„Blickachsen 9“ in Bad Homburg und Rhein-Main (5)
Hoch hinaus
Es sind, naturgemäss, die vertikalen, himmelwärts aufstrebenden Skulpturen im mit reichem, altem Baumbestand gesegneten Bad Homburger Kurpark, die sich dem Besucher wie dem Spaziergänger bereits von weitem anempfehlen.
Not Vital, Tongue, 2010, Edelstahl, Ex. 3/5, 520 x 105 x 125 cm
Eine aus Edelstahl gefertigte und entsprechend hochglänzende Rakete ist uns bislang noch nicht unter die Augen gekommen. Nun heisst die Skulptur von Not Vital ja auch nicht Rocket, sondern Tongue, also Zunge, Sprache oder Mund. Nun gut, schön ist das Opus allemal. Der Park, das alte Kurhaus „Kaiser Wilhelms Bad“ – wir werden auf diesen Genitiv noch zurückkommen – und schlechtenfalls der Fotograf spiegeln sich in ihm wider. Was schert ’s die Gruppe Picknickmacher auf der Wiese.
Not Vital wurde 1948 im Engadiner Sent geboren. Er ist mit seinen Arbeiten inzwischen weltweit bekannt. Schauen wir auf seine Vita, so lebt und arbeitet er in Agadez, Niger; Beijing, China; Patagonia, Chile und Sent, Schweiz, anderer Darstellung zufolge zusätzlich in New York, aber das gehört ja inzwischen fast schon zu jedweder zeitgeistig-präsentablen Künstler-Vita.
Camille Henrot, Le prix du danger 7, 2011, durchbrochene Flugzeugtragfläche CAP 10B, 465 x 122 x 122 cm
Anders dagegen Camille Henrot, 1978 in Paris geboren, wo sie auch heute lebt und arbeitet. Unlängst räumte sie zur aktuellen Biennale Venedig den Silbernen Löwen ab als erfolgversprechendste Nachwuchkünstlerin. Auch von hier aus noch einmal Chapeau! und herzlichen Glückwunsch!
Einen Flugzeugflügel stellt sie aus, den einer CAP 10 B, eines kleinen zweisitzigen Trainingsflugzeugs. Nun ist dessen – wir nehmen an rechte – Tragfläche zu einem Kunstobjekt geworden. Henrot hat ein melanesisches Totem in sie eingeschnitten. Natürlich fallen uns sofort die Farben der französischen Tricolore Blau-Weiss-Rot ins Auge.
Schön sind Ironie und Witz der Arbeit: die Tricolore in „Kaiser Wilhelms Bad“. Man beachte nämlich den Genitiv, der das Badehaus, spachlich genau genommen, als Eigentum des damaligen Erzfeindes der Grande Nation, des ersten, nach dem Sieg im deutsch-französischen Krieg 1871 im Spiegelsaal zu Versailles proklamierten deutschen Kaisers Wilhelm I. ausweist. Die Tricolore also in Grosskaisers Bad: eine hübsche Idee, sicherlich ohne späte Rache. Und das Flugzeug ein Zweisitzer, ein enges, sicher nicht sonders gemütliches Compartiment, das sich im Rahmen der deutsch-französischen Freund- und EU-Führerschaft derzeit die böse Madame Merkel und der gute Monsieur Hollande teilen müssen?
Abgebildete Skulpturen © jeweilige Künstler; Fotos: FeuilletonFrankfurt