home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Sommerliche Reisegrüsse aus der Türkei / 2


Erzählung in Briefen

© von Robert Straßheim

Zweites Kapitel

30.5.

Lieber Markus,

ich lebe hier in einem Frauenhaushalt: Zaras Abla-Schwester Zelal und der Eniste haben diese 4ZKB-Wohung für 35.000 Euro gekauft, und sie wird gewöhnlich allein von ihrer Tochter Dila bewohnt; jetzt aber führt Zelal das Regiment im Haushalt – und ich sehe nicht ein, warum ich da helfen sollte. Anfangs habe ich versucht, ein wenig Verstand einzubringen: habe die verschwenderisch lodernden Gasflammen unterm Teepott gedrosselt – es wurde wieder aufgedreht, sodass die Küche ihre Dampfwolken bekommt. Noch ärger ist es mir, wie die Eier gekocht werden: Schwimmend im allzu sprudelnd kochenden Wasser, ohne Einstichlöcher, ohne Deckel, ohne Zeit! Noch falscher ginge es nur, wenn man auch das Wasser wegliesse. Hier wäre jeder Verbesserungsvorschlag für die Katz!

Weiter wird das Geschirr von Hand gespült und anschliessend in die Spülmaschine gestellt, in der es mit dem Intensivprogramm (70° C) zweitgespült wird – hier argumentierte ich empört dagegen, aber vergebens, in Verachtung von Arbeitszeit und Umwelt wird weiterhin doppelt gespült!

Dabei klagt Zelal über die Energiepreise, die in der Türkei verhältnismässig hoch sind. Man sieht, dass auch hohe Preise keine Vernunft herbeibringen können.

Die Unvernunft ist von vornherein ins Hochhaus eingeplant: „Warum habt ihr denn auf dem Flachdach keine Solaranlage für Warmwasser?“ frage ich Zelal (traditionell haben Häuser in der Türkei sehr wohl solarthermische Anlagen). Aber dieses Hochhaus wurde vor fünf Jahren gebaut, und zwar mit Gasleitungen. „Die wollen Geld verdienen“, erklärt Zelal.

Einen Treibhauseffekt bzw. Physik gibt es in der Türkei nicht!

Morgens gehe ich mit den Kindern auf den Spielplatz unseres Viertels, der sich in einer kleinen Parkanlage befindet.

Auf dem Weg bewundere ich den Kontrast zwischen unserer neuen Hochhaussiedlung und dem angrenzenden alten Gecekondu an einem steilen Hang, wo Hütten und Verschläge wild in Sonne und Staub hinein gebaut stehen, bevölkert von Hühnern, Enten, Hunden, Ziegen, Schafen, Frauen und Kindern. Auch auf dem grünen Grat zwischen unseren Hochhäusern graste einmal eine Rinderherde.

Dann besuchen wir eine öffentlichen Quelle: Aus einem Rohr fliesst sauberes Trinkwasser aus dem Bergrücken. Es stehen immer Leute mit grossen Plastikkanistern dort, oft in Warteschlangen, trotz der prallen Sonne. Dila lehnt es ab, sich hier ihr Trinkwasser zu zapfen, denn das täte nur die Unterschicht, sie fürchtet, dadurch stigmatisiert zu werden; tatsächlich sehen die Leute dort genauso aus wie das Gros der Türken in Deutschland.

Zelal ärgert sich über den Dünkel ihrer Tochter; sie unternimmt das Abfüllen abends, trotz noch längerer Warteschlangen.

Wenn ich, mit den Kindern auf dem Weg zum Spielplatz, mit einer leeren Flasche dort hinkomme, lassen sie uns vor; dazu brauche ich kein Wort zu sprechen, nur zum Schluss murmle ich mein „Teşekkür ederim“ (gesprochen teschekür edirim). „Unterschicht“ hin oder her: Die Menschen sind nicht fremdenfeindlich, sondern freundlich.

Im Park gibt es eine Zone mit Fitness-Geräten, die ich jedes Mal ausprobiere, nicht um fit zu werden, sondern um die Idee anzuerkennen und mich daran zu erfreuen, dass das Gerät wie auch meine Glieder noch funktionieren. Alina macht meine Übungen nach, so gut sie es vermag. Dann gehen wir auf den Spielplatz, wo Alina mit mir und dem Baby „Wohnung“ spielt, und wenn ich mich mal zurückziehen darf, schenke ich dem Park meine volle Aufmerksamkeit.

Ich geniesse diesen Park mit seiner Ruhe, seinem Grün und seinen wenigen Menschen: manchmal sind wir die einzigen Gäste. Ich liebe seine Arbeiter, die ihn täglich pflegen, nicht aber reparieren: Eine Schaukel ist hochgekettet, damit sie nicht benutzt wird, eine Bank hat morsche Bretter. Ein Arbeiter bewässert den ganzen Vormittag lang mit einem Schlauch die Gräser und Bäume. Daneben sitze ich auf einer Bank im Schatten dieser Bäume und schaue zu: Seelenruhig steht der Arbeiter in blauer Montur auf dem grünen Teppich zwischen den Bäumen, wässert mit dem Schlauch, dessen Strahl er mit seinem Daumen versprengt, so reichlich, dass es hin und wieder die Erde wegschlämmt. Ein Arbeiter säubert die Wege. Dazu schwingt er einen drei Meter langen Ast, den er frisch gebrochen hat; dessen grüne Blätter fegen die welken Blätter. Nie habe ich hier Laubbläser gehört. Ich schliesse die Augen und lausche dem Fegen, das dem Atmen gleicht. Das ist Leben, das ist Frieden. Das ist ein Grund, die Türkei zu lieben!

(Fotos: © Robert Straßheim)

→  Sommerliche Reisegrüsse aus der Türkei /3

→  Sommerliche Reisegrüsse aus der Türkei /1

→  s. a. “Urlaubsbrief aus der Türkei”

Comments are closed.