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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Sommerliche Reisegrüsse aus der Türkei / 1


Erzählung in Briefen

© von Robert Straßheim

Erstes Kapitel

Izmir, 29. Mai 13

Lieber Markus,

dank des frühabendlich-kleinkindlichen Schlafes darf ich mir nun die Freiheit nehmen, in vollem Genuss der Musse an dich zu schreiben – auf dass mancherlei Eindrücke dieser Reise aufbewahrt und zu deinem geneigten Vergnügen weitergegeben werden. Leider wird es mir nicht gelingen, so geflissentlich zu schreiben wie im ersten Türkeiurlaub – sind wir doch diesmal mit zwei Kleinkindern unterwegs, was ja schon verbietet, es überhaupt Urlaub zu nennen. Sagen wir: Tapetenwechsel, Klimawechsel. Sprachwechsel, Kulturwechsel.

Ist der Klimawechsel durchaus angenehm, so hat mich der Kulturwechsel gleich am Flughafen in Izmir schockiert: Mit einem Linienbus hatten wir in die Stadt zu fahren (Eisenbahnen nicht vorhanden); nach mir verborgenen Methoden (Schilder und Pläne gab es keine) fand meine verschwägerte Verwandtschaft schnell den richtigen Reisebus – doch der Fahrer versuchte schon, die Türen der Kofferräume zu schliessen, was nicht gelingen wollte, da sie überfüllt waren. Somit sah ich gleich ein, dass es angesichts unseres vielen, sperrigen Gepäcks aussichtlos sei, noch mitzukommen – wir würden auf den nächsten Bus warten müssen. Nun drückte der Busfahrer im Verein mit einem anderen mit aller Kraft die Türen der überfüllten Kofferräume zu, nahm unsere zwei Monsterkoffer, den Riesenrucksack in Augenschein, es gab einiges Gerede, dann öffnete er einen kleinen Verschlag, hinter dem noch Platz war. Dort passte aber unser grösster Koffer nicht hinein. Dieser wurde hinauf in den Gang gewuchtet und sollte dort, zwischen den Sitzreihen den Fluchtweg blockierend, verbleiben.

Es liegt in der Ehre des Fahrers, keinen Fahrgast abzuweisen, und geehrt und zufrieden fühlte ich mich auch.

Keine Ehre dagegen macht es, vor Ampeln anzuhalten. Ich traute meinen Augen nicht, als unser Bus in voller Geschwindigkeit über eine tiefdunkelrote Ampel fuhr – war der Fahrer eingeschlafen?! Nein, kurz darauf kam die Vollbremsung, da von links ein Auto hupte. Es ist ja so, dass man erst auf der Kreuzung sieht, ob ein anderes Fahrzeug kommt – Ampelsignale regeln nur die Vorfahrt.

Wir fuhren stracks auf die Autobahn, es eröffneten sich Blicke in Täler mit Häusermeeren, nonstop fuhren wir weiter, das nächste Tal wieder ein Häusermeer, die Städtenamen auf den Schildern sagten mir alle nichts. „Wann kommen wir denn endlich nach Izmir?“ fragte ich und wurde aufgeklärt: Das alles sei Izmir! Dreieinhalb Millionen Menschen leben hier, die Stadt wächst und wächst, indem die Hochhäuser in Tälern und an Bergrücken spriessen. Nach einer Dreiviertelstunde Autobahnfahrt stiegen wir in zwei Autos um, um in die Wohnung unserer Gastgeberinnen zu kommen. Izmir hat keinen Charme, die Architektur ist indifferent, ein universeller Betonkastenstil, die Grösse der Häuser unterscheidet sich von Viertel zu Viertel, und die Beflaggung: Nationalfahne mit oder ohne Atatürk, oder gar keine.

Abends durften wir kein Fenster aufmachen, weil ein Pickup mit einer Höllenmaschine durch die Strassen fuhr zum Verspritzen von Insektiziden – das Gift waberte stundenlang um die Hochhäuser. So mussten wir in heisser Stickluft schlafen gehen. Nachts malträtierte mich endloses Hundegebell und ein garstiges Luftmatratzenbett; früh morgens flatterten Tauben auf dem Balkon herum. Die Kinder dagegen schliefen fest. Sie finden hier alles attraktiv, das Neue ist für sie immer gut.

Aber lange wird die Neuheit der Wohnung nicht vorhalten, da fragt es sich, was tun? Für uns gibt’s fast nichts in dieser öden Millionenstadt. Das Meer ist in Sichtweite, aber zum Baden müssten wir zwei Stunden lang fahren, daher warten wir ab, bis wir in zehn Tagen ins Hotel am Meer umziehen.

Wir können nicht mal einkaufen gehen ohne Verkehrsmittel, ausser mittwochs, wenn es in der Nähe einen Bazar gibt.

(Fotos: © Robert Straßheim)

→ Sommerliche Reisegrüsse aus der Türkei / 2

→  s. a. „Urlaubsbrief aus der Türkei“

 

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