer und überall werden Psychiater und Psychologen eingeschaltet und befragt, und der Unsinn, der meist dabei herauskommt, wird freiheitsentziehenden Beschlüssen und Urteilen mit entsprechend dramatischen Konsequenzen zugrundegelegt. Beim Lesen der Hervorbringungen von Psychologen, Psychiatern und Richtern in dieser Branche kommt man aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus und wundert sich abends, dass der Kopf noch dran ist.

Dabei ist es grundlegend verfehlt, psychische Störungen und Therapien in den Focus des Strafverfahrens zu rücken, wie dies zahllose Urteile und Beschlüsse tun. Der ständige Psycho-Bezug hat den Blick vieler Beteiligter auf die offenkundige und unbestreitbare Tatsache verstellt, dass psychologische Erklärungen und psychiatrische Befunde und Diagnosen immer nur Konstrukte, Hypothesen, Theorien sind, die nicht einmal Ähnlichkeit mit den Forschungsergebnissen anderer Wissenschaften und den Diagnosen und Befunden anderer Gebiete der ärztlichen Kunst haben. Während Bein- und Blinddarmdurchbruch allerspätestens bei der Sektion objektivierbar sind, in der Regel auch am lebenden Menschen, konnte bislang niemand definitiv und objektiv herausfinden, worauf abweichendes Verhalten und als krankheitsähnlich belastend empfundene Befindlichkeiten wirklich beruhen und wie das als „Störung“ Empfundene möglicherweise beeinflusst werden kann. Diagnosen und Therapien sind nichts als ein Stochern im Nebel, ohne dass dieser dadurch weniger dicht würde.

Psychiatrie und Psychologie bestehen ausschliesslich aus Vermutungen. Die Diagnosen besagen überhaupt nichts. Sie klingen aber toll. Zum Beispiel: „Der manisch-depressive Patient imponiert in der manischen Phase mit einer ausgeprägten Pseudologia Phantastica“. Hört sich schon sehr viel weniger erhaben und grossartig an, wenn er in die Gerichtssprache übersetzt wird und nur noch „Der mal lebhafte, mal niedergeschlagene Herr Meier beeindruckt, wenn er lebhaft und aufgedreht ist, durch eine Neigung zu ausgedachten Geschichten“ heisst. Niemand käme auf den Gedanken, diesen Satz als Teil eines medizinischen Gutachtens zu identifizieren.

Wenn der Seelenforscher einen Seelenkranken erwischt zu haben wähnt, nennt er ihn „Psychopathen“, denn das heisst nichts anderes als seelenkrank. Wenn mehr als vier vollkommen alltägliche Verhaltensweisen aus der Liste X und drei aus der Liste Y beobachtet werden, soll das – schwuppdiwupp – die DSM- oder ICD-10 gestützte Diagnose einer „Persönlichkeitsstörung“ rechtfertigen. Man bedient sich diverser Baukästen, die so simpel formuliert sind, dass jeder Laie damit umgehen könnte, wenn das nur irgendeinen Sinn ergäbe.

Bildnachweis: Didi01/pixelio.de

Die zugrundeliegende Methode ist die von Miss Marple aus den Büchern (nicht den Filmen) von Agatha Christie. Sie löst ihre Fälle durch den Vergleich des Handelns eines Verdächtigen mit einer dieser im Verhalten ähnlichen anderen Person und zieht daraus Schlussfolgerungen. Auch die Seelenforscher bemühen sich, Gruppen von Menschen mit ähnlichen Verhaltensmustern zu finden und den jeweils Betroffenen in eine dieser Gruppen einzuordnen, für deren Untaten er dann gleichsam mit in die Haftung genommen wird. So nennen sie etwa Menschen, die schon in Kindheit und Jugend auf eine bestimmte Weise auffällig waren und als Erwachsene deutlich abweichendes und schädliches Verhalten zeigen, „persönlichkeitsgestört“. Wenn Kindheit und Jugend unauffällig verliefen, der Untersuchte sich aber trotzdem so verhält wie für diese Gruppe beschrieben, dann soll er keine „Persönlichkeitsstörung“ haben. Logisch ist das nicht, solange kein inhaltlicher Zusammenhang zwischen frühen Auffälligkeiten und späterem Fehlverhalten nachgewiesen ist (und die „Persönlichkeitsstörung“, bitte schön, endlich mal nachvollziehbar definiert wurde).

Kaum eine Diagnose der Seelenforscher hat wirklich Hand und Fuss. Das bei Hans Bürger-Prinz beliebte Beispiel (in einer Psychiatrie-Vorlesung wird ein Proband vorgestellt und von einem Gastprofessor ausgefragt = exploriert, der ihn nach Entlassung des Patienten als „manisch-depressiv, derzeit in der manischen Phase“ diagnostiziert und sich wundert, dafür keinen Beifall, sondern homerisches Gelächter zu ernten, da der Proband ein bislang als seelisch gesund eingestufter Psychiatrieprofessor derselben Alma Mater war) trifft es auf den Punkt. Der Anteil der Willkür bei seelenforscherischen Diagnosen ist so evident, dass die Schätzungen renommierter Sachverständiger, der Anteil der Fehleinweisungen in den Massregelvollzug liege bei einem Drittel bis zur Hälfte aller Fälle, nicht verwundert. Die Seelenforschung kann schlicht und ergreifend den gesetzlichen Auftrag nicht einlösen.

Bildnachweis: Jörg Sabel/pixelio.de

Die letzlich verantwortliche, das Gewaltmonopol verwaltende Justiz muss ihre Instrumente, die sie bei fehlendem Verdacht auf Seelenprobleme ja durchaus energisch und mit weitaus mehr Erfolg(!) als die Psychiatrie einsetzt, auch im Massregelbereich nutzen. Das sind Lebenserfahrung, Menschenkenntnis, die Hauptverhandlung mit all ihren Möglichkeiten bis hin zur Konfrontation von Angeklagtem und vermeintlichem oder wirklichem Opfer, mit der Beobachtung durch Beteiligte und Unbeteiligte unterschiedlichster Ausbildung und Interessen, mit Befragungen, Beweisanträgen, kontroversen Schlussvorträgen und der im höchsten Grade bedeutsamen Beratung.

Die Methode der Justiz, mit abweichendem Verhalten umzugehen, ist den Methoden der Seelenforschung damit weit überlegen. Kein Gutachter hat solche Möglichkeiten. Dementsprechend ist der Anteil falscher Urteile – Fehleinweisungen einmal nicht gerechnet – im Vergleich zu dem falscher psychiatrischer Gutachten winzig.

Kopf hoch, Justitia!

→  Mollath – Mollath – Mollath

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